Tour de France mal anders (Teil 2)

Bericht zum Thema Reisen

von  eiskimo

Kein Radsport-Bericht, keine Routen-Beschreibung und auch kein Reiseführer für sanften Tourismus –nein,  hier berichte ich nur von den Quartieren, die mein Kumpel Jürgen und ich bei einer siebentägigen Fahrrad-Tour im Nordosten Frankreichs entlang an Maas und Mosel, vorgefunden haben, genauer: Ich berichte von den Menschen, die uns da aufnahmen.
In Teil 1 dieser Erlebnisse waren das eine ältere Dame in der Nähe von Sedan, die uns erst mit den Produkten ihres Gartens beeindruckte und dann mit tollen Reiseberichten aus Asien, dann das voll besetzte Container-Hotel „Ibis-Budget“ (Verdun) , eine junge Bauern-Familie mit fast 100 Milchkühen bei Vaucouleurs, und zuletzt die „Kräuter-Hexe“, die in einer Art Guest-House,  gar nicht weit weg vom Geburtsort der Jeanne d´Arc,  Seminare für naturnahes Kochen anbietet. Von dort aus ging unsere Reise weiter nach Nancy.

Fünfte Nacht
Wieder war die Suche mit einigen Fehlversuchen verbunden, wieder war es schon spät, als wir endlich fündig wurden, und wieder war es mit 60€ /(Frühstück inklusive) nicht teuer.
Aber als wir nach einer wilden Fahrt durch das überraschend  weltstädtische Nancy  endlich vor „L´oasis“ eintrafen, waren wir erst einmal geschockt: Es war ein riesiger Wohnblock, zu dem uns das Office de Tourisme geschickt hatte, mindestens 20 Parteien  auf dem Klingelbrett, und als wir im Appartement von Jean-Louis standen, wollten wir am liebsten wieder kehrt machen. Doch es war schon zu spät, um nach Alternativen zu suchen -  also blieben wir … glücklicherweise!
Denn der 65jährige Jean-Louis erwies sich nicht nur als ungemein sachkundiger Guide für seine Stadt, er war auch sehr interessiert an Gespräch und Austausch, so dass wir bei diesem ehemaligen Bauingenieur ganz intensiv eintauchen konnten in das Leben  eines modernen Franzosen… Wir erfuhren, dass er seine Tochter allein aufgezogen hat, dass er regelmäßig Reisen organisiert in die Wüsten-Gegenden  Nordafrikas, dass er Tanzlehrer ist (Spezialgebiet: Tango!) und nebenbei einen mobilen Pflegedienst leitet. Sein Motto: Bloß keine Langeweile!
So war unser Aufenthalt bei ihm viel zu kurz, um alle Facetten dieses Multi-Talents auszuloten. Klar, auch das Frühstück bei und mit ihm war überdurchschnittlich. Er hatte glutenfreien  Ingwer-Cake  und Nuss-Torte gebacken; sieben verschiedene Marmeladen – alle selbst  angerührt - wollten probiert werden, und der Kaffee war fair gehandelt, das Obst und die Fruchtsäfte natürlich Bio…
Voll Öko ging es also bei ihm zu, und voll Öko ging es mit unseren Rädern dann weiter, auch wenn wir als mögliches Tagesziel Cattenom  anvisierten, dieses riesige AKW nördlich von Thionville.  Wir blieben an der Mosel, durchquerten Pont-à-Mousson und steuerten wieder ein Office de Tourisme an, diesmal  das von Metz. Dort bemühten sich zwei Damen, uns stadtnah ein Zimmer zu organisieren. Vergeblich. Sie konnten  nur 25 Kilometer außerhalb jemanden ausfindig machen, der auf seinem Internet-Tableau für diesen Tag noch „disponibilité“ auswies.

Sechste Nacht
Rückenwind, ein bisschen Regen – das waren die Begleiter hin zum Quartier in einem riesigen hügeligen Waldgebiet, wo wir nach gut 90 Tageskilometern eintrafen, konkret: In Saint-Hubert.
Wer meint, nun sei die Palette der möglichen Fremdenzimmer doch mal langsam durch, der wäre jetzt eines Besseren belehrt worden, denn es kam noch einmal etwas gänzlich Anderes.
Das Haus von Madame et Monsieur Fabert , von der Straßenseite noch recht unscheinbar, erwies sich vom Garten her gesehen und im Inneren als Traumhaus à la Schöner Wohnen, ein absolutes Designer-Haus .. und das mit Stil!
Am Hang gelegen mit Blick auf den Wald, hatten pfiffige Architekten dieses Haus mit riesigen Fenstern versehen, mit Maisonette-Geschoss, einer riesigen Terrasse und einer Art Einliegerwohnung … ganz für uns.  Möbel vom Feinsten, skandinavischer Stil, minimalistische Ausstattung…
Jean Fabert passte zu diesem nüchtern-noblen Intérieur. Er war zurückhaltend und diskret, quartierte uns mit wenigen Worten ein und brachte uns lediglich zwei Flaschen Bier … Designer-Bier: Statt Table d´hôte bot er an, etwas kommen zu lassen von der  nah gelegenen  Pizzeria.
Was uns besonders beeindruckte: In seiner Garage hingen drei High-End-Rennräder, die auch nach intensiver Nutzung aussahen. Entsprechend war die Figur des Gastgebers – drahtig-schlank!
Die Übernachtung in diesem  Fünf-Sterne-Haus war mit 80€ zwar etwas teurer, aber bei dem gebotenen Luxus absolut angemessen. Wir schliefen wie Könige.
Das Frühstück toppte noch einmal die vorher erlebten Petits Déjeuners: Teilchen frisch aus der Bäckerei gab es, dazu knuspriges Baguette, frisch gepressten Orangensaft, Marmeladen  aus …Designer-Töpfchen…
Bevor wir abreisten, gab der Rennrad-Fahrer uns noch einen detaillierten Routenplan mit… ohne jegliche Anstiege, super leicht zu fahrende Nebenstrecken, und das bis Luxemburg.
Die Tipps waren so gut, dass wir gar nicht erst wieder  an die Mosel  bei Thionville fuhren, sondern abkürzten, gut 30 Kilometer.
Damit war auch,  ein Tag früher als geplant, der französische Teil unserer Tour vorbei.  Wir kamen schon  mittags nach Luxemburg, nachmittags nach Deutschland.
Schade, ich hätte gerne noch mehr von interessanten Leuten mit Chambres d´hôtes  erzählt. Vor allem hätte ich sie gerne persönlich erlebt  in ihren herausgeputzten „résidences“  - jede auf ihre Art einzigartig.
Aber im Herbst starten wir zur nächsten Tour, weiter südlich. Da reizt uns ein Flüsschen namens Doubs, gesäumt von tollen Radwegen und Vélo-freundlichen Wirtsleuten!


Anmerkung von eiskimo:

Mit dem Rad reisen, kaum 10 Kilo Gepäck, nur das Allernötigste - da ist man dicht dran an Land und Leuten. Diese nehmen einen auch anders wahr. Als Autofahrer kann man das so nicht erleben...

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (03.06.19)
Mit dem Fahrrad erlebt man eben mehr. LG
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