Fotos einer schönen Kindheit, die mich begleiten

Erzählung zum Thema Nachbarschaft

von  eiskimo

Wenn es im Sommer endlich dunkel wurde und es draußen noch schön warm war, so richtig lauschig, da baute mein Vater auf der Wiese zwischen den Wohnblocks einen Tisch auf, und zwar so weit von der Wand weg, wie alle unsere aneinander gestöpselten Verlängerungsschnüre reichten, denn dort waren nun das wuchtige Spulen-Tonbandgerät und zwei Diaprojektoren anzuschließen für Papas Überblend-Schau. Es ertönte dann beschwingte Orchester-Musik und die Nachbarn kamen mit allerhand Sitzmobiliar und verbrachten in dieser improvisierten Kino-Runde ein gutes Stündchen, um die von Papa an die Hauswand projezierten Diapositive zu bestaunen.
Papa hatte mehrere dieser Dia-Vorträge. Das waren Serien über Blumen und toll bepflanzte Gärten, das waren Bilderreihen über deutsche Schlösser oder auch eine Schau nur über den Kölner Dom. Meine beiden älteren Brüder waren dabei als Technik-Assistenten eingesetzt. Sie schoben die Dias ein und aus, während Papa mit einem Verdunklungs-Schlitten den so wichtigen Überblend-Effekt herbeiführte. Das Bild des ersten Projektors wurde abgedunkelt, während gleichzeitig das Bild des zweiten Projektors erstrahlen konnte – wie gesagt: Fast wie Kino!
Nicht alle Nachbarn hatten damals schon Fernseher, nur wenige konnten sich Urlaubsreisen leisten, und insofern war da eine große Schaulust. Sicher war es auch die Lust, vorher und nachher zusammen zu hocken, auch ein paar launige Bemerkungen zu machen, wenn wieder  die eine oder andere Panne unterlief: Seitenverkehrte Dias, Tonband-Salat, oder ein Zu-Spät-Kommer, der sich in den Verlängerungsschnüren verfing und gleich die ganze Schau zum Absturz brachte. 
Wir jüngeren Kinder mochten nicht lange bei diesen Dia-Abenden still sitzen. Nachdem wir unsere Schattenspiele auf dem projezierten Bild machen durften (Krokodil frisst Häschen!), schlichen wir weg von den Großen und hatten die schummrige Dunkelheit ganz für uns.  So lange die Musik aus dem Tonband meines Vaters erschallte, wurden wir nicht vermisst. Ja, so ließen sich diese für uns abenteuerlichen Dia-Abende gut ertragen, und ich habe sie in bester Erinnerung.
Über sechzig Jahre liegt all das jetzt zurück. Ich erinnere mich daran, weil ich die Dia-Serien meines Vaters immer noch besitze. Ich habe auch noch einen Projektor und sogar einige der bespielten Tonbänder. Allein, ich mag mir diese Schätze gar nicht anschauen. Denn ich weiß: Nichts wäre mehr da von ihrem Zauber. Es fehlt die Hand des Meisters, um  Musik und Bilder in Zusammenklang zu bringen. Aber selbst wenn es jemandem gelänge – wo wäre da ein Publikum? Wer hätte noch die Schaulust von früher; diese Muße, einen lauschigen Sommerabend gemeinsam zu verbringen? Und welche Kinder kämen noch mit so armseliger Animation zurecht?
Aber wegwerfen kann ich diese antiquierten Sachen auch nicht – es sind ja nicht nur die etwas verstaubten Requisiten einer schönen Zeit. Darin lebt mein Vater.

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Kommentare zu diesem Text


 Jorge (03.04.19)
Mir gefällt diese anschaulich erzählte Kindheitserinnerung.
Für mich sind solche authentischen Erzählungen unverzichtbar, um deutsche Geschichte erlebbar zu machen.

 eiskimo meinte dazu am 03.04.19:
Danke! Ich freue mich sehr, wenn ich zu diesem Erleben beitragen konnte
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