Leerstelle

Gedicht

von  miljan

Wie schnell die Zeit letztendlich doch verstrich.
Vorbei, vorbei und ich stand nur daneben
in meinem von mir ungelebten Leben.
Wie viele Möglichkeiten habe ich
in all den Jahren aus der Hand gegeben?

Ich ließ sie los anstatt sie zu umklammern
und stapelte indessen Traurigkeiten
in meinem Herzen wie in Abstellkammern.
Es waren wirklich keine schönen Zeiten.

Ich kann sie gegen keine andern tauschen.
Statt mich am Leben möglichst zu berauschen,
verbrachte ich es nur an seinen Rändern
und nichts daran lässt sich noch heute ändern.

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Kommentare zu diesem Text

Jack (36)
(03.12.18)
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 miljan meinte dazu am 03.12.18:
Ich denke nicht, dass man das so grundsätzlich sagen kann, auch wenn ich weiß, was du meinst. Tatsächlich begann das Gedicht ganz am Anfang mal mit "Am Leben sein heißt immer auch: verzichten/auf diese oder jene Möglichkeit", bis ich gemerkt habe, dass es in Rationalisierung der Trauer umschlägt. Natürlich sollte mehr dabei herauskommen als ein YOLO oder anything goes. Trotzdem sollte betrauerbar sein, dass das Leben nicht einhält, was man sich von ihm verspricht. Es gibt zum Beispiel bei Adorno, der eines unreflektierten Hedonismus unverdächtig sein dürfte, den Satz "Das Leben lebt nicht". Das, was er tut, nennt er "traurige Wissenschaft". Zugleich bin ich auch diesbezüglich mit Rationalisierungen vorsichtig: In dem Gedicht geht es durchaus - und vermutlich ist es das, woran du dich stößt - um ein nicht bloß allgemeines, sondern auch individuelles Scheitern.

Vielen Dank, Jack, für deinen Kommentar und deine Kritik.

Antwort geändert am 03.12.2018 um 08:11 Uhr
Jack (36) antwortete darauf am 03.12.18:
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fdöobsah (54)
(03.12.18)
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 miljan schrieb daraufhin am 03.12.18:
Du musst deiner Meinungsäußerung keine Trigger-Warnung voranstellen, lieber fdöobsah. Ich freue mich, an deiner kritischen Auseinandersetzung mit meinem Text teilhaben zu dürfen.

Der Vers mit den unschönen Zeiten hätte sich natürlich recht einfach ernster formulieren lassen. Ich hielt allerdings das Lakonische für ein ganz gutes Mittel der Distanzierung, die mir an dieser Stelle passend schien. Schließlich handelt es sich, trotz der Trauer, ja um eine Retrospektive. Zu deiner anderen Anmerkung: Tatsächlich habe ich zwischen beiden Versvarianten, also der letztlich von mir gewählten und der von dir vorgeschlagenen, sehr geschwankt. Ich fand, dass in der aktuellen Variante die Bitterkeit stärker zum Ausdruck kam und auch die Unwiderbringlichkeit. Dass das den Hedonismus unterstreicht, der ja keineswegs nur schlecht ist, stimmt und sicherlich liegt darin die Gefahr, am Ende wie Julia Engelmann zu klingen. Allerdings liegt in der Retrospektive ein gewisser Schutz dagegen, da es ja gerade um das Scheitern geht, zumal das Ich sich an die Möglichkeiten "klammert" anstatt sie, nur weil es das will, verwirklichen zu können. Darin kommt auch die notwendige Ohnmacht zum Ausdruck, nur eben nicht ungebrochen, da das "heute nicht mehr", da gebe ich dir recht, impliziert, dass sich damals durchaus etwas hätte ändern lassen. Aber das ist ein realer Widerspruch, der als solcher auch ins Gedicht muss. Vielleicht ist mir das nicht ausreichend gelungen. Noch einmal vielen Dank für deine kritischen wie lobenden Worte.

