Verteilungskämpfe am Terminal

Text

von  pentz

Mit einer Gewerkschafterin zu einer Sitzung fahren

Ich fahre mit einer Freundin nach München, die dort als Freiwillige ein Ehrenamt bei der Gewerkschaft innehat. Sie beraten und entscheiden wohl darüber, wie hoch und in welchem Umfange die nächsten Forderungen des öffentlichen Dienstes sein sollen.
Ich erzähle ihr, dass ich letzthin einen Beschäftigten bei einer Telefongesellschaft englischer Provenienz getroffen habe. Wenn er sein Namensschild nicht am Revers trägt, wenn eine Kontrolle kommt, bekommt er Sanktionen. Derjenige, der ihn damit erwischt, bekommt eine satte Belohung.
„Das ist tariflich nicht erlaubt in Deutschland“, sagt die Gewerkschafterin, die gerade mit mir nach München fährt, wo die Delegierten einen Mindestzuschuss, Gehaltserhöhung und Forderung gegenüber den Arbeitgebern von mindestens 200 Euro pro Monat beschließen werden. Das ist die Hälfte der Grundsicherung eines armen Schluckers in der Republik.
„Verteilungskämpfe wird es geben!“, prophezeit sie.
Sie gluckst mit den Augen und die Augen treten langsam aus ihren Höhlen, als hätte sie Nierenprobleme.
Verteilungskämpfe - als wäre zu wenig da!? Wobei es auch aus ihrem Magen gluckst, immer wieder, als hätte der Alkohol Wein, ein sehr dicker, lieblicher Saft, der in ihr steckte und nicht zu wenig, gerade erst zu goren angefangen.
Ich darf mich nicht mit ihr vergleichen. Gleichen Alters würde sie heute so viel Rente bekommen, dass sie Steuern abführen müsste und unsereiner nicht einmal das Niveau der Grundsicherung erreichen mit meinen spärlichen Einzahlungen; sie hat lediglich eine Ausbildung, wohingegen ich zwei akademische Abschlüsse. Wer steht denn nun gut da: derjenige, der in Bildung investiert hat oder der andere, der sich mit einem Minimum an Fortbildung, Ausbildung und Schulen seinen Weg durchs Berufsleben geebnet hat?
Dabei langt die Gewerkschaft mit ihren aktuellen Forderungen wieder einmal, mehr den je, gehörig zu. Es ist genug vorhanden. Gewerkschaft? Achja, diejenigen Interessensgruppe, die nur eins will: Mehr.
Gewerkschaften?
(„Das ist eine Ausnahmeperson in diesem Verein“, höre ich den Entschuldigungssatz. Aber die Gewerkschaft hat die Tendenz, alle über einen Kamm zu scheren und ihre Mitglieder gleichzumachen.)
Ein Jahr lang kam ich selbst in den Genuss, im öffentlichen Dienst arbeiten zu dürfen und da trat ich auch der Gewerkschaft bei. Nachdem mein Dienst endete, ließ mich diese Organisation nur wieder willig frei,  aus ihren Armen und ziehen. „Ihre Unterschrift der Kündigung entspricht nicht derjenigen ihres Beitrittes.“
Wie darf man das verstehen?
Sie hielten mich wohl für verrückt geworden, dass ich inzwischen eine Persönlichkeitsänderung vollzogen hatte? - Oder wollte ich betrügen, eine Person vortäuschen, dass eine andere aus ihrem Verein austreten will, womöglich eine Aktion der Gegenpartei, einer aus der Arbeitgeberorganisation oder welche Erklärung gibt es noch?
Heute, nach Jahrzehnten glaube ich einfach, sie wollten mir den Ausstritt so schwer wie möglich machen. Sie hofften, ich würde die Fahrt von gut 30 Kilometer mit dem Auto zur Zentrale scheuen und einstweilen die Mitgliedschaft aufrechterhalten, weil ich die Umstände scheute. Nur konnte ich mir dies nicht leisten. Und damals ging es mir ums Prinzip.

Für verspäten uns um drei Minuten. Sie überlässt mir ihr Auto, das ich inzwischen bis 16 Uhr irgendwo parken soll. „Das Geld fürs Parken!“ „Kriegst du später. Ich habe keine Zeit mehr“, und verschwindet im Gebäude. Ich frage nach einer Möglichkeit, Theresienwiese und im Parkhaus des Geschäftes Sowieso. Ich ahne, erstere Option ist die billigere, aber da muss ich rumsuchen, ich nehme das, was ich deutlich vor mir sehe. Es wird für den Tag 30 Euro kosten, eine horrente Summe, soll ich mich nicht doch lieber bei der Theresienwiese umtun?
Was machst du dir für einen Kopf, für andere, kriegst bei dieser Herumsucherei nur graue Haare!
Spätnachmittags, pünktlich, warte ich im Gewerkschaftshaus über eine halbe Stunde auf den vereinbarten Termin, bis meine Bekannte aus ihrer Versammlung, ihrem Seminar, dem Kurs kommt. „Gib mir das Geld, ich muss die Parkgebühren bezahlen.“ „Wie viel?“ „Dreißig Euro!“, genervt, gestresst, sich schon eine Zigarette angezündet, klaubt sie diesen Betrag, in einzelnen Fünf-Euro-Scheinen, aus ihrem Portemonnaie.
Ich hole das Auto, es stellt sich aber heraus, das ich nur etwa zwei Drtitel zahlen muss. Ich überlege mir, ob ich ihr den Restbetrag korrekterweise wieder geben oder ihn für mich behalten soll? Ich entscheide mich zunächst für letzteres, etwas, was ich bislang noch niemals getan habe.
Ich bin froh, dass sie nicht nachfragt, ob sie doch nicht Wechselgeld bekäme, so gestresst ist sie heute. Ich wäre in eine sehr unangenehme Situation geraten, nämlich lügen zu müssen. Unpünktlichkeit, Lüge, Betrug, Täuschung usw. sind Eigenschaften, die man mir nicht anerzogen hat. Eher aber sind mir Eigenschaften habituiert worden wie Entgegenkommen, Rücksichtsnahme und Bereit-sein-für-den-anderen – was heutzutage auslaugend sein kann – sagt man immer so dumm und oberflächlich: heutzutage – dabei ist es wohl niemals anders gewesen.
„Ich habe mir schon überlegt, ob ich nicht einen Tag früher mit Dir nach München fahren sollte...“
„Du meinst, da im Hotel übernachten.“ „Genau.“ Wir haben dies ein paar Mal gemacht, in Berlin, in Potsdam, sie weiß, dass mir das gut täte, ich bin immer froh, aus meinem grauen Alltag herauszukommen. Nur habe ich nicht das nötige Kleingeld, sie umso mehr.
Aber es ist nicht ernst gemeint. Sie grinst feist.
Ich denke, na schön, sie nimmt mich nicht ernst. Das ist nur so daher gesagt, cest la vie. Oder vielmehr hat es Methode. Dem anderen seine Wahrnehmung abstreiten, so dass er irritiert ist und beginnt, an seiner eigenen Urteilsfähigkeit zu zweifeln, wonach er leicht irritier- und lenkbar wird.
Menschen, die das Helfen zu ihrem Beruf gemacht haben, müssen Bescheid wissen in der Psyche des human sapiens. Und das tat sie, um ihre Interessen zielgerade durchsetzen zu können.
Was hat sich geändert seit der Steinszeit?
Die einen verdrängen ihre Konkurrenten mittel seiner Schlauheit, seines  besseren Gehirns, seines gewiefteren Gespürs und domestiziert andere Tier zu seinem Nutzen. Die Erde war ein riesiger Stall von Sklaven anderer Spezies, umsoweniger die Sklaverei der dümmeren der gleichen Spezies abgenommen hat.
Zuhause sagt sie mir dann frank und frei ins Gesicht, daß sie keinen kennen und es wohl keinen gebe, der so etwas machen würde, einen Tag opfern, mit einem Navi laborierend und händelnd sich abmühen, bis in die Münchener Innenstadt zu fahren, den ganzen Tag zu warten und herumzubummeln, bis diejenige, die er begleitete, mit ihren Dingen fertiggeworden sei.
Zuhause angekommen, sagt sie mir dann frank und frei ins Gesicht, daß sie keinen kennen und es wohl keinen gebe, der so etwas machen würde, einen Tag opfern, mit einem Navi laborierend und händelnd sich abmühen, 250 Kilometer bis in die Münchener Innenstadt zu fahren, den ganzen Tag zu warten und herumzubummeln, bis diejenige, die er begleitete, mit ihren Dingen fertiggeworden sei.
„Nimmst mich wohl nicht für ernst?“
Sie lacht hellauf.
Schon seit Jahren tue sie dies nicht.
„Ist auch nichts Neues für mich!“, sage ich und zucke die Achseln.
Dennoch schlucke ich heute etwas.
Ich dachte nach. „Verrückt“ hieß nicht „unzurechnungsfähig“, sonst hätte sie mich bestimmt nicht als Begleiter und Händler bzw. Lenker des Navigators erwählt. „Verrückt“ konnte in diesem Zusammenhang doch nur gemeint sein, wenn jemand Zeit und Energie opfert, jemanden anderen „entschädigungslos“ einen Tag zu opfern und ihm zu helfen wie hier bei der Fahrt von Nürnberg nach München, dann stimmt etwas nicht mit ihm.
Wer will schon in diesem Sinne als verrückt gelten?
Ich bin jetzt froh, dass ich abgewartet habe, ob sie mich nach dem Geld gefragt hat.
Ich habe den Rubikon überschritten. Einen Freund zu hintergehen, habe ich bislang noch nicht gemacht.
Ich hatte danach, der ich ansonsten in solchen Fällen massive Schuldgefühle habe, keine.

[Aber mittlerweile wird mir welche gemacht. Eine neue Freundin hat dies gelesen, zeigt dafür kein Verständnis. Fakt ist, Du hast Geld unterschlagen, sagt sie.
Wie kriege ich dies wieder hin?
Ich muss so, genau weiß ich es nicht, wieder cirka zehn Euro zurückgeben, wobei ich nicht das Gesicht verlieren darf.
Ich habe noch keine Idee, wie ich das mache.]

Verteilungskämpfe vorm Terminal

Wie es anfing


Mit meiner damaligen Freundin hatte ich mir eine Karte geteilt, es war eine Bahnkarte, bei der gleichzeitig zwei Personen fahren konnten. Wir fuhren öfter am WE aufs Land, nahmen unsere Fahrräder mit, die auch von dieser Karte gedeckt war. Anstelle von zwei Fahrrädern hätte man auch noch vier Jugendliche mitnehmen können. Sie überließ mir diese Karte bei der Trennung, die noch vierzehntätige Gültigkeit besaß. Mir kam die Idee, vielleicht kannst du ja statt mit deiner Freundin auch mit einem Fremden fahren. Nur wenn, wann, und wie an einen kommen? Ich stand gerade vor einem Ticketschalter. Ein Fremder wählte die Route, die auch beschreiben wollte und also fragte ich ihn, ob er nicht mit mir fahren wolle. Die Möglichkeit bestünde aufgrund dieses meines Tickets. Ich dachte, dass er ruhig umsonst mitfahren, vielleicht symbolisch mir einen Euro geben könne. Das empfand er jedoch als Affront. „Ich bin noch niemals meinen Zahlungsverpflichtungen nicht nach gekommen.“ Sagte er etwas beleidigt und stolz zugleich und gab mir einen Betrag, den ich wiederum insoweit zurückzahlte, dass ich ihm die Hälfte dessen, was er hätte bezahlen müssen, berechnete. So konnten er und ich billiger dorthin fahren, wohin wir fuhren. Das war eine runde Sache für beide Beteiligten.
Die Menschen hierzulande sind stolz geworden, oder reich, jedenfalls niemand will sich etwas schenken lassen. Eine positive Entwicklung.
Auf dem Rückweg stand ich vor der gleichen Ausgangsposition. Zeit hatte ich ja, warum sollte ich nicht wieder jemanden fragen? Ich stand vor den Terminals der Bundesbahn und blickte dem ein oder anderen Kunden über seine Schultern, um zu sehen, welche Reiseziel er eingeben würde. Deckte es sich mit meinem, würde ich diejenige Person ansprechen: „Entschuldigen, wollen wir nicht zusammen nach Nürnberg fahren. Ich habe da eine Karte, die ist für zwei Personen gültig und da können wir... Wenn Sie wollen?“ Flopp. Wieder klappte es. Erstaunlich. Aber klar, auch wenn die Leute hierzulande reich geworden waren insoweit, dass sie sich nicht gerne mehr etwas schenken lassen wollten, so waren sie wiederum nicht derartig reich, dass sie die horrenten und überdimensionierten Ticketpreise der Bahn so ohne weiteres schluckten. Bot sich eine Möglichkeit, diese zu umgehen, hier in meinem Falle zu halbieren, warum nicht? Teuer genug sind die Pendlerpreise, auf Dauer gesehen sowieso, das sagte einem jede Milchmädchenrechnung.
Und so bekam ich wieder leicht einen Mitfahrer.
Ich kam ins Grübeln.
Warum dies nicht öfter tun?

