Die Abwesenheit schmeckt grau auf der Zunge

Skizze

von  unangepasste

I

Ich schlafe auf zwei Betten. Auf dem einen liegen meine Beine, Arme, angewinkelt und in Decken. Auf dem anderen ruhen meine Gedanken. Mein Was-wäre-wenn. Ich war schon immer Konjunktivdenker.

II
Als dich der Türrahmen ausspie, in den Hausflur spuckte, und ich dir nur noch nachsehen konnte, wechselte mein Blut seine Bahn. Meine Arme sind nie lang genug, dich zurückzuholen.
Wenn dein Rest aus mir herausweht und dir folgt, laufe ich im Kreis. Ich laufe gerne gleichförmig durch das Zimmer, denn es ergibt mir den Anschein, dass alles fließt und wieder zurückkommt. Nichts ändert sich außer vielleicht der Winkel meiner Füße, doch auch das ist ungewiss.

III

Könnte ich deine Abwesenheit als Farbe aus den Räumen ziehen: Sie wäre ein dunkles Grau. Mit einem Tuch würde ich darüberwischen und jeden Tupfer aus dem Zimmer schütteln. Dann könnte ich wieder schlafen.

IV

Ich wusste nicht um die Kraft der Abwesenheit. Das Nichts verfügt über einen Sog, zerrt an meinen Gedanken und mischt sich in alles, was ich tue. Ich kann ihm kaum widerstehen, und Teile von mir werden fortgerissen. Ich bleibe als halber Mensch zurück: mit halben Gedanken, halber Kraft, halber Aufmerksamkeit. Alles, was ich mache, ist halb, nicht von der Schönheit eines Halbmondes, sondern Nebensache. Noch nie war mir der Sinn nach Nebensachen.

V

Du bist der Magnet in meinen Gedanken, der alles abstößt, was sich ihm nähert. Der Fokus ist mir abhandengekommen. Einst trug ich Worte, um mich zu schützen, doch sie zerreißen und blättern von mir ab, lautlos und ohne Vorwarnung.
Erst wenn sie rascheln, sind sie welk, denke ich und stehe am Fenster, an dem die Wassertropfen herunterlaufen. In der Scheibe sehe ich einen Rest von mir, durchsichtig, überlagert von Bäumen. Vielleicht haben Pflanzen mehr Kraft als ich; mag sein, dass sie mich verdrängen, die Unfertige, nicht Gefestigte, wenn sie so tun, als wäre ich nicht da und meinen Raum einnehmen. Mein Raum war immer schon lauter als ich.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (07.07.19)
Ich war schon immer ein Freund der Synästhesie und finde die Metapher genial, dass etwas grau schmeckt.
Servus
Ekki

 unangepasste meinte dazu am 07.07.19:
Vielen Dank! Ich bin auch ein Freund von Synästhesie und habe als Kind auch tatsächlich zum Teil so empfunden. Leider ist nur wenig davon übriggeblieben, aber z. B. ist der A-Moll-Akkord für mich bis heute dunkelblau.
Viele Grüße

 Regina (03.08.19)
Das ist ein sehr eindrucksvoller Text über die Gefühlswelt nach einer Trennung, ganz ohne die Nebelatmosphäre deiner Gedichte. Dafür bekommst du von mir eine Eins mit Stern. LG Gina

 Artname (25.11.19)
Der Text berührt mich sehr. Das hängt unter anderen mit der Farbe Grau zusammen, der man ja unter anderem auch Neutralität nachsagt. Manche Modefotographen tauschen vorübergehend den Hintergrund gern mal mit einem neutralen Grau aus. Auf diese Art und Weise kontrollieren sie die Wirkung des Zusammenspiels der anderen Farben.

So gesehen sagst du mir in dem Text, dass Anwesenheit Fremder den Hintergrund neutralisiert. Und somit auch dem Vordergrund immer wieder anders prägt. Vielleicht so, wie man selber gerade empfindet.

Diesen Gedanken finde ich sehr, sehr spannend. Denn er betont zugleich , wie stark Anwesenheit die gegenseitigen Gefühle prägt!

Gerade fällt mir wieder ein, dass ich früher meist das Feedback Fremder voraussagen konnte, wenn sie einen meiner Texte in meiner Anwesenheit lasen. Selbst wenn ich mich von ihnen anwendete! - Vielleicht konnte ich fremdes Feedback deshalb voraussagen, weil es tatsächlich von MEINER (jeweils anders gestimmten) Anwesenheit geprägt wurde!!! :O

Heute, wo ich die Texte meist per Mail verschicke, verkümmert diese erstaunliche Fähigkeit leider...

lg

Kommentar geändert am 25.11.2019 um 07:00 Uhr

 unangepasste antwortete darauf am 25.11.19:
Deiner Folgerung zur Farbe Grau und der Abwesenheit kann ich nur zustimmen. Abwesenheit neutralisiert. Das sehe ich auch so. Eine interessante Überlegung in der Tat. Auf irgendeine Weise prägt uns jeder um ums herum.

 Artname schrieb daraufhin am 25.11.19:
Ich hatte meinen Text korrigiert, während du geantwortet hast. wie gesagt, gerade denke ich über die noch viel interessantere Vermutung nach, dass auch meine Anwesenheit das fremde Feedback prägte. Und zwar so, wie ich mich gerade fühlte.

Das bedeutet folgerichtig, dass das fremde Feedback von der Qualität der Beziehung BEIDER Menschen im Raum geprägt wird!!!!
Ich bin vermutlich recht sensitiv veranlagt und nahm die Spannungen im Raum wahr, bevor diese sich im Feedback ebenfalls (mit) ausdrücken.

Auf deinen Text bezogen heißt das, dass man alles leicht abgeändert empfindet, wenn ein sehr vertrauter Mensch für immer geht....!!!

Und zugleich mache ich mir bewusster, wie unterschiedlich das ehrlichste Feedback ausfällt, je nachdem, ob es im persönlichen oder schriftlichen Kontakt erfolgt... wirklich spannend....

lg

Antwort geändert am 25.11.2019 um 07:26 Uhr

 unangepasste äußerte darauf am 25.11.19:
Ja, in die andere Richtung findet diese Prägung natürlich auch statt.
Ich glaube sogar, dass man nicht nur für den Augenblick abgeändert empfindet, sondern selbst ein anderer wird, einen Teil von sich selbst verliert, einen Aspekt von sich verliert, wenn ein nahestehender Mensch geht.

Deine Geschichte zur Voraussage von Feedback finde ich interessant. Man sagt über mich, als Kind hätte ich auch eine Wahrnehmungsfähigkeit gehabt, die Erwachsene manchmal erstaunte. So hatte sich meine Mutter z. B. Gedanken gemacht, ob sie nicht doch Zwillinge (anstelle von einem Kind) bekommt; sie hielt das vor mir versteckt, aber gleichzeitig spielte ich mit meinen Puppen Zwillingsspiele (was ich vorher nicht machte). Manchmal nimmt man auch sehr feine Signale im Raum wahr, gerade bei einem engen Verhältnis zwischen den Personen. Als Erwachsene verliert sich das aber etwas, finde ich.
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