Vorgeschmack auf autonomes Fahren

Anekdote zum Thema Entfremdung

von  eiskimo

Eins gleich vorweg: Im Auto lass ich mir nicht gern reinreden. Am liebsten gar nicht. Der Fahrer bin ich.
Früher, bei meiner Ente und danach bei meinem Datsun Funny, beim Nissan Almeria und zuletzt dem Peugeot 906, war das auch immer klar. Einfache, durchschaubare Mechanik. Dass ich am Ende überhaupt etwas Elektronisches wie ein Navi an Bord akzeptiert hatte, lag an dem schlichten Umstand, dass meine Frau zuletzt für jeden Blick in die Karte die Brille wechseln musste. Das nervte. Und das portable Navi war da einfach entspannend. Aber es war schon der erste, kleine Verlust an Kontrolle. Das weiß ich inzwischen.
Jetzt, mit meinem neuen Fiat Subito, ist meine Fahrer-Souveränität noch ein Stückchen mehr in Gefahr geraten. Denn dieses Fahrzeug ist in puncto Elektronik und – wie es so schön heißt: Konnektivität – noch ein Stückchen weiter entrückt. Da sitze ich nämlich vor einem fremdartigen Bordcomputer mit Bluetooth und Riesen Display, so als hätte ich einen Passagier-Jet zu steuern. Das Handbuch zur sachgemäßen Bedienung hat 189 Seiten!  Ich habe ums Lenkrad herum 17 Knöpfe gezählt, die alle von mir erkannt und verstanden werden wollen. Von mir, dem Fahrer!
Natürlich habe ich mich dieser unverschämten Vereinnahmung erst einmal entzogen. Ich ließ mir vom Vorbesitzer in zwei oder drei Minuten die unerlässlichen Handgriffe zum normalen Fahren erklären, und der Rest dieses elektronischen Spielzeugladens blieb von mir ignoriert. Stop – doch, die Bedienung des Radios habe ich mit einiger Tüftelei ´rausbekommen, und meine Frau lernte in geduldiger Kleinarbeit die Tücken des eingebauten Navis zu überlisten.
Ich, der Fahrer, aber hätte merken können, dass man mit so wenig Hintergrundwissen heute nicht mehr in ein modernes Auto steigen darf. Denn schon nach wenigen hundert Kilometern informierte mich dieses heimlich mitfahrende System darüber, dass der Reifendruck nicht mehr okay war. Das Symbol auf dem Display drohte mit erheblichen Schäden an Felgen und Radaufhängung. Es verriet mir allerdings nicht, welcher der vier Socken angeblich platt war. Ich pumpte brav an allen Vieren reichlich Luft nach – die Warnmeldung auf dem Display aber blieb. Als souveräner Autolenker tat ich das als Systemfehler ab, fuhr einfach weiter im festen Wissen, dass die Reifen ja  hatten, was sie brauchten.
Kam der Tag, als das System zurückschlug. Nein, nicht aus heiterem Himmel. Immerhin war dieser Bordcomputer so fair, mir anzukündigen, dass er ein Update brauchte. Er sagte mir das auch bei jedem Fahrtantritt aufs Neue, immer mit einer gewissen Dringlichkeit. Ich glaube, er setzte mir sogar eine Frist. Nun mag ich derartige Drohgebärden überhaupt nicht, schließlich wollte ich nur Auto fahren und kein Proseminar “Computer-Anwendung“ belegen. Das einschlägige Handbuch hatte ich irgendwo zu Hause weg geräumt. Es kam, was kommen musste...