Bahnerer, Rotkäppchen und Gelb-Westen

Bahnerer

Und plötzlich stehe ich einem Bahnerer gegenüber, den ich doch, verflixt noch einmal, kenne. Misstrauische, kalt-blitzende Augen durchbohren mich, die besagen: mit mir ist nicht gut Kirschen essen. Dummerweise kenne ich ihn aber anders und gleichzeitig wird mir klar, daß der mich nicht erkennt, und noch schlimmer, je erkennen wird, bzw. erkennen will. Das ist ein Hundertprozentiger. Auch wenn uns etwas verbindet. Erlebnisse in der Vergangenheit.
Wir fangen bei Adam und Eva an.
Er besucht wie ich die Realschule. Nur, daß er in den Zweig Wirtschaft ging. Dort waren die Schwierigen, die Ungebärdigten, die Randalierenden, im Gegensatz zu den Mathematikern, zu denen ich mich nur gesellte, weil es Bekannte waren, die ich als Freunde wahrnahm und verstand, mißverstand und dies waren die scheinbar seriösen, braven und strebsamen.
Wer nicht wusste, was er wollte, oder auch nicht so intelligent war, so hieß es, oder sagen wir lieber keinen Faible für Mathe, Physik und Chemie besaß, ging in den Wirtschaftszweig.
Wiedergesehen habe ich diesen Bekannten von der Bahn vor Jahren, das waren Jahrzehnte nach der Schulzeit, bei einem Informations- und Auskunftsschalter.
Einer, der mit mir in die Realschule gegangen ist und später dann zur Bahn.
Diejenigen, die auf Nummer Sicher im Leben, in ihrer Berufskarriere gehen wollten, wurden schon frühzeitig, nämlich während der Schulzeit angeworben, von der Bundeswehr, vom Vermessungsamt, von Bahn- und Post.
Da saß nun der Bekannte, der mich nicht erkannte.
Er hatte gerade einen Kunden bedient, der sein Ticket sorgfältig faltete und akkurat in seinen Koffer verstaute, während er selbst genüsslich in der Nase bohrte. Dazu nahm er immerhin ab und an ein Taschentuch zu Hilfe. Aber sonst bohrte er mit dem blanken Finger in seinen großen Nüstern herum.
Ich war von zwei Seiten, Profilen und Aspekten eines Menschen in Bann geschlagen: einerseits von dem Anblick ALTER BEKANNTER, der mich aber nicht zu erkennen schien und andererseits überwältigt von der SCHAMLOSIGKEIT DES ANDEREN, der da hemmungslos geschnieft und in der Nase gepopelt und gebohrt hatte, als befände er sich allein zwischen seinen vier Wänden. Aber er befand sich in einem öffentlichen Raum als ein quasi-staatlicher Angestellter eines semistaatlichen Dienstleistungsunternehmens, in dem noch viele andere Personen und Menschen herumstanden, die auf ihn warteten, bis der vorhergehende Kunde seine Papiere weggesteckt hatte und dann Platz frei machen würde.

Wie wir uns aber jetzt und heute so gegenüberstanden, tauchten weitere Erinnerungsbilder auf, auch wenn der Protagonist so tat, als sei er nicht Gegenstand dieser Bilder.
Als Jugendlicher hat man natürlich seine Feindbilder. Ein weitverbreitetes unter Jugendlichen damals war die Kirche. Mein Bekannter wohnte in einer kleinen mittelalterlichen Stadt, die eine altertümliche Burg hatte, stockkonservativ und katholisch war, woraufhin er stolz war, zu erzählen, daß, wenn die Fronleichnamsprozession durch den Ort zog, er überlaut seine Stereoanlage auftrete, die er an die Fenster gestellt hatte, um die Feierlichkeit so weit wie möglich zu stören.
Er war ein richtig bauernschlauer Kerl, großgewachsen, mit allen Wassern gewaschen.
Die Entjungferung einer Bekannten zählte auch zu seinen Großtaten.
Das verkündete er sofort stolz und großmäulig nach Vollzug in den einschlägigen Kreisen. Wir standen gerade am Schuleingangstor und er kam mit den anderen Externen von der Bushaltestelle und keifte noch in der Menge los, er habe gestern die „von Schlotterhausen“ entjungfert.
„Mann, oh Mann!“, stöhnte er. „Das war vielleicht ein Kampf!“ Er schnaubte dazu entsprechend, um zu verdeutlichen, daß es sich wahrhaft um eine Heldentat gehandelt haben musste.
Das Prestige meines Bekannten stieg mit der Erlegung dieses Wildes insofern sehr hoch, als es sich bei dieser Familie um eine sehr reiche handelte, die als einzige - nicht einmal die kleineren Gemeinden konnten sich so etwas leisten – ein eigenes Schwimmingpool in ihrer Villa leisten und aufrechterhalten konnten.
Mein Bekannter erhob die Entjungerferung quasi zu seinem Spezialgebiet, denn späterhin tat er sich erneut darin hervor, indem er ein junges Mädchen aus weiter Ferne, in die wir in Urlaub gereist waren, nämlich in den Allgäu, zum Glück des Frauwerdens verholfen hatte.
Wir waren dort bei einem Freund zu Besuch, er war vorher zu diesem gefahren und als ich dort einen Tag später ankam, hatte er bereits den Tag zuvor die Nachbarstochter verführt.
Fast könnte man sagen, er war dazu imstande, Dinge zu tun, auf die Gleichaltrige neidisch waren. Eine Steinreiche zu entjungern, galt schon etwas, zumindest in den Kreisen, in die ich da geraten war, schulmäßig, ich hatte aber andere Werte – und stand immer passerstaunt da, wenn Dinge in den Himmel gehoben wurden, für die mir bislang jeglicher Sinn gefehlt hatte. Mit anderen Worten, ich beneidete ihn weniger ob seines Triumphes, sondern war mehr über seine Unverschämtheit, Kaltschneuzigkeit und Unverfrorenheit überrascht.
Und jetzt stand dieser Mensch vor mir, um mich von dem aufzuhalten, was ich beabsichtigte zu tun, was ich tun musste, um über die Runden zu kommen und er, er hatte bestimmt sein sattes Gehalt, war mir gesellschaftlich und finanziell überlegen, obgleich wir die gleiche Ausgangslage, die gleiche Schule besucht hatten.
Wie muss er sich da vorkommen?
Er hatte keine andere Wahl, er mußte meine Bekanntschaft einfach ignorieren. Er konnte nicht sagen, horch Werner, bei aller Freund-, Kameradschaft und Uns-Kennens, aber hier hört der Spaß auf.
„Und warum?“, würde ich fragen.
„Weil es verboten ist!“
„Ist es aber nicht. Eine Grauzone...“
Nein, er würde sich auf keine Diskussion einlassen, er würde mit mir Tacheles reden. Demnach sagte er unmissvertändlich: „Im Namen der Deutschen Bahn, deren Vertreter ich hier bin, ermahne ich Sie hiermit und fordere ich Sie auf, sofort den Bahnhofsbereich zu verlassen und dies gilt zunächst für den heutigen Tag.“
„Und morgen!“
„Wir werden sehen!“
Aha, er hatte doch noch einen Funken Scham in sich. Er las mir nicht die Leviten, daß ich von nun ab bis in alle Zeiten hier nicht mehr solche Verhaltensweisen zeigen durfte, sonst müßte er im Namen einer höheren Macht und Autorität natürlich zu anderen Mitteln greifen.
Ich verschwand zunächst widerspruchslos. Es hatte eh keinen Sinn. Er kannte mich ja nicht.
Aber er würde wieder kommen.
Dumm, daß ich nicht darauf geachtet habe, wie er heißt. Die Bahn, sich modern, aufgeklärt und westlich-freiheitlich-liberal zeigend, lässt einige ihrer Kettenhunde, muss ich leider sagen und sie werden es bald nachvollziehen können, mit einem Namensschild am Brustrevers prominieren.


Aber da war noch mehr, was uns verband.
Wie ich mich erinnerte, als seine Mutter, die das alleinige Sorgerecht hatte, mit ihrem neuen Ehemann wieder zurück dorthin zogen, woher sie gekommen waren, hatte er noch ein jahr hier bei seinen Schulkameraden verbringen dürfen. nur aber war er in diesem Jahr völlig abgestürzt. Er war sitzengeblieben. Es hatte ihn nicht gutgetan, daß er alleine ohne Mutter, bei einem weitläufigen Verwandten in hinteren Waschbereich, die hergereichtet und in die er eingezogen war, gelebt hatte. Denn er war dort nur völlig abgestürzt. So hatte er wieder nach Hause ziehen müssen, um die letzte Klasse vor der Mittleren Reife zu wiederholen. Hatte er ja gemusst, sonst hätte er wahrscheinlich seine Vereinbarung, in den öffentlichen Dienst einzutreten, nicht einhalten können. Und das war seiner Mutter wichtig gewesen.
Die Mutter hatte als Ehemann einen Taxiunternehmer, der im selben Haus wie ein anderer wohnte. Diesem zapfte er das Telefon ab und fischte diesem dann Fahrgäste weg. Nicht allzu oft zwar, damit der Konkurrent nicht mißtrauisch wurde, aber oft genug.
Das schilderte mein Bekannter frank und frei und ungebunden. Damit wurde die Verruchtheit der älteren Generation, der Tücke, Niedertracht und Gefährlichkeit sinnfällig dargestellt.
Wir waren damals in einer größeren Clique verbunden und da er nicht weit von mir wohnte, kam er öfter zu mir zu Besuch. Ich hatte mir mit meinem wenigen Taschengeld einen schicken Blech-Deckenlampfen-Schirm geleistet, der insofern schick wirkte, daß er mit schwarz-weißen Mustern, Schattierungen und Streifen übermalt war. Eigentlich ein billiges Ding, wie gesagt aus Blech, aber mit einem interessanten Muster, wenn auch nur in schwarz-weiß überstrichen. Jedesmal wenn dieser Freund kam, schlug er mit der Faust dagegen, so daß das Ding hin- und herschaukelte und mit der Zeit Dellen bekam. Er machte dies nur einmal, wenn er überraschend ins Zimmer trat, meine Mutter hatte ihn meist ohne meine Wahrnehmung, der lauter Rockmusik laschte, ins Haus gelassen und sowie er eintrat, schlug er erst einemal gegen das Ding, das es schaukelte: „Hallo! Ich bin!“
Ich zeigte mich ungerührt. Mir war klar, er wollte mich provozieren, ich ließ mich aber nicht. Ich demonstrierte damit lediglich meine Gleichgültigkeit gegenüber weltlichen, materiellen Dingen und das galt als fortschrittlich. Er hatte es aber darauf abgesehen, mich als spießig zu entlarven, wenn ich Widerspruch anmelden würde, sobald er meinen schicken Blecheimer an der Decke demoliert hatte. Aber ich mar es wirklich egal. Zumal ich die Absicht dahinter nur zu offensichtlich herauslesen konnte.

