Apfelkern und Kolibri

Kurzgeschichte zum Thema Schicksal

von  LotharAtzert

Als ich das erste mal vorbei ging, fiel mir sofort der etwas sonderbare Name an der Eingangstür auf. Das Gebäude selbst kannte ich von früher - ein schmuckes kleines, vom Eindruck her stets frisch renoviertes Fachwerkhäuschen am Ende der Einbahnstraße, dessen Mieter ständig wechselten. Mal zog ein Wollgeschäft ein, das sich nicht halten konnte, dann eine edle Damenbekleidungsboutique, dann wieder was anderes.
Und jetzt plötzlich standen im winzigen Hof neben dran ein paar Tische und Stühle, die in ihrer Improvisiertheit -die Sitze zum Teil auf Europaletten- einen eigenartig einladenden Charme versprühten, der auch endlich wieder zum fast grimmschen Knusperhaus der Kindertage zu passen schien. "Apfelkern und Kolibri". ein Cafe' der etwas freakigen Art - daß ich das noch erleben darf ...
Da ich an diesem Tag keine Zeit hatte, beschloß ich, zu einem späteren Zeitpunkt das Ambiente genauer in Augenschein zu nehmen. Aber wie es manchmal auch kommt, vergaß ich es wieder, so daß über ein viertel Jahr verging.

Dann rief Jutta an und lud mich zum Essen ein, ich solle das Restaurant auswählen. Einmal im Jahr macht sie das mit mir, dem rappeldürren Asketen. Etwa hundertfünfzig Meter von meiner Wohnung entfernt gibt es das "Pearl of India". Nicht nur wegen der Bequemlichkeit wählte ich es gern, es gibt da auch die bekannte indische Küche mit herzhaftem Dal, Chapatis usw., da ist immer einiges für den Vegetarier dabei. Auch ein Gespräch mit dem Chef über Shivas Sohn Ganehsa ist drin, doch es liegt an der Hauptstraße und das Thermometer schickte sich an, die 40° Plusmarke zu knacken.
Da endlich fiel es mir wieder ein, das kleine Cafe' mit dem poetischen Namen, und so machten wir uns am gestrigen Tag trotz der Hitze dorthin auf den Weg.

Was damals beim ersten flüchtigen Blick verborgen blieb, war, daß der Mini-Hof am Ende einen Knick nach links machte und hinter der Nachbarhausecke sich als viel größer erwies, als von der Straße aus gesehen, mit einer Linde nebst Lichterketten in den unteren Zweigen, die in den Abendstunden sicher als romantische Beleuchtung ansprang, plus Kinderspielecke und mancher kolibrischen Dekoration. Baldachine sicherten vor zu viel Hitze.
Die Speisekarte wies Apfelkern und Kolibri als veganes Cafe mit moderaten Preisen aus. Ich war augenblicklich im Wohlfühlmodus, daran änderte der wackelnde Stuhl an Tisch 10 nicht das geringste. Auch Jutta, die ihre Sonne im Stier hat, staunte über die Säfte und mannigfachen Spezereien, die ich jetzt nicht im Einzelnen aufzählen möchte. Sie bestellte darauf dieses und ich jenes.
Ein Getränk verstand der Junge nicht, der die Bestellung entgegen nahm. Ungefähr - naja in Deutschland darf man das Alter nicht nennen, ohne daß andere Scherereien kriegen - also der Herr Kellner verstand das ausgesprochene Wort nicht, wir erklärten es ihm und er notierte auf einem Schreibblock und sagte dabei laut: "Dar-jeeeeee-ling Tee".

Mmh, das Essen war wirklich ein Gaumenschmaus, unbeschreiblich lecker, "gehaltvoll" - perfekt zubereitet. ...
Nach einer angemessenen Zeitspanne in freudvoller Atmosphäre mit weiteren kalten Getränken und Dharmagesprächen ließen wir uns die Rechnung bringen. Jutta bezahlte und alles schien soweit zum Aufbruch erledigt zu sein, da sagte sie plötzlich: "Ich glaube, der Junge hat zu wenig berechnet."
Dafür begannen wir jetzt zu rechnen, was die Bewirtung real gekostet haben könne und kamen überein, daß Jutta zu wenig bezahlte. Der junge Mann, so dachte sie weiter, würde möglicherweise Ärger bekommen, vielleicht sogar in weiterer Folge das ganze Cafe deswegen ruinieren etc. etc. Wie gut zu wissen, dachte ich da, daß sie eine Steinbock-Anlage hat, da denkt sie prinzipiell und von der Stier-Sonne her betrifft es die Herdenfütterung. Ich dagegen, mit dem Fische-AC ausgestattet, sprach: "Ja, ist blöd, aber durch das Trinkgeld ist es so gut wie ausgeglichen. Mach dich nicht verrückt, so ist das Leben. Kommt der Sturm, legt sich der Grashalm flach und nach dem Stum richtet er sich wieder auf. Oder anders gesagt: Karma. Beim nächsten mal zahlen wir dann wieder drauf."
Ihr aber ließ das keine Ruhe. Sie ging dem Falschnotierer hinterher, zog ihn in eine Ecke und die beiden klabüsterten die genauen Preise raus, um eine neue, stimmigere Rechung zu erstellen. Jutta zahlte dann den Differenzbetrag nach. Daß in der Zwischenzeit andere der etwa 20 hungrigen Gäste vielleicht auf ihre Menüs warten mussten, sowie einer, nach Wasser hechelnd, kollabierte, während die kurz bemessene Mittagspause ihrem Ende zueilte ... aber das ist ein anderes Thema.

