Ich möchte nicht weise sein

Gedankengedicht zum Thema Weisheit

von  EkkehartMittelberg

Alle Kulturen preisen Weisheit
und verbinden sie mit dem Alter.
Doch was ist das, weise zu sein?

Der Weise schätzt seine Kräfte richtig ein,
hält Maß und vermeidet Blessuren durch Übermut.
Der Weise vermeidet Affekte,
seine Seele ist ein wohltemperiertes Klavier.
Philosophen preisen seine Vernunft
und berichten, dass er aus Abenteuern gelernt hat,
die er sich heute verbietet, weil ihr Ausgang ungewiss ist.
Die Bedürfnisse des Weisen schrumpfen,
er ist im Gleichgewicht und nennt es Glück.

Ich aber nenne es Resignation und meine,
dass er jeden Tag ein bisschen stirbt.

Nein, wenn auch die Kräfte schwinden
und Krankheit die Tugend diktiert,
versuche ich noch
wie Ganymed zu genießen
wie Prometheus zu protestieren,
Experimente als Lebenselixier zu begreifen,
unkonventionell zu denken
und den Preis für Glücksmomente des Übermuts zu zahlen.

Für die Grenzen der Menschheit ist nach dem Tode genug Platz.

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Kommentare zu diesem Text

Nimbus† (45)
(28.02.19)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.02.19:
Chapeau, Heike, dein kluger Kommentar trifft viel von dem, was ich empfinde.. Ich räume ein, dass meine Klappe, die schon auf Verschluss gefallen war, sich wieder öffnet,
Merci und herzliche Grüße
Ekki

 TrekanBelluvitsh (28.02.19)
Ach, die Weisheit... sagt vielleicht nicht mehr, als das es immer noch einen Menschen gibt, der weiser ist, als man selbst.

Und das Christentum hat ja nicht umsonst die Beichte erfunden. Manchmal muss man eben über die Strenge schlagen... was immer das für den Einzelnen auch bedeuten mag. Hinterher gebeichtet und gut ist. Hört sich für mich eher nach einer Ethik des Verrückseins an, als eine Ethik der Zurückhaltung. Aber ich weiß ja nicht, wovon ich rede, ich bin ja ein Agnostiker.

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 28.02.19:
Danke, Trekan, es ist wirklich klug, andere für weiser zu halten als sich selbst; denn jede Weisheit hat ein loch, in das man schnell hineinfallen kann.
Ob die Erfinder der Beichte im Christentum weise waren, sei dahingestellt. Aber sie waren lebenspraktisch genug, die Gläubigen mit ihren Sünden in Schach zu halten und zugleich dafür zu sorgen, dass sie nicht darüber fielen.

 princess (28.02.19)
Lieber Ekki,

das ist spannend! Die hier präsentierte Definition von Weisheit weicht recht stark von meiner eigenen Vorstellung ab. Für mich bedeutet Weisheit in erster Linie eine Geisteshaltung, ein fortgeschrittenes Bewusstsein für innere wie äußere Abläufe und die Fähigkeit, in Harmonie zu sein mit dem, was ist. Aber auch das ist natürlich nur eine Perspektive von, wie man sieht, vielen möglichen.