Rotkäppchen

Plötzlich steht er da. Der mir wohl bekannte „Jugendfreund“, nunmehr Bediensteter der Bundesbahn. Einige würden sagen, daß er hier auch als ein Vertreter dieses Staates ist. Staat meint hier nicht die Gesellschaft, sondern diejenige von Menschen gebildete Organisation, die die Gesellschaft „verwaltet“.
„Wir sind nicht so doof, wie Sie meinen. Das ist Steuerhinterziehung!“ Steuererhebung – das Privileg dieser „Orginisation“! Wir wollen uns an einen guten Geschichtsunterricht erinnern, wo die Bevölkerung oft genug unter einer schweren Steuerlast geächzt hat. In solchen Fällen kann man mit Fug und Recht von dem „Staat“ als „kriminelle Organisation“ sprechen. Aber das entscheidet leider erst die „Geschichte“, äh, die Geschichtslehrer, sprich die Vertreter eines anderen, nächsten Staates.
Mit dem „Sie“ aber auch hat er die Linie markiert, die uns trennt. Dabei wird man nicht außer Acht lassen müssen, daß er sich selbst auf höheren Terrain stehend sieht. Er blickt also von oben herab auf mich, wie weit oben, wird sich zeigen.
Zudem will er ausdrücken: Wir kennen uns nicht, wir sind uns nun zum ersten Mal begegnet.
Das muss er sagen, wenn er andere Seiten aufziehen will, wenn er seine Funktion als Staatsvertreter erfüllen will, die sich nicht auf gleicher Ebene bzw. Stufe befinden soll und darf. Sonst wird ihm seine Aufgabe nur erschwert sein. Jemand dem kennt, behandelt man immer nachsichtiger als einen Fremden.
Was er nicht sagt, aber mir sagen will, lautet: „Sie werden mich schon noch kennenlernen.“
So ist es: Nunmehr wird er mir einen Einblick auf andere Seiten gewähren, oder besser gesagt andere Seiten aufziehen.
„Ich tue nichts Verbotenes!“, wehre ich ab. Ich versuche mein Verhalten zu rechtfertigen, in dem ich mich auf die Präambeln, Axiome, Prämissen, Artikel, Gesetze, Vorschriften, Ausführen etc. pp berufe – auf den gleichen Boden, auf dem eigentlich er und ich stehen sollten.
Ob er das weiß? Natürlich.
Ob ihn dies beeindruckt?
Kein Kommentar.
Aber ob er darüber zum Nachdenken kommt? - Natürlich nicht!
Die Folge ist, daß ein heftiger Wortwechsel stattfindet, der sich gewaschen hat, fürwahr.
Daneben stehen etliche Jugendliche, schwarz-häutig, Zufall?, die ich mit meiner Karte mitnehmen wollte.
Egal, hemmungslos brüllt, echauffiert und gestikuliert der mit einer roten Kappe bewehrte Bedienstete. Er verschwindet wieder, läuft zum Hauptschalter in der Mitte der Halle hin, kommt aber bald wieder zurück. „Ich rufe die Bundespolizei.“ „Rufen Sie, genau. Machen Sie das!“ Macht er aber nicht.
Die Situation ist unangenehm, bedrängend, beängstigend. Er ist so wenig im Recht wie ich. Er hat letztlich keine rechtliche Handhabe, die Karte ist nun einmal übertragbar für zwei Erwachsene sowie vier Jugendliche, plus einem Hund. Es gibt keine Einschränkungen, wie oft und mit wem man fährt. Also tue ich nichts Unrechtes. Wäre die Bahnpreise nicht so hoch, würde auch keiner mitfahren, aber so ist es eine sogenannte Win-Win-, Quid-Pro-Quo und Geben-und-Nehmen-Situation, vorteilhaft für den Angesprochenen, der über die hohen Tarife stöhnt und den Kopf schüttelt. Die meisten freuen sich, wenn sie dabei ein paar Euro sparen können.
Dann ist er wochen-, monatelang nicht zu sehen. Ich begebe mich auch vornehmlich in andere Städte, Bereiche, weil ich einer eskalierenden Konfrontation aus dem Wege gehen will. Ich fühle mich zwar nach reifer Überlegung nach wie vor im Recht und erkenne keine Unrechtmäßigkeit in meinem Tun, aber nichtsdestotrotz habe ich keine Lust, mich weiter mit ihm auseinanderzusetzen. Auch zur Bundespolizei zu gehen, um ihn anzuzeigen, mein Recht klar darzustellen, vermeide ich, weil ich eigentlich meine Ruhe haben will. Ich lese wahnsinnig gerne, brauche dafür viel Zeit, die ich beim Fahren mit einer Begleitperson habe und muss meine Zeit nicht mit dem Herumschlagen bei Behörden vergeuden.
Okay, mein Weg führt nun einmal über den Nürnberger Bahnhof, dort muss ich mir eine Mitfahrperson acquirieren, um nach Erlangen, nach Bamberg, nach Bayreuth oder sonstwohin zu fahren. Dorr, in einer dieser größeren Städe, fahre ich sternförmig mal dort-, mal hierhin, aber immer wieder in diese zurückzukehren. Am Abend fahre ich wieder via Nürnberg, unvermeidlich, nach Hause zurück in meine Kleinstadt.
Also, es lässt sich nicht vermeiden, ihm zu begegnen, das passiert nicht allzu oft, weniger oft und häufig als man denkt, wie gesagt, monatelang nicht, aber hin und wieder denn doch. Sinnvollerweise halte ich mich dann im Hintergrund, gehe zu jenen, weniger häufiger frequentierten Terminals.
Meine Ruhe ist mir aber am wichtigsten.

Gelbwesten, die Sicherheitsmännchen

Einmal kam es zu einer Situation, dass Sicherheitsleute auftauchten, weil sich irgend eine Person anonym darüber beschwert hatte, dass sie beim Ticket-Lösen oder Tarif-Erkunden am Terminal dauernd von den verschiedensten Leuten angesprochen wird oder von einem, den er als hartnäckig empfunden hat und er sich dabei gestört fühlte, in Ruhe, das richtige Ticket auszulösen.
„Verschwinden Sie von hier!“ Es handelt sich um eine Frau und einen Mann. „Wir haben hier das Recht, bayerisches Gesetz durchzusetzen. Und wenn wir ihnen sagen, Sie sollen sich von diesem Ort hier, in dem wir Hausrecht haben, wegbegeben, dann müssen Sie dem folgeleisten.“
Die Sicherheitsleute erkennt man daran, dass sie nicht wie das Rotkäppchen eine rote Kappe, einen einheitlichen, steifgebügelten Anzug mit einem Namensschildchen wie Rotkäppchen und seine anderen Klone tragen, sondern eine an einen Bauarbeiter erinnernde Gelbe Weste, auf der am Rücken in roten Lettern „Sicherheitspersonal der deutschen Bundesbahn“ geschrieben steht.
„Ich befinde mich hier auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland, noch immer. Bundesrecht bricht Landesrecht!“ Und ich gehe zum nächsten Monitor ein paar Meter weiter. Doch die beiden folgen mir. „Nun gut, Sie scheinen sich in den Gesetzen auszukennen. Aber wir haben hier das Hausrecht. Das geht vor!“ „Ich habe eine gültige Fahrkarte. Ich bin hier Kunde. Also darf ich mich wohl auch hier aufhalten.“ Der Mann verliert die Nerven, sagt etwas, was nicht stimmig klingt. Ich krause die Stirn. Die Frau erfasst den Faux paux ihres Kollegen und schaltet sich mit den Worten ein. „Sie haben also gehört, was mein Kollege gesagt hat. Begeben Sie sich auf das Gleis, von dem ab ihr Zug fährt.“ „Ich muss also eine halbe Stunde in der Kälte draußen stehen, obwohl ich eine Karte besitze, die mich berechtigt, den Bereich der Bundesbahn zu betreten, wo immer ich will...“ „Wenn Sie nicht der Anweisung Folge leisten, verbanne wir Sie für diesen Tag aus diesem Bereich. Sie dürfen bis 24 Uhr sich dann nicht mehr hier aufhalten.“ Der Mann hat sich wieder gefasst. „Das möchte ich schriftlich haben...“ „Wenn Sie dies schriftlich haben wollen, dann bekommen Sie Hausverbot für ein ganzes Jahr.“ Welch eine Logik! [Die beiden scheinen mir Zwillinge zu sein, jene, die mir in der Schule als Lehrer den Tafeldienst verweigert hatten, nachdem sie mich der Partei der Grünen zugeordnet hatten, in welcher ich jedoch nicht war. Es hätte mich gereizt, deren Niederschrift zu lesen, zu korrigieren und mich zu echauffieren, weil gelernt haben sie wohl bei mir nichts.] Na, ich mache mich auf dem Weg zum kalten – und es ist Winter – Bahnsteig. Aber nach ein paar Meter wende ich mich um, gehe zu ihnen hin und frage ob ich einen Stockwerk tiefer mich zum Discounter zum Einkaufen gehen darf. Jovial sagt er Mann, die Frau akkurat neben ihn stehend und zurückgezogen an einer Wand sich postiert: „Das dürfen Sie! Das gehört nicht mehr zum Bereich der deutschen Bundesbahn.“ Ich kann nur eine Viertelstunde einkaufen, dann stehe ich frierend am Bahnsteig, um auf meinen Zug zu warten.
(Die zwei Gelbwesten sind Zwillinge, die gleichen, die mir als Lehrer den Tafeldienst verweigert haben, nachdem und weil sie mich 1987 als Grünen eingeschätzt haben. Die hatten sich im Deutschunterricht verweigert und würden nunmehr etwas voller Schreibfehler zu Papier bringen. Denn als ich um ein schriftliches Hausverbot bat, schraken sie zurück und der Bruder erwiderte, Chuzpe hatte er, dass er mir in diesem Falle gleich eines für ein Jahr ausstellen würde. „Haus“ soll hier der Bhf darstellen, zumindest irgendwelche für die sogenannte Deutsche Bahn definierten Bereiche des Bahnhofsbereiches.)


Wilde Kämpfe vorm Schalter

Rotkäppchens Name ist „Rührer“, wie auf seinem Revers-Schildchen steht, das er stolz auf seiner Brust trägt, hinter einem trenchcoatartigen Überzieher verdeckt, der hinter ihm her flattert wie Graf Dracula seiner, huscht und läuft er durch die zugigen Bahngleis-Unterführungen. In der Hand hält er meist ein knatterndes, schepperndes, großes Walkie-Talkie, also kein handy-förmiges oder smart-phone-artiges Telefon, welches wahrscheinlich extra auf eigener Frequenz der Bahnhofshalle läuft, womit keine Kosten verursacht werden und ein besserer Empfang herrscht.
Der Name Rührer ist Programm.
Sobald er hinter Säulen, aus Tunneln oder Ausgängen plötzlich auftaucht, erschrecken eine Menge Leute und ein Pulk stiebt auseinander wie Tauben, wenn man ihnen zu Nahe kommt und die Einzelnen suchen Schutz und Versteck hinter allem, ziehen sich die Kapuzen über den Kopf, den Krakenrevers höher, die Schildmütze herunter.
Rührer macht seinem Namen Ehre. Die Mitfahranbieter schauen sich panisch um sich, sobald sie auf jemanden Anzusprechenden zugehen von ihren Standorten aus von etlichen Meter Abstand zu den Terminals. Sie spähen links und rechts und hinter sich, ob nicht der böse Wolf hinter ihnen lauert, bereit ein furchtbares Gröhlen, Bellen, Hellen und furchteinflößendes Grinsen und Grollen anzunehmen, wo es jedermann urplötzlich den Appetit verschlägt, die Lust vergeht, in Stehstarre übermannt oder in Fluchtpose verfällt.

Einmal: „Would You like to go to Bamberg…” Der Engländer ist unschlüssig, ob er das Angebot einer Mitfahrgelegenheit annehmen oder lieber alleine fahren soll. Hinter uns erscheint plötzlich wütenden Gesichtes und funkelnden Auges die Wolfs-Visage, eine verzerrte Wolfs-Grimasse, genau auf der Höhe zwischen unsere sich in Unterhaltung zugewandten Köpfen, taucht wieder ab, als er nach einem - äh, was, wie – bemerkt hat, dass sich die beiden Herren in Englisch verständigen, ein Idiom, den er wohl nicht versteht und wenn er einen davon, mich, auf Deutsch anpöbelt, der andere, Fremde, sehr ungastfreundschaftlich befremdet sein wird. Da er weiß, dass dieses Geschäftsgebaren nicht einem modernen Leistungsunternehmen geziemt, hat sich der Störenfried rechtzeitig wieder zurückgezogen, nur eine Meter hinter uns platziert mit seinem überdimensionalen krächzenden Walkie-Talkie, aus der gebrochene Stimmen dringen, einschüchternd und warnend, dass er, der Ordnungsmann, bereit stehe. Der Tourist, der Geschäftsmann oder Universitäts- oder Internationalen-Gesellschaft-Beschäftigte entschließt sich schließlich, eine Einzelkarte zu lösen. Damit hat er die Chance verpasst, billiger an seinen Bestimmungsort zu gelangen; der Bahnbedienstete hat ein paar Euro mehr für die Aktionäre dieser Gesellschaft gerettet, deren Vertreter er darstellt; und ich bin nicht näher meinem Ansinnen gekommen, mir ein paar dringend benötigte Sommerschuhe zu kaufen.

Einmal: Grimmiger Wolfsblick durchbohrt mich. Ich gehe auf ihn zu: „Wie heißen sie überhaupt?“, und lese das erste Mal den Namen an seinem Schildchen. „Aha, Rührer, heißen Sie! Den Namen muss ich mir merken.“ „Das wird Ihnen nichts nützen!“, sagt er ungerührt, nicht einen Schritt zurückgewichen ist er oder sonstwie eine körperliche Bewegung vollzogen. „Das wird man ja sehen!“, sage ich. „Alles ist auf Video aufgezeichnet, was hier geschieht. Und das 10 Jahre lang gespeichert.“ „Wir tun nichts Ungesetzliches!“, und ich gehe mit einer leeren Flasche in der Hand Richtung Flaschenautomat, um den Pfandbonus einzulösen. „Betrug ist nun einmal Betrug!“, brüllt er laut, mir dicht auf den Fersen – und in den hier beginnenden Restaurant-, Imbiss- und Bäckereibereich befindet er sich plötzlich auf nicht hausrechtlichem Boden. Da wir uns schon zwei Schritte über der imaginären roten Linie befinden, wildert er im fremden Terrain und hat ihr kein Anrecht, seine vermeintlichen Rechte lautstark einzuklagen, sodaß ihn prompt eine Verkäuferin mit Namen anspricht: „Aber Herr Rührer!“, was machen Sie denn, klingt es mir in den Ohren. Ich gehe weiter Richtung Automaten. Ich bin ihn los, abgeschüttelt habe ich ihn und mir kommt eine Idee, wie ich den Berserker zur Strecke bringen, den Schreihals das Maul stopfen - gut gesprochen, ihn einigermaßen zum Schweigen bringen könnte.

