Zurück aufs Land - schwierig da zu landen

Reportage zum Thema Lebenseinstellung

von  eiskimo

Nicolas Roux ist neu in Bonnard. Er kam vor zwei Jahren mit seiner Frau Sandrine aus Paris, um hier, in dieser ruhigen Waldgegend von Burgund, ein zweites Leben anzufangen. Zu laut, zu hektisch, zu unsicher sei es zuletzt in der Hauptstadt gewesen. Und als sie dann für ein paar Tage zu Besuch waren bei Sandrines Tante in der Nähe von Bonnard, da hat es bei beiden „Pling“ gemacht – der Entschluss war getroffen, nun dort, in diesem Landstrich namens Morvan, ihre Zelte aufzuschlagen.
Nicolas hatte in Paris mit einer eigenen Elektro-Werkstatt ein sehr gutes Auskommen gehabt. Zusammen mit Sandrine als Buchhalterin hatten sie auch fleißig Geld beiseite legen können, so dass sie in Bonnard gleich ein komfortables Startkapital parat hatten, genug jedenfalls, um hier ein freistehendes Haus mit Wirtschaftsgebäuden und großem Garten erwerben zu können.
Nicolas wollte noch ein paar Jährchen als Elektriker dranhängen, Sandrine dagegen, die deutlich jüngere, hatte  immer davon geträumt, in einem schönen Anwesen Bed&Breakfast anzubieten. Genau das setzten die beiden dann auch um.
Als ich sie bei meinem letzten Aufenthalt in Bonnard kennenlernte, hatten sie gerade die erste Saison hinter sich. Wir hockten einen ganzen Tag lang zusammen, das frisch zugewanderte Paar und ich, der Serien-Urlauber, der wieder einmal seine französischen Bonnard-Freunde heimgesucht hatte.  Was uns zusammenführte, das war der Flohmarkt, der traditionell an Maria Himmelfahrt in Bonnard stattfindet. Denn da hatten wir unsere Stände nebeneinander, direkt an der Hofeinfahrt zum Hotel Potain.
Nachdem wir uns in den Morgenstunden ein bisschen beschnuppert und die üblichen Flohmarkt-Sprüche ausgetauscht hatten, fanden wir in der Mittagszeit (da kommen in Frankreich keine Kunden, dann essen die alle...) zu höchst interessanten Gesprächsthemen, ja, fanden uns auch durchaus sympathisch.
Als wir eine Portion Fritten, ein paar Merguez-Würstchen und den selbstgemachten Salat teilten,  überraschte mich Nicolas mit dem Bekenntnis, dass er sich in Bonnard noch mit keinem länger unterhalten hätte als mit mir. Wörtlich: „Hier kommst du nicht so einfach ´rein, du gehörst nicht dazu, und das lässt man dich auch spüren!“
Ich als Dauer-Tourist und ständiger Gast bei Einheimischen mochte diese Erfahrung gar nicht bestätigen. Doch dann ergänzte der Elektriker: „Ich bin hier ja auch beruflich aktiv, das heißt, ich bin damit ein Konkurrent, nehme einem der Ihren vielleicht die Arbeit weg ...“  Und Sandrine verstärkte das, weil auch sie mit ihren Fremdenzimmern dem Hotel und anderen Anbietern natürlich die Kundschaft streitig mache - „da gönnt man dir keine Schnitte als Zugewanderter!“
Zwar hätten sie vom ersten Tag an alle Arbeiten von ortsansässigen Handwerkern machen lassen und seien auch für alle ihre Einkäufe im Ort geblieben – Metzger, Bäcker, Apotheker und der Lebensmittelhändler wüssten, was sie an ihnen hätten – aber die kleinen, subtilen Vorbehalte blieben. (die Einheimischen selber fahren zu den auch in Frankreich grassierenden Lidl,Aldi, Netto bzw. ihrem Leclerc!)
Besonders erschwerend sei auch der Umstand, dass sie aus Paris stammten. Die Pariser seien im Morvan nämlich besonders unbeliebt, von jeher.  Nicht nur, dass die Hauptstadt Jahrhunderte lang wertvolle Arbeitskräfte weggelockt habe, auch junge Mädchen und Mütter, die sich als Nanny oder Amme bei reichen Pariser Familien verdingten. Nein, auch hätten im Gegenzug die „parigots“  den Morvan zum billigen Wochenend-Ziel erklärt und sich dort ihre Zweithäuser  und Jagd-Pachten gesichert. „Mit der ganzen Überheblichkeit, die uns Parisern ja eigen ist,“ grinste Nicolas.
Merkwürdig, befand ich. Denn in meiner Eigenschaft als Deutscher, also als Nachfahre jener Soldaten, die zwei Generationen zuvor noch Frankreich besetzt und ausgeplündert hatten – sehr brutal auch im Morvan! -  hätte ich derartige Ressentiments nie zu spüren bekommen.
„Es ist aber auch ein intellektuelles Problem,“ erklärten mir die beiden dann. „Wir sind als Großstädter einfach lockerer und offener in vielen Dingen. Wir haben Lust zu diskutieren, wir wollen uns zu den aktuellen Fragen äußern, Position beziehen, ja, auch ablästern und unsere Witze machen.“ Und damit liefen sie hier auf dem Lande doch vielfach ins Leere.
Nicolas: „Manche Leute hier sind einfach hinterwäldlerisch, denen reicht diese kleine Welt hier. Politik ist für die abgehakt, und die Kultur, die findet im Fernsehen statt.“
Seine Frau sprach daraufhin die Religion an. In Paris sei sie in einer katholischen Gemeinde aktiv gewesen – einem Schmelztiegel aus aller Herren Länder, wie sie es beschrieb. Klein, aber mit Lust auf das Miteinander, mit ehrlicher Willkommenskultur, völlig undogmatisch und „gelebtem Christentum“.  Hier auf dem Lande aber, wo sich doch eine Jahrhunderte alte katholische Tradition konkurrenzlos habe halten können, da sei sie faktisch in einem religiösen Niemandsland aufgeschlagen. „Hier gibt es höchstens alle acht Wochen noch eine Messe, besucht von zwei Dutzend alten Mütterchen;  der angereiste Pfarrer ist ein Vietnamese, den kaum einer versteht, und von den christlichen Werten, da ist nur noch ein bisschen Folklore übrig, an Weihnachten oder Ostern.“
Nicolas, der wohl mit Kirche weniger im Sinne hat, relativierte diese Beobachtung, „denn wir leben doch alle inzwischen viel isolierter. Jeder hat alles, keiner braucht mehr den anderen – zumindest  materiell!“ Und in einem Dorf werde – anders als in der anonymen Großstadt – dieser Wandel besonders augenfällig.
Ob sie ihren Umzug  aufs Land denn nun bereuten, wollte ich wissen.
Beide verneinten spontan. Für sie habe sich nämlich eine Art Parallel-Gesellschaft aufgetan. Sandrine fände mit ihren Bed&Breakfast-Kunden reichlich Kontakt – das seien oft Reisende, die neugierig sind, die tatsächlich die Begegnung suchten und sie als Gastgeberin von vorn herein schätzten – auch, weil sie die leckeren landestypischen Produkte bereit hielt, eigenes Gemüse aus dem Garten, Marmelade, Schinken.
Und Nicolas ziele inzwischen auf, wie er sagte, modernere Kunden: „Wohlhabende Leute, die ihren Landsitz im Morvan über ihr Smartphone im Auge behalten wollen, die Heizung oder Rollläden von unterwegs aus bedienen möchten. Dabei sind auch zugewanderte Holländer oder Engländer, für die ich das Satelliten-Fernsehen einrichte oder auch Internet, das gerade hier jetzt so wichtig geworden ist....“
Kaum hatte Nicolas diesen Gedanken zu Ende gebracht, da hielten vor seiner Flohmarkt-Auslage tatsächlich zwei mittelalte Herren, offenbar alte Kunden, für die er als „moderner“ Elektriker einmal gearbeitet hatte. Und als ob er mir den Schlüssel zu dieser Parallel-Gesellschaft noch einmal eigens vorführen wollte, parlierte er mit diesen beiden in ganz passablem Englisch. Und auch Sandrine war  wie selbstverständlich in der Lage, sich da in der Fremdsprache mit einzuschalten.
Für mich wurde in diesem Moment klar, welche Haupt-Hürde da zwischen meinen neuen Bekannten und den Alteingesessenen des Dorfes lag: Die Sprache, genauer ausgedrückt, die Fähigkeit, sich Fremden zu öffnen. Und dazu gehört als erstes, denke ich, die Einsicht, überhaupt den Wert und die Notwendigkeit dieses Sich Öffnens zu erkennen. Hast du die nicht, bleibst du immer Dorf.
PS: Als ich im Kreise meiner Gastfamilie später dann von dieser Begegnung mit den beiden „Ausgegrenzten“  erzählte, wussten alle am Tisch sofort, wen ich da meinte. Die Mutter meines  Freundes aus Schüler-Austausch-Zeiten spontan: „Ach, das ist dieses reiche Ehepaar aus Paris – das sind sicher Ecologistes (Grüne)! Die Frau sieht man immer nur dem Fahrrad, wenn sie ihre Einkäufe macht!“


Anmerkung von eiskimo:

Aus meinen Erzählungen übers "Leben in Burgund"

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Cora (29)
(17.10.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 eiskimo meinte dazu am 17.10.19:
Danke für die intensive Auseiandersetzung mit meinem Text un d dass Du ihn gerne gelesen hast.
"Immer Dorf" verstehe ich hier als desinteressiert, passiv, rückwärtsgewandt, fremdenfeindlich...
Dass "Dorfleben" sich durchaus auch in positive Formen entwickeln kann und sehr menschenfreundlich ist, möchte ich damit nicht in Abrede stellen.
Und dass reiche Leute sich im Dorf sozusagen einkaufen und das soziale Leben unterminieren, das gibt es auch.
Ein spannendes Feld!
LG
Eiskimo
Cora (29) antwortete darauf am 17.10.19:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram