Traumtänzerin

Sonett zum Thema Schicksal

von  Irma

Schuh. Wieder schwingt sie sich aufs schneeweiße Ross,
fühlt Brautkleid und Schleier im Winterwind wehen,
fliegt leicht wie ein Täublein zum Festtanz ins Schloss
und lässt die Gedanken im Walzerschritt drehen,

fegt selig im Prinzenarm übers Parkett.
Punkt zwölf ist schlagartig Schluss!
Er trägt sie die Treppe hinauf in ihr Bett
und küsst ihren zierlichen Fuß.

Sanft hebt und bewegt er das reglose Bein,
mit kreisenden Fingern massiert er die Zehen.
Die Taube schaut stillschweigend zu.

Zum Kleiderschrank wandert ihr Blick und bleibt stehen:
Verloren liegt dort noch im Schein
der Kerze ein gläserner

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Kommentare zu diesem Text


 Isaban (08.02.19)
Hallo Irma,

du machst es dem Leser nicht leicht, in den Sprachrhythmus zu finden, der Schuh dort zu Beginn des ersten Verses lässt gleich beim allerersten Schritt stocken und stolpern. Spätestens ab V2 ist man dann allerdings im Daktylus angekommen - was stilistisch sehr gelungen den Inhalt unterstreicht.

Erst ganz zum Schluss weiß man, wo der Schuh wirklich drückt, wo er fehlt und wie es dazu kam, dass unsere Traumtänzerin nur noch im Traume tanzt. Gestolpert ist sie, verlor Schuh und Halt und fiel die Treppe herunter, ist jetzt gelähmt und muss die Treppe von ihrem liebenden und treusorgenden Prinzen heraufgetragen werden.

Ein sehr berührender Text, dessen wiegender, tragender Versfuß den Leser mit ins Geschehen, in Traum und Erwachen zieht. Die Sonettform zerbrach passend zum geschilderten Geschehen.

Der Schuh ist Alpha und Omega, ist der Anfang des Dramas und Ausgangspunkt für die kurzen Fluchten aus dem Unmärchen. Der Titel könnte auch "Es war einmal" lauten. Manche Märchen haben kein gutes Ende.

Liebe Grüße

Sabine

 Irma meinte dazu am 22.02.19:
Was soll ich zu einem solchen Kommentar sagen, liebe Sabine? Du hast wie üblich eine hervorragende Interpretation geliefert. Besonders gut gefällt mir, wie du den Schuh als "Alpha und Omega" herausarbeitest, als "Anfang des Dramas und Ausgangspunkt für die kurzen Fluchten aus dem Unmärchen".

Ergänzen ließe sich höchstens, dass ich mir ihr Schicksal noch wesentlich dunkler ausgemalt habe als du. Das "Täublein" aus V.3 wird in V.11 zur Taube(n), die "stillschweigend" zuschaut. Sie ist also nicht nur gelähmt, sondern (infolge des Schlaganfalls, der sie in V.6 stolpern lässt) noch weitaus stärker gehandicapt.

Wie auch immer, ich freue mich riesig über deine Analyse und die Empfehlung! Liebe Grüße zurück, Irma.

Antwort geändert am 23.02.2019 um 14:39 Uhr
Trainee (71)
(08.02.19)
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 Irma antwortete darauf am 22.02.19:
Hier sage ich mal einfach nur noch kurz Dankeschön, liebe Heidrun! Und freue mich. Ganz liebe Grüße zurück, Irma.

 Lluviagata (08.02.19)
Hallo Irma,

ich finde dein Sonett formvollendet gemacht. Traumhaft!

Liebe Grüße
Llu ♥

 Isaban schrieb daraufhin am 08.02.19:
*räusper*
Ich würde eher sagen "formgebrochen vollendet".
Trainee (71) äußerte darauf am 08.02.19:
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 Irma ergänzte dazu am 22.02.19:
Also ich lese bei euch allen "vollendet", und das freut und ehrt mich natürlich ganz ungemein!

Liebe Trainee,
Isaban ist ja selbst so ein 'Freigeist', der allzu gerne vers(ver)brecherisch arbeitet, wo immer es den Inhalt unterstützt. Ich denke, ihr Einwurf ist nicht als Kritik zu verstehen, sondern als Kompliment für den eingesetzten Formbruch als Stilmittel. Wie sie oben in ihrem Kommentar erläutert hat, beginnt das Sonett ja völlig regelgerecht und bricht schlagartig ab V.6, passend zum geschilderten Geschehen.

Ich bedanke mich bei euch dreien für die Würdigung und grüße euch herzlich, Irma.

Antwort geändert am 22.02.2019 um 12:57 Uhr

 LottaManguetti (08.02.19)
Alles ist gesagt.
Nur eine kleine Anmerkung :
Der Vers mit dem "schlagartig" stellte sich mir durch meine Lesart tatsächlich als schlagartig vor.

