Stilles Glück

Sonett zum Thema Annäherung

von  Isaban

Mit seinem Zeigefinger strich er sacht
über den Schuh, der vor der Türe stand.
Behutsam nahm er ihn in seine Hand,
da ging das Licht aus und es wurde Nacht

im Treppenhaus. Sein Kopf stieß an die Wand,
als er den Schuh erschrocken, doch bedacht
zum andern stellte. Niemand war erwacht.
Er schlich davon, trotz Kopfstoß unerkannt,

nach Haus, zur Wohnung nebendran.
Das Licht ging, als er schlief, noch einmal an;
die Zeitung kam. Sie fing sie ab und legte

sie ihm gebügelt vor die Tür. Dann fegte
sie sanft den Flur, bis er die Zeitung nahm.
Im Aufzug später schwiegen sie sich warm.

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Kommentare zu diesem Text

Stelzie (55)
(06.05.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Isaban meinte dazu am 06.05.19:
Ganz bestimmt.
Danke für deine Rückmeldung, Kerstin.
Liebe Grüße
Sabine

 Willibald (06.05.19)
Wow!
Was für ein gutes Poem.
Respekt.
ww

 niemand antwortete darauf am 06.05.19:
In der Tat ein sehr feines und gut geschriebenes Werk,
allerdings scheint mir der Inhalt eher ins vergangene Jahrhundert zu passen. Heutzutage macht man, wenn schon heimlich, dann aber nur um sich [in Zeiten der Selbstoptimierung] einen sogenannten "Kick" zu verpassen. Man nimmt solchen Inhalt
kaum noch ab. Heutzutage nimmt man sich ungeniert
was man so brauchen könnte. LG niemand

 Isaban schrieb daraufhin am 06.05.19:
@ Willibald: Tausend Dank!

@ niemand: Stimmt, diese sehr subtile Vorgehensweise in Liebesfragen scheint beinahe der Vergangenheit anzugehören - die Betonung liegt dabei allerdings auf dem "beinahe". Ich bin mir sehr gewiss, dass die Vorgehensweisen Liebender, vor allem von Liebenden, die nicht sicher wissen, ob der/die Geliebte/Angebetete/Person seines/ihres Herzens ähnliches empfindet, so unterschiedlich sind, so individuell, wie die einzelnen Liebenden selbst. Ich könnte kein allgemeines Urteil darüber sprechen, was "man" in Liebesdingen heute unternimmt.
Ebenfalls zustimmen muss ich dir jedoch, was unsere schnelllebige und oft wenig aufmerksame, wenig rücksichtsvolle, wenig zartbesaitete Gegenwart angeht. Die Frage ist nur, in wie weit man sich - ob nun geniert oder ungeniert - Zuneigung einfach nehmen kann; meiner Meinung nach wird sie einem geschenkt oder eben nicht. Und ist es nicht um so bedeutungsvoller und rührender, wenn sich hier, in unserer brachial-rasanten Zeit, zwei Menschen begegnen und so zart, bedacht und behutsam mit ihrer Liebe umgehen?

Hab vielen Dank für deine Rückmeldung, das Lob und die Auseinandersetzung mit dem Text.

LG Isaban

 Irma äußerte darauf am 08.05.19:
@ niemand: Bei jungen Leuten wirst du Recht haben, da wird man das heute selten finden. Ich hatte sofort einen älteren Herren und eine ältere Dame vor Augen, alleinstehend oder verwitwet, die schon lange eine Sympathie füreinander hegen, aber sich (in ihrem Alter) nicht wagen, diese offen zu bekunden. Eine ganz zarte Annäherung der alten Schule eben. LG Irma

@ Isaban: Schön auch, wie das Streichen über den Schuh durch die Hebungsverschiebung beim "ü-BER" zum Ausdruck gebracht wird. LG Irma

Antwort geändert am 08.05.2019 um 11:12 Uhr

 Willibald (06.05.19)
Hm, skeptische Niemand, das Handlungsmuster mag aus der heutigen Zeit gefallen sein und nur noch selten zu beobachten.

Die vorsichtige, sensible Annäherung des Paares ohne plumpe Direktheit wirkt umso mehr in diesem Text. Auch wenn es um das sehr ausgefallene Zeitungsbügeln oder das liebevolle Berühren des Frauenschuhes geht.

Vom Text her auffällig und vielleicht optimierbar: Die Wendung "schlich .... nach Haus , zur Wohnung nebendran", die eher eine größere Entfernung suggeriert, könnte man - metrisch - passend
vielleicht ersetzen durch "schlich .... zu seiner Wohnung nebendran." Das Überraschungsmoment der Nähe ist dann etwas gemildert, aber eben noch wirksam.

Der leicht unreine Reim in der letzten Zeile ("nahm ... warm") und das Paradox dort mit "sich warm schweigen" statt dem
geläufigen "sich warm reden" ist einfach gut, wow. Zusammen mit der traditionellen Synthese vieler Sonette in den Terzetten einfach gut, sehr gut gesetzt.

So ist denn das "stille Glück" als Phase und Vorstufe zu dem, was man als bereits erreichtes "stilles Glück" bezeichnet, gar nicht mehr konventionell besetzt.

greetse
ww

Kommentar geändert am 06.05.2019 um 11:16 Uhr

 Isaban ergänzte dazu am 06.05.19:
Hallo ww,

was für ein wundervoller Kommentar!

Ja, mit dem "nach Haus" habe ich auch ein wenig gehadert, es wird zwar im normalen Sprachgebrauch als geläufigere Alternative für heimgehen/ins eigene Heim/ins eigene Zuhause benutzt, dennoch impliziert das enthaltene Haus - insbesondere in schriftlicher Form - unterschwellig das Außerhäusige.

Ich habe mich dann jedoch dafür entschieden, weil genau dieses "nach Haus" im Kontext mit dem irgendwie widersprüchlichen "in seine Wohnung nebendran" umso deutlicher macht, wie nah sie beieinander wohnen, wie nahe sie sich sind, um wie viel näher sie sich sein könnten - und auch ein ganz klein wenig, wie abstrus ihre Zurückhaltung auf den ersten Blick ist. Wenn es zu auffällig, abstrus oder aufgesetzt wirkt, muss ich die Stelle wohl noch einmal überdenken - ich lasse deine Anregung mal sacken.

Hab herzlichen Dank für deine Auseinandersetzung mit meinem Text, das Hineinschnuppern in die Stilmittel und deine feine Interpretation. Deine Rückmeldung war mir eine Freude.

Liebe Grüße
Isaban

 AZU20 (06.05.19)
Zart beschrieben, wie eich etwas anzubahnen scheint. LG

 Isaban meinte dazu am 06.05.19:
Danke, Armin. LG
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