Alte Fotos

Kurzprosa zum Thema Beziehung

von  BeBa

Ich gehe in die Küche. Setze mich an den Tisch. Darauf liegen alte Fotos, die sie am Nachmittag aus einem Schuhkarton herausgekramt hat, bevor sie gegangen ist.

Auf einem wir beide, in die Kamera lächelnd bei unserem ersten Nordseeurlaub. Dann Paris, wieder wir beide, in einem Doppeldeckerbus auf Touristikfahrt. Wir hatten da gerade den Arc de Triomphe umkurvt. Ich kenne Paris, habe ich damals gemeint. Aber sie hat wie ein Kind gebettelt: Sie wolle wenigstens einen Tag lang ein ganz normaler Tourist in Paris sein.

Das Grab ihres Vaters. Mindestens fünf Fotos. Ich hatte immer das Gefühl, ein Vaterersatz für sie sein zu müssen. In dieser Rolle habe ich komplett versagt. Kein Bild von der Mutter, die noch irgendwo bei Ingolstadt lebt. Seit der Beerdigung des Vaters hatten sie keinen Kontakt mehr. Sie hat ihre Mutter für den Tod des Vaters verantwortlich gemacht, ist weiteren Fragen aber stets ausgewichen.

Verdammt, so viele Fotos hat sie hier ausgelegt. Und dann ist sie verschwunden. Wohin, habe ich gefragt. Keine Antwort.

Das Telefon klingelt. Ich zögere, gehe aber doch dran. Zu spät, schon aufgelegt. Das war sie! Sage ich und glaube es selbst nicht. Nein, sie wird nicht mehr anrufen. Nicht heute, auch morgen nicht. Sie ist fort, vermutlich schon aus der Stadt, vielleicht sogar aus dem Land. Wohin ist sie?

Will ich das wissen? Ich stehe auf, hole mir ein Bier aus dem Kühlschrank und schaue auf die Uhr. Der Abend ist noch lang. Da klingelt wieder das Telefon. Ich nehme ab, rede mit niemandem, der mir erklärt, was und wohin sie will.

Mir bleibt nur Bier oder Weißwein. Und das letzte Stück der Quiche, die sie gestern Abend gebacken hat.

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Kommentare zu diesem Text


 IngeWrobel (06.10.19)
Wieder so ein Text von Dir, in dem ich leben kann / könnte. Anders – und dennoch irgendwie vertraut.
Es muss an der Stimmung liegen, die sich mir mitteilt und die ich teilen kann. Oft in Deinen Texten...
Liebe Grüße
Inge

 BeBa meinte dazu am 06.10.19:
Danke, liebe Inge. Dein Kommentar freut mich sehr. :)

LG
BeBa

 Dieter Wal (06.10.19)
Zum Erwachsenwerden gehört eine Phase, in der der oder die junge Erwachsene vorübergehend ganz auf eigenen Füßen steht und sich von ihren Eltern in irgend einer Art deutlich distanziert. Nähe und Distanz. Kommen und Gehen. Suchen und Finden. Individualität und Familie. Ich und Du. Doch sie hinterließ Bild-Botschaften mit großem Interpretationsspielraum. Dieser macht die Skizze reizvoll. Wünsche Viel Glück und Liebe beim beständigen Neubegegnen mit dem eigenen "Kind".

 AchterZwerg antwortete darauf am 06.10.19:
Toller Kommentar! :)

 BeBa schrieb daraufhin am 06.10.19:
Ja, in der Tat ein toller Kommentar und eine mögliche Interpretation.

LG
BeBa

 AchterZwerg (06.10.19)
Mir gefällt Dieters Interpretation ausgesprochen gut. Nach meiner Lesart bildet sie die zweite, tiefere Ebene des Textes.
Es geht um eine Trennung.
Um eine Trennung von einem geliebten Menschen, der im Leben des Erzählers eine wichtige Rolle gespielt hat, er aber, umgekehrt, dem eigenen, "vorgesehenen" Part nicht gerecht werden konnte.
Hier schließt sich der Kreis zu Dieters Auslegung. -
Was bleibt sind die Reste.

Gut und schnörkellos erzählt.

der8.

 BeBa äußerte darauf am 06.10.19:
Danke, lieber 8er. :)

LG
BeBa
Al-Badri_Sigrun (61)
(06.10.19)
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 BeBa ergänzte dazu am 06.10.19:
Danke. Es freut mich, dass der Text bei dir angekommen ist.

LG
BeBa
Jo-W. (83)
(06.10.19)
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 BeBa meinte dazu am 06.10.19:
Danke, Jo. Ein Abendgruß zurück. :)

LG
BeBe

 Dieter_Rotmund (06.10.19)
Nabelschau, die zudem auch noch mit "ich" beginnt! Beba, das kannst Du besser. Und nach Kommas macht man ein Leerzeichen.

 BeBa meinte dazu am 06.10.19:
Jawoll, das Leerzeichen habe ich eingefügt. Die Nabelschau verstehe ich jedoch nicht.

LG
BeBa

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 07.10.19:
Du kennst den Begriff "Nabelschau" nicht???

 BeBa meinte dazu am 07.10.19:
Klar kenne ich den Begriff. :)

Mir ist nur nicht klar, wieso du ihn im Zusammenhang mit diesem Text nennst?

LG
BeBa

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 16.08.22 um 00:21:
Naja, es gibt weitaus schlimmere Nabelschauen und hier und ich werde altersmilde.
Stelzie (55)
(06.10.19)
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 BeBa meinte dazu am 06.10.19:
Danke auch dir, liebe Kerstin. Auch für die schöne Auslegung.

LG
BeBa

 AvaLiam (06.10.19)
hallo BeBa...

nach großen Kommentaren ist mir der Sinn heut nicht mehr...

daher nur ganz kurz.

besonders gefällt mir das letzte Bild mit dem Gefühl auf dem man quasi stehen oder sitzen bleibt, zurückgelassen in eigenen Erfahrungen und Erinnerungen...

sehr schön - Ava

 BeBa meinte dazu am 07.10.19:
Hallo Ava,

auch dir vielen Dank.

LG
BeBa
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