Houellebecq schreibt: „Militant zu sein macht glücklich – und Sie haben nicht glücklich zu sein.“ Doch wenn entspannt zu sein, bedeutet, auszusehen wie Houellebecq, dann will ich ewig heiter Blut vergießen

Gebet

von  Oreste

Ich fühle mich entspannt. Vollkommen entspannt. Geradezu tiefenentspannt. Ich habe Angst. Ich schaue in den Spiegel. Suche meine Zornesfalte. Finde ein breites Grinsen. Ich fühle mich so entspannt wie ein menschgewordener Chillout-Channel in Dauerschleife. Entspannt wie ein gerissener Gummizug. Wie Cellulite. Ich kann gar nicht sagen, wann ich mich das letzte Mal so beschissen entspannt gefühlt habe. Vielleicht als Fötus beim Verdauungsschlaf? Ich weiß nur, es muss aufhören.
  Wann? Jetzt.

Wo ist der Frust, frage ich mich, die Wut, das dringliche Verlangen, anderen Menschen solang Autotüren gegen die Schädel zu knallen, bis sie lachen. Wo dieser süße Hass auf alles, was aufrecht geht und eine Frisur besitzt? Wo ist mein innerer Kinski? Mein irrer Hang zum Äußersten? Diese kindlich verspielte Freude daran, wahllos Passanten zu bepöbeln? Vornehmlich Frauen und Kinder.

„‘tschuldigung …?“
    „Ja?“
„DU BIST DOCH NE DUMME SAU BIST DU DOCH!“

Alles weg. Alles fort. Unauffindbar. Stattdessen bin ich entspannt. Entspannt wie das Arschloch nach dem Morgenschiss. So entspannt, dass ich Eimer rauche, um mich hochzupushen. Ich bin so entspannt, dass wenn du mich nach dem Wochenendeinkauf im Kinderparadies vergisst, ich ohne mit der Wimper zu zucken halt noch ein Bällebad nehme. Ich bin so abnormal entspannt, dass du mich zusammen mit zwölf horny Lederschwuchteln für zwei Stunden in eine russische Banja sperren kannst, und ich wüsste kaum mehr zu sagen als: „Uhhh, was gayt’n?“

Wo, frage ich mich, ist meine Bud-Spencer-Gedenkschelle, wenn die hässliche Kassiererin vom Netto einen Flunsch zieht, weil ich’s wieder nicht passend habe. Wo mein Harmstorfer Händedruck, wenn mir mein Jobvermittler einen Job vermittelt. Und wo ist mein perfekt getimter Roundhouse-Kick, wenn die Fahrgäste meiner Buslinie es trotz wiederholter Durchsagen des Fahrers für sinnvoll erachten, im ersten Drittel des Gefährts zu verharren, statt verficktnochmal nach hinten durchzurücken, um den dazugestiegenen Gästen die Mitfahrt zu ermöglichen?

Aber was das Erschreckendste an diesem Zustand ist; er dauert nun schon seit gut acht Minuten an. Und weil entspannt zu sein, bedeutet, auszusehen wie Houellebecq, muss ich mir auf der Stelle ein Beil ins Knie jagen. Und das würde ich auch tun, wäre ich nicht so … so … so penetrant …
  Was? Entspannt.


Anmerkung von Oreste:

2017

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Kommentare zu diesem Text

Jack (36)
(21.12.18)
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 Oreste meinte dazu am 28.12.18:
Sloterdijk schnauft mir beim Sprechen zu sehr. Ich habe tatsächlich mal versucht, ihn zu lesen, doch bekomme ich sein Schnaufen selbst dann nicht aus dem Ohr.

Gruß!
Nimbus† (45)
(21.12.18)
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Piroschka (55) antwortete darauf am 21.12.18:
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Piroschka (55) schrieb daraufhin am 21.12.18:
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Nimbus† (45) äußerte darauf am 21.12.18:
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 Oreste ergänzte dazu am 28.12.18:
Ich wählte den langen Titel deshalb, weil ich ein echter Rebell bin, Heike.
Stelzie (55) meinte dazu am 29.12.18:
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Nimbus† (45) meinte dazu am 29.12.18:
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 Oreste meinte dazu am 30.12.18:
Man nennt mich nicht umsonst den Che Guevara der Überschriften.

 loslosch (21.12.18)
besser als das original.

 Oreste meinte dazu am 22.12.18:
Ich erröte.

 Lluviagata (21.12.18)
Ein vor schubladenlastigen Witzeleien strotzendes Lesevergnügen, dem ich mit immer breiter werdendem Mund gefolgt bin. Wer zum Henker ist Houellebecq? :D

Scheiß auf die hässliche Welt und ihre Forenfrisuren.

Entspannte Grüße

Llu ♥

 Oreste meinte dazu am 28.12.18:
Deinen Humor will ich haben, Llu. :D

Lieb grüßt
O.

 drmdswrt (31.12.18)
8 Minuten? Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so lange entspannt war.

 Oreste meinte dazu am 03.01.19:
Zugegeben, um nicht zu verstören, legte ich eine Handvoll Minuten drauf. (-;

Danke dir!
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