Mit meinem Schweinehund einmal um den Häuserblock

Groteske zum Thema Allzu Menschliches

von  tulpenrot

Heute Abend lässt er sich ohne größere Probleme von mir zu einem kleinen Rundgang überreden. Das ist ungewöhnlich. Meist reagiert er muffelig oder abweisend, und ich muss alleine losgehen. Keine Ahnung, warum das heute Abend anders ist.

Überhaupt lässt er sich immer sehr lange Zeit, bis er sich zu irgendeiner Entscheidung durchringt. Doch manchmal kann er sogar richtig nett sein. Wie heute. Das ist ja das Fatale: Ich weiß nie so richtig, woran ich bei ihm bin. Doch ich hab mich nun schon seit vielen Jahrzehnten an seine Launen gewöhnt. Eigentlich ist er der Herr im Hause. Meist gehorche ich ihm ohne Widerrede.

Ich führe ihn also aus, aus dem Haus hinaus, kehre ihn sozusagen von innen nach außen. Ich hab ihn auf Trab gebracht, obwohl er zunächst widerborstig sein Fell sträubte, als ich ihn aufforderte, mir zu folgen. Aber er tut es. Seltsamerweise hat er noch nicht einmal gemerkt, dass ich ihm nichts „für hinterher“ versprochen habe – sowas wie „Eis“ oder „Milchshake“ oder „Cappuccino“. Wahrscheinlich hat er selbst das Gefühl, dass ihm etwas Bewegung gut täte.

Er hatte viel in sich hineingefressen in letzter Zeit. Unsortiert. Das geschieht so leicht bei ihm. Er denkt immer: „Es muss alles in Ordnung bleiben, es darf keine Reste geben, ich darf nicht auffallen“. Selbst jetzt auf unserem Spaziergang ist es so: Er fällt nicht auf. Niemand nimmt Notiz von ihm. Der Terrakotta-Igel neben dem Gartentor stiert vor sich hin, die Dahlien hinter dem Zaun blicken hoch erhobenen Hauptes nach rechts an ihm vorbei, die unreifen Äpfel an Müllers Apfelbaum sind sehr mit sich selbst beschäftigt und die fremden entgegenkommenden Menschen haben mit ihren eigenen Hunden zu tun.

Niemand bemerkt meinen besonderen tierischen Begleiter. Niemand guckt neidisch zu mir herüber, was für einen außergewöhnlichen Hund ich an der Leine habe, aber auch niemand schüttelt hinter meinem Rücken den Kopf darüber, wie man nur so ein zotteliges Viech ausführen kann. (Ich habe mich extra umgedreht, um es zu kontrollieren!) Selbst die anderen Hunderassen lassen ihn in Ruhe. Keiner bellt ihn an, aber auch keiner läuft ihm schwanzwedelnd entgegen. Ein bisschen traurig bin ich schon darüber. Es ist, als ob wir zwei ganz allein auf der Welt wären.

Diese Ignoranz der Leute geht im alltäglichen Leben so weit, dass mir niemand raten kann oder will, wie ich meinen Hund zu behandeln hätte.
„Das ist deine Sache“, sagen sie immer, wenn ich ratlos an ihrer Tür klopfe und wissen will, wie man die Flausen aus seinem verworrenen Fell entfernen könnte. Oder womit und wie oft man ihn füttern solle, damit er nicht weiter so dick würde, aber auch nicht gerade von den Knochen fiele. Im Moment frisst er mir noch aus der rechten Hand. Mit der linken Hand kraule ich ihn liebevoll hinter den Ohren. Sie sagen mir auch nicht, ob ich ihn weiter in meinem Bett schlafen lassen soll oder ob er nun schon groß genug sei, sodass er langsam mal in seinem eigenen Körbchen liegen könne. Sie sagen mir auch nicht, wann ich aufhören muss, ihn zu verwöhnen.

Wir machen nun eine Runde um den Häuserblock. „Dieser Weg ist kein Hundeklo“ lese ich auf einem Aufkleber am Laternenpfahl. Besorgt schaue ich zu meinem Schweinehund hinunter. Man weiß ja als Mensch nie, wie Hunde sich so benehmen. Da mein Schweinehund meist die Öffentlichkeit meidet, bin ich doppelt verunsichert … und ich will keinen Ärger haben mit den Nachbarn. Doch er läuft völlig ruhig und entspannt neben mir her. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus. Die anderen Hundebesitzer lassen ihren Hunden freien Lauf. Dass da das eine oder andere Missgeschick passiert, nehmen sie offensichtlich in Kauf und kümmern sich nicht darum. Ich bin wütend und will gerade einschreiten, als mein Schweinehund lauthals und unfriedlich knurrt. Ich weiß Bescheid und halte den Mund. Nie würde ich etwas tun, was meinem Schweinehund nicht gefällt!