Der Samurei

Ein japanisches Dorf im 16., 17. Jahrhundert wird von einer Räuberbande belagert. Jene überfällt immer wieder diese, raubt, mordet und vergewaltigt und verschwindet wieder für einige Zeit. Der Dorfrat beschließt, diesem Treiben ein Ende zu setzen und einen erfahrenen Kämpfer, einen Samurei zu engagieren. Dieser ortet die Umgebung, die Möglichkeiten. Das Dorf ist von einem dichten Wald umgeben, aus denen die Räuber hervorstechen und gegen den Dorfwall anrennen.
Der Samurei nimmt den Auftrag an.
Er verspricht den Dorfbewohnern, sie von der Räuberplage zu befreien.
Als die Räuber wieder kommen, wird ein Plan durchgeführt. Die Dorfbewohner sind imstande, die Räuber jedes Mal abzuschütteln, aufzuhalten, wenn auch unter Verlusten. Nur lassen sie jedes Mal einen Reiter durchkommen, der als einziger in das Dorf einfällt und von den unberittenen Dörflern durchs Dorf gejagt und gedrillt wird, bis er ermordet werden kann.
So geschieht es jedesmal. Jedesmal kommt nur ein Reiter durch, der gestreckt wird. Natürlich fallen dabei einige Dörfler diesem Unterfangen zum Opfer, aber die Anzahl der Räuber mindert sich, sie durchschauen nicht den Trick, können ihr Treiben nicht aufgeben, rennen immer wieder gegen das Dorf an, verlieren immer wieder einen Reiter und wissen danach nicht Bescheid, was mit ihnen geschehen ist.
Schließlich kommt der letzte, der Räuberhäuptling durch, auch er wird von der stark dezimierten Dorfschar endlich gestreckt. Das Dorf ist recht verwüstet, der Boden darin von den wild herumreitenden Räubern auf Pferden ganz durchweicht, es ist ein hartes Werk gewesen, solch gut bewaffneten quirligen Reiter zur Strecke zu bringen – doch mit Hilfe des Samureis ist es gelungen. Am Ende sind alle am Ende ihrer Kräfte, aber der Auftrag ist erfüllt.
Der Samurei kann weiterziehen, der Samurei, der ein professioneller Krieger ist, der nicht mehr gebraucht wurde nach dem Fürstenbefriedungen, dem Bürgerkrieg, wonach eine Zeit angefangen hat, wo man solche Krieger nicht mehr brauchen konnte. Er hat bei solchen Aufgaben wie mit dem Dorf seine Bestätigung und sein Auskommen gefunden – immer noch treu und ritterhaft hilft er von Räubern überfallenden und gedemütigten Dörflern vor solchen Verbrechern zu schützen, damit die Landbevölkerung nicht ausgebeutet, erniedrigt und ein zu schweres Leben und Los führen und erdulden muß.

Genau so werde ich es machen: ich locke den vermeintlichen Räuber ins fremde Territorium, wo er mit Schimpf und Schande, Anklagen und Vorhaltungen von den Verkäufern und Verkäuferinnen empfangen wird. Damit erhoffe ich, ihn mürbe zu machen. Forthin habe ich stets eine leere Flasche bereit, mit der ich schließlich durch das für ihn fremde Terrain schreiten werde, sobald er hinter mir her ist, um einen Pfandbonus einzulösen. (Was natürlich Blödsinn ist! Was ich aber erst später, nach etlichen Malen, wo ich mich selbst zum Deppen gemacht habe, bewusst wird. Ich nicke dabei einsichtig: sei Dir bewusst, jeder Kampf, sei er noch so siegreich, kostet, fordert seinen Tribut, ist nachhaltig!

Tasche verloren und Rotkäppchen grinst darüber.

Letzthin habe ich meine Tasche, meinen Rucksack verloren. Ich habe ihn mitten am Bahnhof auf den Boden an einem Geländer abgestellt, während ich schnell um die Ecke gegangen bin, um an einen Ticket-Schalter nachzusehen, ob eine Mitfahrgelegenheit sich biete. Als ich nach wirklich wenigen Sekunden zurückgekommen bin und nach dem Rucksack gespäht habe, war er verschwunden. Ich habe ein paar herumstehende Äthiopier gefragt, wo er sei, ob sie einen überhaupt gesehen hätten, aber die verstanden entweder kein Deutsch oder haben nichts gesehen, jedenfalls nichts geantwortet und mich nur konsterniert angeblickt. Schnell bin ich zu verschieden Ausgängen des Bahnhofs gegangen, davor herumgeschaut, ob ich den vermeintlichen Dieb sehe mit dem Rucksack in der Hand oder während er gerade darin herumsucht und –kramt, aber ich habe niemanden entdeckt. Als ich mit der Rolltreppe einen Stockwerk hinunter gefahren bin, um zum Fundbüro des Bahnhofs zu schauen, hat es vom Elevator aus, zwanzig Meter, ausgesehen, als hätte dieses am Samstag geschlossen. Ich bin zur zentralen Information gerannt, diese haben behauptet, das Fundbüro habe offen, wahrscheinlich sei der diensthabende Angestellte gerade ausgetreten, sie haben dort angerufen, es hat sich aber niemand gemeldet. „Sie kommen bestimmt wieder in wenigen Minuten zurück.“ Ich bin dann noch einmal hinuntergegangen und habe die Tür offen vorgefunden, meine Tasche auch gekriegt. Welche Panik habe ich doch ausgestanden, da ich, wie sonst unüblich, darin meine Schlüssel deponiert hatte. Ansonsten trage ich diese immer in meiner Hosentasche, nur just an diesem Tag in dem Rücksack, welch ein fataler Irrtum, Fehlverhalten, Umstand das gewesen ist.
Ein paar Minuten später steht plötzlich das Rotkäppchen hinter mir und grinst breit und frech, bildete ich mir ein. Hatte er meine Kopflosigkeit am Terminal der Überwachungskameras beobachtet und sich einen Ast gelacht über mein Schusseligkeit, Deppertsein und Verwirrung?
Verärgert über mich, diesem Kerl dieses entwaffnende Schauspiel geboten zu haben, renne ich an ihm vorbei, um eine zu rauchen. Normalerweise unterbreche ich mein Tun, Geschäftstreiben und Hin- und Her niemals, zumindest nicht, um extra eine Zigarette zu rauchen. Dass ich dies getan hab daraufhin, dass Rotkäppchen mich über mein desolates Verhalten beobachtet haben könnte, empfinde ich als schwere persönliche Niederlage.
Aber bilde ich mir dies bloß ein?
Wenn auch, nur die Einbildung, die Macht der Einbildung, die zersetzende Auswirkung der Vorstellung, dass es hätte sein können, macht mich sehr, sehr wütend, unzufrieden, schwer, geistlos, was weiß ich, aber erinnere Dich daran: jeder Sieg implementiert stets eine Niederlage!

08. Juni 2019

18Uhr10 Nürnberg – Bayreuth

„Ich stelle gerade das Fahrrad ab. Dann schreibe ich einen Strafanzeige!“, sagt ein Fahrgast. Die Stimme klingt rau und fest. Als wir uns setzen: „Wie oft fahren Sie die Strecke?“ Ich deutete auf meinen essenden Mund. „Ich komme gleich!“, sagt er, steht auf, geht Richtung Fahrrad, kommt gleich wieder, setzt sich hin, er ist wohl sehr um sein Vehikel besorgt, zieht ein Buch aus der Tasche und ließt das englischsprachige Fachbuch: „Body Basic Bewareness-Therapie.“ Immer wieder dazwischen murmelt er etwas, als spräche er zu sich.

Ich verschanze mich. Lesend. Vor meinem Blickfeld habe ich ein Buch aufgebaut, damit ich nicht mit diesem Spinner reden muss. Ich lese Rosa Luxemburgs „Briefe aus dem Gefängnis.“

Ein ältere Dame, wirklich trifft dieser Ausdruck zu, Christa, aus Hersbruck, sie bewegt sich tänzelnd, beschwingt und offen mit einem riesigen Rollkoffer durch die Bahnhofshalle von einem Terminal zum anderen; sie spricht sehr gut Englisch, wobei sich eine sehr deutliche Aussprache, auch ihrer Muttersprache hat und tritt stets als sehr freundliche, nette, verbindliche Person auf, ohne anbiedernd zu wirken, wie viele andere, die von hier sind und herumstreichen und die Leute ohne Umschweife mit „Du“ anreden. Sie muss eine gute Erziehung, Bildung und Lebenslauf gehabt haben ihrem Erscheinungsbild nach zu schließen, aber wie es das Schicksal so will, ist sie mittlerweile behindert und bewegungsradiusmäßig stark eingeschränkt.
Dabei ist es schon ein Wunder, dass sie trotz Schmerzen aus dem Bett kommt, wie sie sagt: „Wenn Du wüsstest, wie ich leide!“ Trotzdem macht sie sich öfter auf den Weg in die große Stadt, um mit ihren Behinderten-Ausweis, der es ihr ermöglicht, kostenlos eine Beigeleitung mitzunehmen, durchs Land zu fahren und ein paar müde Knöpfe zu ergattern.
Ich treffe sie sehr aufgeregt an. Sie wirft mit Fäkalienwörtern um sich, da ihr Rotkäppchen mit der Bundespolizei gedroht hat. „Der Depp hat mit der Polizei gedroht!“ Es klingt für einen Außenstehenden sehr fränkisch, lustig und erheiternd, was es wohl für Christa weniger und alles andere ist.

Äthiopier I – wir sind Freunde

Im öffentlichen Nahverkehr werde exorbitante Preise erhoben. Ein mehr oder minder längerfristiges Ticket für eine Person ist kaum erhältlich, für zwei sind es die Regeln. Kinder von 14 bis 18 zählen als Erwachsene, wofür sie auch dafür den Preis entrichten müssen. Müssen die Leute ohnehin meist für zwei Personen Karten erstehen, solche, die mindestens fürs ganze Wochenende gelten, greifen sie zur Selbsthilfe oder versuchen ihr Recht in Anspruch zu nehmen, wenn eine Person solch eine Karte gekauft hat und eine zweite zum Mitfahren zu gewinnen. Angesichts der horrenden Preise ist es nicht verwunderlich, dass sie in den überwiegenden Fällen von Angesprochenen auf Zustimmung stoßen und erfolgreich sind und sie teilen sich eben die Kosten.
Hat also eine Person eine solche Karte erwirkt und versucht jemanden zum Mitfahren und zur Kostenteilung zu finden, sind aber sofort Angestellte dieses Unternehmens zur Stelle, um ihn daran zu hintern. Sie gehen dabei sehr unhöflich zu Werke, meist im lauten Tonfall und beschimpfen diese mit Steuerbetrügern und anderes mehr.
Wie gesagt, einer als das „Rotkäppchen“ bezeichnet wird, tut sich dabei besonders hervor! Dabei ist er nicht der einzige mit diesem Outfit, Uniform und Erscheinungsbild. Dieses sieht sehr korrekt, wenig uniformiert und kundenfreundlich aus, am Revers hängt ja auch der Name des Betreffenden. Aber wehe Du wirst von Ihnen dabei gesehen und beobachtet, dass Du Dein Ticket, dass mindestens für zwei Erwachsene gilt, einem zweiten zur Mitfahrt anbietest! Wie es eigentlich legitim ist!