Liebe Grüße
Ira

 princess schrieb daraufhin am 28.02.19:
P.S. Ach so: Ich möchte schon weise sein. Im Sinne meiner Vorstellung von Weisheit.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 28.02.19:
Grazie, Ira, dass du die Kriterien für Weisheit erweitert hast. In dem Punkt, dass der Weise in Harmonie mit dem lebt, was ist, wäre ich auch gerne weise. Aber diese Definition ist sehr offen. Der weise Sokrates fetzte sich bekanntlich mit den Sophisten und diese behaupteten von sich, in Harmonie mit der Realität zu leben. Er konnte ihnen letztlich keine Unwahrheit nachweisen (Dialog "Gorgias").
Liebe Grüße
Ekki
Cora (29)
(28.02.19)
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 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 28.02.19:
Gracias, Cora, ich denke auch, dass sich Weisheit einstellt und dass man sie nicht erstreben sollte. Anders ist das mit klugem Verhalten. Es ist schon erstrebenswert aus Selbsterhaltungstrieb. Aber der moralische Anspruch, der an Klugheit gestellt wird, ist weniger hoch.
Trainee (71)
(28.02.19)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.02.19:
das stimmt, Heidrun, dass in Poeten mindestens so viel Kindlichkeit und permanente Jugend steckt wie der Hang zur Philosophie. Aber da fällt mir gerade das Wort ein: "Staunen ist der Anfang der Weisheit." Vielleicht sollte man lernen, sich das Kindliche, Verspielte der Weisheit zu bewahren und das Abgeklärte bis zum letzten Stündlein verschieben, jedenfalls dann, wenn einem die Musen gewogen bleiben sollen.
Vielen Dank für den Wink mit der Spieldose.
Kreative Grüße
Ekki
Piroschki (57)
(28.02.19)
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Cora (29) meinte dazu am 28.02.19:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.02.19:
Spassibo, Piri, dein zauberhafter Kommentar (ja, Cora), verbunden mit der Frühlingssonne, lässt mich alle Philosophie über Weisheit vergessen und selbige mit einer Kusshand in den Frühlingswind werfen, wo sie sich in ein charmantes Lächeln auflöst..
Trainee (71) meinte dazu am 28.02.19:
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Sin (55)
(28.02.19)
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Cora (29) meinte dazu am 28.02.19:
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Sin (55) meinte dazu am 28.02.19:
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Cora (29) meinte dazu am 28.02.19:
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Sin (55) meinte dazu am 28.02.19:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.02.19:
Merci, Sin, wem der Ruf des Weisem nicht vorausgeht, der hat weniger lästige oder enttäuschende Begegnungen, aber das könnte ich leicht verschmerzen. Entscheidender finde ich, dass den Weisen eine Aura des Perfekten und Abgeklärten umgibt, die Wagnis, Neugier und Überraschung im Wege steht. Das möchte ich mir bewahren und deshalb nicht weise sein. Danke für dein liebenswürdiges Kompliment.
LG
Ekki
Sin (55) meinte dazu am 28.02.19:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.02.19:
Oh ja, da stimme ich vorbehaltlos zu, Sin.

 TassoTuwas (28.02.19)
Lieber Ekki.
wenn ich deine Klugen Worte bedenke, muss ich feststellen, dass meine, viele Jahre zurückliegende Entscheidung, nicht weise zu werden, zumindest nicht dumm war
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.02.19:
Gracias, ich wusste doch, dass uns dieselbe Enthaltsamkeit verbindet, Tasso, Deshalb bleiben uns hoffentlich noch ein paar Abenteuer erhalten, die den Weisen verschlossen sind.
Herzliche Grüße
Ekki

 eiskimo (28.02.19)
Weise, auf diese Weise nicht "weise" zu werden
lG
eiskimo

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.02.19:
Lieber eiskimo,
wie es scheint, hast du den Thread genau verfolgt und unterscheidest bereits die Weisen zur Weisheit zu gelangen.. Man sollte also offen bleiben und nichts ausschließen.
Danke und LG
Ekki

 tigujo (28.02.19)
Bei mir schwingt mit, wenn ich deine Zeilen lese:
Zufriedenheit vs Glück:
Zufriedenheit, Selbstzufriedenheit gar: brrr! Zu stabil.
Glück: Au ja, auch wenn nur im Moment
Danke für deine Gedanken, macht uns Kindern Mut, weiterhin Mut zu haben.
lg tigujo

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.02.19:
Merci, du triffst den Nagel auf den Kopf, Tigujo. Sicherlich gibt es Weise, die ein Glück genießen, dass sie Gefährdungen abgerungen haben, aber es gibt eben auch viele Fälle, bei denen es sich um das einschläfernde Gleichmaß der Zufriedenheit handelt.
LG
Ekki

