schleppend

Gedicht zum Thema Loslassen

von  monalisa

ihr schweigen packt sie obenauf:
zu schwarzen gedanken
und harten bandagen
tief unten am boden
zum schmutzwäschesack

den knallroten lack-
pumps  – ein stöckel ist ab – 
dem brautpaar aus zucker
der chefschwiegermutter
und allerlei plunder

dann schleppt sie den koffer
die treppe hinunter
hinaus vor die tür  – doch wofür?

und schleppt sich beladen
mit stummem versagen
ins gestrige morgen

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Kommentare zu diesem Text


 Irma (17.05.19)
Die Braut packt ihre Koffer, verlässt kurz nach der Hochzeit resignierend das Haus. So lese ich dein Gedicht. Nach dem Brautkleid mit Schleppe schleppt sie nun schweren Ballast die Treppe hinunter. Obenauf im Gepäck liegt das auch zeilenmäßig übermächtige "schweigen". Die „schwarzen gedanken“ und die „harten bandagen“ klingen dunkel. Sie hat hart gekämpft, aber sie musste den Kürzeren ziehen und fühlt sich als Versagerin (V.15). Die „chefschwiegermutter“ scheint mir im Haus das Regiment zu führen. Und sie vertreibt mit allen Mitteln, was ihr nicht passt, eben auch die ungeliebte Braut ihres Sohnes.

Schmutzige Wäsche wird versteckt, ganz unten im Koffer. Aber vermutlich wurde zuvor viel schmutzige Wäsche gewaschen, also Privates in aller Öffentlichkeit präsentiert (ein ganzer Sack voll). Nicht nur der Stöckel des Lackschuhs scheint zerbrochen. Der Lack-ab-Reim des „knallroten lack- / pumps“ lässt mich erahnen, dass da noch mehr zerbrochen ist. Der Lack ist ab, für alle sichtbar (knallrot = Signalfarbe). Das zerbrechlich-süße „brautpaar aus zucker“ scheint all dem nicht standgehalten zu haben, die Ehe ist kaputt.

Der Auszug wird von der Braut aber nicht als Befreiungsschlag empfunden, sondern als ein Rückschritt ins vorherige Versagen (V.16). Sie kam (vermutlich aus einfachen Verhältnissen) mit wenig, und sie verlässt das Haus mit nichts als „allerlei plunder“. Was bleibt ist das bedrückende Gefühl des Versagens.

Tolles Gedicht, Mona. LG Irma

Kommentar geändert am 17.05.2019 um 11:07 Uhr

 monalisa meinte dazu am 17.05.19:
Danke, liebe Irma, toller Kommentar 😊!

Schön, wie du hier die wenigen Zeilen zu einer Lebensgeschichte ausgebaut hast. Ja, es könnte eine junge Braut sein, 'schleppend' im Titel und die Assoziation zur Schleppe hat dich wohl darauf gebracht. Doch eigentlich lässt sich eine Frau in jedem Alter denken, solange sie den Koffer noch packen und durch die Gegend schleppen kann. Ansonsten sind es gerade die Details, die du so einfühlsam und stimmig interpretiert hast, die mir an deinem so große Freude bereiten. Das deckt sich fast vollkommen mit meinen Intentionen. Ganz herzlichen Dank noch mal für diese versierte Interpretation.

Liebe Grüße
mona

 Isaban (17.05.19)
Hallo Mona,

ich glaube gar nicht, dass es sich hier um eine junge Braut handelt, ich glaube, dass hier eine langjährige Ehefrau gern ausbrechen würde, ausbrechen will, genügend Gründe dafür gesammelt hat (schwarze Gedanken, harte Bandagen/Schläge vom Gatten, am Boden zerstört, behandelt wie Schmutz/Schmutzwäschesack/eine Haushaltssklavin, der Lack der Beziehung ist ab, die Beziehung ist nicht mehr tragfähig, ein Stöckel ist ab, das Brautpaar aus Zucker, hier bedrängt/belagert durch die Chefschwiegermutter, ist das, was man von der Hochzeitstorte nicht essen kann, das, was nicht satt macht, was nur verstaubt irgendwo aufgehoben wird, also nur Plunder, von dem, was einmal war, was erhofft und erträumt wurde, ist nichts mehr geblieben) - und sich, bepackt mit all den "Altlasten", davonschleicht endlich den Schlussstrich zieht, den Bruch macht - oder eben auch nicht.

Die letzte Strophe sagt nicht eindeutig aus, dass sie wirklich geht, das "stumme Versagen" kann sich sowohl auf die Beziehung, das dort unglücklich gelebte Leben als auch darauf beziehen, bei dieser geplanten Flucht zu versagen, wieder genau dort zu landen, wo die Frau vor dem Kofferpacken gestanden hat, mitten in ihrem stillen, zerbrochenen, von Altlasten beschwerten Leben.

Ein Text, der beinahe zu realistisch ist. Nicht alle schaffen den Absprung aus einem Alltag, der längst kaum noch lebenswert ist, der nur noch unglücklich macht.

