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Sonett zum Thema Entfremdung

von  FrankReich

Es ist so kalt in mir, vom Kopf bis in die Zehen
vereist mir das Gespür im Sturm, der mich umweht;
ich lebe nur noch weil mein Schatten mich verrät,
und mich die Wogen der Entweltlichung verschmähen.

Es wird so still in mir, als würde ich vergehen,
ins Leere läuft die Zeit, die aber dennoch steht,
Gefühle setzen sich, und merken viel zu spät,
dass sie den Weg im Sinn des Geistes nicht mehr sehen.

Die Höhe über mir schleicht sich wie aufgebläht
in mein Gestirn und will zur Wirklichkeit mich drehen,
doch wieder bin es ich, das sie für mich verdreht.

Die Tiefe schläft in mir, befremdlich wie Ideen;
ich stehe mir nun nah, um neben mir zu stehen,
und immer bin das ich, das eilig von mir geht.


Anmerkung von FrankReich:

alternativ:

und immer bin das ich, das mir da ganz entgeht.

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (22.06.19)
Hallo Ralf,

an einer Stelle hakt es für mich (Rhythmus):
"ich sehe mich und mich wie mich neben mir stehen",

Vielleicht:
"Ich sehe mich und mich zusammen bei / mit mir stehen?"

Ansonsten ein klangschönes, vortreffliches Sonett umd das Erkennen. Besonders das zweite Quartett hat's mir angetan.

Grüße
der8.

 FrankReich meinte dazu am 22.06.19:
Danke, meine Gute, ich habe daraufhin noch zusätzliche Änderungen vorgenommen.

Ciao, Ralf

 AchterZwerg antwortete darauf am 22.06.19:
Optimal! :)

 Regina (22.06.19)
Ein sehr schönes Sonett über Selbstentfremdung. Nichts spüren, nichts sehen, die Wirklichkeit verdrehen, neben sich stehen, gehen. Ehrliche Selbstanalyse. E und ä sind die Vokalklänge, die ausdrücken, dass der andere fernbleiben soll. Die Beschränkung bei den Reimen auf sie passt hier zum Inhalt.

 FrankReich schrieb daraufhin am 22.06.19:
Hallo Regina,

danke für Deine Beurteilung, und auf Anraten der Zwergin bzgl. des Metrums habe ich noch zusätzliche Änderungen vorgenommen, hoffentlich sind sie geglückt.

Ciao, Ralf

Antwort geändert am 22.06.2019 um 08:49 Uhr
DasWandelndeGefühl (29)
(22.06.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 FrankReich äußerte darauf am 22.06.19:
Vielen Dank, DWG, aber Du beschämst mich, denn Gryphius, Hoffmannswaldau und Fleming, die haben Meistersonette geschrieben, und ich würde es nicht einmal wagen, Grünbein nach einem Autogramm zu fragen.

Ciao, Ralf

P.S.: Na ja, so schlimm ist es nun doch nicht! :D
DasWandelndeGefühl (29) ergänzte dazu am 22.06.19:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 FrankReich meinte dazu am 23.06.19:
Wenn Du so weitermachst, wird er Dich übers Knie legen.

 franky (22.06.19)
hi lieber Ralf!

Hei! Ralf! Das ist dir bei Gott sehr gut gelungen.
War reinstes Vergnügen es zu lesen.

LG Franky

 FrankReich meinte dazu am 22.06.19:
Danke, Franky, vor allem für Deine Kommentare, die allerdings ab und an auch ruhig etwas kritischer ausfallen sollten, denn gerade bei diesem Gedicht habe ich bis jetzt immer noch Verbesserungsbedarf gefunden.

Ciao, Ralf

Antwort geändert am 22.06.2019 um 20:29 Uhr

 franky meinte dazu am 23.06.19:
Hi lieber Ralf!

Zum Ersten! Ich bin ein blutiger Autodidakt und kann die Güte eines Werkes nur an den Gefühlen messen, das es in mir auslöst. Ich besitze nicht das Handwerkzeug um echte Kritik anzubringen, bin froh, wenn ich mit guten Ratschlägen von Freunden und Innen meine Beiträge etwas zu verbessern vermag. Das erste Gefühl bei dem letzten Sonett war: Da hat dir ein guter Geist unter die Arme gegriffen, es war für mich ein abnormaler Quantensprung nach oben von den bisher gezeigten Sonetten. Für Verbesserungsvorschläge sah ich da keine Notwendigkeit.
Ich bin privat ein ziemlich ausgeglichener Mensch und war in meinem Leben stets bemüht, Wogen zu glätten, nicht noch Welche zu erzeugen. In meiner über dreißigjährigem Berufsmusikerlaufbahn habe ich große Erfahrung in dieser Hinsicht gesammelt.
Habe in den fünfziger Jahren klassische Komposition studiert, dabei konnte ich Begriffe von Takteinheiten auch für Textgruppen übertragen. Das ist natürlich nur eine grobe Passform, die dann für jede Einzelne Darstellung verfeinert werden muss.
Ich komme schon zu schwitzen, wenn es um (Jambus, Trochäus und Daktylus usw. geht, ob wohl dies alles in gewisser Weise auch in der Musik vorkommt.
Das könnte man noch ins Unendliche fortführen.