Es hatte gestern wieder einen getroffen, einen jungen Äthiopier, der von Rotkäppchen quer durch die ganze Bahnhofs-Halle gejagt wurde und heute morgen sitzt er vor dem Terminal eines Provinz-Bahnhofes auf der Bank. Hier kreuzt sich öfter mein Weg, da meine Freundin vor Ort wohnt und des Morgens treffe ich also Daniel, den vorgestern Hunderfünzigprozentige vor sich hergejagt hat quer durch die fünzig Meter lange Bahnhofshalle bis zum Ausgang, durch den Daniel schließlich, als Rettungsschirm genutzt, entwischen konnte.
Er, den ich ein paar Stunden später wieder getroffen habe, hat mir geantwortet, als ich ihm nach seinem Befinden gefragt habe, wie geht es Dir: „Gut!“ Es klang wie: was sonst! Er hat noch mehr gelacht als sonst, der sich durch sein stetes helles, Menschen zugewandtes Lächeln auf seinem Gesicht von dunkel dreinblickenden Zeitgenossen wohltuend heraushebt und unterscheidet.
Aber ob er sich wirklich wohl fühlte, wage ich zu bezweifeln. Warum habe ich das Gefühl, als ich mit ihm rede, er will jederzeit wegrennen und schaut sich unsicher um?
Zu dem Mitleid paart sich aber mittlerweile etwas Skepsis, oder Nachdenklichkeit, oder Erforschenmüssen!
Denn ich erinnere mich, dass ich ihm auch gestern schon begegnet bin, einige Tage nach dem Gejagtwerden vom Rotkäppchen, als er mit einer Landsmännin, einer Äthiopierin mit Kinderwagen in Nürnberg unterwegs gewesen war.
Ich habe den Fehler gemacht, dass ich ihr lehrerhaft das Deutsch verbessern wollte, als sie mit Kind in den Lift vom Paterre zum Bahnsteig hinter mir einsteigen wollte: „Wir einsteigen auch.“ Ich korrigierte: „Wir möchten auch einsteigen.“ „Wir dich fragen müssen, ob wir einsteigen dürfen? Du bist wohl großer Herr? Wir müssen Dich zuerst fragen?“ „Ich wollte nur Dein Deutsch verbessern.“ „Du erlauben uns einsteigen zu dürfen?“ „Wer nicht Deutsch kann in diesem Land und lernen will, der ist dumm.“
Nebenan stand der Äthiopier. Ich suchte um Sprachhilfe nach: „Übersetz ihr mal, was ich ausdrücken will.“, merkte aber sofort, dass dieser noch weniger die Verkehrssprache beherrschte, der keinen Sprachkurs besucht hat und in einer kleinen Stadt in der Nähe einer Niederlassung der amerikanischen Armee weit außerhalb der Metropole wohnt, wo sie wohl den Teufel tun, um ihn zu integrieren, bekommen die amerikanischen Soldaten selbst kaum und unzureichend Sprachhilfe.
Er übernachtet meist bei Freunden in der Großstadt. Unter diesen Umständen wird er sich kaum richtig waschen, ankleiden und herrichten können, er riecht ziemlich streng und ungewaschen.
Er sitzt neben mir auf der Bank und verzehrt sein Frühstück, gegrillte Hähnchenflügel wahrscheinlich.
Seine Zähne befinden sich in einem himmelschreienden Zustand, Missstand, Unordnung, gehörten wenigstens einigermaßen justiert, da sie in nicht geordneter Reiche gewachsen sind. Diejenigen des Mittelbereichs stehen fünf Millimeter auseinander, das Zahnfleisch mit schwarzen Schatten erscheint und reicht unten und oben weit in den Mund hinein, wenn er lacht und er lacht oft. Die Beißzähne sind von den anderen Zähnen jeweils durch zwei Schneissen versetzt nach vorne herausgewachsen, als ob er in seiner Kindheit statt Wohlernährendes an Schilf-, Bambus—oder sonst etwas Derartiges aus seinem Land gekaut hätte.
Aber zunächst einmal braucht er einen Sprachkurs. Wie geht das nur, dass er ohne einen solchen, der als Integrationskurs tituliert wird, hierzulande leben und über die Runden kommen kann? Dabei ist er nicht der einzige.
Gleichzeitig kommt mir meine Lage in den Sinn, der ich ohne einen solchen dahinlebe, wiewohl ich gerade für solch eine Maßnahme extra eine Zusatzausbildung gemacht habe, neben meinen anderen ganz normalen zwei Universitätsausbildungen, wovon ich nicht einmal das erste, meistnachgefragteste ausüben darf, nämlich Sozialpädagogik, weil mich das örtliche Gesundheitsamt für „zu sensibel“ für die Betreuung von psychisch Kranken, wofür ich mich interessiert und beworben habe, eingestuft hat. „Wenn ich mit Ihnen beim Amtsgericht erscheine, was glauben Sie, was die denken (was ich mir einbilde, mit so einem aufzutauchen und ihn als Berufsbetreuer vorzuschlagen)?“ (Da habe ich mir schon gedacht: wo leben wir mittlerweile, dass ein Betreuer von seelisch kranken Menschen zu viel Einfühlungsvermögen mitbringt, statt dass er, na was wohl, Härte, Stringenz, Durchsetzungsvermögen, verbales Herumkommandieren, um es einmal euphemistisch auszudrücken, mit sich mitbringt oder wie oder was? Und die Freiheit der psychisch Kranken ist zudem so beschränkt, dass sie nicht einmal ihre eigenen Betreuer auswählen dürfen!)
Nun, wir beide, Daniel und ich, sind, wie man so sagt, aus dem System gefallen!
Wie werden gejagt wie gehetzte Hunde, zu denen wir gemacht werden, weil wir schauen müssen, das nötigste an Mittel zusammenzubekommen, um nicht wie die letzten Penner daherzukommen. Gejagt werden wir von anderen, die uns verfolgen durch den ganzen  Bahnhofsbereich und uns beschimpfen, anklagen und herunterputzen vor Hunderten von Menschen, die dieses Schauspiel ungerührt mitverfolgen oder nicht sehen wollen.
Warum schreitet keiner ein, erhebt das Wort, schlägt sich auf die Seite der Getriebenen? Und das in der sich selbst schmückenden, lobenden, auf die Schultern klopfenden „Stadt der Menschenrechte!“?
Aber einige sehen es doch, sehen und spüren, dass hierzulande mittlerweile ein Geist auferstanden ist, den jeder auf dieser Welt sehr wohl kennt, der in einem schneidenden, schärfsten, hysterischen Tonfall frank und frei in dichten Menschenansammlungen andere Menschen zu Menschen zweiter Klasse degradiert.
Just Engländer, die zum Dokumentationszentrum über die Nazizeit Deutschlands wollen, zur Aufmarscharena der Parteitage der NSDAP, zum „Dokumentationszentrum der Nazidiktatur“ oder so ähnlich heißt es beschwichtigend, verlogen und beschönigend und ratlos im Menü des Terminal herrumsuchen müssen, weil ihre Sprache, die Weltsprache Englisch, wahrscheinlich von den Angestellten im Zentralinformationszentrum nicht gut genug gesprochen wird und weil der Bestimmungsort aus unerfindlichen Gründen nicht in dem Betriebsmenü der Bahn auftaucht. Während ich ihnen helfe, die richtigen Tickets zu lösen, verfolgen einige konsterniert dieses Treiben des Rotkäppchens, der, mit seiner schneidenden Stimme wie weiland der Erzfeind dieser Nation, einen Schwarzen vor sich her durch die Halle treibt.
Was denken sie sich wohl?
Was denken sie, wenn sie in der Trambahn Nummer Vier sitzen und am „Platz der Opfer des Faschismus“, ehemaliger Hitler-Platz, vorbeifahren und sich dieser Szene mit dem Uniformierten und schluddrigen, stets lächelnden und freundlichen Afrikaner erinnern werden?
Es geschieht oft, dass gerade Britten diesen Ort heimsuchen wollen, wahrscheinlich weil sie nicht wenig von den Bomben der Deutschen über ihre Städten in Erinnerung haben und ich schließe gerne nach getanener Hilfe mit der Bemerkung ab: „And Greetings to Sir Winston Churchill!“, ein Witz, den sie sehr wohl verstehen.
Aber diesesmal ist mir nicht zum Witzeln zumute?
Warum werden heutzutage wieder Menschen zu Jägern anderer Menschen?
Weil sie im Dienst von staatlichen Betrieben, die mittlerweile halbprivatisiert sind, für die Dividenden deren sogenannten Shareholder andere vor sich hertreiben, niederbrüllen und bezichtigen, sie betrögen den Staat, indem sie keine Steuern bezahlten. Das ist sachlich schon ein ungeheuerlicher Vorwurf, denn keiner von uns bekommt durch das Geld beim Herumfahren so viel zusammen, dass er nicht unter den über 9000 Euro legitimierten Steuerfreibetrag käme, keiner, und würde er sich noch so ins Zeug werfen, am Riemen halten und schier permanent auf Trebe sein, käme auf diesen Betrag, niemand.
Daniel hat zuende gegessen. Er hat fettige Hände, die er, er dreht sich um, an der Gebäudemauer abstreifen und reinigen will. „Komm, dort vorne ist ein Klo!“, fordere ich ihn auf, sich die Hände zu waschen. „Ich pass indes auf Deine Plastiktasche auf!“, die er stets mit sich herumführt und worin seine Habseligkeiten sind. Sein Lächeln wird noch breiter, er erhebt sich und geht die paar Meter zum Eingang des Klos. Schön, dass wenigstens in diesem Bahnhof ein Bereich ist, wo man unentgeltlich austreten kann, etwas waschen und sich erfrischen kann. Durchaus eine Seltenheit!

Schwarze Frau will Konditorin werden

Die schwarze Frau weist mir einen freien Platz zu, in dem Zweiersitz im Zug. Ich bin mit einer kopftuchtragenden jungen Frau eingestiegen, die sich vor mir auf einen Vierersitz niederlässt, wo keine weitere Sitzgelegenheiten mehr ist.
Die schwarze Frau hat ihre Sitz-Lade vor sich herunter gelassen, auf dem ein Plastiktablett steht, in dem sich Reste eines frittierten Hähnchens befinden, das sie mir großherzig anbietet. Dankend lehne ich ab, aber nicht deswegen, weil es nur ein kleines unappetitliches Stückchen ist; mir ist nicht nach Essen momentan.
So kommen wir gleich ins Gespräch. Sie sei Feinkonditorin in Ausbildung. Sie komme von ihrem Arbeitplatz und fahre nach Plauen zurück, ein Weg, der einfach zwei Stunden benötigt. Insgesamt ist sie also vier Stunden unterwegs. Schon das klingt unglaublich, es muss bestimmt mehr Zeit in Anspruch nehmen, denn sie arbeitet in einer Kleinstadt, hier schon einmal umzusteigen in einen Bus und dann noch in Nürnberg und oftmals werden Züge gekoppelt, die auch nicht fristgerecht eintreffen, Zeitverzögerungen sind normal. Aber bitte, wenn sie es sagt. Ich kann es trotzdem nicht glauben.
Sie zeigt mir ihre Monats-Schülerkarte, die Strecke steht so drauf, wie gesagt, sie kostet über 400 Euro pro Monat. „Wie viel verdienst Du?“ „Über 600 Euro.“ Was bleibt da noch übrig? Zuhause hat sie zwei Kinder, Kindergartenkinder, vermute ich den Bildern nach zu urteilen, die sie mir auf ihren Smart-Phone stolz zeigt. Zudem einen Mann, Vater beider Kinder, der gleichfalls aus Nigeria kommt. Dieser wird sich wohl neben der Mutter um die Kinder kümmern, wenn die Mutter derartig lange tagsüber unterwegs ist. Viel werden sie nicht von ihr haben, etwas vier Stunden am Tag, denn geschlafen werden muss auch, so etwa 8 Stunden.
Kann das alles wahr sein?.
Ich kann es nicht glauben.

Körperliche Verdrängung

Die körperliche Verdrängung um bessere Plätze und Einsichtsmöglichkeiten auf den Ticket-PC ist wie gesehen habe auch bei mir da. Ein großer breiter Türke allen voran hat mich geschnitten und da ich mit festen, dicken,  schweren Schuhwerken bewehrt bin, habe ich ihn mit diesen in die Seiten hinein in seine Schuhe/Füß0e gestoßen, was schon (längerfristig) schmerzhaft sein dürfte – bislang ist dies aber nur das erste Mal gewesen  – als Schuss vor dem Bug schiffstechnisch-kriegerisch ausgedrückt. Den Pakistani musste ich bereits mit der Bundespolizei drohen, leider.

24.05.2019 Behinderte werden auch attackiert
So/Nürnberg /13Uhr 30

Am Bhf Nürnberg tummeln sich in Scharen hauptsächlich die schwarzafrikanischen, jugendlichen Äthiopier, die kaum Deutsch sprechen können.
Einem von ihnen, Jamal, habe ich ein Ticket verkauft, so dass er mir 50 Cent schuldig geblieben ist. „Ist verjährt“, „zu spät“, in diesem Sinne, meint er.
Letzthin kommt er unter Druck zu mir, bittend, mit mir mitzufahren: „Gib mir erst die 50 Cent“, sage ich. „Später. Erst muß ich eine Karte kaufen.“ Ich laufe ihm dummerweise zum Automaten hinterher, er hat einen 5er-Schein in der Hand, mit dem er eine Karte lösen will, der jedoch wieder ausgelassen wird und ich ziehe sogar in meinem Schwachsinn, meiner Gutgläubigkeit, Schwäche, was weiß ich, 4.50 Euro heraus, um ihm das passende Wechselgeld zu geben. „Gib mir erst die 50 Cent, dann fahre ich mit.“ „Später. Erst muß ich eine Karte kaufen.“ Hinter uns stehen „Sicherheitsmenschen“, ein Gelbwestler und ein paar blaue Bahnhofsangestellte, das Geschehen misstrauisch beäugend.
Jamal springt zum zweiten Automaten, auch hier gelingt es ihm nicht, eine Karte zu lösen.“ Er wird jetzt von einem hinter ihm Stehenden, auch dunkelhäutig, zur Minna gemacht. „Wo bleibst Du? Bist Du jetzt so weit?“ Nach einer Woche, ich ihn wiedersehend, läuft er an mir vorbei, als kennte er mich nicht, wie gehabt.
Wie sehr ich mich ärgere, mich auf ihn eingelassen zu haben, wodurch ich dem „Sicherheitspersonal“ aufgefallen bin. Meine Gutmütigkeit, mein Glauben auf Vergebung, der Möglichkeiten des Einlenkens eines mich Betrogen-Habenden ärgert mich sehr. „Sei stark! Werde nicht weich! Akzeptiere den Fehdehandschuh!“

Ansbacher, betrunken, in Pumphosen, herabflatternden, braunen orientalischen Hosen herumtorkelnd, mit Plastiktüten voll gestopft mit Pfandflaschen rempelt mich an, wobei er gleichzeitig „Entschuldigung“ murmelt. Ich habe ihn schon ein paar Mal darauf hingewiesen, er soll mich nicht immer körperlich berühten, attackieren, aber es hilft wohl nichts. Er lispelt stark, ist mir eigentlich sympathisch, doch er fängt wohl an, abzustürzen.