 GastIltis (28.02.19)
Hallo Ekki, mit solchen Zeilen beschämst du natürlich einen Toren wie mich. Vor kurzer Zeit hatte ich in einem Kommentar auf das Buch „Der Weise und der Tor“ verwiesen, um auf eine bestimmte Gottheit aufmerksam zu machen, ohne selbst weder Weisheiten zu erkennen, noch Torheiten ausschließen zu können. Ich habe von einigen Leuten, die richtig Geld besaßen, den Satz gehört: Geld spielt für mich keine Rolle. Ist es mit der Weisheit ähnlich? Ich frage ja nur. Lass mich noch ein paar Zeilen beifügen, die ich zu meinem eigenen Erstaunen bei kV noch nicht stehen habe. Herzlich grüßt dich Gil.

denn wer es liest

denn wer es liest
was jemand schrieb
- und schreibt und schreibt -
und liest es leise

das anderen
verborgen blieb
- und bleibt und bleibt -
wird träumend weise

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.02.19:
Lieber Gil,
angenommen, ich wüsste nicht, was Ironie und Selbstironie ist und ich läse deine Zeilen, dann hätte ich es begriffen und würde dieses Paar für immer lieben. So aber hast du eine alte Liebe belebt, mein Freund, und ich danke dir dafür.
Herzliche Grüße
Ekki
Sätzer (77)
(28.02.19)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.02.19:
Hahaha, kurz , knackig und prägnant, Uwe. Bleibt die Frage, wozu noch darüber schreiben. Ich denke da an das Gedicht von Wilhelm Busch zur Bescheidenheit:
Die weise Heit hat viel für sich,
gesetzt den Fall, ich greif sie mich,
so hab ich erstens den Gewinn,
dass ich so ein Gescheiter bin
und zweitens denken sich die Leut.
auf den gebaut hat nie gereut,
so kommt es drittens dann heraus
dass ich allein ein Rätehaus.
Agneta (62)
(28.02.19)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.02.19:
Grazie, Monika, es gibt Weise unter den Narren und Narren unter den Weisen.
Liebe Grüße
Ekki

 Habakuk (28.02.19)
Werter Ekki, ich bin diesmal mit deinem Text, was den Inhalt anbelangt, nicht d'accord. Einen Satz möchte ich aber doch anfügen.
Der Weise redet nicht; der Redende weiß nicht. (Laotse)
Deshalb schweige ich jetzt.

BG
H.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.02.19:
Danke, Habakuk, deine Rückmeldung ist mir ebenso wichtig, als wenn du Zustimmung geäußert hättest.
BG
Ekki

 LotharAtzert meinte dazu am 01.03.19:
Hab a Kukuk im Nest. Er wird doch kein Ei ablegen? - Ich hol die Eierpolizei, Ekki ...
Hilde (62)
(01.03.19)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.03.19:
Grazie, Hilde, "sich selbst herausbilden...seinen eigenen Kern schleifen", das ist ein feines Motto, das mir sehr gefällt. Wenn man es richtig versteht, hört es nie auf, hat mit Buchgelehrsamkeit wenig zu tun, aber mit der ständigen Bereitschaft, ins Leben einzutauchen.
Herzliche Grüße
Ekki

 Momo (01.03.19)
Hallo Ekki,

ein überzeugendes Gedankengedicht gegen die Weisheit.
Wer möchte das schon sein: Der alte Weise vom Berge. Nein, das ist nicht unbedingt ein erstrebenswertes Ziel, für die meisten jedenfalls nicht. Obwohl die Welt hin und wieder davon schon ein wenig gebrauchen könnte, habe ich das Gefühl.
Aber Weisheit ist ja nicht gleichzusetzen mit Vernunft, sie stellt sich irgendwann ganz von alleine ein im Laufe von langen Leben und ist vielleicht vergleichbar mit der Fähigkeit von Sinneswahrnehmungen, die im Laufe der Evolution entstanden sind. Sie sind da, ob man will oder nicht.

