Eine Lampe erzählt

Erzählung zum Thema Schönheit/ Schönes

von  EkkehartMittelberg

Die Taschenuhr hatte einen neuen Liebhaber gefunden und die Lampe, das Spinett, die Vase und das Grammophon versanken wieder in Schweigen. (Vgl. Ekkehart Mittelberg: Eine Taschenuhr erzählt) “Wollen wir deshalb, weil die Taschenuhr Glück gehabt hat, ihre Idee vergessen? Nein,wir sollten die Erzählungen über unser Leben fortsetzen, meinte die Lampe.“ „Du hast recht“, sagten die anderen, „und da du schon einmal das Wort ergriffen hast, kannst du auch gleich weiter erzählen.“ Die Lampe zierte sich ein wenig und fuhr fort: “Mein Besitzer war ein Poet, der Gedichte schrieb und natürlich auch selbst welche rezitierte.
Eines Abends las er in meinem Lichtkegel - ich stand stets auf seinem Schreibtisch – ein Gedicht von Mörike „Auf eine Lampe“, das ich auswendig kann und euch vortragen möchte.
Auf eine Lampe
Eduard Mörike

Noch unverrückt, o schöne Lampe, schmückest du,
An leichten Ketten zierlich aufgehangen hier,
Die Decke des nun fast vergeßnen Lustgemachs.
Auf deiner weißen Marmorschale, deren Rand
Der Efeukranz von goldengrünem Erz umflicht,
Schlingt fröhlich eine Kinderschar den Ringelreihn.
Wie reizend alles! lachend, und ein sanfter Geist
Des Ernstes doch ergossen um die ganze Form -
Ein Kunstgebild der echten Art. Wer achtet sein?
Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst.
Ihr wisst, dass ich nicht so schön bin wie dieses Kunstgebild, aber er meinte mich mit seinem Vortrag und ihr könnt euch sicher denken, wie gerührt ich war. Ach, spräche ich doch seine Sprache, dass ich mich hätte bedanken können. Aber nachdem er mir dieses Gedicht gewidmet hatte, wurden wir Freunde.
Es wird kaum jemanden geben, der ihn so gut kennt wie ich. Abends, wenn er seine Gedichte in seinen Computer eingibt, ist er ganz in meinem Lichtkreis gefangen und ich sehe, wie er an seinen Werken feilt. Ich habe ihn nur sehr selten selbstzufrieden gesehen. Im Gegenteil, manchmal steht er wieder auf, nachdem er sich schon hingelegt hat, und verändert noch etwas an seinen Texten.“
„Ist er berühmt geworden?“ wollten die anderen wissen. „Nach meiner bescheidenen Meinung war er gut. Aber für den großen Literaturbetrieb, in dem auch Beziehungen eine Rolle spielen, hat es nicht gereicht.Sein Fehler, war, dass er von der Schriftstellerei leben wollte und so verarmte er schließlich und musste mich hier in diesem Antiquitätengeschäft verkaufen. Es kann sich heute kaum noch jemand vorstellen, dass ein Mensch wegen einer Lampe weint.“

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Sin (55)
(12.03.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.03.19:
Merci, Sin, ja, der Arme hatte wirklich keine andere Wahl.
LG
Ekki

 AZU20 antwortete darauf am 12.03.19:
Guter Kommentar, dem ich mich anschließen möchte. LG

 TrekanBelluvitsh (12.03.19)
Ich finde das sehr anrührend.

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 12.03.19:
Danke, Trekan. Ich wollte so schreiben. Es scheint mir gelungen zu sein.
Wortfetzen (74)
(12.03.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 12.03.19:
Merci, wenn das so ist, ist meine Erzählung vielleicht typisch.
Sätzer (77)
(12.03.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 12.03.19:
Grazie, Uwe, wie schön zu wissen, dass die Taschenuhr in guten Händen ist. Ich hoffe, dass es der Lampe nicht anders ergeht.
Jo-W. (83)
(12.03.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.03.19:
Vielen Dank, Jo. Das hast du hübsch eingekleidet.
Trainee (71)
(12.03.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.03.19:
Danke für das liebenswürdige Kompliment, Trainee. Du hast recht,
man kann den Schlussvers von Mörike "Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst." auch skeptisch gegen den Ruhm wenden. Wer auf in verzichten kann, hat Freiheit gewonnen.
Herzliche Grüße
Ekki
ElviraS (73)
(12.03.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.03.19:
Vielen Dank, Elvira. Meine Erzählung scheint also realitätsnah zu sein.
LG
Ekki

 Habakuk (12.03.19)
Liest sich sehr angenehm, Ekki. Ein gefühliger und zudem sinnreicher Text. Gefällt mir.

