Verbindende Zeichen

Kurzprosa zum Thema Annäherung

von  Moja

1
Die leere Terrasse vor der weißen Orangerie, grüne Kugelrobinien unter einem Klang weißer Musik, der Park ist menschenleer. Es ist angenehm warm, die Sonne scheint, ein blauer Roller lehnt an der Jalousie. Ich suche mir eine Bank, lehne mich zurück und lausche dem Rauschen der Kaskaden. Das Plätschern der Wasserspiele erzählt mir von einer Zeit, als die Stadt noch geteilt und der Park wie ein Grenzland war. Ich schließe die Augen, der Park wird mir nun sichtbar in meiner Erinnerung. Geschirr klappert, Zeitungen rascheln, Kinder lachen, ich höre eine vergessene Melodie. Es müssen Geräusche aus meinem früheren Leben sein. Oft habe ich hier gesessen, in Anzeigen nach einem vollkommenen Leben gesucht und Leute beobachtet, die mir wie Inseln erschienen.

Da ist dieser junge Mann, der mit einer Ratte auf seiner Schulter spazieren geht. Eine freundliche Ratte, die nicht nach ihm schnappt, wenn er ihr Fell krault. Er redet unentwegt auf sie ein, während ein Flugzeug dröhnend den Park überfliegt und jemand über einen Abfalleimer gebeugt im Unrat der Zeit wühlt. Und jener Mann mir gegenüber auf einer Bank, dünn und fahl. Er kostet seinen Hunger aus einer schäbigen Plastiktüte, die prall mit speckigen Prospekten gefüllt ist. Fiebrig zieht er sie raus, faltet gierig Programme auf, probiert ihren Hochglanzgeschmack. Dome, Kirchen, Konzerte verleibt er sich ein, Blatt für Blatt. Er steckt sie zurück in die Völlerei der Tüte, gänzlich ausgehungert. Auf der Terrasse sitzt ein Mann aus Fleisch, aus Blut, wie ein Lachen. Ich wünsche mir, die Ratte würde in die Tüte springen und die Ränder des Mangels annagen, während er einen leichten Ton dirigiert, ich Milchkaffee serviere und die Sprachlosigkeit des Mannes sich in die Musik hinein bewegt. Eines Tages verließ ich den Park, die Erinnerungen nahm ich mit.

Ich öffne die Augen, während ein blauer Roller in den Seitengang einbiegt, hinter den Büschen verschwindet, kurz darauf erscheint und um eine Platane kurvt. Der Junge auf dem Roller wirft mir ein Lächeln zu. Ich stehe auf und gehe weiter in Richtung der Wassertreppen. Krokodile sitzen auf Sockeln, es sind zwei, und steinerne Knaben sitzen auf den Krokodilen. Ein Schmunzeln durchzieht ihre harten Mäuler. Wie gerne würde ich ein Krokodil vom Stein befreien, doch es lässt sich nicht an seiner grauen Farbe packen.

2
Viele Jahre später durchquere ich wieder den Park. Die Sonne scheint, das Wasser plätschert, ich schaue dem Treiben auf der Terrasse und am Springbrunnen zu. Junge Männer sitzen auf Bänken, lesen Kurznachrichten, während Mädchen mit bunten Kopftüchern kichernd vorbeischlendern und Frauen Kinderwagen über Wege schieben. Ein blauer Roller saust um die Fontäne, während jemand an mir vorbeigeht, den ich nie sah, nie mehr sehen werde. Ich verlasse den Park. Ruhelos durchlaufe ich die Nebenstraßen. Auf Schritt und Tritt lebe ich in allen Erinnerungen gleichzeitig. Die Straße, auf der ich stehe, kennt mich nicht. Wonach sollte ich suchen? Etwas längst Vergessenes, Verlorenes ruft mich.
Es war einmal, lese ich an einer Galerie und steige auf den Dachboden. Sonderbare Dinge schweben in der Luft wie alte Träume: Ein Kinderstuhl, ein zartes rosa Kleid, ein Nachthemd und ein Schlafanzug. Weingläser funkeln in einem Streifen Sonnenlicht. Vor einer Dachluke schaukelt ein Spinnennetz, hauchfein wie eisiger Atem. In der Ecke liegt ein blauer Roller, der Lenker ist verbogen. Die Dinge erzählen mir ihre Geschichte, von einer Zeit, die früher war. Ich bin wieder Kind, renne über den staubigen Trockenboden, während meine Mutter Wäsche auf die Leine hängt und mit Holzklammern feststeckt. Ich schlucke, trockener Staub kratzt in meiner Kehle. Es riecht nach Kochwäsche und Seifenlauge in meiner Phantasie. Tauben flattern gegen Dachluken mit dem Geräusch sich öffnender Schirme.

Wie verwunschen stehe ich wieder auf der Straße, während ein blauer Roller rasch an mir vorüberfährt und um die Ecke biegt. Ich folge ihm. Auf einmal verfliegt die Melancholie, als ich ein Atelier betrete. Ich entdecke Gabeln in Rahmen, Schaukästen und Schubläden, überall glänzen Gabeln und Nadeln, gesteckt in weißes Vlies. Staunend betrachte ich die Sticheleien, Anspielungen, nadelkurz wie ein Bindestrich.

Ich war lange fort gewesen. Erhebliche Veränderungen sind während meiner Abwesenheit eingetreten. Künstler kamen, schufen Inseln voller Illusionen und Erfüllung in den abgeschiedenen Straßen. Heiter steige ich die Freitreppe zum Park hinab, und während ich neben den hohen Arkaden hergehe und über Träume und Vergeblichkeit nachsinne, kreuzt ein blauer Roller meinen Weg. Der Junge auf dem Roller zwinkert mir zu, ich zwinkere zurück. Die Sonne scheint, das Wasser plätschert, auf den Sockeln sitzen die Krokodile aus Stein.
Da bist du ja, höre ich plötzlich eine Stimme, vor mir steht Mehmet. Er redet schnell, von seiner Heimat. Ich verstehe nur, das Essen schmeckt ihm hier nicht. Warum nicht, frage ich. Alleine essen, sagt er verzagt. Ich senke den Blick. Bin ich denn im Garten Eden? Wörter kreisen in seinem Mund herum wie das schnelle Wasser der Fontäne. Ruf mich an, sagt er, oder ich rufe dich an, rufst du an? Ruf an, ja! – ruft er mir nach mit hängenden Armen. Ich nähere mich dem Ausgang und schaue zurück. Er steht noch immer am Brunnen in der verhaltenen Sehnsucht seiner Arme. Die Sonne geht langsam unter, schimmert schwach. Neben mir geht seine Einsamkeit, begleitet mich wie ein flüchtiger Ton.

3
Wieder einmal stehe ich in der Nähe des Parks und warte darauf, dass jemand aus einer Seitenstraße kommt, den ich kenne. Oder darauf, dass irgendein blauer Roller aus einer Querstraße zum Park fährt, während ich inzwischen am Eingang angelangt bin. Da liegt der Park vor mir. Ich beuge mich über die Balustrade. Nazaa, Miina, Diina, Ebuu, Shisha, lese ich und sehe im Gras die Kontur eines Herzens. Der Park ist das Herz im Kiez, begreife ich und entschlüssle die Zeichen der abwesenden Parkbesucher. Sie stammen aus vielen Nationen, ihre Sprachen berühren einander wie das Wort Shisha, Wasserpfeife. Ein ursprünglich persisches Wort, das ins Türkische und Arabische wanderte bis in den Park hinein. Ein blauer Schriftzug auf der Balustrade führt wie ein Geländer um den Park und darüber hinaus ins Wohnviertel.

Jemand kommt auf mich zu, es ist Mehmet. Er lacht und dreht mich im Kreis. Gras, Begonien, Buchsbäume fliegen um uns herum, bis ein blauer Roller mehrmals um den Springbrunnen jagt und die Krokodile ins Wasser springen und nach dem Roller schnappen und Platanen, Jahreszeiten, die grünen Kugelrobinien, Palmen und laute Wasserbänder um uns kreisen.

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (21.06.19)
Spannend und schön beschrieben von Anfang bis zum Ende.

 Moja meinte dazu am 21.06.19:
Das freut mich sehr, dass Dir mein Text gefiel, liebe Regine!
Danke, schöne Grüße, Moja
Sätzer (77)
(21.06.19)
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 Moja antwortete darauf am 21.06.19:
Herzlichen Dank, Sätzer, für Deinen Eindruck und die Hinweise.
Liebe Grüße, Moja

 AchterZwerg (21.06.19)
Liebe Moja,
leider muss ich mich Sätzer anschließen und gleich etwas Grundsätzliches loswerden: Je ausführlicher und langatmiger du wirst, desto weniger treffen deine Texte den Puls der Zeit. Oder regen an

Schau:

Da ist jener Mann.
Gegenüber auf einer Bank, dünn und fahl. Er kostet seinen Hunger aus einer schäbigen Plastiktüte, die prall mit speckigen Prospekten gefüllt ist. Fiebrig zieht er sie raus, faltet Programme auf, probiert ihren Hochglanzgeschmack.
Dome, Kirchen, Konzerte verleibt er sich ein, Blatt für Blatt. Dann steckt er sie zurück in die Völlerei seiner Tüte.

Die Sonne scheint, das Wasser plätschert, auf den Sockeln sitzen die Krokodile aus Stein.

Das hätte mir gereicht und wäre genialische Kurzprosa.
Was nicht bedeutet, dass sich nicht aus allen anderen Teilen jeweils etwas machen ließe ... :)

Herzliche Grüße
der8.

 Moja schrieb daraufhin am 21.06.19:
Herzlichen Dank, damit kann ich etwas anfangen, liebe 8.!

Der Text ist speziell, extra für den Körnerpark (Neukölln) geschrieben, na ja, wo er eben hinpasst. Freue mich sehr über Deine Rückmeldung!

Schöne Grüße in den Abend!
Moja
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