Ich lese deine Zeilen als Plädoyer für die Lebendigkeit und Spontanität des Lebens und als solche schließe ich mich ihnen gerne an.

Liebe Grüße
Momo

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.03.19:
Merci für diesen schönen Kommentar, Momo. Ich finde deine ganzheitliche Beobachtung so gut, dass Weisheit eben nicht nur mit Vernunft, sondern auch mit Sinneswahrnehmungen etwas zu tun hat, mit Lebendigkeit und Spontaneität.
Liebe Grüße
Ekki

 Dieter Wal (01.03.19)
Goethe, Schiller und Heine leisteten sich den Luxus von Weisheit. Wir armen Epigonen sind dankbar, wenn wir gelobt werden für weniger. Ich finde es dennoch cool, wenn sich Lyrik weise liest. Vielleicht mag ich diesbezüglich biblische Propheten zu sehr. Selbst dein bescheidenes Gedicht steht im begründeten Verdacht von Weisheit.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.03.19:
Merci, Dieter, wenn das so ist, muss ich den Verdacht wohl ertragen. :D

 Dieter Wal meinte dazu am 02.03.19:
Lieber Ekki,

Weisheit halte ich für ein sehr interessantes Thema. So ist das Tao Te King voll davon und auch die Bibel enthält einge Lieblingsstellen:

"Die Weisheit hat ihre Söhne erhöht / und nimmt sich derer an, die sie suchen.Wer sie liebt, liebt das Leben; / die sie am Morgen suchen, werden erfüllt mit Freude. Wer sie ergreift, wird Ruhm erben, / und wo er eintritt, segnet der Herr. Die ihr dienen, dienen dem Heiligen, / und die sie lieben, liebt der Herr. Wer ihr gehorcht, wird Völker richten, / und wer auf sie achtet, wird in Sicherheit wohnen. Wenn er auf sie vertraut, wird er sie erben / und seine Nachkommen werden an ihr Anteil haben. Denn auf gewundenen Wegen wird sie zunächst mit ihm gehen, / Furcht und Bangen wird sie über ihn bringen und sie wird ihn erziehen und hart erproben, / bis sie seiner Seele vertraut; / sie wird ihn mit ihren Anordnungen auf die Probe stellen. Dann wird sie wieder geradewegs zu ihm zurückkehren und ihn erfreuen / und sie wird ihm ihre Geheimnisse enthüllen."

Jesus Sirach, 4,11-18, Einheitsübersetzung 2016


Ich mag gerade das für dieses Buch bei mir zumindest unerwartet Prophetische des Teilzitates. Es wirkt auf mich, als wäre die Auswahl ihre ursprüngliche Gestalt.




"Wie gut steht den Grauhaarigen ein Urteil an / und den Ältesten, Rat zu wissen. Wie gut steht den Alten Weisheit an / und den Gerühmten Überlegung und Rat. Ein Kranz der Alten ist reiche Erfahrung,/ ihr Ruhm ist die Furcht des Herrn."

Jesus Sirach, 25,4-6




Das nächste findest du in Sprichwörter 3,13-24. Dieselbe Übersetzung. Diesen Text habe ich ausgedruckt gerahmt, so gut gefällt er mir. Auch dort besteht für mich der Eindruck, es handelt sich um einen kompletten Text an sich und dass Verse davor und danach wie auch immer dorthin fanden, jedoch an sich wenig bis nichts mit diesem Text zu tun haben. Die End-Redakteure wollten wohl keine überlieferten Verse weglassen und fügten mehr oder weniger nach dem Resteverwertungsprinzip ein, was irgend ging.