BG
H.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.03.19:
Merci, ich freue mich, diesmal wieder dein Wohlgefallen gefunden zu haben, Habakuk.
BG
Ekki

 GastIltis (12.03.19)
Schade lieber Ekki, dass die Lampe und das Gedicht nicht so gut zusammenpassen, wie dein Text mit der Lampe. Warum schreibe ich das? Es gibt eine Menge Gedichte über Lampen, von Morgenstern über Ringelnatz bis hin zu dem Gedicht „Die Lampe“ von Gottlieb Konrad Pfeffel von 1802. Zugegeben, es ist eine Sache des Geschmacks. Und das Auswendiglernen wird durch einige Begriffe erschwert wie Konventual, Zeloten, Sykophanten und Obskuranten. Aber inhaltlich ist es ein Leckerbissen, vor allem auch, wenn man dazu die Lebensgeschichte des Dichters liest. Und: es wäre für dein Antiquitätengeschäft vielleicht etwas Besonderes, auch, weil es aus dem Elsass kommt. Hast du nicht noch irgendwo ein Zweiggeschäft? LG von Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.03.19:
Hallo Gil,
vielen Dank für den Hinweis auf das Gedicht von Gottlieb Konrad Pfeffel, das ich nicht kannte. Hier ist die Fährte, um das Amüsement an meinem Text zu erhöhen:
https://gedichte.xbib.de/Pfeffel_gedicht_Die+Lampe.htm
LG
Ekki
Nimbus† (45)
(12.03.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.03.19:
Grazie für diese interessante Interpretation, Heike, die Raum für unterschiedliche Deutungen öffnet.
Herzliche Grüße
Ekki
Hilde (62)
(12.03.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.03.19:
Liebe Hilde,
ich freue mich, dass du mit dem Motiv Schönheit und Helligkeit assoziierst. Das ist meine Intention.
Grazie und liebe Grüße
Ekki

 Isaban (20.03.19)
Eine schöne Geschichte. Eine, die auch ganz für sich allein stehen kann und dennoch alles erzählt.

Auch ich bin jemand, der an seinen "alten Sachen" hängt, sei es meine Lieblingstasse, Omas alte Goldohrringe, meine immer noch wunderschöne Schreibtischlampe, mein Klapphandy ohne Internet und Kamera oder ein 11 Jahre altes Laptop - ich kann verflixt gut verstehen, dass jemand den Tränen nahe ist, wenn er sich von einem seiner alten Schätze verabschieden muss.

Um meine Interpretation mal aphotechnisch auszudrücken:
Alles Kurzlebige ist bestenfalls ein Flirt, Liebe ist das, was Bestand hat.

Freundliche Grüße
Isaban

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.03.19:
Hallo Sabine,
der Aphorismus zu diesem schönen Kommentar ist ein kleines Geschenk. Ich weiß es zu würdigen.
Liebe Grüße
Ekki

 Dieter Wal (24.03.19)
Was für eine goldige Erzählung! Ich erfuhr durch deinen freundlichen Hinweis, dass mit Mörike in einer bestimmten Gedicht-Serie der vielleicht bedeutendste Beitrag der deutschen Romantik vorliegt. Mörike kannte ich vor dem Studium, doch als unser Hebräischlehrer Hans Werner Hoffmann 1994 während seines Unterrichtes uns Mörikes folgendes Gedicht vortrug, war es um mich und Mörike restlos geschehen:


[Scherz]

