Eine kurze Geschichte der Zuständigkeit

Satire zum Thema Geduld/Ungeduld

von  FrankReich

Irgendwo in einem ausgesucht toten Winkel Nordrhein-Westfalens bedeutendster Kleinstadt fristen die letzten Überlebenden der Seniorenfraktion ihr mehr oder weniger zu bedauerndes Dasein in einem Altenheim, das einen so guten oder so schlechten Ruf besitzt wie sonst kein anderes.
Diese Residenz aber war nicht nur den Alten unserer Stadt vorbehalten, sondern auch den Menschen zugeneigt, die aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend der Pflege bedurften. Mich hatten also weder irgendwelche walraffschen Milieustudien noch mein eingestandenermassen dennoch im Fortschreiten begriffenes Erwachsenendasein dorthin verschlagen, sondern lediglich eine Lymphdrüsenerkrankung, umgangssprachlich auch als Krebs bekannt, und natürlich hoffte ich, diesen ungeliebten und unverschämt gefräßigen Gast während meines als Kurzzeitpflege bezeichneten Aufenthaltes wieder los zu werden.
Obwohl ich zunächst unverständlicherweise nur auf meinen eigenen bejammernswerten Zustand fixiert war und mein Selbstmitleid schon leicht abstruse Formen angenommen hatte, kam ich nicht umhin, die Bewohner und das Personal auf eine zwar zunächst etwas verhaltene Art, aber dennoch näher kennen und schätzen zu lernen. Der einzige Mensch jedoch, der sich mir aufgrund seines Charakters und seiner Präsenz weitestgehend verschloss, war der Hausmeister, und es hatte sich die Legende verbreitet, dass er nur deshalb so selten anzutreffen war, weil er als Mann für alle Fälle galt, egal ob es sich um Elektrik, sanitäre Anlagen, Hof- und Gartenpflege, Fernseh,-und Rundfunkanschlüsse oder etcetera handelte, der Hausmeister war offenbar für mehr zuständig als sein Schöpfer, und daher auch überall und nirgends präsent. Das änderte sich auch nicht durch die im Spätsommer aufgetauchten und seitdem den Tagesablauf mitbestimmenden Haustierchen des Altenheims, winzige schwarze Fliegen. Diese mir bis dato unbekannte Plage hatte sich nämlich nicht nur in den Außenbereichen des Heimes angesiedelt, sondern war vornehmlich auch in den Fluren und Wirtschaftsräumen des Hauses zum kaum noch wegzudenkenden Begleitpersonal herangewachsen.
Selbst den Hausmeister, den man in seltenen Momenten, dann jedoch nur aus großer Distanz, zu Gesicht bekam, umgab schon eine Korona aus schwarzen Fliegen, die allerdings ebenfalls in den Appartments der Bewohner, und somit auch meinem, Einzug gehalten hatten, wo sie sich offensichtlich recht wohl fühlten, denn mittlerweile war ihre Zahl Legion.
Als jedoch der Winter hereinbrach, erwies sich diese Geissel von heute auf morgen verschwunden; sowie Personal als auch Bewohner konnten wieder völlig unbeflügelt ihren üblichen Gewohnheiten nachgehen, wie z. B. in der Nase zu bohren oder dumm zu gucken. Nur mich ärgerte das ein wenig, denn meine ohnehin schon eingeschränkte Reaktionsgeschwindigkeit war seit dem Kälteeinbruch unter Null gesunken.
Plötzlich jedoch fiel das Frühjahr mit aller Gewalt über uns her, und mit ihm wiederum eine mindestens ebenso violente Herrschar der schwarzen Flugungeheuer, die diesmal eine ganz besondere Heimat gewählt zu haben schienen, nämlich nur und ausschließlich mein Badezimmer.
Als ich spät abends in meiner Not eine Altenpflegerin darauf ansprach, beruhigte sie mich mit den Worten, dass dieses Problem in den meisten Appartments vorläge, sie mir aber nicht weiterhelfen könne, da die Beseitigung dieses Missstandes in den Aufgabenbereich der Hauswirtschaft falle, die jedoch erst am nächsten Morgen wieder zu erreichen sei.
Ich arrangierte mich also in der Nacht mit meinen jüngst wiedererwachten Wohnungsgenossen, indem ich die Toilette auf dem Flur benutzte, und sprach morgens umgehend eine der Hauswirtschafterinnen an, die mir das Frühstück servierte, doch als ich auf ihren Rat hin das Hauswirtschaftsbüro frequentierte, wurde ich zu einem regelrechten Stafettenlauf eingeladen, denn die dortigen Hauswirtschaftler verwiesen mich flugs weiter an den sozialen Dienst, der mich wiederum zu den Raumpflegekräften schickte, die es für eine gute Idee hielten, wenn ich mich an die Lagerhaltung wenden würde. Der oberste Lagerhalter hatte kurz die Eingebung, mich an das Küchenpersonal weiterzuleiten, besann sich jedoch eines besseren, so dass ich wieder im Schwesternzimmer landete, von wo ich offensichtlich genervt in das Büro einer ebensowenig zuständigen Verwaltungskraft  bugsiert wurde, die allerdings wenigstens eine Bezeichnung für die Fliegen hatte, und natürlich längst wusste, dass diese Nasszellenfliegen vorwiegend aus dem Abfluss der Dusche stammten, und dem Hausmeister, der in ihren Augen alle Zeit der Welt zu haben schien, die Aufgabe des Kammerjägers zukam, also er sich gefälligst um das Problem der schwarzen Fliegen zu kümmern hätte.
Der Hausmeister jedoch blieb seinem Omnihilismus treu, denn meinem Zugriff entzog er sich erfolgreicher denn je, und langsam begann ich mich zu wundern, warum die Verwaltung noch keine Vermisstenanzeige erstattet hatte, denn er blieb bis auf weiteres verschwunden.
Wahrscheinlich und hoffentlich erliegt dieses Phantom niemals einem Herzinfarkt, aber falls das doch einmal der Fall sein sollte, werde ich selbstverständlich an seiner Beerdigung teilnehmen, solange mir nur irgendjemand bis dahin erklären könnte, wie sich Nasszellenfliegen sowohl ohne Gefahr für die Gesundheit, als auch rückstandslos von der Gästeliste entfernen lassen.