"Selig der Mensch, der Weisheit gefunden, / der Mensch, der Einsicht gewonnen hat. Denn sie zu erwerben ist besser als Silber, / sie zu gewinnen ist besser als Gold. Sie übertrifft die Perlen an Wert, / keine deiner Kostbarkeiten kommt ihr gleich. Langes Leben birgt sie in ihrer Rechten, / in ihrer Linken Reichtum und Ehre; ihre Wege sind schöne Wege, / all ihre Pfade führen zum Glück. Ein Lebensbaum ist sie denen, die nach ihr greifen, / wer sie festhält, ist glücklich zu preisen. Der HERR hat die Erde mit Weisheit gegründet / und mit Einsicht den Himmel befestigt. Durch sein Wissen brechen die tiefen Quellen hervor / und träufeln die Wolken den Tau herab. Mein Sohn, lass beides nicht aus den Augen: / Bewahre Umsicht und Besonnenheit! Dann werden sie dir ein Lebensquell, / ein Schmuck für deinen Hals; dann gehst du sicher deinen Weg / und stößt mit deinem Fuß nicht an. Gehst du zur Ruhe, so schreckt dich nichts auf, / legst du dich nieder, erquickt dich dein Schlaf."


Folgendes von meinem Freund Siegward Kunath, ein wundervoller Lyriker und emeretierter Hebraist.

"Die Weisheit passt nicht zu den Extremen. Sie ist zu nüchtern, um an den Träumen zu ersticken, zu praktisch, um ohne Hoffnung zu sein. Sie ruft den Lachenden zum Ernst, den Weinenden ans Werk, den vor Liebe Blinden zur Vernunft, den Hassenden zur Güte ...
Auf den Schiffen, die nach Utopia unterwegs sind, wird die Weisheit immer dafür plädieren, doch an gastlichen Gestaden zu landen, wie sie ebenfalls jene wieder aufs Meer treibt, die ihre Schiffe schon verbrennen wollen."

Herzlich
Dieter

Antwort geändert am 03.03.2019 um 11:09 Uhr

 Dieter Wal meinte dazu am 03.03.19:
PS:

War verblüfft über die erheblichen Abweichungen der revidierten Einheitsübersetzung von 2016 bei Jesus Sirach, 4,11-18 gegenüber der mir vertrauten Version von 1980 und ging der Sache nach.

Ich stelle zum Vergleich beide Versionen untereinander.

"Die Weisheit belehrt ihre Söhne, / sie mahnt eindringlich alle, die auf sie achten. Wer sie liebt, liebt das Leben, / wer sie sucht, wird Gott gefallen. Wer sie ergreift, findet Ehre beim Herrn / und wird unter Gottes Segen leben. Der Dienst an ihr ist Dienst am Heiligtum; / wer sie liebt, den liebt der Herr. Wer auf mich hört, wird gerecht richten, / wer mir zuhört, wohnt in meinen innersten Kammern. Hat er Vertrauen zu mir, wird er mich erlangen, / auch seine Nachkommen werden mich besitzen. Denn unerkannt gehe ich mit ihm / und prüfe ihn durch Versuchungen. Furcht und Bangen lasse ich über ihn kommen, / bis sein Herz von mir erfüllt ist. Dann wende ich mich ihm zu, / zeige ihm den geraden Weg und enthülle ihm meine Geheimnisse."

Jesus Sirach, 4,11-18, Einheitsübersetzung 1980.

"Die Weisheit hat ihre Söhne erhöht / und nimmt sich derer an, die sie suchen. Wer sie liebt, liebt das Leben; / die sie am Morgen suchen, werden erfüllt mit Freude. Wer sie ergreift, wird Ruhm erben, / und wo er eintritt, segnet der Herr. Die ihr dienen, dienen dem Heiligen, / und die sie lieben, liebt der Herr. Wer ihr gehorcht, wird Völker richten, / und wer auf sie achtet, wird in Sicherheit wohnen. Wenn er auf sie vertraut, wird er sie erben / und seine Nachkommen werden an ihr Anteil haben. Denn auf gewundenen Wegen wird sie zunächst mit ihm gehen, / Furcht und Bangen wird sie über ihn bringen und sie wird ihn erziehen und hart erproben, / bis sie seiner Seele vertraut; / sie wird ihn mit ihren Anordnungen auf die Probe stellen. Dann wird sie wieder geradewegs zu ihm zurückkehren und ihn erfreuen / und sie wird ihm ihre Geheimnisse enthüllen."

Jesus Sirach, 4,11-18, Einheitsübersetzung 2016

Die erheblichen Abweichungen erklären sich wie folgt: "Bemerkenswert ist die Neufassung des Buches Jesus Sirach, in dem statt des früher benutzen (hebräischen, griechischen und teils altlateinischen) Mischtextes nun der (längere) griechische Text zugrunde gelegt ist. Hier handelt es sich also zum Teil um eine Neuübertragung ins Deutsche."

https://www.herder.de/hk/hefte/archiv/2016/11-2016/genau-komplett-verstaendlich-die-revidierte-einheitsuebersetzung-der-bibel/

Der Mischtext ist demnach deutlich näher am Original. Der antike Übersetzer als Enkel Ben Siras ging beim Übersetzen für sein in Ägypten lebendes Zielpublikum überaus frei vor.

In seinem Vorwort schrieb er damals: "Ihr seid nun aufgefordert, mit Wohlwollen und Aufmerksamkeit das Lesen zu betreiben und Nachsicht zu üben, wo wir den Anschein erwecken, bei der Übersetzung einigen Formulierungen, um die wir uns mit Hingabe bemüht haben, nicht zu entsprechen. Denn es hat nicht die gleiche Kraft, wenn etwas ursprünglich in Hebräisch ausgedrückt wird oder wenn es in eine fremde Sprache übertragen wurde.“

Antwort geändert am 03.03.2019 um 21:51 Uhr

Antwort geändert am 03.03.2019 um 21:52 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.03.19:
Lieber Dieter, ich danke dir sehr für die große Mühe, die du dir gegeben hast zu vermitteln, was aus christlicher Sicht Weisheit sein kann.. Das läuft alles darauf hinaus, dass der Weise die Ordnung des Herrn akzeptiert und dieser den Weisen als Garanten der Ordnung. Ich aber möchte nicht weise sein, weil diese Weisheit für mich zu viele Ungerechtigkeiten enthält, die ich nicht verstehen kann, und ich protestiere als nicht Weiser gegen die Leiden, die Menschen ohne ihr Verschulden erdulden müssen. Ich sage das aber nur einmal und bei dieser Gelegenheit, ohne dass ich das zu meinem Dauerthema machen möchte. In religiösen Fragen ist meine Toleranz sehr groß und ich respektiere jeden Menschen, der anders denkt und fühlt als ich

 Dieter Wal meinte dazu am 04.03.19:
"die große Mühe, die du dir gegeben hast zu vermitteln, was aus christlicher Sicht Weisheit sein kann."

Mühe ja, es kostete Zeit, die Stellen in geeigneten Übersetzungen zu sammeln. Die auf Wesentliche zu reduzieren, auch. Doch in der vermeintlichen Intention trifft es nicht. Weisheit aus christlicher Sicht in Zitaten wäre für mich eher eine Lebensaufgabe als Buchprojekt, wobei ich mir nicht sicher bin, ob gerade Weisheit im Christentum wirklich jemals eine Rolle spielte. Ich bin nicht in einem christlich-dogmatischen Sinn religiös und halte Frömmigkeit für mich in dieser Hinsicht für irrelevant, weshalb ich so gut wie nie über derlei spreche. Ich würde mir niemals anmaßen, "aus christlicher Sicht" zu sprechen. Das ist etwas für Bluebird. Seine diesbezüglichen Ergebnisse halte ich für so unterhaltsam wie gruselig. Mir ging es nicht um "Weisheit aus christlicher Sicht", sondern um Mitteilung meiner Lieblingsstellen über Weisheit aus den Büchern über Lehrweisheit innerhalb der Tora, relativ spät entstandene Texten, die entweder zu Teilen auf Übersetzungen aus dem Altägyptischen zurückgehen ("Sprichwörter") oder eine griechische Übersetzung aus dem Hebräischen darstellen ("Jesus Sirach"). Sie richten sich im letzten Fall an verschleppte und versklavte Hebräer in Ägypten, was die betont lehrhafte Intention vor allem der Version des Sirach-Zitates der Übersetzung von 2016 erklärt. Ursprünglich dürfe, die Version von 1980 macht es deutlich, der Großvater des griechischen Übersetzers Ben Sirach ("Jesus Sirach") eine eindringliche Gotteserfahrung gehabt haben. Leider zerstörte die "Übersetzung" diesen Text in dieser Hinsicht komplett, weil dem Enkel offensichtlich jedes Verständnis dafür und vor allem die Erfahrung fehlte.

