aufgeben

Gedicht

von  juttavon

wenn die Farben sterben
in schwarzweißen Schichten
zählst du das abgetragene Glück
aschfahl fliegen Tauben durch unser Gespräch
das Gras faltet sich niedrig
wo er seinen Stein den Berg hinaufrollt
fragt keiner nach den Worten
die übrig geblieben aus dem Staub entfliehen

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (23.06.19)
Hallo Jutta,
du spielst auf den Sisyphos-Mythos an? Und auf Camus?

Sehr schön wirken in diesem Zusammenhang das "abgetragene Glück" :) :) :) und die fliehenden Worte.
Kenntnisreich und geschickt konstruiertes Teilchen.

LG, der8.

 juttavon meinte dazu am 25.06.19:
Vielen Dank, lieber Achter!

HG Jutta

 W-M (23.06.19)
sehr gutes und starkes gedicht

 juttavon antwortete darauf am 25.06.19:
Das freut mich, lieber Werner.

Hg Jutta
wa Bash (47)
(23.06.19)
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 juttavon schrieb daraufhin am 25.06.19:
...das gefällt mir wiederum

HG Jutta
MichaelBerger (44)
(23.06.19)
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 juttavon äußerte darauf am 25.06.19:
..."auf dem Weg zu mir bist" - Berg runter oder rauf?

Danke!
HG Jutta

 Habakuk (25.06.19)
Starkes Gedicht, liebe Jutta. Bild- und sprachmächtig. An wen sich das lyr. Ich auch immer wenden mag, womöglich an sich selbst, festzuhalten bleibt:

"Alles Fleisch ist Gras, das Gras ist verdorrt, fürwahr, das Volk ist Gras! Der Mensch, wie Gras sind seine Tage; wie die Blume des Feldes, also blüht er. Denn ein Wind fährt darüber, und sie ist nicht mehr, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr. Menschen blühen aus den Städten hervor wie das Kraut der Erde; die Gesetzlosen sprossen wie Gras und blühen.
Euer Herz aber wird sich freuen, und euere Gebeine werden sprossen wie das junge Gras."

So heißt es in den alten Schriften. Diesen Zustand der Endlichkeit aller Dinge in ihrem jetzigen Zustand beschreibst du in starken Bildern zu Beginn deines Gedichts. So lese ich es.
Das mag das natürliche Lebensende sein, eine schwere Krankheit oder aber eine tödliche Erkrankung. Wie auch immer, wann auch immer, dieses Ende steht fest, darüber mag unser kluges und teils überhebliches Reden und Tun, unser Anhäufen von was auch immer, unser Streben nach Nichtigkeiten eine Zeit lang hinwegtäuschen. Es ändert letztlich daran nicht das Geringste.

Da du offensichtlich auf Camus’ „Mythos vom Sisyphos“ anspielst, möchte ich einige Aussagen daraus voranstellen, da sie für meine Interpretation wichtig sind.

„Sisyphos ist der Held des Absurden. Dank seiner Leidenschaften und dank seiner Qual. Seine Verachtung der Götter, sein Hass gegen den Tod und seine Liebe zum Leben haben ihm die unsagbare Marter aufgewogen, bei der sein ganzes Sein sich abmüht und nichts zustandebringt. Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann. Nur lehrt Sisyphos uns die größere Treue, die die Götter leugnet und die Steine wälzt. Auch er findet, dass alles gut ist. Dieses Universum, das nun keinen Herrn mehr kennt, kommt ihm weder unfruchtbar noch wertlos vor. Jedes Gran dieses Steins, jeder Splitter dieses durchnächtigten Berges bedeutet allein für ihn eine ganze Welt. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“

Ein Leben ohne eine spirituelle Ausrichtung ist m. E. ein absurdes, widersinniges Leben, wobei der Begriff „absurd“ aus dem Lateinischen kommt und misstönend, unrein klingend bedeutet. Den Begriff „Klang“ hatten wir ja kürzlich erst in einem deiner Gedichte.

In einer absurden Welt des Existenzialismus, wie sie u. a. auch von Camus postuliert wird, mögen obige Aussagen folgerichtig sein. Nichtsdestotroz sind es m. E. Aussagen eines im Denken verirrten Menschen, die ich nicht in letzter Konsequenz ernst nehmen kann und will, wenngleich ich Camus als Literaten durchaus zu schätzen weiß.
Die auch davon zeugen, dass er, Camus, niemals wirklich an diesem Punkt der allertiefsten Verzweifelung und des tiefsten Schmerzes gestanden hat, denn dort, wo nichts mehr Sinn zu machen scheint, ertönt ein anderer Klang, der Urklang, der jedem Menschen innewohnt, der uns durchtönend ruft. Es sei denn, dieser Klang liegt unter einem Riesenfelsblock verschüttet, wo er ungehört verschallt.

Und dieser Zustand ist das Gegenteil von Glück, er verdient größtes Mitleid. Es ist die Hölle des Sisyphos. In einer Endlosschleife den Stein den Berg hinaufzuwuchten, welch trübes Schicksal. Da hilft alle philosophische Verbrämung nichts.
Wenngleich wir uns alle hinterfragen sollten, welche Steine wir endlos im gleichen Trott stets auf dieselbe Art fortbewegen.

Dem möchte ich ein Gedicht von Zenetti gegenüberstellen.

„Mir ist ein Stein vom Herzen genommen: meine Hoffnung die ich begrub ist auferstanden wie er gesagt hat er lebt er lebt er geht mir voraus! Ich fragte: Wer wird mir den Stein wegwälzen vom dem Grab meiner Hoffnung den Stein von meinem Herzen diesen schweren Stein?“ (Lothar Zenetti)

Und nun kehre ich zu deinem Gedicht zurück.
„wo er seinen Stein den Berg hinaufrollt fragt keiner nach den Worten die übrig geblieben aus dem Staub entfliehen“

In dieser absurden Welt des Existenzialismus, des Sisyphos, wie Camus ihn sieht, ist kein Raum für Worte eines Lothar Zenetti. Niemand fragt danach, dabei sind sie es, die alleinig Nachhaltigkeit aufweisen, von Dauer sind, wenn alles zu Staub zerfallen ist. Wo sie ungehört bleiben, entfliehen sie allerdings.
„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat. Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht“. (Psalm 121)

Auf dem gleichen Berg, an dem Sisyphos sein elendes Steinerollen vollführt, ist potenziell auch das Göttliche zu finden. Aber eben nur für den, der danach fragt.
Manch einem mögen solche Gedanken noch absurder erscheinen als Camus’ Thesen.
Jedem seinen eigenen Sisyphos. Oder das Gegenteil. Wir haben viel Zeit zu lernen. Sehr viel Zeit.

HG
H.

 juttavon ergänzte dazu am 25.06.19:
Vielen Dank, lieber H., für Deine Interpretationen!

Ja, es geht mir auch um Vergänglichkeit, um das Gefühl der Absurdität - im Sinne einer der Erklärungen von Camus:
"Das Absurde entsteht aus diesem Zusammenstoß zwischen dem Ruf des Menschen und dem vernunftlosen Schweigen der Welt" (aus: A. Camus. Der Mythos des Sisyphos) - und um etwas, was all dem entkommt, "übrig geblieben aus dem Staub entfliehen". Ich nenne es hier "Worte" - wie auch immer...
Und ich finde bei Camus diesen tiefen Grund von Menschlichkeit und Menschenliebe, und zwar unter oder nach den Befreiungsschlägen durch die Provokation seiner existientialistischen Sisyphos-Interpretation.

Ich danke Dir für die Hinweise zu Paulus und Zenetti.

HG Jutta
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