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (22.04.19)
Manchmal ist es so. LG Gina
TaBea (64)
(22.04.19)
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 FrankReich meinte dazu am 22.04.19:
Danke, TaBea, tatsächlich habe ich aber noch nicht begriffen, wie Kurzgeschichten funktionieren. Hast Du da vielleicht einen Tipp für mich?
TaBea (64) antwortete darauf am 22.04.19:
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 Isaban (22.04.19)
Hallo Ralf,

witzig und recht nah an der Realität, wie es sich für eine Satire gehört. Mir gefällt sie (bis auf das XY) ausgesprochen gut.

Ist die Fragmentierung so gewünscht? Falls nicht, lässt sich da doch bestimmt etwas machen, das dem Leser nicht ganz so viele Vakanzen vor Augen führt.

Lückenbüßergrüße
Isaban

 princess (22.04.19)
Hallo Ralf,

du schilderst hier ein hervorragendes Beispiel ganzheitlicher Schädlingsbekämpfung als integriertes Konzept, wie sie nur in hochmodernen stationären Pflegeeinrichtungen bester Reputation praktiziert wird. Es geht primär darum, sämtliche Zuständigkeiten penibel so aufeinander abzustimmen, dass eine nachhaltige Nasszellenfliegenbefallsfreiheit erreicht werden kann. Die Bekämpfungsungeduld des Einzelnen tritt dabei in den Hintergrund zugunsten der optimal koordinierten Einsatzumsetzung in hygienischer, technischer, technologischer, physikalischer, biologischer und chemischer Hinsicht.

Mit freundlichen Grüßen
Hausmeisterin princess
Stelzie (55)
(23.04.19)
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 Dieter_Rotmund (21.05.19)
Sorry, ich habe irgendwann aufgehört zu lesen, die Sätze sind nicht einfach nur zu lang, es ist auch alles höchst umständlich formuliert.


Finde ich.

 FrankReich schrieb daraufhin am 22.05.19:
Um Himmels Willi, Dieter!! Dich zu überfordern liegt mir ferner als Pferdekotze!!!

Finde ich.
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