Antwort geändert am 03.12.2018 um 08:28 Uhr

 TassoTuwas (03.12.18)
Späte Einsicht ist auch eine Einsicht, also, "Sag niemals nie!"
Viel Glück
TT

 miljan äußerte darauf am 03.12.18:
Vielen Dank für deinen Kommentar!
Echo (34)
(03.12.18)
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 miljan ergänzte dazu am 04.12.18:
Vielen Dank, Echo, für deinen Kommentar und dass ich an deinen Gedanken teihaben darf. Ich finde deiner Überlegung zu den ungenutzten Möglichkeiten interessant, weil mir zumindest eine der Interpretationsmöglichkeiten nicht so präsent war. Mit dem Leben hast du an sich natürlich recht. Ich denke, die Personifizierung kommt dadurch zustande, dass jene Ansammlung von Ereignissen ja nicht bloß ganz individueller Art ist, sondern auch Momente aufweist, die sich ein Stück weit verallgemeinern lassen.
Piroschka (55)
(03.12.18)
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 miljan meinte dazu am 04.12.18:
Vielen Dank, Piroschka! Ich freue mich, dass es dir gefällt.

 EkkehartMittelberg (03.12.18)
Gedichte über ein ungelebtes Leben haben Tradition. Meistens sind sie larmoyant. Auch dieses Gedicht kann man als leicht larmoyant empfinden, , aber eine leise Ironie in den Versen II,2-4 hebt dies wieder auf. Deswegen gefällt es mir. Es enthält nur zwei Metaphern: II,3-4 und und III,3, aber die sind sehr gelungen.

 miljan meinte dazu am 04.12.18:
Danke schön, Ekkehart, für Einschätzung und Lob. Insbesondere freut mich deine Bemerkung zur Ironie in der zweiten Strophe. Beabsichtigt habe ich das zwar nur mit ihrem vierten Vers, an dem fdöobsah ja gestoßen hat, aber ich denke, du hast recht. Im Grunde lassen sich auch die Verse davor mit Augenzwinkern lesen.

 GastIltis (03.12.18)
Hallo miljan, in einem (meiner älteren) Kommentare habe ich von einem echten miljan-Gedicht geschrieben. Vieles ist zu deinen Gedichten darüber hinaus schon geschrieben worden. So viel, dass ich einmal deinen Titel Weggefährte nahm, um mich damit grüßend zu verabschieden. Deine melancholische Grundhaltung hast du beibehalten; das macht es aus. Wer so schreibt …
LG von Gil.

 miljan meinte dazu am 04.12.18:
Vielen Dank für deinen Kommentar, Gil. Ich freue mich darüber, zudem auch darüber, dass du dich in "Weggefährten" offenbar ausreichend wiedergefunden hast, um es auf eine Situation in deinen Leben zu beziehen. Ich finde es schön, wenn das mit meinen Gedichten möglich ist.

 niemand (03.12.18)
Sicher mache ich mir keine Freunde damit, aber dieses Gedicht
ist larmoyant und zwar Strophe für Strophe.
Außerdem ist es, wie der "geschätzte" Kollege Aron sagen würde
"Klapperkiste" sprich: nicht besonders gut gemacht.
Es leiert belanglos daher. Nichts für ungut.
LG niemand

 miljan meinte dazu am 04.12.18:
Freunde muss man sich mit Kommentaren auch nicht machen. Insofern danke für deine Rückmeldung. Dass du es larmoyant findest, muss ich so hinnehmen. Auch Ekkehart hat ja etwas in diese Richtung geschrieben, wenn auch mit Einschränkung. Womit du deine Kritik begründest, das Gedicht sei eine Klapperkiste und nicht gut gemacht, bleibt mir unverständlich. Möchtest du dazu vielleicht noch ein, zwei Sätze schreiben? Schließlich zieht sich das Metrum von Anfang bis Ende durch, Jambus, fünf Hebungen. Es gibt keine Elisionen, keine Inversionen und auch keine unüblich betonten Wörter. Mit anderen Worten: Es sollte sich völlig problemlos flüssig lesen lassen. Oder verstehe ich falsch, was du mit "Klapperkiste" meinst?

 niemand meinte dazu am 04.12.18:
Ja, dieses flüssige, problemlose Lesen ist das was ich
mit "Klapperkiste" bezeichnet habe. Es reimt sich, es fließt,
man kann es herunter leiern. Es ist ein Reimgedicht nach Regeln,
aber ohne jegliche lyrische Ausstrahlung. Des Schreibers Empfindungen [Inhalt] in allen Ehren, diesen will ich keinesfalls angreifen, schon aus mangelnder Kenntnis des selbigen,
aber das Gedicht schafft es nicht mich lyrisch anzusprechen.
Es hat nicht Berührendes. Es jammert regelrecht gereimt.
Ich weiß was "Klapperkiste" ist, da ich ja selber nicht zu wenig
davon "verbrochen" habe und mich durchaus nicht schonen will mit solcher Bezeichnung. Ich habe schon viel, viel bessere Gedichte aus Deiner Feder [Tastatur] gelesen, dieses hier gehört nicht dazu. Um mich zu vergewissern, ob ich vielleicht hier nicht etwas zu hart bin, habe ich mir zu Hause zwei Meinungen dazu geholt und beide kamen zur gleichen Aussage wie ich.
Nichts für ungut, die anderen hier scheinen begeistert zu sein.
In diesem Sinne, LG niemand

