Stehaufmandl

Sonett zum Thema Abendstimmung

von  Isaban

Der Tag ertrinkt in unglaublichem Rot,
das Rot versinkt in dunkelblauer Glätte,
in jener Glätte hängt ein Silberboot,
auf diesem ahnt man eine Silhouette:

der Mann im Mond vielleicht, vielleicht ein Gott.
Man sieht nicht, ob er sich noch regt.
Hier unten trottet alles seinen Trott,
der Mensch wird von Alltäglichem bewegt,

auch ich. Ich suche nach Wahrhaftigkeit,
nach Echtheit und ich mag nicht spekulieren.
Mein Blick reicht leider nicht sehr weit,
will sich im glatten Abendblau verlieren.

Ach, Glauben ist ein Wackelding,
taucht auf und schwimmt im Aug dahin.

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Kommentare zu diesem Text


 monalisa (01.02.19)
Hallo Sabine,
die Abendstimmung (auch in Verbindung mit Lebensabend)
ist gut getroffen in deinem Sonett, besonders im ersten Quartett bekommt sie viel Raum, gibt der LeserIn Gelegenheit mit einzutauchen und zur Ruhe zu kommen. Vor allem die ersten beiden Verse vermitteln auch klanglich ein Bild des Ebenmaßes. Der parallele Aufbau, der Binnenreim ‘ertrank – versank‘ und die Assonanz von ‘unglaublichem‘ und ‘dunkelblauer‘ tragen dazu bei. Das Rot vom Versende wird im nächsten wieder aufgegriffen, die Glätte ebenso, so gleitet man von Vers zu Vers. Fühlt sich auch als LeserIn irgendwie aufgehoben und getragen.
Vom Mond zum ‘Mann im Mond‘ zu möglicherweise einem Gott, von dem man nicht weiß, ob es ihn gibt, ob er sich noch regt (sieht man nicht) oder schon tot ist, wandern die Gedanke wieder zurück zur Erde, zum trottenden Trott (sehr schöne Verstärkung), zum Menschen, der von Alltäglichem bewegt wird und zu LI selbst (durch das doppelte ICH betont), das Wahrhaftigkeit und Echtheit sucht, Fakten, Realität und nicht ‘spekulieren‘ mag, seinen begrenzten Blick (Durchblick), seine begrenzte Möglichkeit zu begreifen, zu verstehen, zu überprüfen bedauert und sich im Abendblau verliert, ohne Gewissheit, Sicherheit …
LI möchte glauben, und es gibt Momente, in denen es dieses ’Wackelding‘ (Glaube, ein bisschen despektierlich angesprochen, drückt den Unwillen des LI aus) fast spüren kann, wenn es auftaucht, genauso schnell aber auch wieder im Aug dahin schwimmt und LI mit ein paar Tränen zurücklässt, in der Ungewissheit Halt suchend. Das unzuverlässig Wackelding-Stehaufmandl reimt nicht einmal richtig, was soll man von so einem Glauben halten? Man kann ihn nicht fassen, ganz wegdrücken kann man ihn aber auch nicht, weil er halt ein Stehaufmandl ist
Hinter all dem schwingt wohl auch ein wenig die ungläubige Frage mit:
Das kann doch noch nicht alles gewesen sein?

Nein, hoffentlich nicht! In deinem Sonett lässt sich nicht alles, aber doch einiges finden, es werden die Sehnsüchte vieler Menschen thematisiert, in lyrischer Sprache mit leicht erschließbaren Metaphern, sodass man bei aller Unsicherheit das Gefühl mitnehmen kann: Ich bin mit dieser Wackelding-Stehaufmandl-Misere nicht allein.

Liebe Grüße
mona

 Isaban meinte dazu am 01.02.19:
Hach, Mona,
dein Kommentar adelt meinen Text!
Tausend Dank für diese wundervolle, sehr empathische und tiefgreifende Interpretation. Du kannst es halt. Merci!

(Warum haben wir eigentlich immer noch keinen Empfehlungsbutton für Kommentare?)

Liebe Grüße
Sabine
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