1 - Zorn

Erzählung zum Thema Mythisch

von  TrekanBelluvitsh

Der Mann war sehr schlank. Er hatte ein scharfkantiges Gesicht. Kinn- und Backenbart waren so sauber gestutzt, wie die Haare kurz geschnitten. Die pechschwarzen Augen funkelten, als er seine Leibwache lautstark fortjagte. Dann eilte er ins Zelt. Seine linke Hand ging zum Hals und öffnete die Fibel. Den staubigen Mantel warf er auf eine Liege. Dann ballte er die Fäuste, legte den Kopf in den Nacken und schrie laut auf, zornig und bitterlich enttäuscht.
"Wein!", blaffte er.
Einer der Anwesenden füllte einen Becher aus einem Schlauch, gemacht aus Ziegenhaut, und reichte ihn dem Mann. Der stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter. Danach flog der Becher durch die Luft, traf jedoch niemanden.
Der Mann senkte den Kopf und zog die Schultern an. Seine Hand ging zu dem Schwert, das in einem wertvollen Gehänge neben seinem rechten Bein schwankte. Noch immer glommen die Augen des Mannes finster. Er zitterte.

"Alle raus!", befahl er unnötig laut. Als auch ein kleines stämmiges Männlein mit grauen Haaren gehen wollte - die anderen flogen aus dem Zelt -, packte der Mann ihm am Ärmel. "Nein. Du nicht, Askellos. Mache eines deiner Wachstäfelchen bereit."
Das Männlein nickte eifrig. Dann setzte es sich an einen Tisch im hinteren Teil des Zelts. Mit fahrigen Bewegungen durchsuchte es, was vor ihm lag. Es dauerte eine Weile, bis er eine leere Wachstafel fand. In der Zwischenzeit hatte der Mann sich einen neuen Becher genommen und diesen noch einmal mit Wein gefüllt. Dann kam er gemessenen Schrittes zu dem Tisch. Er wirkte ruhig. Die Ruhe vor dem Sturm war das, nichts anderes. Das wusste Askellos. Er zog einen Griffel aus seinem Gewand und beobachtete den Mann. Der nippte nun an dem Wein. Das war kein gutes Zeichen.
"Ich will einen Brief an meine Gemahlin schreiben. Bist Du bereit?"
Das Männlein nickte.

"Geliebte Penelope", begann der Mann. Bei der Nennung ihres Namens wurden seine Züge weich, verhärteten sich jedoch sogleich wieder. Die Gegenwart war zu erdrückend.
"Wir sind immer noch, wo wir sind. Das Kämpfen nimmt kein Ende. Dabei weiß ich, dass man diesem sinnlosen Hauen und Stechen längst hätte eine Ende machen können und müssen. Aber jeder Schafhirte in Attika hat mehr Verstand als Agamemnon und seine Tiere womöglich auch. Achill ist ein tumber Ochs, und wenn die anderen Anführer und ihre Berater beisammen sind, ist das Gegrunze lauter als in jedem Schweinestall. Ich habe endgültig genug. Ich mache der Sache ein Ende und werde von hier abziehen. Alle meiner Männer werde ich…"
"Herr", unterbracht Askellos ihn.
"Was ist?", knurrte der Mann. Ganz offensichtlich hatte er ob der Unterbrechung den Faden verloren.
"Herr, Ihr habt eure Abreise schon im letzten Brief angekündigt. Und davor schon zwei Mal. Und letztlich seit Ihr immer geblieben. Eure Gemahlin ist eine liebenswerte und kluge Frau. Ihr solltet sie nicht mit leeren Versprechungen strafen."

Der Mann warf den noch halb gefüllten Becher mit Wein beiseite, trat auf das am Tisch sitzende Männlein zu, packte es am Schlafittchen und riss es empor. Seine Augen funkelten loderndem Feuer gleich. Zorn kräuselte seine Stirn und seinen Nasenrücken.
"Ich bin der Herr!", schrie er. "Verstehst Du? Ich bin der Herr. Der Herr und Meister. Und Du, Sklave, Du… Du… Du…“  Der Mann ließ das Männlein wieder los. Seine Körper wurde schlaff. Er machte einige Schritte zu einer Liege und sank danieder. „Und Du hast natürlich recht.“

