Holzbanktexte

Innerer Monolog zum Thema Befreiung

von  tulpenrot

Illustration zum Text
(von tulpenrot)
Die Holzbank

(I)
noch warm von der Sommersonne
der Hof ist gefegt
das Grünfutter den Tieren gegeben
die Wäsche trocken und im Korb
die Bäuerin ist eben erst weggegangen
gießt nur noch die Blumen in den Trögen vor dem Haus
zuvor hat sie das Scheunentor verschlossen
die Arbeit hört trotzdem nicht auf
gut hat es derjenige
der seine Hände abends in den Schoß legen und ausruhen kann


(II)
Warum sitzt niemand vor dem Haus und strickt, träumt oder denkt in aller Ruhe nach? Warum setzt sich keiner hin, um mit dem Vater, der Mutter, dem Sohn, der Tochter, dem Nachbarn zu reden, zu lachen, zu schweigen?
Haben die Menschen hier einander nichts mehr zu sagen? Vielleicht sind sie es satt, belogen und missverstanden zu werden. Oder haben sie es satt, sich Vorwürfe anhören zu müssen?


(III)
Meine Bank bleibt leer neben mir. Es will sich niemand zu mir setzen. Das kränkt. Ich sitze also alleine da und führe Selbstgespräche. Keine netten. Meistens. Das ist nicht gut und sollte sich ändern, denke ich. 

Wie wäre es, wenn ich jeden Tag ein freundliches Wort zu mir selber sage? Das wäre doch etwas. Wenn ich mich jeden Tag ein wenig lobe. Mir sage, sass ich zufrieden bin.
Mit der Wohnung zum Beispiel und dem Garten, mit den Nachbarn und dem Wohn-Ort, mit dem Tagesverlauf,
mit dem, was ich heute oder gestern gemacht habe.  Dass ich beruhigt bin darüber, wie ich es angepackt habe.
Ich könnte mir ausmalen, wie sich Begonnenes gut entwickelt, und mir vorstellen, was mir und anderen Freude machen könnte.
Wird das dann romantischer Kitsch? Warum eigentlich nicht?

(IV)
Auch wenn diese Bank und die Tür etwas Beruhigendes haben, wächst in mir das Bedürfnis, dieses „Trautes-Heim-Motiv“ noch zu beleben oder durcheinander zu bringen. Das Foto sieht langweilig aus. Fast steril. Unbelebt. Verlassen, leer. Wer möchte sich dort schon aufhalten? Wer möchte diese Tür öffnen? Was sollte sich dahinter schon verbergen? Nichts, was einladend wäre, nichts, was geheimnisvoll wäre, vermute ich. Und dennoch habe ich dieses Foto gemacht. Was wollte ich eigentlich damit sagen? Ich erinnere mich nicht.


Anmerkung von tulpenrot:

Projekt Okt- Dez 2018
Foto und Text

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Kommentare zu diesem Text


 Moja (14.01.19)
Ich setze mich mal zu dir auf die Holzbank, rede in Gedanken mit Dir über Deinen Text. Dein Foto wirkt auf mich lebendig, die Maserung des Holzes, warme Farbtöne, die Leinen bringen Schwung hinein, der helle Lichteinfall - und wenn wir da so zusammen sitzen, könnten wir lange reden über das Leben vor und hinter der Tür, Dein Text ist ein Türöffner, gefällt mir sehr!
Herzlichen Gruß, Monika

 tulpenrot meinte dazu am 14.01.19:
Liebe Monika,
da sitzen wir also beide auf der Holzbank und schwatzen mit den Spatzen um die Wette Und malen uns aus, was sich hinter dieser und anderen Türen befinden könnte und was die Leute hier so tun, obwohl man fast niemanden mehr auf der Straße sieht. Wir säßen nämlich mitten im Dorf. Es wäre wieder heiß und Sommer.
Genauso hatte ich mir das vorgestellt - dass mir Geschichten einfallen, und nicht nur Gedanken aufsteigen - deswegen dieses Projekt "Fotos und Text"... Ich taste mich langsam vor.

Ich habe das Foto hier auch als Papierabzug auf dem Schreibtisch und finde es inzwischen todlangweilig. Umso besser, dass du das anders siehst. Wahrscheinlich war mein erster Eindruck auch ein anderer. Ich erlebe das hin und wieder, dass sich der Blickwinkel auf Dinge einfach ändert.

Dir erst einmal viele Grüße und vielen Dank für alles
Angelika

 AZU20 (14.01.19)
Ich denke, Du hast dennoch eine Menge gesagt. LG

 tulpenrot antwortete darauf am 14.01.19:
Du weißt: Berufskrankheit. Einfach weiterreden, obwohl man längst nichts mehr zu sagen hat.;-) "The show must go on", bis die Pausenglocke läutet.
Schmunzelgrüße und Danke!
Angelika

 Irma (14.01.19)
"Das Foto sieht langweilig aus. Fast steril. Unbelebt. Verlassen, leer. Wer möchte sich dort schon aufhalten? Wer möchte diese Tür öffnen? Was sollte sich dahinter schon verbergen? Nichts, was einladend wäre, nichts, was geheimnisvoll wäre, vermute ich."

Oh doch: Das Foto ist einladend. Es lädt zum Verweilen und Sinnieren ein. Man nimmt unwillkürlich Platz auf der verlassenen Bank, hängt seinen Blick an die leere Leine und den Gedanken nach. Und allzu gerne würde ich hinter das verwitterte Türchen schauen können.

Es trägt ein Schloss, dass Fremden den Zugang unmöglich macht. Verbirgt sich dahinter doch etwas Wertvolles? Antiquitätensammler haben auf den Dachböden und in den Scheunen abgelegener Gehöfte schon so manches alte Bauernmöbel gefunden, das eine wahre Kostbarkeit ist. Die Wäscheleinen sind direkt vor der Tür gespannt, was darauf deuten lässt, dass auch der Besitzer den Raum dahinter nicht mehr oft betritt. Hat er darinnen seine Vergangenheit gelagert, mit der er innerlich lange „abgeschlossen“ hat? Relikte aus der alten Zeit: Fotoalben, das einstmals geliebte Schaukelpferd, das Hochzeitskleid, das schon die Großmutter getragen hat? Der Griff der Tür ist sehr niedrig, in Kinderhöhe angebracht. War hier früher die Räuberhöhle, in der die Kinder gespielt und getobt haben? Das geheime Versteck, in das man sich zurückziehen und in dem man später unbemerkt mit dem Nachbarskind knutschen konnte? Oder hast du Recht und dahinter befinden sich nur noch ein paar ungenutzte Gartengeräte oder sogar Leere?

Gespannt wie ein Kind vor seinem Adventskalender sitze ich hier und wünschte, ich dürfte das Türchen öffnen. Ich kann es nicht, und das ist auch gut so. Denn so bleibt Platz für die Phantasie, und dieses ist der wahre Schatz. Danke dafür! LG Irma

Kommentar geändert am 14.01.2019 um 16:13 Uhr

 tulpenrot schrieb daraufhin am 14.01.19:
Irma!! Wieder so ein Hammerkommentar! Ich bin ganz geplättet. Danke!

Ich glaube, dass sich hinter der Tür eine normale Scheune befindet - sie gehört zu dem angebauten Bauernhaus.
Also im Sommer musst du mal kommen und es anschauen - vielleicht hat Monika (s.o.) auch Zeit, und dann sitzen wir drei Frauen auf der Bank vor der Tür und denken uns Geschichten aus - das wird sicher amüsant. Wenn für euch nicht die weite Anreise wäre...

Liebe Grüße
Angelika
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