Reimste Poesie?

Sonett zum Thema Lebenszeiten

von  FrankReich

Manch Ehe ist ein Küchenhort, an dem der klag-
los lebt, der sich dazu bekennt, frei aller Klagen,
wovon sich jeder selbst noch überzeugen mag:
Im Schnitt geht manche Liebe längs durch Milz und Magen,
und wer solch sattem Irrtum eben erst erlag,
der trägt die Köchin gern durch alle Lebenslagen,
die wiederum auch nur für vollsten Reinertrag
bereit ist, diese Liebe länger zu ertragen.
Doch auch wenn die Geschlechter noch von Tag zu Tag
die wahre Absicht ihrer Absicht kühn vertagen,
so gleicht solch Ehe längst dann einem Taubenschlag,
von Engeln aufgesucht, beseelt, ihn trotz der Fragen,
und allem Schutz zum Trutz, der dort noch frag-
los herrscht, mit ihren Flügeln zu zerschlagen.

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Kommentare zu diesem Text


 monalisa (19.05.19)
Hallo Ralf,
in der Monotonie der '-ag' und '-agen' - Reime, die sich immer schön abwechselnd durch das Gedicht ziehen, im Verzicht auf Gliederung in Strophen, in der komplexen inhaltlichen Verzahnung legst du uns einen ganz schön schwergewichtigen Brocken vor, dem man erst nach und nach verdauen muss.
Die Ehe als gegenseitige Versorgungsgemeinschaft, hat die nicht weitgehend ausgedient? Aus welchem Grund heiraten dann Paare heute immer noch? Mann und Frau lügen sich und einander also etwas vor, wenn sie die Absicht ihrer Absicht kühn vertagen und nie hinterfragen? Die Schutz- und Trutzfunktion ist auch nicht mehr wirklich gegeben, wenns zugeht wie in einem Taubenschlag und Engel diesen beseelt mit ihrem Flügel zerschlagen.

Es ist kein 'Hohelied' auf die Ehe sondern ein trauriger Abgesang, wenn man 'nur für vollsten Reinertrag bereit ist, diese Liebe länger zu ertragen'.

Liebe Grüße
mona

P.S.: Anmerkung zum Überdenken:
Das amputierte 'manch' (V 1) und 'solch'(V5, V11) stechen mir ein wenig unschön ins Auge und die Inversion bei
wovon ein jeder selbst sich überzeugen mag:
wie wärs mit:
wovon sich jeder selbst gern überzeugen mag ( ?)

 FrankReich meinte dazu am 19.05.19:
Hi Mona, so ausführliche und gut begründete Kommentare wie Deine sind mir wegen ihrer Konstruktivität die liebsten.
Amputationen allerdings sind nun einmal eine unschöne Angelegenheit, deshalb behält dieses Gedicht sie bei.
Die Inversion habe ich zugunsten Deines Vorschlages sofort eliminiert. Ganz übernehmen möchte ich ihn nicht, da das gern schon hinter der Köchin herläuft.

Ciao, Ralf

P.S. Ich überlege schon die ganze Zeit, ob der Titel nicht ein Fragezeichen vertragen könnte.

P.S.: '-ag' und '-agen' sind grammatikalische Reime, eine Spezialität von mir, die ich trotz ihrer Monotonität gerne "pflege", und die stychische Gestaltung von Sonetten war schon im Barock nicht unüblich.

Antwort geändert am 19.05.2019 um 11:13 Uhr

Antwort geändert am 19.05.2019 um 11:20 Uhr

 EkkehartMittelberg (19.05.19)
Hallo Ralf,
die Verfremdung des Sonetts passt zu der pervertierten Ehe, die Engel mit ihren Flügeln zerschlagen (Exzellente Metapher).
LG
Ekki

 FrankReich antwortete darauf am 19.05.19:
Danke, Ekki, auch für die Empfehlung.

Zur Gesamtsituation der Poetik möchte ich noch hinzufügen, dass es sich ab und an lohnt, ihre starren Regeln entweder auf,- oder gar völlig zu brechen, denn nur auf diese Weise findet Entwicklung statt, und das beziehe ich sogar auf die moderne Dichtung, z. B. bezüglich ihrer Stilmittel, die m. E. nach Jandl und Gomringer den Rückzug angetreten haben.
Kennst Du z. B. Durs Grünbein? Ich denke schon Hinter dieser Größe können sich manche Schöngeister xx verstecken.

Ciao, Ralf

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 19.05.19:
Ja, dem stimme ich gerne zu.

 Didi.Costaire (19.05.19)
Beim Lesen kriege ich gleich Lust auf Kaffee Hag
und sende einen schönen Gruß aus Kopenhagen.

Dirk

 FrankReich äußerte darauf am 19.05.19:
Hi Dirk, Rumpelstilzchen? Das hat Dir der Teufel gesagt. :D

Ciao, Ralf

P. S.:

Lebenserhaltungsbeiträge

Ein alter Ägypter lebte den Tag,
denn wie die Dinge nun immer auch lagen,
so zeigte er sich doch ziemlich beschlagen,
und testete sein Herz bei jedem Schlag.

Er gedachte dabei folgenden Tagen,
damit er nicht doch noch dem Tod erlag.
Was er sich sonst noch gedacht haben mag,
schlug ihm wohl doch etwas auf den Magen.

Denn um das nächste Jahrzehnt zu ertragen,
baute er sich einen Sarkophag
als reinen Lebenserhaltungsbeitrag.

Doch Belebung liegt kaum in Sarkophagen.
Spät erwachte im fernen Kopenhagen
die Moral der Geschichte: Kaffee Hag.

Ist noch eine Skizze, deshalb besser auf diesem Weg.

Antwort geändert am 19.05.2019 um 20:53 Uhr

 Didi.Costaire ergänzte dazu am 19.05.19:
Dann hoffe ich, die Absicht bleibt nicht vag
und ohne Zögern sitzt du schon im Wagen.
Führt dich dein Weg auch fälschlich nach Den Haag,
so bringt ein Käffchen dir doch Wohlbehagen.
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