Veränderung

Allmählich verändert sich die Szene. Nicht nur, dass nach der Flüchtlingswelle nunmehr ganze Scharen von Schwarzen, die sogar längere Leerfahrten in Kauf nahmen, um ein paar Euro zu verdienen, auftraten, sondern das Verhalten der Einheimischen untereinander. Vielleicht infolge des rapiden Anwachsens der Konkurrenz?
Ein älterer Pakistani ist vom Rotkäppchen, einen besonders scharfen Bahnarbeiter, zu zwei Jahren vom Bahnhof Nürnberg verbannt worden. Trotzdem kommt dieser immer wieder an diesen Ort. Er hat höllische Angst vorm „Rotkäppchen“, der furchtbar aggressiv werden kann, laut herumbrüllt, mit Polizei, Tod und Teufel droht. Jener ist der Schrecken aller, die mit ihrer Karte versuchen Mitfahrer zu gewinnen. Und er ist der einzige von den Bahnhofsangestellten, der sich hinterrücks anschleicht, lange vor den Automaten steht, um das Verhalten zu kontrollieren und mit allem droht, was ihm einfällt: Hausverbot, Strafanzeige wegen Betrugs, „Betrug ist Betrug“ und Einsatz der Bundespolizei, die rechtlich für dieses Terrain Bahnhof verantwortlich ist.
Der Pakistani, der es nicht lassen kann, in Nürnberg immer wieder zu landen und hier Mitfahrer zu acquirieren, steht von daher unter Dauerstress. Er hat am meisten Angst, von „Rotköppchen“ gepastet zu werden, der ihn dann gehörig in die Mangel nimmt. Seine Angst geht so weit, dass er mit Speichel um den Mund herumläuft und jeden anspricht, um sich zu beruhigen, wobei er denjenigen körperlich versucht festzuhalten, am Arm packt, ja sogar in seinem angespannten Zustand andeutungsweise in den Bauch schlägt: „Hör mal!“ Dabei ist sein Deutsch mehr als rudimentär, er kann keinen Satz bilden, was er sagen will, versteht kaum einer, erst nach mühevollen, langen Minuten des Erklärens kommt man hinter seinen Aussagen.

Äthiopier II – wir sind Konkurrenten

Ich war in Ansbach, auf diesem Halb-Provinzbahnhof, herumgestanden.
Es kam ein Paar mit jeweils zwei Fahrrädern, ich konnte mit meinem einem Ticket aber nur eine Person, wenngleich die zwei Fahrräder mitnehmen.
In meinem naiven Gemeinschaftssinn winke ich einen etwas abseits stehenden Äthiopier heran, der gedankenverloren an einem des durchsichtig überdachten Bahnhofsbereiches aufragenden, eisernen Stützpfeiler gelehnt in seinem Smart Phone surft.
Er hat zwei Karten, womit er die beiden samt ihren Fahrrädern mitnehmen kann, mich lässt er einfach stehen, überlässt mir keineswegs, als zuerst die Kunden angesprochen Habender, wenigsten einen Fahrgast, nein, er nimmt alle beide für sich in Anspruch, die ihm treuselig und nichtsahnend hinterher zum Zug nachdackeln.
Ich fühle mich übertölpelt von dieser Unterbietung, Ausbootung und Ausstechung. Mit meiner freundschaftlichen, ihm Die-Hand gereicht-habenden Geste hat er mich kaltschneuzig über den Tisch gezogen. Frustriert dackle auch ich zum Zug hin, der sofort losfährt.
Das mitgenommene Paar sitzt mit ihren zwei Fahrrädern im Fahrzeug-, Kinderwagen und Rollstuhlbereich, sich freudig unterhaltend, wohingegen der Äthiopier etwas entfernt allein in den normalen Gastsesseln sich postiert hat, Rücken zu ihnen und erneut seelenruhig in seinem Smart-Phone surft. Ich zische ihn von hinten an, er dreht sich herum, während ich verärgert die Klotür aufmache: „Das war nicht in Ordnung. Du hättest mir einen Fahrgast überlassen können!“ Aber er reagiert nicht, denn das ist die Cruz, es ist nicht einmal sicher, ob er mich überhaupt versteht oder nicht verstehen will, ich habe noch kein Wort mit ihm gewechselt. Ich kartle sicherheitshalber in Englisch mit der selben Aussage nach. Aber es ist noch weniger wahrscheinlich, dass er diese Sprache spricht. Ausländer sind dir stets im Vorteil, weil sie sich stets dumm stellen können, ha, was sagst Du, was weiß ich, ich verstehe die Sprache hier nicht.

Später dann möchte ich einen Fahrschein verticken, wozu ich bei den herumstehenden Äthiopiern im Bahnhof Nürnberg nachfrage, indem ich ihnen eine Karte anbiete. Sie prüfen sie, nehmen sie aber nicht an, wobei sie ein jeder zuvor reihum im Kreis in die Hände genommen hat, von Hand zu Hand gegangen war und einer schlägt sie mir wie absichtslos aus der Hand, so dass sie auf den Boden fällt, ich mich bücken muss vor den um mich eingekreist Habenden.
Auch der freundliche Äthiopier Daniel steht daneben und lächelt dabei wie immer, dieses Mal teilnahmslos.
Der sie mir aus der Hand geschlagen hat, war es Absicht, war es Zufall, war just derjenige, der mich in Ansbach über den Tisch gezogen hatte.

Am Spätabend, als das Geschäft gelaufen war und wir uns zu einer Erholungspause am Fuße der Treppe zu einem Bahnsteig trafen, ich und just zufällig der Mir-die-Karte-aus-der-Hand-gestossen-Habende und der Mir-die-Kunden-Weggeschnappt-Habende, hat dieser noch die Chuzpe oder Frechheit, als wir uns einig sind im Small-Talk, dass der Abend gelaufen sei, mich zu fragen, und oh, und plötzlich kann er astreines Deutsch sprechen, ob ich ihm nicht die besagte, wenige Stunden zuvor mir aus der Hand geschlagen habende Karte kostenlos überreiche, übergebe und überlasse: dieser Schnorrer in Person und ich in meinem erneut Freund-sein-Wollen hätte sie ihm beinahe überreicht und geschenkt. Aber rechtzeitig zog ich die Karte zurück, vielmehr zögerte ich, als ich schon nach meinem Geldbeutel in meiner Hosentasche griff und im Begriffe war, ihm diese Tageskarte zu schenken, mich fragend, wie blöd musst Du sein, diesem Oberabstauber und Schnorrer in Reinkultur noch die gebratenen Äpfel vor die Füße zu legen, nachdem er dir ein paar Mal eine mit der Rute übergezischt hat?


Bildungsbürger auf Reise

Ein etwas desorientierter Herr spricht mich an.
„Ich muss zum Flughafen, dort in ein Hotel, um morgen in der Frühe weiter mit dem Flugzeug zu reisen.“ Der Flug geht wohl sehr früh, so daß er keine nahtlose Verbindung von seinem Heimatort bis zur Startrampe hat buchen können. Er muss die Nacht im Hotel verbringen. Das Hotel ist leider auch nicht unmittelbar am Flughafen, nämlich eine Station mit der S-Bahn davor. Dorthin muss er zunächst fahren. Mit einem dicken Koffer, versteht sich: zwei Wochen ist eine lange Zeit für sesshafte Normalbürger gehobener Klasse.
„Kein Problem, ich bringe sie hin!“
Er begleicht auch sofort den Preis, den ich ihm nenne.
„Nach Nordzypern also?“
„Ja!“
„In den türkischen Bereich von Zypern.“
„Ja.“
„Anladim!“, sage ich.
„Ich verstehe nicht?“, sagt er.
„Na, das heißt auf türkisch: ich verstehe!“
„Achso!“, sagt er.
„Genau!“, denke ich mir, sage es aber lieber nicht.
„Wenigstens ein paar Wörter türkisch müsste man vielleicht können“, meine ich dezent.
„Ja. Sie haben recht!“
„Teschekür!“, sage ich.
„Wie bitte?“
„Das heißt auf türkisch: danke!“
„Wie noch einmal?!“
Ich wiederhole.
Er scheint sich fast die Zunge zu brechen bei der Aussprache des Wortes Danke auf türkisch. Ich verstehe es, mir ist es anfangs auch nicht anders ergangen. Nur war ich froh und glücklich, dieses Wort aussprechen zu dürfen, befand ich mich doch inmitten Zentralanatoliens in einer höhlenartigen Behausung von kurdischen Türken, die uns zu sich eingeladen hatten.
Aber der Herr vom Bodensee, Angst vor einem Ritt über den Bodensee?, zweifelt, klagt und lamentiert jetzt.
„Dabei war das die Idee meiner Frau.“
„Aha, zwei Wochen Zypern im türkischen Teil!“
„Ja. Sie hat alles arrangiert, bis sie sich nicht mehr wohl gefühlt hat und absagen musste. Dann war alles aber bereits gebucht. Und jetzt fahre nur ich.“
„Während ihre Frau zuhause bleibt im schönen Konstanz!“
„Ja, sie hat es an den Bronchien. Asthma!“
Ich denke mir, daß es doch ein guter Tausch für eine Asthmaleidende von der feuchten Bodensee-Region zum trockenen Zypern wäre? Die hohe Luftfeuchtigkeit ist nicht gut für die Lunge. Und Zypern liegt in einer wärmeren, trockeneren Region dieser Erde.
„Aber na klar!“, denke ich, als ich mir den Herren da vom Bodensee genauer anschaue: der graue, nicht zu lange Bart ist vorbildlich und schön akkurat geschnitten, er selbst strahlt im Grunde seines Herzens Ruhe aus, sprich das Leben hat es bisher gut mit ihm gemeint, kurzum ein gesitteter Bildungsbürger – nun aber etwas nervös geworden auf dem unsicheren Weg in den Orient, wenn auch zunächst einmal nur auf dem hier schon steinigem Weg zu einem Flughafen-Hotel.
Ich kann es mir ja vorstellen! Mann und Frau aus gutem Hause haben ihr Leben lang bestens harmonisiert und funktioniert in Beruf, Ehe und vor allem in den Rollen der Erzieher bestens ausgebildeter Kinder, die nun flügge geworden sind, wohl in London, Paris, Tokio, weiß der Teufel wo, Karriere machen und nun stehen sich die übrig- und zurückgebliebenen Eltern Angesichts zu Angesichts gegenüber, fragen sich, wie sie zueinander gekommen sind, beginnen sich zu langweilen, überdrüssig zu werden und versuchen wenigstens auf leisen Wegen etwas auf Distanz zu gehen. Die Kinder haben noch keine eigenen Kinder, der nächste Lebensabschnitt, nämlich Oma und Opa spielen zu können, also in die Rolle von Großvater und Großmutter zu schlüpfen steht noch nicht vor der Tür, wie die Zeit bis dorthin überbrücken? Weil eine Trennung kommt in ihrem Alter, in diesem traditionellem Umfeld, in deren gesellschaftlicher Position und bei deren familiärer Tradition nicht in Frage.
Die Ehefrau, die gewieftere, weiß Rat. Sie arrangierte eine Reise, zunächst für sie beide gebucht. Springt aber dann vorzeitig ab, oder wird plötzlich krank, das Unterbewusstsein, keiner weiß es, hat schließlich das letzte Wort – na denn lieber Mann: „Güle, güle!“
Es braucht einige Zeit, um zur Station zu kommen, wo das Hotel des Mannes ist. Zeit, lang oder kurz, ist ein relativer Begriff, eine Frage der Lange- oder Kurzweiligkeit, ich habe kein Problem, ich lese einen spannenden Roman. Der Mann, der ein Redebedürfnis hat, stößt von daher bei mir auf Granit. So sucht er bei anderen Fahrgästen Anschluß, fragt immer wieder, wie weit es denn noch bis zur betreffenden Haltstelle ist. Steht zwischendrin auf, schaut auf das Schienennetz der U- und S-Bahnen über der Eingangstür der S-Bahn, setzt sich wieder, sagt sich, lächelnd, weil er über sich selbst beschämt zu sein scheint, sich bewusst, daß er nervös ist, aus welch unerfindlichen Gründen auch immer: „Es sind nur noch zwei Stationen.“ Aber natürlich, diese zwei Stationen können auch noch eine schöne Ewigkeit dauernd.
Immerhin, bevor er aufsteht und sich von mir verabschiedet, sagt er etwas schuldbewusst: „Ich weiß gar nicht mehr, wie dieses türkische Wort für „danke“ ausgesprochen wird!“
„Teschekür!“
„Aha, genau. Teschekür!“
Dann sage ich noch „Güle, güle!“
„Wie bitte!“
Er ist irritiert, denn die Phonetik dieses Wortes hat eine zweideutig-schön-schaurige Konnotation, sprich erinnert an etwas, worüber man die Nase verzieht. „Das heißt Auf Wiedersehen!“
Er wiederholt es, beschämt, aber gefasst – er stellt sich also dem Abenteuer!