Heute, ein Tag später, wo ich mit Abstand darüber nachdenke, bin ich mir unsicher, ob Jutta nicht rein und ich unrein gehandelt bzw. gedacht haben. Das Versetzen eines einzigen Steines konnte einen Flußlauf verändern. Zwar handelte jeder gemäß seiner Anlage, aber einen erkannten Fehler einfach durchzuwinken schafft unabhängig, ob zum eigenen oder fremden Vor- oder Nachteil, in der Summe auch ein entsprechendes Karma. Bekanntlich bleibt nichts ohne Folgen.

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (25.07.19)
Wo issen die Location? Hört sich gut an. :) - Und da du ja, wohntechnisch, in meiner Nähe herumlungerst, könnte ich auch mal hingehen.
Aber wahrscheinlich werde ich wieder die Atzel haben oder den falschen Fisch im Löwenhals ...

Trotzdem: Interessierte Grüße
der8.

 LotharAtzert meinte dazu am 25.07.19:
… oder die Geschmackspapillen sind nicht gen Mecka gerichtet…

Café Apfelkern & Kolibri

Frankfurter Straße 6

61118 Bad Vilbel

+49(0) 6101 / 5959299

+49(0) 152 / 21908635

Email : info@apfelkern-und-kolibri.de

Jetzt weiß die Welt bis auf einen Durchmesser von 300 Meter genau, wo ich wohne.
Aber bedenke, Welt, wenn du auf einmal kommst, fallen wir durch die Erde.
Ahoi.
Fisch (55) antwortete darauf am 25.07.19:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 LotharAtzert schrieb daraufhin am 25.07.19:
ASoziationen wird unser Einer nicht unter Schätzen, Aber die Sick ist im Kühlschrank und sie ist sauer.
Daß uns türkische Sprichwörter spanisch vorkommen, liegt am Pariser an sich.
Ihr ergebener Kosmopolitos Acropoli
Hab ich was gesagt?
(Nein, der Herr hat nur sein Bäuerchen gemacht)

 AchterZwerg äußerte darauf am 26.07.19:


Und danke.
Falls es jemals kühler werden sollte, werde ich unter den Apfelkern pickenden Kolibris aufschlagen.

:)

 EkkehartMittelberg (25.07.19)
Mir hätte das auch keine Ruhe gelassen. Du hast es spannend erzählt.
Servus
Ekki

 LotharAtzert ergänzte dazu am 26.07.19:
Vielen Dank. Das verstehe ich.
Moral ist (besonders für den schöpferischen Menschen) jedoch nicht alles. Nur mit ihr wäre die Geschichte nicht spannend geworden. Die Intention ist unter anderem, den einen oder anderen durch Begeisterung meinerseits in das Lokal zu locken, wodurch der Verlust von ca. 2 Euro mehr, als nur ausgeglichen worden wäre. Ohne die Beteiligten wäre das aber nicht möglich geworden. Eine gute Werbung ist es dann, wenn der Schreiber sein "Handwerk" optimal einsetzt.
Servus (bist du nach Bayern umgezogen?)
Lothi

Antwort geändert am 26.07.2019 um 08:54 Uhr

 Momo (25.07.19)
Grad solche Cafés, die ein bisschen anders sind, sind doch auf ihr Geld angewiesen, gerade in der ersten Zeit. Von daher war es schon in Ordnung, der Sache auf den Grund zu gehen und eine korrekte Rechnung zu bezahlen.

Und vielleicht hatte es ja auch zur Folge, dass besagter Junge in Zukunft ein bisschen gewissenhafter seine Rechnungen ausstellt, was Apfelkern und Kolibri zum Überleben verhülfe, dir und anderen zur Freude.
Ein Lindenbaum im Hof! - wenn er blüht, duftet er so schön.

Gut geschrieben und gerne gelesen, bis auf das fehlende e in der ersten Zeile fast perfekt. :)

Liebe Grüße, Momo

 LotharAtzert meinte dazu am 26.07.19:
Was ich inzwischen im Internet erfahren habe, ist, daß Apfelkern und Kolibri bereits im Fernsehen waren. Das war, als sie noch in Bad Homburg weilten und die Pacht nicht verlängert wurde und sie lange nach einem adäquaten Ort suchten, den sie jetzt in meiner Heimatstadt fanden. Die (ein junges Paar) machen auch Yoga, Meditation und bieten Kochkurse an.
Hab es oben bei Ekki schon gesagt: ich komme ursprünglich aus der Werbebranche und eine gute Werbung (oder gelungene Erzählung etc.) kann eine Goldgrube sein, die schon beim ersten neuen Gast die verlorenen zwei Euro in die Kasse zurückbringt, wohingegen das Abziehen einer Bedienung während der Rushhour für Stau und damit Stress sorgt. Jeder will ja sofort bedient werden. (Auch den Job machte ich früher schon einmal

Das e in der ersten Zeile war in Urlaub, ist aber inzwischen wieder heimgekehrt. Danke Dir.
Liebe Grüße
L.
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