Ja, sage ich und schließe die Tür

Text

von  kalira

Seit Tagen halte ich aus. Oder Wochen? Jahre? Ich halte Ausschau nach den alten Kleidern meiner Mutter, ich halte die Hand meiner ungeborenen Schwester, ich halte das Kind aus dem Nachbarhaus aus, ich halte die Haustür im Rahmen einen Spalt offen, dass mein gehirnzersetzter Vater den Weg zurück und an den Tisch findet. Der Geruch gebratenen Fleisches hilft manchmal.
Mutter war den Menschen, die kamen und gingen, als Drogen-Petra vertraut. Es gibt keinen Knochen, sagte sie, den sie sich nicht gebrochen habe. Meine Mutter war keine schöne Frau und vielleicht deswegen hat Vaters Gehirn mit der Zersetzung angefangen. Weil die Drogen-Petra nicht schön, weil jeder Knochen in ihr gebrochen war und weil sie jetzt nicht mehr da ist.
Eines Tages, ich hielt Türen und Tore offen, sagte Mutter, sie gehe und komme nicht wieder. Ich hielt den Mund, ich hielt meine Brust, die von innen her schmerzte, ich hielt die Enge meiner Lunge aus. Nur kurz legte ich mich auf den Boden, die Beine in die Höhe zu recken, wieder zur Kraft und zu Atem zu kommen, mich nicht übergeben zu müssen. So lag ich auf dem Boden zwischen den Türen, lag in der kalten, schweißigen Haut einer Frau, die ich unmöglich sein wollte. Mutter stieg über mich hinweg, Vater schaute durch das von Fassadengrau müde gewordene Fenster. Die Küche blieb kalt.
Vater wird von der Polizei zur Wohnungstür gebracht. Sie klopfen, auch wenn die Tür immer einen spaltbreit offen steht. Vater, der in Unterhose durch die dunkle Stadt streunt, Vater, der die Klingelbretter der Nachbarhäuser drückt. Manchmal sehe ich, wie nachts die Fenster in den Häusern plötzlich aus der Dunkelheit hochschrecken. Ich sehe das und weiß, sie erschrecken vor meinem Vater. Vater, der mich nachts an den Haaren reißt und seine Drogen-Petra sucht. Vater, der gern einfach mal zuschlagen würde.
Die Haut, in der ich unmöglich habe groß werden können, ist grau. Ich habe aufgehört in spiegelnde Flächen zu schauen. Ich halte diese Haut aus, wie man zerschlissene Kleidung aushält. Auch weil sie bequem geworden ist, trotz der Risse und Löcher. Ist nicht schlimm, wenn da noch etwas drauf kommt. Macht nichts.
Nachts schlafen die Menschen doch, sagt einer der Polizisten und schiebt meinen unterhosenbekleideten Vater durch die Tür hinüber zu mir. Ich nicke und denke an Mutter, die der Geruch gebratenen Fleisches nicht mehr zurückgeholt hat. Der dunkle Flur drückt mir in den Rücken, Vater schreit und würde gern zuschlagen. Egal wohin oder wen. Ich fühle mich genau wie mein Vater sich verhält. Der Polizist wünscht mir alles Gute. Ja, sage ich, und schließe die Tür.

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (13.09.19)
Ein düster anmutender Leckerbissen - kunstvoll gefertigt.
Mir gefällt besonders das Spiel um "halten", "gehalten werden" und "aushalten".

Beifällige Grüße
der8.

 Dieter_Rotmund (13.09.19)
Mutter war den Menschen, die kamen und gingen als Drogen-Petra vertraut. -> Mutter war den Menschen, die kamen und gingen, als Drogen-Petra vertraut.

 kalira meinte dazu am 13.09.19:
danke für den hinweis!
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