Plötzlich legt er sich mitten auf dem Gehweg hin, streckt alle vier Beine von sich, hebt den Kopf und schnüffelt in Geradeausrichtung.
„Was ist mit dir?“, frage ich besorgt.
„Ich rieche „Schweinehund““, antwortet er und runzelt die Stirn.
„Und? Meinst du, du riechst anders?“
„Ja.“
„Was hat das nun zu bedeuten?“
„Blöde Frage.“
„Was soll ich denn sonst fragen?“
Er kneift die Augen zu und jammert: „Es riecht abscheulich.“
„Dann lass uns weglaufen. Wenn du hier liegen bleibst, dann wird es nicht besser.“
„Siehst du ihn nicht?“
„Nein. Wer ist es denn?“
„Er muss jeden Moment um die Ecke kommen. Der Gestank wird immer schlimmer.“
„Ich habe keine Lust auf stinkende Schweinehunde und werde jetzt gehen. Du kannst hier liegen bleiben. Schließlich bist du selber groß.“
„Ich habe aber Angst.“
„Angst? Vor einem Schweinehund? Du bist doch selber einer.“
„Der da gleich um die Ecke kommt, ist aber eine andere Sorte Schweinehund. Der macht mir Angst.“
„Umso mehr laufen wir jetzt weg. Komm.“
„Genau genommen ist es ein Sauhund, der kommt uns ganz schön nahe“, jammert mein Schweinehund, „willst du das?“

Ein Sauhund ist ein zur Wildschweinjagd eingesetzter Hund zum Hetzen, Ermüden und Festhalten, erinnere ich mich. Wie schrecklich.
„Nein“, antworte ich entschlossen, „mit dem will ich nichts zu tun und zu reden haben. Du wolltest ja nicht rechtzeitig wegrennen, jetzt haben wir den Salat. Kannst du ihn denn nicht verbellen – in Schweinehundmanier?“
„Ein Sauhund versteht nur Sauhündisch, aber kein Schweinehündisch. Da habe ich keine Chance.“
Immer hat mein Schweinehund eine Ausrede. Also muss ich mir etwas anderes überlegen.
„Wir tun so, als ob er nicht da wäre. Wir stellen uns taub und blind, machen uns sozusagen unsichtbar.“

Und da kommt er schon. Ganz allein. Wo ist sein Herrchen oder Frauchen? Er irrt umher, schnüffelt mal hier, mal da und sieht etwas verwirrt aus. Oder sucht er etwas Bestimmtes? Dann entdeckt er uns, dieser Sauhund. Er stürzt sich auf meinen Schweinehund und macht ihm Beine. Der jault auf und rennt, was das Zeug hält. Er hat es nicht überlebt, der Arme.

Ich lebe jetzt ohne meinen geliebten Schweinehund,  bin geknickt und ratlos. Wie besiegt man einen Sauhund, der hasserfüllt und böswillig über andere herfällt? Und anscheinend nichts anderes als Zerstörung im Sinn hat? Wie schaltet man ihn aus? Ich quäle mich mit meiner Trauer und meinen ungelösten Fragen und komme zu keinem Ergebnis. Jeden Tag mache ich neue Pläne, wie ich Herr der Situation werden könnte, aber werde doch nur müde davon und enttäuscht. Wie kann es sein, dass diese Viecher so langlebig sind, so ausdauernd und einfallsreich, um anderen das Leben schwer zu machen? Was treibt sie an?

Und plötzlich habe ich eine Idee: Ich lege mir auch einen Sauhund zu, damit ich das nächste Mal bessere Chancen habe. Der kann mir die anderen Sauhunde vom Leib halten. Natürlich bleibe ich nach außen hin weiterhin freundlich und tolerant, aber im Innern … fletscht mein Hund die Zähne.

„Was bist du nur für ein Mensch? Das kannst du nicht machen!“, protestiert meine Tochter. „Suche Frieden und jage ihm nach, heißt dieses Jahr die Devise. Dafür kannst du keinen Sauhund gebrauchen.“
„Ich will doch den Sauhund nicht frei laufen lassen, sondern setze ihn gezielt ein, damit die anderen Sauhunde wegbleiben und ich meinen Frieden habe.“ Ich finde mein Argument überzeugend.

„Ich hab eine bessere Idee: Gründe eine Initiative zum Verbot von Sauhunden, eine IVvS. Man muss dafür sorgen, dass alle Sauhunde eingefangen werden. Die gehören eingesperrt, einfach weg aus unserer Gesellschaft! Und dann wird unsere Welt friedlich. Und du auch.“
„Und wer soll die Sauhunde einfangen? Und wer soll sie bewachen, bitteschön?“
„Ganz einfach. Ihr veranstaltet ein Sauhundhaltertreffen. Gleichzeitig in allen Ländern. Der mächtigste Sauhund der Welt solle gekürt werden, kündigt ihr an. Dann kommen sie alle, denn die Eitelkeit treibt sie zusammen. Der Wettkampf beginnt. Alle gehen auf einander los – und dann passiert es.“
„Was?“
„Wirst schon sehen. Was ein richtiger Sauhund ist, der wird schon wissen, was er zu tun hat.“
„Ach so.“
Ich bin beeindruckt.
So sind Töchter – von sonst nix ne Ahnung, aber von Sauhunden!