Toll gemacht!

Umarmung
Lotta

Kommentar geändert am 08.02.2019 um 13:37 Uhr
Trainee (71) meinte dazu am 08.02.19:
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 Irma meinte dazu am 22.02.19:
Hey ihr zwei,
dieser Vers ragt tatsächlich in zweierlei Hinsicht heraus: zum einen durch die Verkürzung (Absenkung der Hebungszahl), die das frühe Ende unterstreicht, zum anderen durch die fehlende Senkung (Metrumbruch) nach "zwölf", der das Stolpern an dieser Stelle zeigt und zum schlagartigen Ende führt.

Aschenputtel musste immer vor Mitternacht, bevor die Uhr zwölf schlägt, den Ball verlassen haben, da dann der Zauber verlosch. Im Märchen verliert sie deshalb Schlag zwölf ihren Schuh auf der Treppe. Hier stolpert sie schlagartig - vielleicht aufgrund eines Schlaganfalls.

Ganz lieben Dank euch fürs aufmerksame Lesen, Irma.

 princess (08.02.19)
Liebe Irma,

ein Sonett, das mir auf Anhieb gefällt. Einfach so: Lesen und zack: JAAAA!

Und was mir auch gefällt: Nach vier kompetenten Kommentaren meinen Kopf nicht groß strapazieren zu müssen, sondern ihn lediglich nickend zu bewegen. Da bleibt glatt noch mehr Zeit, mir eine weitere traumtänzerische Leserunde zu genehmigen.

Liebe Grüße
Ira

 Irma meinte dazu am 22.02.19:
Was gibt es Größeres, als wenn man eine Leserin so mitreißen kann? Bin hin und weg über soviel Gefallen, da fällt mir gar nix mehr zu ein. Außer: DAAANKE, liebe Princess! LG Irma

 EkkehartMittelberg (08.02.19)
Liebe Irma,
ich habe noch nie ein Sonett gelesen, das wie ein Rondo aufgebaut ist. Vom Rhythmus der Daktylen getragen kam ich zu gläserner und las unwillkürlich wieder vorne Schuh und der Tanz drehte sich weiter. Chapeau!

 Irma meinte dazu am 22.02.19:
Lieber Ekki, ich freue mich, dass du im Walzertakt der Daktylen mitschwingen mochtest und kein Ende finden konntest. Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich dieses immerwährende Tanzen der Traumtänzerin zum Ausdruck bringen könnte, und der kleine Kunstkniff mit dem Verschieben des verlorenen Schuhs an den Gedichtanfang fiel mir erst ganz zuletzt ein, als das Gedicht schon stand. Ich freue mich sehr, dass alles so gut funktioniert hat.

Dein "Chapeau!" begreife ich sowohl als Lob als auch als Aufforderung zu einem Tänzchen?

Lieben Dank für Kommentar und Empfehlung, Irma.

 monalisa (10.02.19)
Liebe Irma,
ein Märchen von einem Text, wunderbar im Dreivierteltakt, sprachlich sorgfältig ausgestaltet - und unsäglich traurig - ein Fehltritt, der das ganze Leben radikal verändert. Und doch lese ich da auch von einem Prinzen, der zu ihr hält, nicht nur ein Schönwetter-Held, ein echter, der sich auch in dunklen Zeiten als solcher erweisen kann.

Liebe Grüße
mona

 Irma meinte dazu am 22.02.19:
Oh ja, liebe Mona, ob jemand ein wahrer Traumprinz ist, zeigt sich in den schlechten Zeiten, dann, wenn er auch an Schattentagen zu seiner Prinzessin hält. In dieser Hinsicht hat unsere Prinzessin Glück gehabt, sie scheint ihn gefunden zu haben. Er trägt sie, im wahrsten Sinne des Wortes, auf Händen. Wenigstens etwas, das am Ende gut ist.

Ganz lieben Dank für das liebevolle Aufweisen dieses Aspektes und die zwei Sternchen, Irma.

 Jorge (11.02.19)
Irmas Traumtänzerin und die vorstehenden fachfraulichen und fachmännischen Kommentare beschwingen meinen Morgen und ermutigen mich, es irgendwann auch mal wieder mit einem Sonett zu versuchen - oder wenigstens mit einem Tänzchen.
Danke und saludos
Jorge

 Irma meinte dazu am 22.02.19:
Das würde mich sehr freuen, lieber Jorge, wenn ich dich zum Sonett-Schreiben zu animieren vermag. Und gegen ein Tänzchen hätte ich auch nichts einzuwenden. Obwohl ich sagen muss, dass mir deine in letzer Zeit geschriebenen Prosa-Texte auch ausnehmend gut gefallen.
Ich danke dir, auch für die Empfehlung, Irma.
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