Traum? Kapitel 4

Kurzgeschichte zum Thema Meer

von  Manzanita

Ich sitze auf einem Holzboot. Das Holzboot ist rot angestrichen, die Farbe scheint aber sehr alt zu sein und ist deshalb schon ein bisschen verblichen. An den Seiten des Bootes befindet sich eine Art Bank, auf der ich sitze. Das Boot schwimmt mitten im Meer. Wenn ich nach links und rechts schaue, sehe ich nichts außer blaues Wasser. Es gibt fast gar keinen Wind. Nur eine leichte Brise zieht über mich hinweg. Es ist aber genug, um langsam über das Meer zu gleiten, um in kurzer Zeit weite Strecken zurückzulegen, und irgendwo auf der anderen Seite der Welt ankommen. Dort warten alle schon. Das ganze Dorf, nein, die ganze Stadt versammelt sich am Steg und jubelt bei der Ankunft dieses kleinen roten Bootes. An den Häusern hängen Poster, mit Bildern von meinem kleinen Boot im Meer, darübersteht „Willkommen“. Durch das Publikum, was mich schon erwartet, drängen sich eine Frau, ein Mann und ein ungefähr 18-jähriger Jugendlicher. Alle drei winken aufgeregt mit ihren Händen und empfangen mich am Steg. Sie nehmen mich mit zu ihnen nach Hause und zeigen mir mein neues Zimmer. Dann essen wir gemeinsam an einem großen Tisch in einem großen und luxuriösen Restaurant zu Abend. Nach einem Drei-Gänge-Menü, was mir den Magen füllt, schlendern wir nach Hause. Auf dem Weg zeigt mir die Familie noch das Rathaus und viele andere Sehenswürdigkeiten der Stadt. Dann kommen wir bei ihnen zuhause an und gehen in unsere Zimmer. Der Jugendliche zeigt mir meinen neuen Kleiderschrank. Darin finde ich unter anderem auch einen Schlafanzug, den ich natürlich sofort anziehe. Nach dem ich mit dem Jungen, der sich als Peter vorgestellt hat, die Zähne putzte, müssen wir dann auch ins Bett. Ich schlafe schon fast, da fragt er mich: „Bist du noch wach?“

„Ja, noch bin ich wach“, antworte ich ihm.

„Woher kommst du eigentlich?“, fragt er, „und, warum sind deine Kleider so zerfetzt?“

Keine Ahnung.

Ich weiß nicht, woher ich komme. Ich bin einfach da, mehr Geschichte gibt es nicht. Ich komme vom Meer, vom Wasser, von der Einsamkeit da draußen. Das sage ich ihm.

Aber er sagt nur: „Wer‘s glaubt.“

Was meint er damit? Was ist mit dem, der‘s glaubt? Glaubt er mir etwa nicht? Jeder würde es doch glauben, oder? Ich meine, es stimmt ja. Es ist real.

Oder?

Glaube ich selbst es wirklich auch? Ist es wirklich wahr, dass ich hier in einer völlig fremden Familie schlafe und noch nicht mal weiß, in welcher Stadt ich mit einem für mich völlig unbekannten Boot angelegt habe, wo ich doch nicht mal weiß, wo ich losgefahren bin?

Nein.

Ich stelle es mir nur vor. Ich sitze immer noch auf diesem rotem Holzboot und weiß einfach nicht, was ich tun soll. Der Rest ist nur ein Traum.

Nur ein Traum. Nichts weiter!

Oder?

Ist nicht vielleicht auch das nur ein Traum? Schließlich habe ich keine Ahnung, wie ich jemals auf dieses Boot gekommen bin und wo ich überhaupt bin.

Wahrscheinlich schlafe ich nur.

Aber es ist real! Alles um mich herum ist es. Ich spüre es.

Es muss einfach stimmen!

Nein. Es muss nicht stimmen. Es kann genauso gut sein, dass ich mir das alles nur vorstelle und das ich einfach nur zuhause im Bett liege und nicht richtig schlafen kann, weil ich einen Albtraum habe.

Albtraum. Das ist es! Ich hatte einen Albtraum. Zum Glück ist er vorbei.

Das Boot ist weg! Alles ist wieder normal. Ich sitze in der Kajüte, in der ich die meiste Zeit auf unserer Reise zurück nach Deutschland verbringe. Ich schaue auf meine Uhr. Es ist 0:00 Uhr.

Mitternacht.

Mein Bett quietscht. Ein Stuhl kippt geräuschvoll um und rutscht zur anderen Seite der Kajüte.

Das Schiff liegt schief.

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