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (22.01.19)
Ob der Rat der Tochter von deren Ahnung zeugt? GHedanklioch kam ich ganz schnell in menschliche Gefielde. Da gibt es so manchen Sauhund. LG

 tulpenrot meinte dazu am 22.01.19:
Naja, sie tut jedenfalls so, als habe sie Ahnung. Und das LyrIch bezweifelt das mit diesem Satz. Also nach dem Motto: Von nix ne Ahnung, aber zu allem eine Meinung.
Ich danke dir für Kommentar und Sternchen.
LG
Angelika
Sätzer (77)
(22.01.19)
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 tulpenrot antwortete darauf am 22.01.19:
Ohh, Uwe,
ENDLICH jemand, der das mal deutlich ausspricht! DANKE!
Fein, dass du wohl Spaß beim Lesen hattest!

Aber leider kommt es bei manch anderen nicht so gut. Sie verstehen die feinsinnige Ironie oder wie du sagst, den untergründigen Humor, nicht. Denen ist dann irgendwie nicht auf die Sprünge zu helfen.

Mir macht das gerade mal so richtig Spaß. Die Texte der letzten Tage lagen schon "ewig und drei Tage" in der Schublade - jetzt gerade geht es damit voran. Nennt man das "Flow"?

Viele Grüße aus dem Schreibstübchen
Angelika
Sätzer (77) schrieb daraufhin am 22.01.19:
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 tulpenrot äußerte darauf am 23.01.19:
Ich hatte vor einiger Zeit einmal unter einem meiner Texte einen längeren Disput, bei dem der "Flow" eine Rolle spielte. Ich fand den Begriff damals doof und wollte ihn einfach mal ausprobieren, um zu sehen, wie er sich jetzt "anfühlt". Ich finde, man braucht ihn nicht. Nicht weil er nicht deutsch ist, sondern weil er etwas transportiert, was mir unangenehm ist. Eine gewisse Abgehobenheit vielleicht ??

 GastIltis (23.01.19)
Liebe Angelika, es stimmt. die ganz langen Texte erwarten Geduld. Jetzt aber zum Text. Der erste Teil, also bis zu dem Moment des Dialoges mit dem Hund, gefällt mir besser, weil diese Tiefgründigkeit des Humors nicht so offensichtlich wird. Sie stellt sich nicht zur Schau, ist aber, Zeile für Zeile, vorhanden. Im zweiten Teil erreicht diese Handlung die Oberfläche, soll heißen, die Unwahrscheinlichkeit wird ein wenig offenbarer, und damit entzieht sie der Handlung das Pointenhafte. Wie kompensierst du das nun? Durch die Eleganz deiner Sprache. Du lässt an deinem vollendeten Sprachvermögen keine Zweifel aufkommen, egal, ob die Handlungen in schwierigem Fahrwasser verlaufen oder auf einfachen Bahnen. Das ist schon große Kleinkunst. Ich denke, dass der Text noch oft gelesen wird. Liebe Grüße von Gil.

 tulpenrot ergänzte dazu am 23.01.19:
Lieber Gastiltis,
Danke, dass du dich an mein Geschreibsel gewagt hast!
hmmm.... höre ich daraus, dass der Text etwas "unrund" ist? Der liegt ja auch schon eine Weile rum und wollte das Tageslicht nicht so recht erblicken.
Ich hab manchmal eine Anfangsidee und weiß dann nicht weiter. Anscheinend merkt der aufmerksame Leser (z.B. ein GastIltis) das. Da sind mehrere Ausarbeitungsetappen drin.
Aber "Eleganz der Sprache" und "vollendetes Sprachvermögen" - hui, wie mir das gut tut.
Nun hätte ich natürlich noch gerne, dass meine Geschichten runder werden...
Lyrik geht im Moment gar nicht. Die wäre natürlich kürzer.

Herzliche Grüße
Angelika

 GastIltis meinte dazu am 24.01.19:
Liebe Angelika, unrund ist sicher der falsche Begriff. Der Gedanke, dass die Geschichte nicht in einem Guss geschrieben worden ist, konnte mir nicht kommen, könnte aber meine Einwände ein wenig erklären. Das hieße aber, ich hätte dann in deine Gedanken vor dem Schreiben eingeweiht sein müssen, was ja nicht möglich ist. Zumal du wohl selbst Zweifel hegst oder hegtest. Alles in allem, es ist eine interessante kleine lebensnahe Groteske, die sich gut liest, und die dir sicher auch beim Schreiben Freude bereitet hat. Was will man mehr? LG von Gil.
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