Liebe Grüße
Sabine

Kommentar geändert am 17.05.2019 um 11:30 Uhr

 monalisa antwortete darauf am 17.05.19:
Auch dir ein herzliches Danke, liebe Sabine, für diese gelungene Interpretation. In der Tat habe ich auch an eine etwas ältere Frau gedacht, die da mit Sack und Pack auszieht. Von außen betrachtet, packt sie wohl zu viel und das Falsche ein. Ein echter Schlusstrich sähe wohl anders aus. Vielleicht merkt sie das ja auch selbst und schafft es (je eher, deste besser) den ganzen Koffer im Meer zu versenken oder auf den Müll zu kippen.
Ich wollte in der letzten Strophe tatsächlich mehrere Türchen offen lassen, sodass sich jede/r selbst seinen/ihren Reim drauf machen kann. Sehr schön, wie du die Türen aufgestoßen hast und dem nachgegangen bist 😊.
Es ist schon toll, wenn man solche Interpretationen geliefert bekommt. Da kann ich nur höchsterfreut staunen. Danke, Sabine!

Liebe Grüße
mona

 Regina (17.05.19)
Die Vorrednerinnen haben es ja interpretiert. Das"Loslassen" in der Unterüberschrift relativiert die eigentlich negative Aussage. Das Loslassen dieses überflüssigen Gepäcks kann ja noch kommen. Aber ich frage mich bei dem Gedicht: Was war wohl der Schreibanlass? LG Gina

 monalisa schrieb daraufhin am 17.05.19:
Hallo Gina, wenn da Loslassen als Thema über dem Gedicht prangt, sagt das m.M. noch nicht zwingend aus, dass das auch gelingt. Aber es lässt hoffen, wie man ja immer hofft!
Der Schreibanlass sind eine Reihe von Beobachtungen in meinem Umfeld, Trennungen, die nicht wirklich gelingen, weil man zu vieles und das Falsche mitnimmt. Wenn z.B. die Nachbarin erklärt, sie sei über N.N. hinweg, dann aber geschlagene 3 Stunden, nur von ihm spricht, urteilt, spekuliert ... , kann das so ein Anlass sein.

Danke für deinen Kommi, Gina.
Liebe Grüße
mona

 EkkehartMittelberg (17.05.19)
Liebe Mona, die Vorinterpretationen dieses exzellenten Gedichts sind so gut, dass mir nur eine bescheidene Nachlese bleibt: die Tiefendimension in der ersten Strophen zwischen "obenauf" und "tief unten am boden", die "knallroten lackpumps" als Hinweis darauf, dass es in dieser verlorenen Ehe Erotik gegeben hat, "allerlei plunder", der immer den Bodensatz bildet, wenn etwas gründlich vergeigt ist und die geniale Formulierung "gestriges morgen" als Zeichen dafür, dass diese Ehe keine Chance mehr hat.
Es handelt sich um ein Gedicht zum Loslassen eines Versagens , das nicht gelingt, aber in einem anderen Sinne ist es ein Gedicht zum Aufbewahren, weil es für mich in der Gestaltung keinen Wunsch offen lässt.
Liebe Grüße
Ekki

 monalisa äußerte darauf am 17.05.19:
Lieber Ekki,
noch so ein toller Kommentar 😊. Da bin ich wirklich platt, scheint heute ein echter Glückstag für mich zu sein. Ja, ja, genau so ist es mit dem 'obenauf' und 'am boden' unten, den 'knallroten pumps' und dem Plunder. Ich fühle mich ja so verstanden.
Vielen herzlichen Dank für deinen Kommi und das umwerfende Lob.

Liebe Grüße
mona

 AchterZwerg (17.05.19)
Ihr Lieben,

ein Koffer wird gepackt (real oder als Traumvorstellung). Ganz unten liegt die Schmutzwäsche, also das, was nicht öffentlich gesäubert werden soll. Darauf lagern die harten Bandagen, Hilfsmittel, die sich als nicht tragfähig erwiesen haben. Und die, ebenso wie die Schmutzwäsche, der Öffentlichkeit erspart werden sollen.
Oben drauf liegt folgerichtig das Schweigen.

Das Schweigen über nicht erfahrenes Glück, den Verlust des Lebendigen, der zerbrochenen roten Schuhe ... wem fiele hier nicht Aschenputtel ein?- Der Prinz erweist sich als Nullnummer, ebenso zersbröselnd wie sein Pendant aus Zucker.

Aber noch deutlicher wird das eigene Elend gespürt. Dies Ungeborgene in einer Welt, die nicht die ihre ist. - Sie fällt zurück ins "gestrige Morgen" (sehr schön). Ein gutes Leben kann das nicht gewesen sein.

Liebe Grüße
der 8.

Kommentar geändert am 17.05.2019 um 17:49 Uhr

 monalisa ergänzte dazu am 17.05.19:
Hallo 8.Zwerg,
die Bilder scheinen ja wirklich gut gewirkt zu haben, wenn ich mir all die großartigen Kommentare ansehe, das freut, freut, freut mich 😊! All die Assoziationen von der Braut bis zum Aschenputtel greifen schlüssig ineinander und geben Farbtiefe und Plastizität. Auch dir ein ganz herzliches Danke für deinen Beitrag,

Liebe Grüße
mona
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