 miljan meinte dazu am 04.12.18:
Nun gut, ich danke dir für deine ausführliche Rückmeldung und Kritik. Schade natürlich, dass dich das Gedicht nicht anspricht. Mir fällt es schwer, deine Kritik nachzuvollziehen insofern, als mir die Idee fehlt, wie ich ihm in deinen Augen zu mehr lyrischer Ausstrahlung hätte verhelfen können. (Höchstens: mehr Varianz in Tempo, Verslänge und Metrum, auch wenn ich denke, dass es dadurch ein etwas anderes, nicht unbedingt aber ein besseres Gedicht geworden wäre.) Aber muss ich ja auch nicht. Und keine Sorge, für deine Kritik musst du dich nicht rechtfertigen und du musst auch auf niemanden verweisen, um sie zu legitimieren. Selbstverständlich freue ich mich über positive Rückmeldungen mehr als über negative, aber davon, dass jemand ein Gedicht von mir nicht mag, geht die Welt auch nicht unter. Liebe Grüße, miljan

Antwort geändert am 04.12.2018 um 18:10 Uhr
fdöobsah (54) meinte dazu am 29.12.18:
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 princess (04.12.18)
Hallo miljan,

für mich entsteht hier das Bild eines Menschen, der sehr stark in der Vorstellung davon verhaftet ist, wie das eigene Leben hätte verlaufen sollen. Ein Mensch, der seinen individuellen Weg an dieser Vorstellung misst, entsprechend verurteilt und nicht wertschätzen kann, dass er lebte, wie er nun mal lebte. Vielleicht ist dieses sein Leben mehr Lehrstelle als Leerstelle.

Liebe Grüße
Ira

 miljan meinte dazu am 04.12.18:
Liebe Ira,

vielen Dank für deinen Kommentar. Ich denke, man kann man an vielen Dingen etwas finden, was sie lehrreich macht. Ich finde das nicht falsch, glaube aber auch, dass man mit dieser "was dich nicht umbringt macht dich hart"-Sache vorsichtig sein muss. Wir neigen dazu, das Traurige zur Notwendigkeit zu verklären, es aufzuwerten, indem wir ihm einen Sinn geben und es dadurch erträglicher machen. Aber es gibt Dinge, zum Beispiel das Sterben naher Menschen, die sind einfach traurig und die sind einfach sinnlos und die sollten so einfach nicht sein, selbst wo sie unausweichlich sind. Nichtsdestotrotz weiß ich, was du meinst und natürlich gibt es das auch: aus Vergangenem zu lernen.

Liebe Grüße
miljan

 princess meinte dazu am 04.12.18:
Lieber miljan,

die Haltung
"was dich nicht umbringt macht dich hart"
hatte ich bei meinem Kommentar überhaupt nicht im Kopf. Es ging mir in der Tat nicht darum, darauf hinzuweisen, dass man aus jeder Situation irgend etwas lernen kann. Das weiß ja eh schon jeder, sicher auch das hier skizzierte LyrI. Nur dass dieses LyrI seinen eigenen Weg nicht wirklich wertschätzen kann, einen Weg, der ihm offensichtlich viel Trauriges bescherte, das finde ich das eigentlich Traurige. Auch wenn es "nur" ein LyrI ist.

Liebe Grüße
Ira

Antwort geändert am 04.12.2018 um 18:54 Uhr

 miljan meinte dazu am 04.12.18:
Liebe Ira,

dann habe ich dich da missverstanden; entschuldige bitte. Ja, du hast recht, das ist das Traurige, gerade weil der Trauer kein höherer Sinn, dessentwillen sie sich sogar gelohnt haben könnte, zugesprochen wird und auch keine Notwendigkeit. Das lässt sie auch im Nachhinein nur schwer erträglich sein.

Liebe Grüße
miljan
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