Es verging einige Zeit in Stille.
"Es tut mir leid, mein Herr."
Der Mann hob die Hand, ließ sie aber sofort wieder sinken. "Was soll Dir leid tun, Askellos? Du, der Sklave aus dem Norden, bist schlauer als ein Haufen griechischer Anführer. Und dein Gedächtnis ist auch besser als das meine. Ich weiß gar nicht mehr, was ich Penelope alles geschrieben hab. Aber jetzt fürchte ich, dass so mancher Unfug dabei war. Es sollte mich nicht wundern, wenn ihre Liebe zu mir erkaltet ist."
"Sie wird verstehen, dass Ihr euch viele Sorgen machen müsst. Schließlich ist das Durcheinander hier groß, und im Kriege bleiben einem Anführer nicht viele Möglichkeiten, einen einmal gemachten Fehler wieder gut zu machen. Alles muss sorgsam durchdacht sein."




- Fortsetzung folgt -

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (05.02.19)
Wer die griechischen Mythen ein wenig kennt, fragt sich, wen du mit dem zornigen Heerführer vor Augen gehabt haben könntest. Der Name Penelope lässt auf Odysseus schließen. Aber Odysseus war mehr für Schlauheit und nicht für Zorn bekannt. Wie auch immer, der Zorn wird sehr spürbar und auch das schnelle Bereuen, das man von Zornigen kennt. Ich bin auf die Fortsetzung sehr gespannt.

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 05.02.19:
Aber muss nicht gerade dem Klugen die... äh... Naivität der anderen auch mal die Zornesröte ins Gesicht treiben?

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 05.02.19:
Ich möchte durchaus nicht kritisieren, dass du Odysseus in der Rolle des Zornigen zeigst. Ich wollte nur sagen, dass es nicht leicht war, auf ihn zu kommen.

 TrekanBelluvitsh schrieb daraufhin am 05.02.19:
"(...) dass es nicht leicht war, auf ihn zu kommen."
Nun, das war ja auch die Idee zu Anfang der Erzählung. Sie ist ja kurz - 2 Teile - und da muss man dem Leser schon etwas anbieten, auch auf der handwerklichen Seite.

 Habakuk (05.02.19)
Ich werde mich in die Reihe der Leser einreihen. Falls noch Platz vorhanden. Bin gespannt.

Gruß

 TrekanBelluvitsh äußerte darauf am 05.02.19:
Die Griechen kamen damals ja mit 1.000 Schiffen. Da werden wir noch ein Plätzchen für dich finden...
:D

 GastIltis (05.02.19)
Ob Odysseus, wenn es sich denn um ihn handeln sollte, je einen Brief an Penelope verfasst bzw. diktiert haben könnte, erscheint sehr zweifelhaft. Er war ein Mann der Tat und des schnellen Geistes. Da ohnehin die schriftliche Urheberschaft des Geschehens um den Trojanischen Krieg sehr fragwürdig ist, wenn auch gut zu lesen, sind die angedeuteten Handlungen des zornigen Protagonisten ein wenig bedenklich. Aber, wer mehr weiß, kann es offenbaren. LG von Gil.

 TrekanBelluvitsh ergänzte dazu am 05.02.19:
Naja, ursprünglich wollte Odysseus ja gar nicht mit. Dass das Geschehen vor Trojas Tore im darum zuweilen die Zornesröte ins Gesicht trieb und er gar nicht einer Meinung mit seinen Mitstreitern war, halte ich gar nicht für so unwahrscheinlich.

Und ansonsten habe ich die Geschichte ja nicht umsonst unter "Mythisches" angesiedelt.

 TassoTuwas (05.02.19)
Nun wird sich zeigen, was mir von der Odyssee noch in Erinnerung geblieben ist. Für eine lange Reise hab ich schon mal die Getränke in den Kühlschrank gestellt
TT

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 05.02.19:
Ich fürchte, du bist nicht auf dem Inhaltsverzeichnis gewesen.
Dies ist eine kurze, zweiteilige Erzählung
(Das steht da. Ohne Punkt am Ende. Echt wahr! *kopfschüttel*)

Also gönne dir etwas von den Getränken ruhig heute schon.
;-)

 TassoTuwas meinte dazu am 06.02.19:
Du musst das nicht fürchten, es ist so.
Ich lese prinzipiell, keine Gebrauchs-, Bedienungsanweisungen, nichts Kleingedrucktes oder Zusammenfassungen etc..
Das macht das Leben viel spannender
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