Das Kurzzitat bei Jesus Sirach, 25,4-6 bewirkte vermutlich unsere Vorstellung von Weisheit im Alter. Die Weisung, seine Eltern zu ehren, legt den Gedanken nahe, dass ältere Menschen besondere Wertschätzung verdienen..

Die Zitate können nicht einmal für Weisheit der Tora stehen, sonst hätte ich andere dazusetzen müssen.

Das anfangs erwähnte Tao Te King hätte ich zB nahezu komplett zitieren müssen, da so gut wie kein Text darin nicht von Weisheit spricht. Bitte verzeih, dass ich es Dir nicht zitierte. ;)

Dass sich die Vorstellung von Weisheit keineswegs auf Torakenntnisse beschränken lässt, sollte das Zitat Siegward Kunaths unter Anderem vermitteln. Er ist ein wundervoller Lehrer.

Antwort geändert am 04.03.2019 um 11:21 Uhr

 Dieter Wal meinte dazu am 04.03.19:
Jesus Sirach wurde bis zum Jahr 1896 seit nahezu 2000 Jahren in der griechischen Übersetzung des Enkels des Autors überliefert. Dass ein Autor namentlich bekannt ist, der nicht einer Schule oder Tradition, sondern tatsächlich den Autor selbst darstellt, ist für die Tora ein Novum (51,30b, 50,27). 1896 wurden große Teile des ursprünglichen hebräischen Buches in der Geniza einer Synagoge in Alt-Kairo wiederentdeckt.

Bereits M. Luther bemerkte in seiner letzten Bibel-Ausgabe 1545 zu Lebzeiten im Vorwort von Jesus Sirach: "ES dünckt vns aber / weil er selbs in der Vorrede bekennet / Er sey zu des königes Euergetis zeiten in Egypten komen / vnd daselbs dis Buch volendet /(welchs sein Grosvater hatte zuuor angefangen) Das er habe aus vielen Büchern zusamen gelesen das beste / so er funden hat. Sonderlich weil in Egypten ein köstliche Librarey war / durch Euergetis Vater /den könig Philadelphum zugericht. Das zu der zeit /beide / Bücher vnd gelerte Leute in grossen ehren waren / vnd aus allen Landen / als eine grosse Hoheschule zuschlugen / sonderlich aus Griechenland /Dazu auch die Jüden einen Tempel daselbs baweten /vnd Gottesdienst auffrichten.

SOlchs zeigt auch an / das in diesem Buch / nicht ordenlich ein stück auff das ander gefasset ist / als eines Meisters werck / sondern aus mancherley Meistern vnd Büchern gezogen / vnd durch einander gemenget. Wie eine Biene aus mancherley Blumen / jr sefftlin seuget / vnd in einander menget."

http://www.zeno.org/Literatur/M/Luther,+Martin/Luther-Bibel+1545/Apokryphe+Schriften+des+Alten+Testaments/Das+Buch+Jesus+Sirach/Luthers+Vorrede+auf+das+Buch+Jesus+Sirach

Ihm war allein aufgrund der Textversionen der Vulgata und Septuaginta von Jesus Sirach bereits aufgefallen, dass in dem besonders vielfältigen Buch einige Redakteure gearbeitet haben mussten und er fand eine sehr gute Erklärung für den Textstand allein aufgrund der besonderen historischen Umstände der Übersetzung des Enkels und seiner Vorfahren, denn er fährt im Vorwort fort, von dem Adel des Autors zu schreiben und seiner hohen sozialen Stellung.

Hier dachte Luther für seine Zeit leider zu früh textkritisch. Methodisch vorgehende Textkritik im eigentlichen Sinn begann erst um 1800.

Antwort geändert am 04.03.2019 um 18:26 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.03.19:
Vielen Dank, Dieter. Wenn ich so kluge Kommentare lese, werde ich doch weise. :)

 Dieter Wal meinte dazu am 05.03.19:
Vielen Dank.

 Dieter Wal meinte dazu am 05.03.19:
Noch ein Zitat:

"Nole altum sapere, et plusquam fas est pectora.
Non sapere, non minimum sapere est.

Wolle nicht zutiefst weise sein und mehr, als es der sterblichen Brust gemäß ist. Denn es ist weise, nicht allzu weise zu sein."

Emblem aus dem 16. Jahrhundert

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.03.19:
Ja, Dieter, das kommt meiner Sicht nahe.

 AZU20 (03.03.19)
Lieber Ekki, da von ähnlichem Alter kann ich Dir nur zustimmen, zumal ich selbst ähnliche Wege verfolge. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.03.19:
Merci, lieber Armin, wir kennen uns jetzt schon so lange und deshalb überrascht mich unsere Übereinstimmung nicht. Aber ich freue mich selbstverständlich darüber.
LG
Ekki

 monalisa (04.03.19)
Lieber Ekki,
es ist ein Jammer, wenn man so spät angeschnauft kommt, wie ich gerade jetzt. Da muss man nicht nur dem Werk selbst Respekt zollen und es mit Aufmerksamkeit und Achtsamkeit lesen. Man muss sich auch noch durch einen Wust an Kommentaren durchkämpfen. Ich gestehe, dass ich diese nur überflogen habe😉 .

Wie unserer liebe Princess, ergeht es auch mir. So wie du hier Weisheit charakterisierst, kann ich deinen Worten gerne zustimmen.
Ich für mich selbst habe eine etwas andere Definition.:
Ich sehe Weisheit nicht als Selbstzufriedenheit, Selbstgerechtigkeit, nicht dazu angetan, um sich darauf auszuruhen - da fällt sie sehr schnell in sich zusammen, meine ich. Auch siedle ich sie nicht in der Nähe von Phlegma und Gleichgültigkeit an. Ich halte jemanden für weise, der lebenslänglich gewillt ist sich zu entwickeln und zu lernen, dazuzulernen, umzulernen, neu zu lernen ... ; der beobachtet und reflektiert aber auch am Leben teilnimmt, der sich eine Meinung bildet und sie umzusetzen versucht (nicht auf Biegen und Brechen durchzusetzen), der Missstände erkennt, aufzeigt und ändert, sofern das möglich ist, oder sich damit arrangiert, wenn es nicht beeinflussbar ist, und der das eine vom anderen zu unterscheiden weiß ...
In diesem Sinne, lieber Ekki, halte ich dich doch für weise, auch wenn du das gar nicht sein möchtest. So ein Pech aber auch 😉!

Liebe Grüße
mona

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.03.19:
Grazie, ja ,liebe Mona, deiner Definition von Weisheit kann ich zustimmen und ich halte sie auch für erstrebenswert. Mir bleibt eine Skepsis: Wenn man jemanden für weise erklärt, klingt das so, als sei er angekommen und ich möchte nicht angekommen sein. :)

 harzgebirgler (24.04.21)
die wegweisenden fehlen und drum sehen
die menschheit wir längst in die irre gehen.

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.21:
Merci, das stimmt, Henning. Wenn die Wegweisenden fehlen , muss jeder lernen, die Fährten selbst zu finden.

LG
Ekki
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