Die Anreise zur Familienfeier in Hamburg war ca. 600km lang, also um die acht Stunden. Natürlich starteten wir in vollster Missachtung dieses penetranten Bordcomputers. Natürlich missachtete ich auch, dass die böse Frist überschritten war.  Ich war schließlich der Fahrer.
Meine Frau bemerkte es als erste. Die Zeitangabe im Display fehlte. Das System verweigerte uns einfach die banalste aller Informationen, nämlich die Uhrzeit. Dass mein Reifendruck angeblich einer Kontrolle bedurfte, daran hatte ich mich gewöhnt. Aber ohne Wissen um die Tageszeit zu fahren, das war schon ein echtes Manko. Mit einigem Aufwand fanden wir die Einstellung, die versprach:  Einstellung von Datum und Uhrzeit. Aber was passierte? - diese Funktion ließ sich einfach nicht aktivieren, sie reagierte nicht. Alles andere funktionierte. Wir hörten munter Radio, und im Display sahen wir auch unsere Route, schön dargestellt mit allen grafischen Finessen. Nur die Uhr war weg.
Meine Frau versuchte es weiter mit der „Reparatur“  – keine Chance. Sie tüftelte verbissen und ich hatte immer ein Auge auf dieses störrische Display. Plötzlich fand sie die Option: „Zurücksetzen auf Werkseinstellung“. Das ist so etwas wie die Reset-Taste, dachte ich. Damit kriegen wir die blöde Uhr sicher eingestellt. Sie guckte mich fragend an, ich guckte mit bejahendem Kopfnicken zurück. „Wir riskieren´s !“  hörte ich mich noch sagen....
Das Display wurde schwarz. Ein Tom-Tom – Schriftzug erschien, mal hell, mal dunkel. Hmmm. Kein Neustart. Nichts. Allerdings bekam der Sender im Radio plötzlich Störgeräusche, dann ging er ganz in ein lautes Rauschen über. Ich wollte einen anderen Sender suchen – das Radio reagierte nicht. Ich wollte das laute Rauschen ´runterdrehen – es reagierte nicht. Ich wollte das Radio ganz ausmachen – es reagierte nicht.
Vierhundert fünfzig Kilometer vor Hamburg saßen wir also in unserem tollen Auto, und das Radio spielte verrückt. Unmöglich, dieses Monstrum zum Schweigen zu bringen. Das Rauschen kam und ging. Mal wurde es lauter, mal drangen Musik- und Sprachfetzen durch. Plötzlich hörten wir ganz klar WDR4, und dann wieder nur Rauschen. Meine Frau hantierte herum, zunehmend genervt – aber  keine Chance.
Ich beschloss anzuhalten. Aber Halt!! Wenn mit dem verrückt spielenden Bordcomputer auch die Zündung oder gar die Schließanlage des Autos betroffen wäre? Kämen wir nach einer Rast wieder ´rein? Würde die Karre wieder anspringen?
Ich hielt an, ließ aber den Motor laufen. „Einer muss immer im Auto bleiben,“  stellte ich klar. „Sonst haben wir den Super-Gau.“
Da standen wir also, zwei Erwachsene, am Rande der Autobahn. Wir gingen schön nacheinander aufs Klo. Der Motor lief, das Radio krächzte nervtötend, und meine Frau drohte mir schon: „Das halte ich aber nicht noch 400 Kilometer durch...“
In meiner Verzweiflung testete ich alle 17 um das Lenkrad verstreuten Knöpfchen und Schalter durch. Natürlich ohne Wirkung. Meine Frau hatte tatsächlich im Handschuhfach das dicke Heft „Betriebsanleitung“  gefunden und hektisch durch geblättert – unter dem Stichwort „Bordcomputer“  stand nur: „Bitte die spezielle Anleitung im Sonderheft einsehen!“  Ach, ja, dieses 189-Seiten-Sonderheft zu Hause!
Wir klopften auf das Display, wir wischten, wir fluchten.... Schon suchte ich nach Möglichkeiten, wenigstens die Lautsprecher mit irgend etwas zuzustopfen.
Dann riskierten wir es. Wir machten den Motor aus in der Hoffnung, dass – falls er wieder anspränge – dann das Radio wenigstens stumm bliebe.  Bange Sekunden irgendwo fern von zu Haus, sehr fern vom Familientreff. Da!  Der Motor sprang tatsächlich wieder an.... aber das Radio auch!  Mir schien, sogar lauter als vorher....
Ja, das System hat es mir gezeigt. Es hat mich noch viele, viele Kilometer gefoltert. Mit einer völlig aufgelösten Ehefrau. Mit immer neuen Radiogeräuschen. Mit der Angst, dass ich dieses Radio nur noch würde abstellen können, wenn ich auch die Batterie abklemmte.  Wie klemme ich bei einem elektronisch so ausgefuchsten Automobil die Batterie ab? Und welche anderen Funktionen  wären danach völlig unbrauchbar?
Ich war auf dieser Reise nach Hamburg tatsächlich der Fahrer.  Nein, ich bin nicht gegen irgend einen Brückenpfeiler gerauscht. Aber ich habe für mich erkannt: Wenn demnächst die Elektronik beim Autonomen Fahren noch mehr Aufgaben übernehmen wird, noch mehr Funktionen, als ich sie gerade erlebte, dann  … oh, Graus.
Ach, ja. Wer wissen will, wie das mit dem Radio ausging. Es ging plötzlich von alleine aus. Hinter Bremen.


