Einfach

Kurzprosa zum Thema Beziehung

von  Melodia

Deine Haare sind heller als beim letzten Treffen. Es liegt an der Sonne, meintest du einmal. Im Sommer ist das Blond fast weiß. Genauso, wie ich dich damals kennengelernt habe.
„Wie lange haben wir uns jetzt nicht mehr gesehen?“
„Knapp drei Monate.“
Du lächelst, während wir ins setzen. „So lange her? Dann wurde es allerhöchste Zeit!“
Ich nicke bestätigend und wir suchen auf der Getränkekarte. Es ist mehr Gewohnheit oder eher ein Ritual. Du wirst dir ein Bier bestellen und ich mir ein Glas Rotwein. So wie immer.
„Ich habe mich sehr gefreut, dass du dich gemeldet hast. Was die Pflege sozialer Kontakte betrifft, bin ich etwas chaotisch. Aber das weißt du ja bereits.“ Ein Lächeln. An deinen Mundwinkeln bilden sich dann stets kleine Grübchen.
„Dann ist es eben meine Aufgabe dafür zu sorgen, dass wir uns alle drei Monate sehen.“, sage ich augenzwinkernd.

Es ist Mittag und allmählich leert sich die Straße, während sich die Restaurants und Bars um uns herum füllen.
„Hast du schon gegessen?“
Du schüttelst den Kopf ohne den Blick von der Karte zu heben. Nur der etwas brünette Haaransatz schaut hervor.
„Der Flammkuchen ist hier sehr gut“, versuche ich zu helfen.
„Wenn wir uns einen teilen, gerne!“
Wir bestellen einen Flammkuchen mit Oliven, Mozzarella und Basilikum. Dazu ein Bier und einen trockenen Rotwein.

Wir reden über das letzte Studienjahr an der Universität. Du überlegst, ob dir den Doktortitel anzustreben.
„Für einen Job in meinem Bereich wäre es nicht nötig, aber es macht sich gut im Lebenslauf und ich würde besser bezahlt werden.“
Luxusprobleme für mich als Geisteswissenschaftler in einer Stadt, in der man mit einem Abschluss der philosophischen Fakultät höchstens Taxifahrer wird. Du scheinst es gemerkt zu haben.
„Was macht die Jobsuche?“
„Mühsam. Aber das ist in Ordnung, solange ich schreiben kann und hin und wieder eine Kolumne veröffentlicht bekomme. Es stört mich nicht nebenher zu kellnern. Meine Eltern sehen das etwas anders.“ Du schmunzelst und deine Augen strahlen mich an.
„Wie alt bist du? Und du…“
„Ja, ich weiß. Was soll ich machen. Es zählt nicht zu meiner Priorität mich über eigenen Entscheidungen aufzuregen.“
„So hinterher sind sie also, ja?“
„Tja, wenn man seit Jahren die große Enttäuschung der Familie ist, bleibt einem dieser Makel anscheinend für immer haften. Man muss mich stets bemuttern und an der Hand führen. Alleine bringe ich es sonst zu nichts.“
Der letzte Satz klang bitterer, als er gemeint war. Im Prinzip interessiert es mich nicht, was meine Eltern von meinem Leben halten.
„Das ist ja lächerlich. Und gleichzeitig auch etwas rührend…“
„Ansichtssache!“
Wir müssen beide lachen. Wieder die Grübchen. Mit zwei Fingern streichst du dir eine Strähne hinters Ohr. Eine Bewegung, die du nur ausführst, wenn du emotional wirst. Wie damals, als wir im Kino saßen und die Sexszene über die Leinwand flimmerte.

Wie üblich kommen wir auf das Thema Film und diskutieren über aktuelle Streifen und bald erscheinende. Bis ich anfange, in Zitaten aus Filmen von Tarantino oder Jarmusch zu reden, wie so oft. Dann wechselst du das Thema. Momentan liest du einen Thriller, der auf der Bestsellerliste des Spiegels seit letzter Woche auf Platz 1 steht. Ich höre etwas von vielen Wendungen und irgendwelchen Tieren. Aber bei Spiegelbestseller bin ich gedanklich bereits in meiner eigenen Welt und konzentriere mich auf deine blauen Augen. Mal rastlos, mal fixieren sie mich beim Erzählen. Ich bekomme Gänsehaut. Du bist mit der Ausführung fertig, nimmst einen Schluck Bier und fragst mich, was ich zurzeit lese.
„Klassiker. Vor kurzem habe ich Moravagine von Cendrars beendet und nun mit Millers Im Wendekreis des Krebses angefangen.“
„Sagen mir beide nichts.“ Du blickst mich unschuldig und doch neugierig an.
„Vermutlich beides nicht dein Geschmack.“
„Ach, du weißt also, was mein Geschmack ist?“
Die gespielte Entrüstung ist dermaßen übertrieben, dass ich mich zusammenreißen muss, um nicht laut loszulachen. Dir gelingt es ebenfalls nur kurz, dein ernstes Gesicht zu halten. Doch hatte deine Aussage einen herausfordernden Ton.
„Naja, du magst Bier, offensichtlich; Fußball, was dich vermutlich zur idealen Partnerin für mindestens 80% der Männer in diesem Land macht.“ Du verschluckst dich beinahe am Bier. „Außerdem hasst du romantische Komödien und Horrorfilme. Du lachst sehr gerne und besitzt einen eigenen Sinn für Humor, den ich sehr mag. Du stehst auf Unterhaltung und die muss nicht immer anspruchsvoll sein. Wobei ich mir sicher bin, dass Witze über Flatulenzen nicht zu deinen Favoriten gehören.“
Erneut ist ein Lachen zu vernehmen. „Nein, sind sie tatsächlich nicht!“
„Du machst gerne Sport, in der wenigen Freizeit die du hast. Am liebsten Joggen. Du bist zuverlässig, zielstrebig und sehr gut in deinem Job. Und auch wenn du nicht viel Freizeit und tausend andere Dinge im Kopf hast, bist du sehr sozial ausgeprägt und würdest alles versuchen, um Zeit mit einer Person zu verbringen, die dir wichtig ist.“ Ich warte, um deine Reaktion zu sehen. „War doch gar nicht so schlecht, oder?“
Du siehst mich lange und schweigend mit weicher Miene an. „Das war sogar richtig gut.“ Wie peinlich berührt wendest du dein Blick leicht ab und streichst dir wieder eine Strähne hinter das linke Ohr.