„Polizeiverständnisse“ und Justizirrtum?

Ein Polizist klärt mich über die Bedingungen einer Fahrkarten-Nutzung auf.
„Das ist eindeutig!“, sage ich, „daß man da auch eine Person fahren darf.“
„Das kann man auch so sehen!“, sagt er, nämlich anders.
Das hat man nun davon, wenn man Menschen zu Ordnungshütern macht, die nicht ihre eigene Sprache verstehen, sobald sie schriftlich niedergelegt ist. Sollte so jemand nicht wenigstens dies können? Zumindest einen mittleren Bildungsabschluss haben? Neben diesem Polizisten steht eine Polizistin, die sich aber nicht in die Auslegung einlässt und –misch,wie dieser Satz nun zu verstehen sei. Stattdessen sortiert sie das Terrain, achtet darauf, daß niemand zu nahe kommt, um sein Wort zu erheben, das vielleicht nach meinem geraten wäre, oder was auch immer ihr Auftrag sein mochte, wahrscheinlich einer, der nicht schriftlich vorgeschrieben oder doch, womöglich aber dann falsch verstanden worden ist.
„Wo steht das, was sie behaupten, Herr Polizist?“ Eine überflüssige Frage, weil er ja nicht richtig lesen und verstehen kann. „Das steht im Internet!“. Wir stehen vor einem Terminal. „Zeigen Sie mir es bitte einmal mal!“ Er macht das nicht, ich hoffe aufgrund eines wenigstens geringen Selbstzweifels – daß er etwas falsch verstehen könne, was in der Schrift fixiert ist.
„Unwissenheit schützt vor Strafe nicht!“, schaltet sich jetzt die Polizistin ein, ein Spruch, den man in Grund- und Hauptschulen dieses Landes eingetrichtert bekommt hat, wohl auch im östlichen Teil desselben – was zwar ein anderes politisches System gehabt haben soll, aber leider kein anderes kulturelles - woher diese Dame zu kommen scheint ihrem Akzent nach zu urteilen.
Daß der Inhalt dieses Spruches höchstwahrscheinlich nur auf Untergebene wie ich einer bin angewandt wird, darauf kann man „Gift nehmen!“, auch so ein Spruch. Und richtig, die Herren Rechtsstaatler, Richter, sie stehen hinter der Ordnungsmacht, denn der feine Polizist mahnt mich: „Die Rechtslage sieht so aus: die Justiz, das Amtsgericht, die Richter stehen hinter dieser Richtlinie! (wie ich sie verstehe)“
Wobei seine Interpretation des Zusatzsatzes der Beschreibungen der Richtlinie bezüglich der Karte über die Nutzungsrechte derselben meint, daß da überhaupt keine Person fahren darf: „Die Karte gilt an Werktagen von Montag bis Freitag – ohne Ausschließzeit von Betriebsbeginn bis 9 nur für eine Person“ und da die Titulierung dieser Karte ausdrücklich eine Ausschlussfrist nennt und diese Karte eine „Zwei-Personen-Karte“ heißt, heißt dies, daß auch eine einzelne Person vor 9 Uhr fahren darf (wie ich es verstehe).
Aber der Herr Polizist sieht dies anders, liest dies anders und außerdem stehen da noch im Internet – wo nur? – Ausführungsbestimmungen, wo dies näher erläutert wird, nur, wenn ich oder er nicht ein gestörtes Sprachverständnis besitzen, helfen auch die best-formuliertesten, umfangreichsten Erläuterungen und Ausführungen nichts.
Doch dafür gibt es die Herren Juristen, die sowieso das beste aller Sprachverständnisse besitzen und wie der Polizist behauptet, es auch so verstehen wie er! Und wenn ich dies nicht wisse, sagt die Polizistin, dann schütze mich das auch nicht vor Strafe. Punktum.
Bildung ist die Lösung! So wird es überall in der Welt propagiert. Nun, ich darf sagen, ich habe eine sehr gute Bildung über mich ergehen lassen müssen, aber wenn ich sie anwende, wie hier, dann sagt man mir: falsch! Ich bin jahrzehntlang gedritzt mit sogenannter guter „Bildung“, aber dann erklärt man mir, daß diese falsch sei, nahe, zumindest fehlerhaft, besonders, oh Wunder, wenn es um die „Wurscht“ geht.
Was lernt man daraus?
Bildungsvermittlung ist auch nur ein Geschäftsmodell und hilft dir nichts, aus deiner Armut herauszukommen. Die Definitionshohheit behalten sich die Damen und Herren, die dich arme Sau in die Schule, Hochschule und Universität getrieben, gelockt und verführt haben.

Er ist nicht der einzige Staatsdiener, mit dem ich Bekanntschaft schließen musste.
Zwei, einer ein Polizist, der andere Berufssoldat, beide verschwägert und verwandt, Cousins, hatten, wie jedes Jahr einmal einen „freien“ Tag, den sie nicht in ihrer Stadt „feierten“, sondern in der nächstgelegenen.
Stark betrunken schlossen sie sich an meine Fahrt an, der persönliche Vorteil überwog den vermeintlich „gesetzwidrigen“ Nachteil – man sparte sich Geld, schließlich hatte man seinen freien Tag, einmal im Jahr, da wird man doch mal über die Stränge schlagen dürfen!
Das taten sie denn und zeigten ihr wahres Gesicht.
„Da stinkt’s!“, sagte der Polizist und verzog angewidert seine Nase auf dem Bahnsteig, sich aufmantelnd, die Muckis zuckten nur so und herausfordernde Blicke blitzten aus ihren schmalen Augenschlitzen.
„Ja, nach den jüdischen Pfeffersäcken von Nürnberg.“
Die Herren Mitfahrer, die ich nach Bamberg eskortierte, hatten schon etwas Spaß gehabt in Nürnberg, dieses schöne Christkindlers-Markt-Ambiente genossen, guten Glühwein mit aromatischen Gewürzen gesüffelt, die die „Pfeffersäcke“ aus fernen Ländern herbeigeschafft hatten, wofür sie diese nun beschimpften, verunglimpften und schmähten – alles zu ihrem Vergnügen, man musste mal so richtig auf den Putz hauen, halt ausbrechen, so richtig exzessiv, ausfällig und assimäßig, ganz wie gesetzlose Desperados. Uniformen trugen sie an diesem ihren freien Tag nicht, also treib die Sau durchs Dorf!
Das würde Schwierigkeiten geben, merkte ich jetzt erst: Betrunkene. Meine Gäste hatten für sich einen Vierersitz besetzt, vielmehr hatte ich sie dazu aufgefordert, weil bei Betrunkenen sei vorsichtig und ich setzte mich reserviert gegenüber. Nur würde es mir leider nicht viel helfen!
Ich zog arglos meinen Zeichenblock und meine Wachsmalkreide heraus und malte, was ich sah: diese zwei Schnapsnasen.
„Das hilft Dir auch nichts jetzt!“ Der Polizist war sogleich im Verhörmodus, was ihm wohl im Blut lag, da konnte der Alkohol leider nichts gegen ausrichten.
Der Berufssoldat wollte mir jedoch eine Chance geben. Väterlich, jovial und als spräche er mit einem Rekruten fragte er mich etwas.
Warum?
Entweder merkte er, daß Dutzende Ohren gespannt zuhörten.
Oder er spürte, daß ich etwas in der Birne hatte.
Möglicherweise wollte er sich deswegen mit mir messen.
Nur lag es bei ihm, die Meßlatten hochzuhalten.
Er fragte mich, wie der Autor des Theaterstückes „Jedermann“ hieße.
Er war beeindruckt und ich hätte ihm auch gern eine Frage aus dem Kanon unserer hochgeschätzten Kultur gestellt. Ich dachte aber, wenn ich ihm jetzt eine Frage stellte, käme von seinem Cousin die bellende Stimme: „Wir stellen hier die Fragen!“
Was ich nur dachte, dachte ich, während ich aus dem Fenster schaute in eine Abend-Nacht-Wald-Wand und dachte, daß ich schon Angst bekam.
Die Zeit rumbringen!
Die Zeit zog sich so hin!
Wann erreichten wir endlich unseren Bestimmungsort!
Ein sehr düster dreinblickender Mann saß mir gegenüber, eine graue Eminenz: sehr dunkle Haare, eine dunkel-getönte Brille, ein messerscharfes Oberlippen-Bärtchen und eine Couvert-Aktentasche unterm Arm. Jetzt auch war sie zwischen den Armen geklemmt, mussten wichtige Papiere enthalten, womöglich war er auf der Fahrt zum vom Innenminister zynisch, nein vielsagend, oder vieldeutig genannten Angerzentrum dieses freiheitsliebenden Landes.
Sonst legt man doch normalerweise seine Taschen ab!?
Er kam mir wirklich „spanisch“ vor und wie die Inquisition in Person, aber – olé! – Vorwärtsverteidigung – und getraute mich nach der Uhrzeit zu fragen: „Haben Sie eine Uhrzeit?“ Der Kopf, der auch in die dunkle Waldfront gestiert hatte, drehte sich mir träge zu und ein verächtlicher Blick traf und schlug mich nieder. Klar, ich hatte Schiss gekriegt, weswegen ich nach der Urzeit fragte.
Die Nachricht ließ mich aufatmen.
Betrunken wankend entfleuten meine Mitfahrer dem Abteil, dem Zug, ich hinterher und als ich ausstieg, bekam ich weiche Knie, so daß ich beinahe noch den Boden geküsst hätte. Aber ich kannte diese Stadt einfach zu gut!
Ein ägyptischer Vater mit Töchtern kommt vom Weihnachtsmarkt

Mit einem ägyptischen Vater und seine zwei Kinder, Töchter unterwegs.
„Kommen Sie vom Weihnachtsmarkt?“ „Ja!“ „Schön, nicht?“ „Ja, aber zu viele Menschen!“, sagt der Vater. „Ich verstehe!“
Heute bin ich nur mit Kindern unterwegs, stelle ich erstaunt fest, zudem nur mit einem Elternteil.
War das Zufall?
Und jedes Mal habe ich fast mehr gekriegt als ich verlangte, Weihnachten bringt die Menschen in Geberlaune, selbst nichtchristliche, aber mit dem jetzigen Gast, der seine Kinder recht einschüchtert, stoße ich auf massives Misstrauen, nicht umsonst hat er auch den Fahrpreis auf ein kaum erträgliches Maß heruntergehandelt.
Er umarmt hin und wieder seine Töchter, während er misstrauisch auf die elektronische Ausschilderung unseres Zuges schilt und deutet. „Ja, das steht Erlangen. Dorthin wollen wir!“ „Ja!“, räumt er ein.
Als wir in den Zug eingestiegen sind, erwacht erneut sein Misstrauen. „Die Nummer des Zuges hat sich plötzlich geändert!“, stellt er fest. „Ja, das kann sein. So etwas passiert manchmal.“ Nichtsdestotrotz fragt er Nachbarn. Diese bestätigen ihn den richtigen Zug.
Er widmet sich wieder seinen Töchtern, einer gibt er versöhnlich seine Hand und drückt deren derartig heftig, daß sie schmerzverzerrt das Gesicht verzieht. Er macht mit ihr Handdrücken, eine bayerische Spielart, Daumendrücken. Das Mädchen zieht ihre Hand erschreckt zurück und lehnt sich wieder in ihren Sitze.
Damit hat er Gelegenheit, einen Blick in mein nun aufgeschlagenes Sudelheft zu werfen, da ich begonnen habe mich durch Zeichnen abzulenken. Ich merke, daß mich sein Verhalten seinen Kindern gegenüber dubios erscheint, mich aufregt, aber mir keine Möglichkeit eröffnet, etwas zu sagen, schließlich sind es seine Schutzbefohlenen und er ist Ausländer.
Er hat eine Zeichnung von mir gesehen, die ihm aufstößt. Es handelt sich um mit einem Kopftuch bewehrtes Mädchen. „Das eine Auge ist weg!“, sagt er etwas erschrocken. „Nein, nur hat die Person ein Auge geschlossen.“ Er sieht es nun auch und gibt sich insofern zufrieden.
Andere Zeichnungen jedoch, die ich hochhalte, auch für die Kinder, betrachtet er skeptisch. Als ich in meinem Sudelbuch weiterblättere, stoßen wir, nur für ihn und mich sichtbar, auf Frau pflückend, die ein mit Dornenpeitsche bewehrter, nackter Mann von hinten schlägt. Obwohl keine Geschlechtsteile zu sehen sind, nur der deutlich konturierte Rücken des Sklaventreibers, fordert er mich abrupt und befehlsartig auf: „Schließen Sie Buch!“, währenddessen die Kinder aber Stein, Schere, Brunnen spielen und also gar nichts mitbekommen haben. Der harsche Befehlston schüchtert natürlich die Kinder ein. Sie hören auf zu spielen. Er drückt wieder die Hand der Ältesten sehr fest; die sich die Hand schüttelt vor Schmerz danach, die Jüngere, der danach die Hand drückt, muß nicht einen derartigen festen Druck erdulden.
Danach schlägt er mit der Faust auf die Abfallpodest-Platte, das es kracht, da er ein wahrer Muskelprotz ist. Hat ihn meine Zeichnung von Ägypten, Palästina, Libanon bis zur türkischen Grenze missfallen, die ihm auch hingehalten hatte?
Es war ihm Anlaß gewesen zu fragen, wo ich wohnte, woher ich käme, was ich in Erlangen täte, dies zweimal, nämlich ganz zu Anfang unseres Kennenlernens, so daß ich jetzt zurückgebe: „Wie ich schon sagte...“
Ein paar Floskeln Arabisch, die ich beherrsche, tausche wir aus, Zahlen und Buchstaben, die in meinem Buch hier aufgeführt sind, weise ich vor, wobei sich jetzt die Kinder interessiert beteiligen. Sicherheitshalber zeige ich ihm nicht die kürzlich von einem Fremden eingetragenen hebräischen Zahlenzeichen, wer weiß, ob es ihn nicht noch mehr aufgebracht hätte? Beim Lesen der arabischen Zahlen beteiligen sich die Kinder angeregt, korrigieren den Vater auch das ein oder andere Mal, was ihm nicht gefallen zu scheint.
Zum Schluß wünschen wir uns einen schönen Abend noch: der Jüngsten zwinkerte ich zu, welches lächelnd sich erhebt und von dannen schwebt – Kinder vergessen schnell!
Angesichts dieser Kinder verstehe ich nicht die Angst unserer Bevölkerung vor der Überfremdung, vor der Islamisierung, der kulturellen Einschränkung – denn die Freiheit wird immer die Oberhand gewinnen!

