Herdentiere

Gedicht zum Thema Absurdes

von  Isaban

Wieder wart ich in der Frühe auf dem Bahnsteig auf den Zug,
stumme Menschen in der Nähe, manchmal Bahnhofstaubenflug.
Fliegen kann ich nicht, ich warte, bis der Zug kommt, ins Büro;
langsam wird es etwas heller. Ich will nicht aufs Bahnhofsklo,

also renne ich zur Arbeit, Treppen rauf und aufs WC,
löse mich und die Erlösung tut halb wohl und beinah weh
und so plätschert dieser Tag, wie auch gestern schon und morgen
in das große Urinal, bis die Sonne sich verborgen

hat. Dann renne ich zum Bahnhof, denn der Zug kommt. Es wird finster,
durch die Fenster sieht man nichts, keine Aussicht, nicht mal Ginster,
keine Weiden, Kühe, Schafe, es wird Nacht. Ich komme heim,
esse, trinke, schufte, schlafe, um ein Dunkelschaf zu sein.

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Kommentare zu diesem Text


 sandfarben (19.02.19)
Diesen ewigen Alltagstrott zwischen morgens und abends hast du gut verpackt.
glg christa

 Isaban meinte dazu am 19.02.19:
Vielen Dank für deine Rückmeldung, christa,
ich freu mich.
Lieben Gruß
Sabine

 AZU20 (19.02.19)
Ja, Alltagstrott, gekonnt in Verse gekleidet. Es sollte vielleicht absurd sein, ist es aber leider nicht, oder? LG

 Isaban antwortete darauf am 19.02.19:
Es ist absurd, dass es so ist, lieber Armin. Und dass wir es Leben nennen, obwohl es eigentlich nur um ein Trotten geht.
Hab vielen Dank für deine Rückmeldung. LG

 BrigitteG schrieb daraufhin am 19.02.19:
"Und dass wir es Leben nennen, obwohl es eigentlich nur um ein Trotten geht."
Ein toller, einfallsreicher Satz, der aber auch schrecklich traurig ist... Grüße an alle

 Isaban äußerte darauf am 20.02.19:
Es geht ja auch um eine traurige Sache, Frau G. Wir sollten ein paar Revolutionsflyer drucken, am besten ungebleichtes, magenverträgliches Recycling-Papier, falls ein Lämmlein auf dumme Gedanken kommt.

Ja, mach ich. Und ich bin sicher, sie grüßen zurück. :*
Stimulus (54)
(19.02.19)
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 Isaban ergänzte dazu am 19.02.19:
Hallo Stimulus,

Mist aber auch. Jepp, das freilaufende "so" wurde umgehend eliminiert, danke schön!

Zum Pinkeln: Immer lästig, immer nerviger Druck, die entsprechende Örtlichkeit sind selten wirklich angenehm, der Vorgang selbst eine unumgängliche Notwendigkeit. Und es plätschert, klingt eigentlich harmlos, auch wenn es peinlich ist, wenn andere alles mitkriegen, man löst sich von dem, was im Innersten vorging, das Lösen tut gut, wird aber beinahe schmerzhaft, wenn man zulange gewartet hat, die Angelegenheit widerspricht unserem Fluchtinstinkt, ist irgendwie unwürdig, hat wenig mit dem zu tun, was man wirklich möchte und bestimmt dennoch irgendwie (zumindest temporär) unseren Tagesablauf und somit unser Leben.

Zu den Paarreimen: Es sind nicht nur Paarreime, es sind auch "Zwangsreime", dem Reim geschuldete Reime, Simpelreime, Fastfood-Reime die so grade eben noch durchgewunken werden, kein kulinarischer Genuss, nicht wirklich gut, nicht wirklich spannend, Hauptsache es reimt sich ansatzweise irgendwie - vielleicht bei den arbeitstagsmäßig überlangen 8 (Stunden)-hebigen Versen (mit winziger Mittagspausenzäsur nach vier Hebungen) als Stilmittel etwas zu subtil angelegt. Hm. Ich bin ein Spielkind.

Zum leider unverständlichen Schluss: Schlimm wird es, wenn einem bewusst wird, wie dunkel die Herde ist und dass man selbst kein bisschen heller ist, dass man ständig tumb und stoisch mit der Herde durchs Dunkle trottet, weil man "muss", weil ein gewisser Druck da ist, weil es alle machen, weil der Trott das ist, was wir Leben nennen.

Nur sollten Schafe im Idealfall freilaufend auf der grünen Weide, vorzugsweise auf einem Nordseedeich, in der Sonne stehen, saftige Gräser und Kräuter zupfen, über den Geschmack von meergesalzenen Butterblumen sinnieren und nicht im Dunkeln aus dem Stall getrieben werden, den Tag strampelnd und wenig artgerecht im künstlichen Licht verbringen, um sich das( natürlich erst nach Dienstschluss im Finstern hastig hineinzuschlingende) Fastfood-Gras zu verdienen und nach diensteifrig getaner Strampelei ebenfalls im Dunkeln wieder zurück in den Schlafstall gekarrt zu werden, zwischendurch ab und an eine gründliche, wenn auch gewiss nicht freiwillige Schur und Freilauf, Butterblumen und Sonnenlicht als ferne Lämmleinerinnerung. Arme Trotteviecher, zu denen das lyrische Ich sich nur ungern zählt. Nur ist es wie beim Pipi-Machen: Wat mutt dat mutt - und wenn man sich dem verweigert, kann es ganz schön schmerzhaft werden.

Aber was ist ein Text, wenn man den Schluss erklären muss? Stimmt. Schafskacke. Ich muss wohl an meinen Gedankenbocksprüngen und meinen Stilmittelexperimenten noch ein bisschen feilen.

Vielen Dank für deine Auseinandersetzung mit meinem Text, die freundliche Rückmeldung, deine Interpretation, deine ehrliche Meinung und dafür, dass das Gedicht dir trotz seiner offensichtlichen Schwächen gefällt.

Lieben Gruß
Isaban

Antwort geändert am 21.02.2019 um 20:29 Uhr
Paulila (55)
(19.02.19)
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 Isaban meinte dazu am 20.02.19:
Hallo Paulila,

dein Kommentar fabriziert Kopfkino vom Feinsten, herzlichen Dank dafür!

Auch deine weiterführende Interpretation ist mir eine Freude. Ich fürchte beinahe, ich bin ein wenig redundant, aber deine Kommentare sind mir eigentlich immer ein Fest.

Verzeih, wenn ich meinen Rekomm so kurz halte, es liegt nicht an mangelnder Begeisterung.

Lieben Gruß,
Isaban
Agneta (62)
(19.02.19)
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 Isaban meinte dazu am 20.02.19:
Hallo Monika,

ja, Hamsterrad trifft es auf jeden Fall.

Leider kann man sich nicht immer aussuchen, ob man aus seinem Trott aussteigen kann - glücklich der, dem das gegeben ist!

Es freut mich sehr, dass du ein bisschen in der Stilmittelkiste stöbern mochtest. Vielen Dank für deine Rückmeldung.

LG von Sabine
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