Schon irgendwie zum Nachdenken anregendes Kammerspiel um mich, mein Leben und etwas räumliche Distanz zwischen beidem

Dokumentarstück zum Thema Beziehung

von  Oreste

Seit einigen Wochen nun lebt mein Leben in der Wohnung über mir. Fragte man mich, wie es dazu kam, müsste ich aufrichtig mit den Schultern zucken und mir keiner Schuld bewusst sein. Es meinte, dieser Schritt sei wohl notwendig und genau genommen längst überfällig, um mal etwas Abstand voneinander zu gewinnen. Es sei gewiss so, dass wir beide davon profitierten. Mir war’s dann irgendwie schon wieder egal und eigentlich sogar ganz recht, ging mir mein Leben zuletzt ohnehin bloß auf die Nerven. Ständig am Jammern. Einzig am Fordern. Immer nur: Ichichich! Ich meine, das schickt doch die stärkste Beziehung auf die Bretter.

Gut. Mittlerweile muss ich eingestehen, dass mir – so ganz auf mich selbst zurückgeworfen – doch recht langweilig ist. Offenbar habe ich das Ausmaß der Misere unterschätzt. Ich weiß einfach nichts mehr mit mir anzufangen. Ich niese in die Hände statt ins Tempo, bügle meine Socken nicht mehr, putze mir nach dem Niesen in die Hände weder mehr die Nase noch wasche ich mir den Rotz von den Händen, trinke meinen Kaffee ohne Pulver, esse nur mehr Restepfanne, ja selbst meine Lieblings-Sitcom entlockt mir – statt infantiler Lacher im Sekundentakt – allenfalls noch ein leidenschaftsloses „Oh“. Die meiste Zeit aber sitze ich in meinem Ohrensessel und starre Löcher in die Luft. Das kann nicht das Leben sein, denke ich mir, und beschließe, diesem Umstand ein Ende zu setzen. Ich werfe also meinen gesammelten Stolz in die Kloschüssel, spüle zwei Mal nach, nehme mir ein Herz, stapfe die Treppe hinauf und klopfe fest entschlossen an Lebens Tür, die sich sogleich einen Spaltbreit öffnet.

„Ach Leben, seufze ich, wollen wir den Scheiß nicht einfach vergessen und wieder zusammenziehen? Ich langweile mich da unten echt zu Tode. Haha. Verstehst du?“

Doch Leben sieht mich nur an und hebt eine Braue. Diva, denke ich, und setze sogleich nach:

„Schau, wir hängen da doch irgendwie gemeinsam mit drin und außerdem … aneinander, du an mir und ich an dir, und da macht das mit der räumlichen Distanz – mittelfristig gesehen – ja gar keinen Sinn und überhaupt … im Flur hier ist’s scheiße kalt und erst die neugierige Alte von gegenüber … was soll die nur von uns denken und bitte bitte bitte gib dir halt ‘nen Ruck und komm gefälligst mit!“

Leben hebt eine zweite Braue. Nun, wenn das so ist, sage ich mir, muss ich wohl schwerere Geschütze auffahren und gebe zu bedenken:

„Jetzt hör mir mal zu, Sportsfreund … ICH kann mir DICH jederzeit nehmen! Strick, knick und aus die Maus! Umgekehrt gestaltet sich das entschieden schwieriger, weißt du?! Und jetzt beweg dein blasiertes Hinterteil, zack zack, ich hab nicht ewig Zeit!“

Leben lacht. Dann springt die Tür zurück ins Schloss. Kurz darauf ertönt laute Musik. Bobby McFerrin. Schön, murmle ich vor mich hin, dann probier ich’s halt nächste Woche noch mal. Kann sich ja nicht ewig bitten lassen. Blöde Zicke!
....Wieder unten angelangt, nehme ich Platz in meinem Ohrensessel und suche die Luft nach Stellen ab, die noch keine Löcher sind.


Anmerkung von Oreste:

2017 [überarbeitet]

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 LottaManguetti (18.11.19)
Eine tolle Idee, das Leben mit sich selbst im Dialog UND sogar auf räumliche Entfernung diskutieren zu lassen. Da macht das Leben, ich meine, Lesen Spaß!

Mit Gruß
Lotta

 Oreste meinte dazu am 19.11.19:
He, das freut mich! Danke, Lotta.

Lieb grußt
O.

 Dieter_Rotmund (18.11.19)
Ich würde den Nicht-Leben-Protagonisten noch dahingehend verstärken, dass er überhaupt nichts tut, auch nicht essen. Ansonsten ist der Unterschied zu gering.

 Oreste antwortete darauf am 19.11.19:
Danke, Dieter!
Ich überlege noch, ob das eine Überlegung wert wäre.


O.

 Artname (18.11.19)
Mir geht es wie irgendwie: Mich regt deine Idee ebenfalls an! Wie übrigens alle deine Ideen. Uff, da fällt mir ein - sind die jetzt etwa ebenfalls da oben??? Das wäre ganz schlimm für dich - und mich.

Spricht ja leider manches dafür, Vom Leben verlassen , müsste dich doch eigentlich der Tod ereilt haben!? Was machst der eigentlich? Sei ja vorsichtig, mit dem Gevatter spasst man nicht!

Alles Gute

Kommentar geändert am 18.11.2019 um 11:31 Uhr

 LottaManguetti schrieb daraufhin am 18.11.19:
Mit dem Leben spaßt man auch nicht!

 Oreste äußerte darauf am 19.11.19:
Freunde! Wollt ihr vor eurem Tod noch leben, müsst ihr nach eurem Leben noch sterben!

O.

 niemand (18.11.19)
Also, ich lese bei Prosa nicht so oft. Hier hat mich der Titel ziemlich neugierig gemacht und es hat sich gelohnt, denn die Selbstironie, der trockene Humor mit dem dieses Stück hier geschrieben wurde
muss man als gekonnt einstufen. Schon die Idee verdient ein Lob.
So eine gewisse Flapsigkeit darin, schafft es beim Lesen ein Grinsen hervorzurufen, obwohl ja die Thematik im Grunde doch eine ernstere ist. Aber ich denke, dass die Kunst darin besteht Ernstes so auf die Schippe zu nehmen, dass man nicht herunter gezogen wird und hier ist es voll gelungen.
Mit lieben Grüßen, Irene

 Oreste ergänzte dazu am 22.11.19:
Das freut mich natürlich. Vielen Dank, Irene.

Grüß dich!
O.

 keinB (18.11.19)
Ich kann mir nicht helfen, ich find's etwas undersexed. ;)

 Oreste meinte dazu am 25.11.19:
Liegt an dir. Schrieb das Teil hier hart an der Erektion.

 keinB meinte dazu am 25.11.19:
Alter ....
Fisch (55)
(18.11.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 TassoTuwas (19.11.19)
Gute Idee und zur Nachahmung empfohlen, die aber an der Realität scheitert!
Wer kann sich heutzutage schon zwei Wohnungen leisten?
LG TT

 Oreste meinte dazu am 25.11.19:
Sehr gut. (;

LG
O.

 Dieter Wal (20.11.19)
Überaus geistreicher, ironischer und spielerischer Lesegenuss.

 Oreste meinte dazu am 20.11.19:
Dieter, in Wirklichkeit finde ich dein letztes Gedicht, über das ich mich lustig gemacht habe, spitzenmäßig.

O.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram