Der Staat als Wegbereiter des Antichristen

Erörterung zum Thema Gott

von  Shagreen

Ma_r_x Revolutions, Teil 2

Marxens Rezension "Zur Judenfrage" und Antwort auf Bruno Bauer beginnt mit den Worten über die damalige Situation der Juden in Deutschland:
"Die deutschen Juden begehren die Emanzipation. Welche Emanzipation begehren sie? Die staatsbürgerliche, die politische Emanzipation."
Ohne auf die folgende Argumentation über den Gegensatz von christlichem Staat und jüdischer Religion einzugehen, zeigt sich die Geisteshaltung der religiösen Juden. In der Exilszeit in Babylon, unter der Regentschaft von Rom haben die Juden ihr göttliches Erbe und Auserwähltsein bewahrt. Nun scheinen sie bereit, auf dem Altar von Teilhabe und Mitsprache diesen Status aufgeben zu wollen. Erst der Nationalsozialismus sollte diesen Bestrebungen ein jähes Ende machen, nachdem sich die jüdischen Soldaten noch im 1. Weltkrieg genauso das Eiserne Kreuz verdient hatten wie ihre Landsleute. Doch Gott bewahrte die Juden davor, ihre Identität zu verlieren und nutzte dafür, wie in der ganzen Heiligen Schrift aufgezeichnet, die Heidenvölker, um sein Volk zu züchtigen. Der neu erwachte Glaube an die Rückkehr ins Gelobte Land, das partielle Ende der Diaspora, kostete Millionen Juden das Leben, was natürlich keinen Freispruch für ihre Mörder bedeutet.

Marx kommt zu der Schlussfolgerung:
"Wir müssen uns [Deutsche/Christen] selbst emanzipieren, ehe wir andere [Juden] emanzipieren können."
Die Auflösung des Gegensatzes sieht Marx in der Aufhebung der Religion, was bleibt sei die Wissenschaft und die verbindet beide Seiten. Der politischen Emanzipation der Juden und Christen setzt er die menschliche Emanzipation von der Religion, ja letztendlich vom Staat, gegenüber, denn
"[d]ie Religion ist eben die Anerkennung des Menschen auf einem Umweg. Durch einen Mittler. Der Staat ist der Mittler zwischen dem Menschen und der Freiheit des Menschen. Wie Christus der Mittler ist, dem der Mensch seine ganze Göttlichkeit, seine ganze religiöse Befangenheit aufbürdet, so ist der Staat der Mittler, in den er seine ganze Ungöttlichkeit, seine ganze menschliche Unbefangenheit verlegt...Der politische Staat verhält sich ebenso spiritualistisch zur bürgerlichen Gesellschaft wie der Himmel zur Erde."
Der Schriftgelehrte Marx hat sicher die formelhafte Ausübung der Traditionen, die Rituale seiner Vorväter abgelehnt, da sie ihm wohl keinen Sinn vermitteln konnten (sein Vater selbst konvertierte zum Protestantismus wegen Berufsverbot), aber er erkannte in seiner Auseinandersetzung mit der Religion nicht Jesus Christus, den Religionskritiker par excellence. (Eine Beschneidung im Fleisch kann die Beschneidung im Herzen eben nicht ersetzen.) Das Christentum beruft sich noch heute auf den Sohn Gottes als Stifter ihrer Religion, und wundert sich, warum es seine Kinder an die Welt verliert. So wird es weiterhin Kompromisse machen, um den Massen ein seichtes Evangelium darzubieten, das seine Schäfchen wieder einfangen will, das aber nicht nährt und vor allen Dingen, das nicht rettet.

Bruno Bauer schreibt in seiner Schrift:
"Die Politik, wenn sie nichts als Religion sein soll, darf nicht Politik sein, sowenig, wie das Reinigen der Kochtöpfe, wenn es als Religionsangelegenheit gelten soll, als eine Wirtschaftssache betrachtet werden darf."
Die Waschungen von Krügen und Bechern und damit das Halten der Überlieferung der Alten hat Jesus den angeblich Gesetzeskundigen längst vorgeworfen (Markus 7). Diese Praxis, diese Religionsausübung, soll nicht Sache des Staates sein, nicht Sache der Wirtschaft, sie gehört komplett über Bord geworfen.

Marx weiter:
"Die Trennung des »Geistes des Evangeliums« von den »Buchstaben des Evangeliums« ist ein irreligiöser Akt. Der Staat, der das Evangelium in den Buchstaben der Politik sprechen läßt, in andern Buchstaben als den Buchstaben des heiligen Geistes, begeht ein Sakrilegium, wenn nicht vor menschlichen Augen, so doch vor seinen eigenen religiösen Augen. Dem Staat, der das Christentum als seine höchste Norm, der die Bibel als seine Charte bekennt, muß man die Worte der heiligen Schrift entgegenstellen, denn die Schrift ist heilig bis auf das Wort. Dieser Staat sowohl als das Menschenkehricht, worauf er basiert, gerät in einen schmerzlichen, vom Standpunkte des religiösen Bewußtseins aus unüberwindlichen Widerspruch, wenn man ihn auf diejenigen Aussprüche des Evangeliums verweist, die er »nicht nur nicht befolgt, sondern auch nicht einmal befolgen kann, wenn er sich nicht als Staat vollständig auflösen will«. Und warum will er sich nicht vollständig auflösen? Er selbst kann darauf weder sich noch andern antworten."
Der Sanhedrin, der Jesus ablehnte und hinrichten ließ, hat seine römische Ausprägung im (christlichen) Staat gefunden. Die Pharisäer und Schriftgelehrten konnten auf die Lehre von Jesus am helllichten Tage nicht antworten und schließlich verstummte er vor ihnen bei Nacht. Wollen wir Jesus als König und Erlöser anerkennen, brauchen wir nicht erst den Staat abzuschaffen versuchen. Sollen doch diesen Punkt die Marxisten, Anarchisten, Libertären und die vielen anderen Konzeptbastler in ihre Programme schreiben. Es wird nicht gelingen.
Der Antichrist braucht für seine Machtübernahme den Staat auch nicht korrumpieren, er ist sein ureigenstes Produkt. Auch Nietzsche sieht im Staat nur den neuen Götzen, der das Volk verführt. Aber nicht Gott ist tot und es geht auch nicht mehr das Gespenst des Kommunismus um in Europa, sondern der Leichnam der abstrakten Arbeit und seines Regimes flüchtet aus seiner nationalen Verankerung hin zu einer totalitären Weltregierung. Totalitär muss sie sein, weil die immanenten Widersprüche auf dem Boden der kapitalistischen Produktions- und Lebensweise nicht mehr demokratisch verhandelt werden können (es ist schon jetzt nur noch Simulation und Beschäftigungstherapie der politischen Klasse). Das "Menschenkehricht" in den letzten Tagen, wie die Juden damals, wird eher einem Menschenmörder wie Barabbas zujubeln und ihn freilassen, als seinen Erlöser erkennen.

Marx schreibt:
"Das religiöse und theologische Bewußtsein selbst gilt sich in der vollendeten Demokratie um so religiöser, um so theologischer, als es scheinbar ohne politische Bedeutung, ohne irdische Zwecke, Angelegenheit des weltscheuen Gemütes, Ausdruck der Verstandes-Borniertheit, Produkt der Willkür und der Phantasie, als es ein wirklich jenseitiges Leben ist. Das Christentum erreicht hier den praktischen Ausdruck seiner universalreligiösen Bedeutung, indem die verschiedenartigste Weltanschauung in der Form des Christentums sich nebeneinander gruppiert, noch mehr dadurch, daß es an andere nicht einmal die Forderung des Christentums, sondern nur noch der Religion überhaupt, irgendeiner Religion stellt [...]. Das religiöse Bewußtsein schwelgt in dem Reichtum des religiösen Gegensatzes und der religiösen Mannigfaltigkeit."
Und genau das wird auch die religiöse Ausrichtung dieses Eine-Welt-Ladens sein. Soll doch jeder seinen eigenen Gott mit in die Kirche - also, religionsgegendert, in den Sakralbau oder das Gotteshaus - bringen, im Pantheon ist genug Platz für alle. Und wehe, es setzt jemand den eigenen Götzen über den eines anderen.

Auf das schizophrene Verhältnis von Staatsbürger ("citoyen") und Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft ("bourgeois") gehe ich nicht weiter ein.

Fortsetzung folgt.

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