Fingergymnastik

Kurzgeschichte zum Thema Heilige/s

von  eiskimo

Stehplatz in der MRT (Metro) von Singapur. Ich sehe ein wunderbar buntes Volk, die meisten mit Knöpfen oder Headphones auf den Ohren, das entsprechende Spielgerät in der freien Hand. An der Seitenwand sticht mir eine Achtergruppe ins Auge, auf der Längsbank sitzend. Alle haben dieselbe Gebetshaltung, Ellbogen auf den Knien, Smartphone im Blick, die Augen wie angesaugt auf die magischen Bildschirme. Acht Personen hocken so, wie konditioniert. Es hat tatsächlich etwas Religiöses, in dieser Inbrunst.  Ich beobachte sie so drei, vier Stationen weit. Acht? Nein. Es sind nur sieben Personen, die da wie Karikaturen abgebildet sind.  Die achte, eine mittelalte Frau, hält statt dem Smartphone einen ... Rosenkranz. Und ihre Augen sind andachtsvoll geschlossen, die Lippen rezitieren unablässig Gebete.
Auch konditioniert, diese Frau? frage ich mich. Und dann: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen ihr und all den anderen scheinbar Ferngesteuerten?  Hmm. Immerhin kommt sie ohne Batterien aus, um "verbunden" zu sein.
Während ich noch über diese transzendentalen Fragen sinniere, steht sie unvermittelt auf und steigt am folgenden Stop aus. Rasch nimmt ein neuer Passagier ihren  Platz ein... und sein Smartphone raus.

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Kommentare zu diesem Text


 Irma (12.01.19)
Tja, der Tim muss noch 148.713 Mails checken, um die Welt zu retten. Die Tina versucht es mit 148.713 Gebeten.
Andächtige Grüße, Irma.

Kommentar geändert am 12.01.2019 um 16:03 Uhr

 eiskimo meinte dazu am 12.01.19:
Tina nehme ich ab, dass sie die Welt retten will. Tim will nur verdrängen, dass sie untergeht.

 idioma antwortete darauf am 12.01.19:
Toller Text und tolle Kommibeantwortung !

 eiskimo schrieb daraufhin am 13.01.19:
Danke! Ich kann halt gewisse Dinge nicht blind als toll ansehen, nur weil sie die Massen erfassen...
lG
eiskimo

 AZU20 (12.01.19)
Das mit dem Rosenkranz dürfte hier bei uns seltener sein. Sonst aber ähnelt sich die Welt. LG
Stimulus (54)
(12.01.19)
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 eiskimo äußerte darauf am 13.01.19:
Danke für die profunde Auseinandersetzung mit meiner Beobachtung. Sie ist real, darum auch die Verengung auf diese Wahnsinnsstadt, wo ich mich gerade befinde.. Den Text sauber zu klassifizieren ist mir nicht gelungen, da geb ich dir Recht.
Übrigens komme ich hier auch ohne Smartpohone gut klar.
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