Wie ich’s der Alten einmal ganz schön gegeben hab

Schauspiel

von  Oreste

Die Alte war mir schon die ganze Zeit über ein Dorn im Auge. Stand nur im Weg rum, rempelte mich ständig versehentlich an und hatte dabei auch ihre Gliedmaßen, die wiederholt mit den verschiedensten Regionen meines Körpers kollidierten, nicht unter Kontrolle. Sie bewegte sich mit einem Tempo von schätzungsweise anderthalb Schritten pro Stunde vorwärts. Dennoch schnappte sie sich das letzte Big Pack Klopapier vor meiner Nase weg. Ach ja, und sie stank. Stank nach billigem Haarspray und Essen auf Rädern.
Egal. Routiniert füllte ich meinen Einkaufswagen bis nichts mehr hineinpasste und stellte mich dann ans Ende einer Schlange, die bis zur Tiefkühlabteilung im hinteren Bereich des Ladens reichte. „Murphy's Law“, dachte ich und verfluchte das T-Shirt mit dem Schriftzug „Summertime“ an meinem Körper. Noch während ich also damit beschäftigt war, mich mit meinem Schicksal abzufinden, hörte ich in meinem Rücken eine liebomahafte Stimme flehen:

„Junger Mann! Junger Mann! Ich hab doch bloß ein einziges winziges Teil, seien Sie so gut und lassen mich vor, ja?“
    „Winzig?“, dachte ich und antwortete ohne mich ihr zugewandt zu haben: „Nein.“

In meiner grenzenlosen Naivität war ich tatsächlich davon ausgegangen, die Sache sei damit – im Grunde jedenfalls – erledigt. Die Alte belehrte mich eines Besseren. Restlos entrüstet sah sie mich an und schüttelte so heftig den Kopf, dass selbst ihre totfixierte Dauerwelle fröhlich mitwippte. Millionen Partikel billigen Haarsprays setzten sich augenblicklich auf meiner Nasenschleimhaut fest. Ich atmete einmal, zweimal, dreißig Mal tief durch und hoffte einfach, bald an der Reihe zu sein. Doch die Alte ließ nicht locker. Sie schnaubte und zischte und fauchte und suchte offenbar mit allen Mitteln, die anderen Wartenden dazu anzustiften, ihre Empörung ebenso gestenreich wie wortarm zu teilen. Dazu kam es aber nicht. Und weil es nicht dazu kam, muss die Alte sich kurzerhand dazu entschlossen haben, mir ein finales Mal zwar versehentlich, dafür mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, ihren Ellenbogen in die Rippen zu rammen. Was sie denn auch tat. Ich krümmte mich vor Schmerzen, so heftig, dass ich das Gleichgewicht verlor und mit dem Kinn deutlich hörbar auf die Kante des mittlerweile erreichten Kassentisches aufschlug. Mir wurde sofort schwarz vor Augen.

Kurz darauf aber regte sich schon wieder Leben in mir. Etwas Unbekanntes, etwas Schattenhaftes, etwas … abgrundtief Böses erwachte aus den Tiefen meines friedliebenden Gemüts und stieg mir mit der Geschwindigkeit eines hochschießenden Atompilzes zu Kopf. Dann bekam ich diesen Blick; kalt wie Permafrost, unerbittlich wie Höllenfeuer. Sauron wäre vor Neid erblasst.
Ich stand auf, schüttelte mich einmal kräftig und beugte mich wie in Zeitlupe zur Alten hinüber. Mit bedrohlich ruhiger Stimme sprach ich ihr Folgendes ins Ohr:

„Hören Sie mir jetzt ganz genau zu. Was ich Ihnen gleich sage, werde ich nicht wiederholen.“

Verdutzt sah mich die Alte an.

„Ich werde Sie vorlassen. Sie bezahlen. Verlassen binnen einer Minute den Supermarkt. Noch heute die Stadt. Und bis morgen um exakt diese Uhrzeit haben Sie das Land verlassen und werden es nie wieder betreten. Und versuchen Sie nicht, mich zu verarschen. Meine Leute werden jeden einzelnen Ihrer Schritte verfolgen, meine Schläfer sind hellwach und zögerten nicht, den Abzug zu betätigen.“

Die Alte – inzwischen so bleich wie mein Klopapier unter ihrem Arm – gab keinen Mucks mehr von sich und blieb wie erstarrt auf der Stelle stehen. Unauffällig schnappte ich mir mein Big Pack und legte es zusammen mit dem anderen Kram aufs Kassenband. Plötzlich – ich wollte gerade mein Portemonnaie aus der Gesäßtasche ziehen – war alles verschwommen. Ich kniff die Augen zu …

… und als ich sie wieder öffnete, erkannte ich die Umrisse eines Sanitäters über mir.

„Was ist passiert?“, nuschelte es kleinlaut aus mir heraus.
    „Irgend ‘ne Alte soll Sie versehentlich ausgeknockt haben“, antwortete er.

„Ja“, lachte die Kassiererin im Hintergrund, „die hat’s Ihnen ganz schön gegeben!“


Anmerkung von Oreste:

2018

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Kommentare zu diesem Text


 monalisa (12.03.19)
Ts ts ts, immer diese alten haarsprayfixierten Schreckschrauben!
Ich mach das ja ganz anders. Ich lasse junge, hübsche Männer immer vor und verwickle sie in ein Endlosgespräch über die neuesten Sonderangebote und ...
Immer, außer ich habe gleich einen Friseurtermin 😊.
Was bleibt einem schließlich sonst noch vom Leben, außer an der Supermarktkasse junge Männer anzuflirten?
Den Literaturnobelpreis wirst du mit diesem 'Schauspiel' wohl nicht erringen (höchstens für dein Gesamtwerk), aber du hast damit einer unerschrockenen, wehrhaften alten Lady ein 'sprühendes' Denkmal gesetzt.

Liebe Grüße
mona

 LottaManguetti (12.03.19)
Da war wohl das Karma alle?

:D

Und bevor ich wieder abdampfe:

Du schaffst es, deine Geschichte spannend zu halten. Als Leser ist man ja immer wieder versucht, sich das Ende vorzudenken. Hier aber (vielleicht liegts auch an meiner Dummheit) hatte ich keine Chance, war also überrascht. Das ist bei mir nicht einfach. Du hast es geschafft. Auch innerhalb des Textes agierst du wunderbar mit einem Spannungsbogen. Hältst ihn aufrecht bis zum Gong!
Ganz toll geschrieben!

Lotta
ElviraS (73)
(12.03.19)
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