Nicht mehr schlau

Sonett zum Thema Umwelt/Ökologie

von  Walther

Nicht mehr schlau

Der Wechselwind vertreibt die Wärme: Staub
Rauscht aus dem Feld, färbt gelblich fahl die Sonne.
Da trudelt in das Blickfeld eine Tonne,
Die aus dem Innern Abfall kotzt, ein Raub

Der Krähen, die die Sämereien missen.
Im halb verlassnen Brandenburg ist braun
Die meiste Farbe. Man muss nicht weit schaun.
Das Land ist abgebrannt. Man ist beschissen.

Die Zukunft ist nicht wolkig. Sie ist blau,
Und Trockenheit verdorrt die Birkenmoore.
Der Bauer prüft die Krume, weiß genau,

Der Weizen, der wird nichts. Der Tagebau
Schließt auch, und einsam rostet eine Lore.
Und aus dem Wetter wird man auch nicht schlau.

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Kommentare zu diesem Text


 Isaban (17.05.19)
Hallo Walther,

warum hat das hier denn noch niemand kommentiert?

Ein Sonett, das tief geht, eines, dessen Bildern nicht schön, aber gelungen sind, eines, das auf mehretren Ebenen beschreibt, was vorgeht und dennoch zum Schluss fast so vage bleibt, wie Brandenburgs Zukunft.

Inhaltlich gefällt es mir sehr gut. Ein paar Anmerkungen hätte ich dennoch.

Wie würdest du V2 betonen (und ist das stilistisch begründet)?

Der zweite Satz in S2 wirkt ein wenig ungelenk. "Die meiste Farbe ist braun", so würde man es im normalen Sprachgebrauch nicht ausdrücken. Wie wäre es dort (ist natürlich nur eine Anregung) mit:

Die Welt in Brandenburg ist deutlich/schrecklich/furchtbar/meistens/sichtlich/merklich braun
und halbverlassen. Da muss/braucht man nicht weit schau(e)n.

Ich nehme an, dass „schaun“ ist nicht nur reimgeschuldet, sondern ausdrücklich als stilistisches Mittel gedacht, um den mangelnden Weitblick zu unterstreichen – keine schlechte Idee. Die gleiche Wirkung hätte allerdings auch das wiedereingebaute e, das durch die Reimabweichung und die Wortverlängerung stilistisch ein langes Schauen/Suchen bebildern könnte.

Schmerzlich aber sehr gut ausgedrückt: "Die Zukunft ist nicht wolkig. Sie ist blau" - nur so lässt sich diese Zukunft anscheinend ertragen, Alkohol ist da gleichzeitig Problem und Lösung. Gleichzeitig wird ausgedrückt, dass selbst "blauer Himmel"(der allgemeine Aufschwung) nichts Gutes mehr ist, die Birkenmoore (das, was Heimat bedeutet) verdorrt trotz oder sogar wegen Sonnenschein/dem Aufwärtstrend im Rest des Landes (der ja die Brandenburger in andere Bundesländer zieht).

Im zweiten Terzett könnte man, so man denn möchte, ein "und" einsparen, "vereinsamt rostet eine Lore" würde sich geradezu anbieten und klänge vielleicht noch ein wenig wehmütiger und geschmeidiger.

Als perfekt gesetzt empfinde ich die vielen Einsilber im letzten Vers, aus denen man betonungstechnisch auch nur schlau wird, weil die Verse zuvor den Takt ahnen lassen - ein sehr gelungen eingesetztes Stilmittel!

Ein tiefgründiger Text, mit dem ich mich sehr gern auseinandergesetzt habe.

Freundliche Grüße
Isaban

Kommentar geändert am 17.05.2019 um 13:06 Uhr

 Walther meinte dazu am 18.05.19:
Hi Isaban,

danke vielmals. du hast wieder einmal den finger in die wunde
der noch etwas stolprigen verse gelegt. ich habe sie bearbeitet und hoffe, eine lösung gefunden zu haben, die zufriedenstellen kann. darüberhinaus habe ich den letzten vers etwas unformuliert. das ändert zwar den sinn ein wenig, erlaubt aber, die satzmelodie besser zu sprechen, wenn man ihn vorträgt. der kleine informationsverlust sollte dadurch mehr aus kompensiert werden.

politisch lied ist garstig lied - daher danke ich dir und Moja sehr; es ist nachvollziehbar, daß das unangenehme weniger "gefällt". ich bin nichtsdestotrotz der auffassung, daß kunst nicht in erster linie gefallen wollen sollte und - zweitens - immer politisch ist. daher werde ich dabei bleiben, politische texte zu schreiben und zu posten.

lg W.
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