Anmerkung von eiskimo:

Die Automarken und -typen habe ich verfremdet (kleine Rache)

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Kommentare zu diesem Text


 TassoTuwas (15.04.19)
Anekdote, ich weiß nicht? Unterhaltsam, richtig gut!
Realistisch, auf alle Fälle, denn es zeigt wohin die Entwicklung geht. Der Mensch ferngesteuert und immer weniger Herr der Lage.
Fortschritt also, der uns mitnimmt, wohin auch immer.
An meinem Auto hab ich über fünfzig Knöpfe und Hebelchen z.T. mit Mehrfachfunktionen gezählt, ich brauch aber nicht einmal die Hälfte!
Beim nächsten Autokauf werde ich nach der "Old-Fashion-Version" des Modells fragen, wenn es sein muss auch gegen Aufpreis
LG TT

 eiskimo meinte dazu am 15.04.19:
Danke für die Rückmeldung. Anekdote passt nicht wirklich, ich weiß... Die Sehnsucht nach einem simplen, rein mechanisch konzipierten Retro-Auto teile ic h.
lG
Eiskimo

 Annabell antwortete darauf am 15.04.19:
Gottseidank, wir haben kein Auto. Wir sind Rentner, haben Zeit zur Genüge und benutzen Busse, Bahnen, Züge und Flieger. Den Notfall erledigt irgend ein Taxi. Ich selbst besitze nicht eiinmal ein Handy oder Smartphone, bin aber jederzeit per Telefon, Fax, Mail und Anrufbeantworter erreichbar, also ein sehr moderner Erdenbürger.
@eiskimo:
Dein Text ist gut und fehlerfrei geschrieben - das gibt es selten unter den KVlern. Respekt. Allein und überhaupt deswegen gibt es für Dich ein *chen.
Eine schöne Woche wünscht
Annabell
(PS: Ich vermisse GRAECULUS. Wo steckt er? Er hat mir so oft selbstlos geholfen)

 eiskimo schrieb daraufhin am 15.04.19:
Danke, moderne Erdenbürgerin, für das Sternchen; ich bemühe mich, formal sauber zu formulieren, das gelingt nicht immer.
Auch wünsche eine schöne Osterwoche. Graeculus vermisse ich auch, der war in der Tat immer ein interessanter und kompetenter Mitstreiter
lG
Eiskimo

 Regina (15.04.19)
Zurück zur Natur. Meine Vorfahrinnen besaßen alle noch diese altmodischen hölzernen Handwagen. Damit konnte man alles transportieren, was jemand hineinhievte. Zum Familientreffen fuhr man mit dem Zug. Und, was du schreibst, gilt nicht nur für das Auto. Auch andere Innovationen nerven.

 eiskimo äußerte darauf am 15.04.19:
Danke für die mein Unbehagen bestätigende Rückmeldung. Innovation ist nicht immer sinnvoll, aber es scheint sich gut zu verkaufen.
C´est la vie...
lG
Eiskimo

 monalisa (16.04.19)
Hallo Eiskimo,
ich möchte gar kein neues Auto, wenn wir unser altes weiterhin so schonen, warten, pflegen und überwiegend in der Garage stehen haben, wird es uns hoffentlich überleben.
Ich finde mich in deiner Geschichte mit allen Ängsten und Zweifeln wieder. Diese Art Autonomie scheint in eine undurchschaubare Abhängigkeit zu führen und das kann schon Angst machen, gleichzeitig will ich aber auch nicht abgehängt und ausrangiert werden als Technologie-Verweigerin.

Ein hochaktuelles Thema, lebendig und anschaulich erzählt.

Liebe Grüße
mona
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