Ode auf die Erinnerung

Gedicht zum Thema Erinnerung

von  EkkehartMittelberg

Dich Mnemosyne, Mutter der Musen, Göttin der Erinnerung, will ich besingen.
Ohne dich, du Barmherzige, wären wir Menschen nicht nur dem Tode,
sondern auch dem Vergessen verfallen.
Du stellst Dichtern die geschauten Bilder
wieder vor Augen und befähigst sie kraft der Erinnerung
in Worte zu kleiden,
was dumpfe Erinnerungslosigkeit verschütten würde.
Du entreißt geliebte Verstorbene dem Dunkel des Nichts
und lehrst uns, mit ihnen Zwiesprache zu halten.
Du rufst die Zärtlichkeiten einer verflossenen Liebe
in Erinnerung zurück und lässt sie nie ganz sterben.
Wir können dich nicht genug preisen,
denn du erhältst unser Leben.
Ohne dich müssten wir alles Gelernte
immer wieder von neuem lernen
und lebten absurd wie Sisyphus.

Aber du bist nicht nur angenehm und verwöhnst die Menschen,
die ohne dich ihre Schandtaten verdrängen würden,
um sie gewissenlos wiederholen zu können.
Du entziehst ihre Vergehen dem bequemen Vergessen,
sendest erhellende Träume und mahnende Propheten,
schärft das Gewissen mit abschreckenden Bildern
und weist Verirrten den Weg zur Umkehr.
Deshalb bist du mit umfassendem Wesen die Mutter der Musen,
Quelle der Erinnerung an alles Schöne  und Gute,
die den unvollkommenen Menschen den Tod erträglich macht.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (11.07.19)
Und der Feind all derer, die glauben anstatt zu denken.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.07.19:
Merci, das ist eine wichtige Ergänzung.
Cora (29) antwortete darauf am 11.07.19:
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 TrekanBelluvitsh schrieb daraufhin am 11.07.19:
Na klar. Und um damit umgehen zu können, wurde auch das reflektieren "erfunden". Du weist schon, dass ist der Augenblick in dem der Christ in die Bibel, der Muslim in den Koran, der Jude in die Tora schaut und der besorgte Bürger "Das wird man in Deutschland doch wohl noch sagen dürfen" blafft.
Cora (29) äußerte darauf am 11.07.19:
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 AchterZwerg (11.07.19)
Du präsentierst uns eine Ode, die inhaltlich wohl der altgriechischen Auffassung von Tragödien folgt (Ode, Antode und Epode). Ich glaube, Pindar hat sich auf diese Weise verewigt.
Bezogen auf die Strophenform komme ich etwas ins Schwimmen. Asklepiadeisch?

Ich selbst habe mich nie länger mit Oden beschäftigt. Trotz Klopstock und Hölderlin. Dehalb lausche ich etwaigen Richtigstellungen in Demut.

Liebe Grüße
DerAchte

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 11.07.19:
Grazie, Heidrun, ich habe diese Ode ohne Theorie geschrieben und bin auch keinem festen Versmaß gefolgt. Ich habe zwei asklepiadeische Oden nach antikem Versmaß verfasst, eine asklepiadeische "Ode auf Marburg" findest du hier auf meiner Seite.. Es ist sehr schwierig und zeitaufwändig, das feste Metrum einzuhalten, das bei der Wortwahl eine strenge Fessel darstellt. Nach meiner Erfahrung wirken Oden in Freien Rhythmen ansprechender als die nach geregeltem Versmaß,. Ich kenne nur eine gelungene Ausnahme: Hölderlin. Dessen asklepiadeische und alkäische Oden wirken trotz des metrischen Regulativs lebendig.. Ich denke, dass er das geschafft hat, begründet zum großen Teil seinen Ruf als überragender Dichter. Oden in Freien Rhythmen zu verfassen, hat den Vorteil, dass sie durch die ungezwungenere Wortwahl weniger feierlich steif wirken.
Liebe Grüße
Ekki
Jo-W. (83)
(11.07.19)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.07.19:
Danke, Jo, die Mythologie der Griechen hat es auch mir angetan.. Ich habe sie als junger Mensch für überlebt gehalten. Heute weiß ich aber, dass sie in Bildern einen unermesslichen Schatz an psychologischen Erfahrungen bietet.
LG
Ekki

 Momo (11.07.19)
Hallo Ekki,

„Du stellst Dichtern die geschauten Bilder
wieder vor Augen und befähigst sie kraft der Erinnerung
in Worte zu kleiden, ..“

... nicht nur zu kleiden, auch zu beleben. Ich erinnere an die Metapher der leeren Worte.

Ohne Erinnerung fehlte uns ein Teil von uns, ein Teil des Lebens. Um ein Bewusstsein auszubilden, ist das Erinnern unumgänglich.

Dank Wiki weiß ich jetzt, dass Mnemosyne auch ein Fluss in der Unterwelt ist, dessen Wasser die Erinnerung herbeiführt. ;)
Das ist ein schönes Bild, finde ich, ein Fluss mit einer Quelle (Leben) und Mündung (Bewusstsein).

Liebe Grüße
Momo

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.07.19:
Vielen Dank, Momo. Ich kann deinen Kommentar nur unterschreiben. Ich hoffe, dass ich die lebensspendende Kraft der Erinnerung deutlich genug gemacht habe:
"Wir können dich nicht genug preisen,
denn du erhältst unser Leben.
Ohne dich müssten wir alles Gelernte
immer wieder von neuem lernen
und lebten absurd wie Sisyphus."
Liebe Grüße
Ekki

 AZU20 (11.07.19)
Nun bist Du sogar schon bei den Titanen zu Gast. Sie freuen sich wie ich bestimmt über Deine gelungenen Worte. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.07.19:
Danke, Armin, ich möchte sie nicht belästigen und hoffe, dass sie mir ein paar gelungene Worte gönnen.
LG
Ekki

 GastIltis (11.07.19)
Ein Gedicht kann wie eine Schneeflocke sein oder wie eine Lawine. Ich glaube, Ekki, dass du weißt, was ich meine. Herzlich Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.07.19:
Vielen Dank, mein Freund. Ja, ich weiß, was du meinst. Ich wünschte mir Gedichte, die mitreißen wie eine Lawine und sanft sind wie eine Schneeflocke. Aber ich weiß auch, dass die Sonne der Kritik meine törichten Wünsche schmilzt.
Herzliche Grüße
Ekki
Kreuzberch† (66)
(11.07.19)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.07.19:
Ja, Stefan, wir möchten den Instinkt zwar nicht entbehren, aber es bedarf doch der Erhellung der Erinnerung. Grazie especiale
Herzliche Grüße
Ekki

 Willibald (11.07.19)
Ekkeharts Ode schwingt sich in einen Echoraum. Dort klingt das berühmte, ironisch-romantisch-zynische Liebesgedicht, eine Art romantisches Volksliedspiel "Erinnerung an die Marie A.". Aufgenommen in der Hauspostille: "An jenem Tag im blauen Mond September/ Still unter einem jungen Pflaumenbaum/ Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe/ In meinem Arm wie einen holden Traum."

Eine brechtische Stilübung, um es ein wenig böse zu sagen, im postmodernen Umgang mit tradierten Formen und unter satter Präsentation von Virtuosität und Brechung.

Ekkehart wählt - fern jeder ironischen Brechung - den Musenanruf, genauer den Anruf der Mutter aller Musen.
Und das verlangt nach mehr:

 Essay zu Ekkeharts Ode

Vale
ww

Kommentar geändert am 11.07.2019 um 13:19 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.07.19:
Grazie, Willibald, du verhilfst meiner kleinen Ode zu einer nicht angestrebten Bedeutung. Ich bewundere dich dafür, dass du in so kurzer Zeit einen so brillanten Essay schreiben konntest.
Herzliche Grüße
Ekki

 TassoTuwas (11.07.19)
Hallo Ekki,
ich glaube es ist gut, dass es dem Menschen nicht gegeben ist zu entscheiden, an was er sich erinnern möchte und an was nicht!
Vergessen ist möglich, verdrängen nicht.
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.07.19:
Merci, das stimmt mein Freund, wer hat es noch nicht erlebt, dass ihn Erinnerung unvermutet erfasst hat. Man kann ihr zwar nachhelfen, aber gänzlich steuern lässt sie sich nicht.
Herzliche Grüße
Ekki
Fisch (55)
(11.07.19)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.07.19:
Merci, lieber Fisch,wir mögen uns noch so sehr um Objektivität bemühen, in unsere ästhetischen Urteile spielt immer persönlicher Geschmack hinein.
Ich finde es erfreulich, dass dich meine Ode trotz deiner Aversion gegenüber diesem Genre anregen konnte, über das Erinnern zu reflektieren.
Servus
Ekki

 FrankReich (11.07.19)
Hallo Ekki,

für mich sind Oden im Allgemeinen nur klassisches Rumgefummel, diese hier spricht mich allerdings auf thematischer Ebene an, da die m. E. nach der Erinnerung hilfreiche Mnemonik heutzutage in Vergessenheit (:D) zu geraten droht, über ihre Namenspatronin nun jedoch eine Würdigung erfährt.

Ciao, Ralf

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.07.19:
Hallo Ralf,
ich bin genügsam und freue mich, dass dich meine Ode auf thematischer Ebene anspricht.
Servus
Ekki
wa Bash (47)
(11.07.19)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.07.19:
Hallo wa Bash,
dem stimme ich gerne zu. Merci.
Servus
Ekki

 harzgebirgler (29.03.21)
ja, gedächtnis hat seit je zwei seiten
die uns menschen lebenslang begleiten.

lg
henning
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