Nächtlich erschien mir im Traum mein alter hebräischer Lehrer,
Nicht in Menschengestalt, sondern – o schreckliches Bild!
Als ein Kamez geformt (wenn es nicht ein Komez Chatuf war:
Sah ich doch wahrlich so recht niemals den Unterschied ein;
Doch dies stell ich dahin). Ein grammatikalisches Scheusal
Trat er zur Türe herein, mich zu ermorden gewillt.
»Halt!« – so rief ich: »erbarme dich mein! in Dettingers Namen!« –
Siehe, da ließ er mich los, und ich erwachte zugleich.
Aber noch lang fort kämpfte die Brust mit fliegendem Atem,
Und von der Stirne mir troff examinalisches Naß.

Doch außer unsere Ängste vor dem Hebraicum zu kanalisieren, trug er uns auch Folgendes von Ringelnatz im Unterricht vor:

Morgenwonne

Ich bin so knallvergnügt erwacht.
Ich klatsche meine Hüften.
Das Wasser lockt. Die Seife lacht.
Es dürstet mich nach Lüften.

Ein schmuckes Laken macht einen Knicks
Und gratuliert mir zum Baden.
Zwei schwarze Schuhe in blankem Wichs
Betiteln mich »Euer Gnaden«.

Aus meiner tiefsten Seele zieht
Mit Nasenflügelbeben
Ein ungeheurer Appetit
Nach Frühstück und nach Leben.

Er gab uns Einführungen in Amos, Jona, Moschä, Chroniken, erschloss uns eine gematische Verschlüsselung der Tora, vermittelte Liebe, Sorgfalt und Disziplin für wissenschaftliches Arbeiten, die Liebe zum Hebräischen, dass ihm mein hoffentlich schönstes Kabbala-Gedicht zu widmen dafür das Mindeste war.

Kommentar geändert am 24.03.2019 um 01:42 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.03.19:
Lieber Dieter,
du erweiterst den Schatz der von mir gekannten Gedichte immer wieder. Dafür danke ich dir sehr. Ich bin kein großer Mörike-Kenner, halte aber den Peregrina-Zyklus für außerordentlich gute Lyrik.
Beste Grüße
Ekki

 Dieter Wal meinte dazu am 24.03.19:
Ich halte Mörike für einen der ausdrucksstärksten Lyriker der Deutschen. Gerade sein völlig außergewöhnlicher Empfindungsreichtum erscheint mir in manchen seiner Gedichte überwältigend. Die alten Griechen hatten in Sappho eine in dieser Hinsicht vergleichbar verteufelt gute Lyrikerin. Sie ist für mich das Nonplusultra des Lyrikers schlechthin. Und seine Nachdichtungen griechischer Lyrik sind sicher nicht zufällig.

Ich schrieb nicht nur eine Parodie auf sein berühmtestes Frühlingsgedicht. Sein "An einen Wintermorgen, vor Sonnenaufgang" von 1825 wurde der Eduard Mörike Sämtliche Gedichte-Ausgabe der Serie Piper, Hg. Herberg G. Göpfert, kein Geringerer als Georg Britting schrieb ein Nachwort, vorangestellt. Es ist ein ungeheuer schönes Gedicht Mörikes.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.03.19:
"An einem Wintermorgen vor Sonnenaufgang" kannte ich und schätze es auch sehr. Mit deiner Verehrung von Mörikes Lyrik stehst du nicht allein. Er galt lange Zeit als der bedeutendste deutsche Lyriker nach Goethe.

 Dieter Wal meinte dazu am 24.03.19:
Ich mag auch manches von Justinus Kerner. Bester Uhland-Freund. Sollte man sie vielleicht alle lesen? ;)

Mörike widersetzt sich mir erheblich. Er war so völlig eigensinnig. Hätte es den Begriff schon damals gegeben, wären Mörike oder Kleist so gut wie sicher autistisch diagnostiziert worden. Auch Jacob Grimm. Vielleicht mit die besten Wissenschaftler und Literaten. Doch Mörike macht es seinen Lesern nicht immer leicht, ihm in seinem Eigensinn wirklich zu folgen. Muss niemand. Wir können wählen, was wir lesen oder nicht.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram