Tour de France mal anders (Teil 1)

Bericht zum Thema Reisen

von  eiskimo

Nein, es geht hier nicht um Frankreichs größtes  Sport-Spektakel,  um  das Gelbe Trikot und die mörderischen Rennrad-Anstiege zum Mont Ventoux oder zur Alpe d´Huez – ich bin einfach nur mit meinem Kumpel Jürgen eine Woche durch Frankreich geradelt. Von Sedan im Norden immer an der Maas entlang bis „hinunter“ nach  Langres - und dann  an der Mosel-entlang  wieder zurück, „hoch“  bis nach Trier.
Den radsportlichen Aspekt möchte ich völlig außer Acht lassen, auch das kulturelle Beiprogramm, und ich werde auch nicht von den abgeschieden-romantischen Flusslandschaften im Monat Mai schwärmen. Nein, es geht nur um die Unterkünfte, in denen  man bei so einer improvisierten Rundfahrt  nolens, volens dann landet. Physiognomie eines Nachbarlandes? Wohnen wie Gott in Frankreich?  Vielleicht….

Erste Nacht
Von zu Hause aus gebucht, um am ersten Tag nicht gleich  Stress zu kriegen, kamen wir in der Nähe von Sedan in das Quartier  „Mon Château“, ein gut bewertetes Chambre d´hôte  (Bed and Breakfast), wo wir vorsorglich „table d´hôte“ dazu  gebucht hatten, also zusätzlich zur Unterkunft auch das Abendessen.
Das Dorf, das wir zeitig erreichten,  wirkte öd,  wie ausgestorben. Das Haus, in dem wir nächtigen sollten, war viel kleiner, als auf den Fotos im Internet, und es lag direkt an der Hauptstraße – oha….
Die düsteren Vorahnungen blieben, denn als Fahrrad-Parkplatz  für die Nacht bot uns die Dame des Hauses lediglich einen Schuppen an, in dem auch Rasenmäher und  diverse Gartenmöbel standen – völlig offen. „Hier kommt nichts weg,“ beschied sie uns  locker. Oha…
Einmal in dem stilvollen Haus aus dem Jahre 1804, mit einem kühlen Willkommensbier in der Hand, wandelte sich unsere Stimmung schlagartig:  Das Zimmer großzügig  und geschmackvoll  eingerichtet, zwei getrennte Betten und der Blick hinaus auf einen prachtvollen Garten.
Aus diesem Garten stammte ein Großteil des Abendessens, das uns Madame später, nachdem wir geduscht und uns erfrischt hatten, servierte – dazu Wein „à volonté“ (so viel wir wollten – oha!) und als Dessert eine selbst gebackene Rhabarber-Torte.
Madame aß mit uns, und wir waren quasi „en famille“, denn sie erzählte uns nicht nur die Geschichte dieses wundervollen Hauses, sondern auch ihre eigene. Dass sie zwei erwachsene  Söhne habe, den einen in China, den anderen in Singapur, und dass sie den Winter über deshalb in Asien weilte, um jeweils mit die Enkelkinder zu betreuen. Im Sommer habe sie die Lieben dann  vor Ort, in Frankreich, und so würden die Kleinen tatsächlich zweisprachig aufwachsen. Unser Gespräch gestaltete sich im Übrigen auch auf Französisch und Englisch.
In deutscher Sprache wollte sie dann noch ... ein Gedicht. Denn ihr Gästebuch, das war eine Gedichte-Sammlung, geschrieben von ihren Gästen, am Computer gestaltet von ihr. Gerne textete ich noch ein paar Zeilen, nach so gutem Essen und so viel netter Gesellschaft.
          Wenn einer eine Reise tut
          Dann kann er was erleben
          per Fahrrad braucht man etwas Mut
          und Freu(n)de wie hier wird´s geben!
          .......
Am nächsten Morgen durften wir die Reste des Rhabarberkuchens  mitnehmen als Proviant – neben dieser Entdeckung  einer ungeahnten Weltoffenheit  dort,  in der nordfranzösischen Provinz !

Zweite Nacht
Als Deutsche nach Verdun reisen, an jenen Schlacht-Ort, wo im 1. Weltkrieg ein monatelanger Stellungskrieg tobte, hat etwas Surreales. Die Landschaft ist gespickt mit Friedhöfen, Denkmälern und alten Granatwerfern, Kulissen für einen florierenden Memorial-Tourismus. Alle Gästezimmer im Ort waren vergeben. Auch  die der  „Villa Kunterbunt“ im Ortskern, deren Vermieterin aber alles versuchte, um uns zwei „cyclo-touristes“ aus der Patsche zu helfen. Tatsächlich klappte es noch … mit dem Ibis-budget, einem dieser Container-Hotels, die in Frankreich gerne an Autobahn-Kreuzen oder in Industrie-Zonen hochgezogen werden. Nachdem wir vorab 78€ bezahlt hatten, durften wir unsere Fahrräder in der Wäschekammer parken. Für das Zimmer bekamen wir einen Code, und dann trugen  wir unsere Packtaschen in die 12qm-Kammer, die,  sehr funktional und platzsparend,  tatsächlich alles Lebensnotwendige beinhaltete: Klo, Dusche, Fernseher und … ein „lit francais“, das hieß für die Nacht: Ab ins Ehebett, 90 x 1,40m. Vorher aber sahen wir Auto um Auto  vorfahren,  viele Lieferwagen und Kleintransporter. Der Parkplatz direkt am Gebäude füllte sich, eine Art Stammkundschaft checkte routiniert ein. Krönung des Abends: Ein Doppeldeckerbus fuhr vor, der gut 50 Schulkinder ausspuckte und ein halbes Dutzend laut herum kommandierender Lehrer.  Oha….
Gut, dass wir beim benachbarten Lidl - echt stilvoll! -  unser Picknick eingekauft hatten, ordentlichen Käse und vor allem… genug Wein!

Dritte Nacht
Das Gute am Fahrrad-Tourismus ist die Tatsache, dass man abends total kaputt ist und  fast im Stehen schlafen könnte… wir schliefen in diesem Container-Hotel darum gar nicht schlecht. Auch das Frühstück in einer Art Ikea-Kantine war passabel. Dennoch lautete das Haupt-Interesse des neuen Reisetages:  Bloß  nicht wieder so seelenlos abgestellt zu werden.
Also war schon der frühe Nachmittag gefüllt mit Zimmersuche, und um fünf Uhr standen wir in der Tat vor einem Bauernhof in der Nähe von Vaucouleurs, der zwei Zimmer inseriert hatte. Leider war die Wirtin noch bis sechs Uhr unterwegs und auch telefonisch nicht erreichbar – banges Warten, bis wir glücklich eingelassen wurden… von dem jungen  Bauern persönlich, der auch persönlich noch eigens die Betten neu bezog.
Neu war der gesamte Anbau mit den Fremdenzimmern , neu das  moderne Holz-Mobiliar und das hochwertig bestückte Badezimmer. Da gab es  nichts zu meckern, bei 55€. Wir hatten einen eigenen Essraum mit kleiner Küche, und der vierjährige Matthieu gesellte sich zu uns, weil er seinen kleinen Alu-Roller vorführen wollte. Die Mutter wollte ihn dann eigentlich holen, blieb dann aber auch für ein Schwätzchen, das bis spät in den Abend hinein dauerte, weil auch der Bauer sich dazu gesellte.
Matthieu  futterte unsere  Schokoriegel, während wir mit Informationen über das moderne Bauernleben gefüttert wurden. Dass man bei 100 Milchkühen computergesteuerte Melk-Roboter brauche, dass die produzierte Milch minutiös geprüft werde und jede Abweichung – auch bei zu guten Werten! – zu Strafen führe, dass ein Gewinn nur noch mit Bio-Milch zu erwirtschaften sei und der kühle und regenreiche Mai trotzdem die Trockenheit in Nordfrankreich nicht beseitigt habe.
Der Bauer ging früh ins Bett – es gebe nachts oft „Alarm“ in einem seiner weit weg gelegenen Ställe: Kranke Tiere, Roboter-Probleme..oder er müsse ganz früh los, um Tiere zum Schlachthof zu fahren, zum Metzger, zum Käufer des Fleisches, denn nur wenn er alles selbst vermarkte, könne er  dabei noch ein Plus machen.

Vierte Nacht
Der kleine Matthieu war auch beim Frühstück wieder unser Gast, aber dann musste er zum Kindergarten .. und wir weg von dieser sympathischen Bauernfamilie.
Der Weg an der Maas führte uns Richtung Domrémy-la-Pucelle, zum Geburtsort von Jeanne d´Arc,. Ein holländische Ehepaar, ebenfalls per Rad unterwegs,  hatte uns  wenig Hoffnung auf ein Chambre d´hôte gemacht – sie hätten alles im Internet vorher geplant, und für diesen Tag nur noch ein Hotelzimmer im nah gelegenen Städtchen Neufchâteau bekommen.  Wir fragten in einem Dorf trotzdem nach Gästezimmern und siehe da: Keine 50m weg zeigte man uns einen „Gîte  d´étape“, zu Deutsch: Eine Gruppenunterkunft. Die verantwortliche Dame war auch zugegen, und nicht nur, dass wir die einzigen Interessenten an jenem Tag waren – sie war auch überaus hilfsbereit und aufgeschlossen.
Das Zimmer hätte in einer Jugendherberge sein können, Doppelstock-Betten, Dusche und Toilette  auf dem  Flur – aber dafür hatten wir das ganze Haus mit Gruppenraum, Gruppenküche und den wunderbar bestückten Garten für uns: Ein Lehrgarten für Kräuter und Wildblumen, dazu Hühner und zwei Bienenstöcke.
Die Leiterin dieses Hauses entpuppte sich als Biologin und Köchin, die Seminare anbietet für „Naturkundler“, das heißt: Leute, die selber Pflanzen suchen oder anbauen und damit gesund kochen wollen. Mein Kumpel Jürgen taufte sie liebevoll „Kräuterhexe“. Und diese  Hexe hatte spürbar Lust, uns ihr so schön gestaltetes Natur-Reservat vorzuführen. Leider bot sie für jenen Abend kein „table d´hôtes“ an
Als deswegen nach einem Restaurant fragten, wo wir essen könnten, reichte sie uns nur eine Karte und … ihren Autoschlüssel.  „Und grüßen Sie den Koch von mir, wir tauschen uns immer aus…“, sagte sie noch.
(Fortsetzung folgt)


Anmerkung von eiskimo:

Das ist eher was für Frankreich-Fans und Fahrrad-Freaks ....

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