Um die erneute, unangenehme Stille zu durchbrechen, nimmst du ein neues Thema auf. „Ich bin übrigens umgezogen!“
„Also weg von dem schönen Park? Da war doch deine alte Wohnung, oder?“ Ich war nie zu Besuch, aber habe dich ein paarmal vor der Tür abgeholt.
„Ja, war sie. Aber ich habe eine in der Nähe der Arbeit gefunden und außerdem wollte ich endlich mal wieder alleine wohnen. Das Studium ist vorbei!“
Nachvollziehbar. Zumal ich deinen Mitbewohner absolut nicht ausstehen kann. Auf irgendeiner Party hast du ihn mir vorgestellt und er hat mit allem geprahlt. Nur nicht mit seinem Intellekt. Oder Manieren. „Was hat Kai dazu gesagt?“
„Das glaubst du mir nie!“; du beugst dich verschwörerisch und mit großen Augen zu mir hinüber und erzählst. „Wir saßen gemeinsam in der Küche, tranken Kaffee und da habe ich ihm erzählt, dass ich vorhabe nächsten Monat auszuziehen. Er wurde ganz blass, und hat mit großen Augen fast schon gebettelt das ich bleiben soll. Er sagte, er liebe mich, immer schon, wolle mit mir zusammen sein und noch mehr Zeug von der Sorte. Ist das zu fassen? Da wohnt man drei Jahre mit jemandem zusammen und aus dem Nichts kommt dann so etwas!“
„Und wie hast du darauf reagiert?“
„Na wie wohl. Überrascht. Überfordert. Es gab ja nie auch nur ein Anzeichen. War wie ein Kumpel oder Bruder. Habe ihm dann gesagt, dass ich mich geschmeichelt fühle, aber das wäre eine blöde Idee nach drei Jahren WG und er sei auch nicht mein Typ. Abgesehen davon, dass er nicht der hellste Stern am Himmel ist; also das habe ich selbstverständlich nicht gesagt. Außerdem ist der  Mietvertrag bereits unterschrieben. Da wohnen bleiben ginge also so oder so nicht. Musste dann erst mal raus aus dem Haus.“
Ich trinke etwas Wein und schüttele verständnisvoll leicht den Kopf.

„Ich meine, es ist doch nicht schwer jemanden ehrlich und offen zu sagen, dass man Gefühle für die Person empfindet. Vor allem, wenn man diese bereits kennt! Ist doch einfach! Nein, man staut es jahrelang auf, um dann plötzlich damit raus zu platzen und sein Gegenüber vollkommen zu überrumpeln. Wie kann man denn so lange nichts sagen?“
Einfach. Du scheinst keine Ahnung zu haben, wie schwer so etwas ist. Du kannst dir nicht im Geringsten ausmalen, was in mir vorgeht.
„Ja, schon.“, stimme ich dir kurz und bündig zu. Und bereue es umgehend. Scheiße. Das macht alles noch schwerer. Ich Idiot. War das ein Test? Wolltest du herausfinden, was ich fühle? Könnte mich ohrfeigen! Es ist nicht die Wahrheit. Wird es nie sein, denke ich.
„Ach egal. Reden wir von etwas anderem. Wie geht es deiner Frau und deiner Tochter?“
„Gut…“, kommt meine Antwort und trinke mein Glas aus.


Anmerkung von Melodia:

Ein Versuch.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (11.02.19)
Abtasten. Nur merkt das sie nicht...

 Melodia meinte dazu am 11.02.19:
Aneinander vorbei getastet...

LG und danke!

 sandfarben (11.02.19)
EINFACH macht es sich das LyrIch nicht. Aber manche Beziehungen bleiben EINFACH dort, wo sie immer waren, am Anfang

 Melodia antwortete darauf am 11.02.19:
So kann man es auch sehr gut umschreiben.

LG und danke!
Stelzie (55)
(11.02.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Melodia schrieb daraufhin am 11.02.19:
Oder sie wissen es, trauen sich aber auf Grund der Umstände nicht.

LG und vielen Dank

 claire.delalune (11.02.19)
Bleibt die Frage, ob sich an den Umständen etwas geändert hätte, wäre einer oder beide früher in der Lage gewesen, sich und dem anderen einzugestehen, wie man zueinander steht.

LG
Kathrin

 Melodia äußerte darauf am 11.02.19:
Das werden wir vielleicht nie erfahren

LG und danke!

 Dieter_Rotmund (06.10.19)
"...ob dir den Doktortitel anzustreben"

????

 Dieter_Rotmund (02.06.20)
Rührend.
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