LG Franky

 FrankReich meinte dazu am 23.06.19:
Hallo Franky,

Autodidaktik ist keine Schande, und um jetzt noch als blutiger Anfänger durchzugehen, bist Du schon zu lange bei kV, denke ich. :D
Eigentlich bin ich mehr Analytiker und Techniker, wenn ich mich jedoch zunächst der Intuition hingebe (zugegeben, eine Seltenheit, abhängig von Wetter, Stimmung und sonstigem Umfeld) kommt dabei obiges heraus.
Das lässt sich dann meist noch verbessern, und was die rhythmische und vokale Beschaffenheit von Gedichten anbelangt, bist Du als Musiker mir als reinem Sprachler gegenüber allemal im Vorteil.

Ciao, Ralf

 Didi.Costaire (22.06.19)
Gut geschrieben, Ralf.

Die Zeilen klingen wie die Gedanken von jemandem, der einige Ehen hinter sich hat.

Beste Grüße, Dirk

 FrankReich meinte dazu am 22.06.19:
Danke, Dirk,

aber mit gescheiterten Ehen haben obige Verse leider nichts tun, denn es gibt tatsächlich Erlebnisse, die um einiges heftiger sind.

Ciao, Ralf

 EkkehartMittelberg (22.06.19)
hallo Ralf,
ich atme auf, weil du zu den Wenigen gehörst, denen das Metrum ihres Sonetts nicht wurscht ist und die inhaltlich wissen, dass Entfremdung von anderen mit Selbstentfremdung beginnt.
LG
Ekki

 FrankReich meinte dazu am 22.06.19:
Nun Ekki, sagen wir es einmal so, wenn ich ein Metrum nutze, achte ich, wie in diesem Fall, schon auf Gleichmäßigkeit..
Was Deine Entfremdungsgedanken angeht, denke ich, dass das eigentlich jeder halbwegs gebildete Mensch wissen müsste, denn das ist m. E. doch logisch.

Ciao, Ralf

P.S.: Danke für Deine Bewertung.

 juttavon (22.06.19)
Im Ganzen finde ich es gelungen; die Entfremdung ist spürbar und gut bebildert. Die letzte Zeile würde ich lassen - "das eilig von mir geht" hat eine aktive Note, die die Entfremdung des ich vom ich dramatischer macht als in Deiner Alternative.

Die S 1 schwächelt noch irgendwie; da mischen sich banale Bilder rein: "vom Kopf bis zu den Zehen / fehlt es mir an Gespür, wohin der Wind mich weht (...) und weiß, dass Wunder längst schon ohne mich geschehen." Das hat nicht die Dichte und Tiefe der anderen Strophen. Wobei die Z 3 sehr eindringlich ist: "ich lebe nur noch weil mein Schatten mich verrät". - So empfinde ich es.

HG Jutta

 FrankReich meinte dazu am 23.06.19:
Hallo Jutta,

zunächst einmal danke, und ich habe es ja nicht anders gewollt, sehe das nämlich ebenso wie Du, befürchte jedoch, dass ich mir daran die Zähne ausbeißen werde, vor allem am vierten Vers, aber ich bleibe dran.

Ciao, Ralf

 claire.delalune (20.07.19)
Absolut gelungen!
Die anderen Kommentare sind bereits sehr ausführlich, ich spare mir Wiederholungen. Zumal ich hier bereits die deutlich überarbeitete Fassung vorfinde.
An der gibt es nach meinem Empfinden nichts mehr zu verbessern.
Ein Meisterwerk, inhaltlich und in der Form!

LG
Kathrin

 FrankReich meinte dazu am 20.07.19:
Hallo Claire,

danke auch für Deine Empfehlung, und Du magst recht haben beim Vergleich mit meinen übrigen Sonetten, gegenüber der Konkurrenz hier auf kV ist dieses allerdings nur ein kleines Brötchen.

Ciao, Ralf
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