Eine mich ängstigende Person

Die einzige Person, vor der ich mich ängstige, ist eine ältere Frau mit oberbayerischen Akzent, die wohl Ärztin gewesen ist, ihre Kinder sind es noch, in Nbg, wobei sie selbst in Erlangen wohnt, in den Feiertagen dort hinzufahren beliebt, um die Enkelkinder zu hüten.
Ich bin ein geschlagenes Kind von Pädagogen mit oberbayerischen Akzent, der ich auf den Straßen einer kleinstädtischen, fränkischen Stadt sprachlich geprägt worden ist, und diese Frau flößt mir auch deswegen Angst ein, weil ich sie so faszinierend finde, daß ich mich sofort in sie verliebt habe, obwohl sie wirklich steinalt ist, bestimmt über 80, egal, Liebe kennt keine Altersgrenzen.
Ihre verschnörkelte, gezeichnete, verschrumpelte Gesichtshaut glänzt vor Freude, als wir uns gut unterhalten und ich sehe eine feurige, direkte, faszinierende Frau. Ja, sie hat Feuer, ja, sie ist direkt, sie ist offen und unumwunden – wo findet das man noch heutzutage beim weiblichen Geschlecht?
Sie ist auch kulant, großherzig und angstfrei, lässt mich eine Station vor ihrem Ziel heraus, da es für mich bequemer ist, von dort zurückzufahren, aber das nächste Mal macht sie mir gerade dies zum Vorwurf. „Sie sind eine Station zu früh ausgestiegen!“ Es erscheint mir sinnlos und vergeblich, sie an ihre Freigiebigkeit zu erinnern. Sie würde es nicht mehr wissen und die Interferenzen zwischen uns würden deshalb nur zunehmen.
Na, dann schweige ich, mache gutes Spiel zum bösen!
Denn wirklich, bös wird es noch. Denn auf unserer zweiten Fahrt nun kommt sie immer wieder z wischendrein auf die erste zu sprechen. Sie lässt nicht locker, ist hartnäckig oder beständig, je nach Standpunkt. Sie wird sogar einmal derartig laut, daß ich fürchte, es erregt Aufsehen. Ich schaue mich um, ob nicht Gelbwesten, Sicherheitsleute oder Bahnschaffner in nächster Nähe sind, die, wenn nachfragend, mich in ganz schöne Kalamitäten hätten bringen können. Ich, als Jüngerer, stünde sofort und von Haus auf unter dem Verdacht, Ältere, Hilflose, Greise übern Tisch gezogen zu haben. Der Schwächere in so einem Fall hat durch erhebliche Vorschußlorbeeren die bessere Ausgangslage, ganz klar.
Sie war im Grunde meiner Seele ein abschreckendes, mich verschlingendes Monster von denjenigen Lehrern, die sich wie die Aasgeier auf mich zu stürzen beliebten, um mich mit ihrem Wissen zu stopfen, das nächste Woche nicht mehr gültig sein würde: so geschehen mit altdeutscher Schrift, mit Mengenlehre, Wasserfarben-Malen, wobei mir letzteres am meisten zugesetzt hat, weil ich gerne weitergemalt hätte, aber man hat gesagt, die Utensilien seien weitergereicht worden, andere sollen auch in den Genuß kommen können.
Diese Damen, mit ihrem herben Dialekt, ihren silberglitzernden Eckzähnen, Ersatz von zwei aufgrund einer Geburt entfernten, ihrer pädagogischen Penetranz, ich weiß nicht, was sie eigentlich von mir wollten, wenn ich auch allermeisten die richtige Antwort gab, vielmehr herausfand, erahnte, erlas in diesen lächelnden, verzückten Kuh-, Schnepfen- und Reiherköpfen, oft genug mit großen von Brillen gestressten Augen, an ihrem Wimpernblinzeln, ihrem Lächeln oder ihren Blicken in bestimmte Richtungen und Stellen, wenn ich über die Zeichen dieser oder jener Aufgabe mit dem Finger strich. Sie selbst stand unter Druck, gute Erfolge zu erzielen, weil oft uns oft jemand über den Rücken blickte.
Nur nicht Aufsehen erregen also!
Ich atme auf, als die Geliebte, die sich mir jetzt eher als schnöde Hexe, fast zumindest, einmal geliebt, immer geliebt, entpuppt hat, endlich ihrer Wege zieht.
Aber das dritte Mal, ich sehe sie bereits in der Entfernung von 10 Meter, spüre ich sofort, wie mir Angstwellen über den Rücken blitzen, mache mich schnell aus dem Weg, sprich schleiche mich auf der Stelle.
Gott behüte alte Menschen, auf all ihren Wegen!

19.12.2019

Einen vermutlich Afrikaner mitgenommen, reagiert aber nicht auf ugandische „beluntischi“, was danke heißt, sowie auf die Deutsche Sprache, wenngleich ziemlich gut verstanden und hat er am Bahnsteig. Biertrinker.

22.12.2019

in Nürnberg mit erster guter Tatabsicht, die aber, weil die Mama für Kind nichts geschenkt haben konnte, entgolten worden ist. „Danke, ich kann es gut gebrauchen.“
Zuvor eine Mama mit zwei Kindern mitgenommen, die mir auch mehr als verlangt gegeben hat.

Zwei Kameruner mitgenommen, die erst in Erlangen für eine Person, dann in Bamberg für die zweite den Obolus entrichtet haben, so viel Misstrauen bestand zwischen uns. Ein hin- und hergeschachere ist das gewesen, die auch Deutsch lesen können, aber einer spricht Deutsch, der andere französisch.

Rechte und linke Anwerbung

20.01.2020

Gestern einen Einladungszettel für einen Berliner Aufenthalt mit Besuch beim Bundestag von einem Herrn Oberst aus Pegnitz/Oberfranken bekommen.
Er ist mir das erste Mal aufgefallen, als er sehr freundlich mit dem türkischen Putzpersonal geredet hat, zumindest sich Mühe gab, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, immerhin einer, der sich auch mit Ausländern abgab. Er erinnerte mich an eine linke, nachgerade kommunistische Szenekneipe im Scherbenviertel Gostenhofen in Nürnberg, besucht von Anwälten, Ärzten, Ingenieren, Lehrern und Doktoranten, multikulti, von Griechen betrieben. Ich dachte mir, oh, den kennst Du doch von dort, wo meistens Höhersemestrige verkehrten und ich zu den Jüngeren zählte. Ich sagte nur den Namen der Kneipe, „Planungskneipe“. Er verneinte dies aber. Es ist nicht unbedingt gesagt, daß er unter den Linken dort nicht schwerlich gelitten worden wäre. Er macht einen durchaus netten, verbindlichen, freundlichen, umgänglichen, nach allen Seiten offenen Eindruck.
Anfangs hat er mich allerdings einmal vor dem Kopf gestoßen. Ich war gerade in einem Gespräch mit jemanden und der frage, wie viel denn die Fahrt nach Erlangen kosten würde und da stand er daneben und sagte: „Die Hälfte sind 2,50 Euro!“ Er hat sich damit in ein Gespräch eingemischt, das ihm nichts anging. [Daß man nicht bei jedem Gerechtigkeit walten lassen kann, möchte ich später noch ausführen.]
Er hat einen ganz grauen, wenn auch starken, festen Haarwuchs um eine Tonsur, buschige und nicht geschnittene Augenbrauen, was ihn wilder und älter wirken lässt. Seine Schneidezähne unten fehlen ihm. Oft trägt er eine Aktentasche, scheint es, es kann aber einfach auch eine Einkaufstüte sein, den Eindruck erweckend, betriebsam zu sein, er sieht ein bisschen nach vielbeschäftigten Angestellten aus. Dabei liegt es wohl daran, daß er von weit außerhalb von Nürnberg kommt und sich in der großen Stadt mit Lebensmitteln und sonstigem eindeckt.
„Drei Tage Vollpension mit Übernachtung, alles inklusive“, verhieß das verlockende Angebot. Von einem Mandatsträger des Bundestages Herr Sowieso war die Einladung.  „Füll’s aus und geb’s mir wieder, wenn wir uns wieder sehen.“
Gestern hatte er mir davon erzählt, als wir alleine auf dem entlegenen oberfränkischen Lichtenfelser Bahnhof gelandet waren und da es gut klang, wer lehnt gerne so etwas ab, einen Rundum-Drei-Tage-Aufenthalt in einer Metropolstadt, mit null finanziellen Verpflichtungen, wie er mir beteuerte? Einmal nur würden wir einen Besuch im Reichsgebäude, dem Bundestag machen, ansonsten könnten tun und sein lassen, was wir wollten - so zeigte ich mich interessiert. Ich schätze Berlin wegen seiner Theater, vielleicht auch ist eine interessante Ausstellung eines bildenden Künstlers gerade zugange, das wär’s doch!
Der Oberst hat zudem die lästige Angewohntheit, einem mit seinen eisernen Handgriff zu packen, als traute er der Wirksamkeit oder des Wahrheitsgehaltes seiner Worte nicht oder er ist ein Waisenkind gewesen mit starkem Anlehnungsbedürfnis, das heute noch zum Vorschein kommt.
„Das nervt mich, den Wisch dauernd mit mir herumzuschleppen. Kann ich’s Dir nicht postalisch oder besser noch elektronisch zuschicken?“
„Wenn’s sein muß. Schick’s an den Herr Sichert, rechts oben ist die Adresse.“
Es stand nur Name plus „MdB“-Titel darauf, Adresse der Post und eine E-Mail-Addy.“
„Schreib mit einem schönen Gruß von Herr Oberst.“
„Dein Name!?“
„Richtig!“
„Nomen est omen!“, habe ich nicht gesagt, weil ich befürchtete, er verstehe kein Latein. Er war Detektiv im Ruhestand, mit der Berechtigung zum 1. Waffenschein, behauptete er. Seine Firma, Gesellschaft, was immer da im Auftrage ist, gegen Wirtschaftskriminalität vorzugehen, ist in Ingolstadt lokalisiert, woher möglicherweise sein starker oberbayerische Akzenteinschlag herrührt.
„Ein Kollege ist bei der Ermittlung in Sachen Drogen erschossen worden.“
„Aber du hast doch nur mit Wirtschaftssachen zu tun gehabt.“
„Ja, ich bin „kriminaltechnischer Assistent“, oder so ähnlich war die Berufsbezeichnung, jedenfalls nach meiner Nachfrage handelt es sich um keinen universitären, akademischen Titel, wie er einräumte.
„Ich habe bei meinen Tätigkeiten stets auf Schusswaffen-Tragen verzichtet, Freunde, die auch Taxi gefahren sind, haben Schreckschuß-Pistolen gehabt. Ich nicht! Ich habe auch nie Huddel mit z.B. amerikanischen Soldaten gehabt, welche oft Fahrgäste waren. Ich habe mir gesagt, wenn es zu Konflikten kommt, hörst du einfach auf.“
Er habe mittlerweile eine satte Rente und ein Haus - eigentlich braucht er gar nicht so herumzufahren und auf diese Weise noch etwas Geld eintreiben, er habe es auch satt, aber... Er wohnt in einem kleinem Dorf bei Pegnitz in der abseitigsten, tiefsten Provinz, sprich auf dem Land, hat aber ein Auto, um vom Bhf Pegnitz in sein Kaff zu gelangen.
„Die drei Tage in Berlin sind rundum frei und umsonst.“
„Bei welcher Partei ist der Gastgeber?“
„Bei der AFD (rechtsgerichtet).“
„Hm!“
Aber bei dem letzten „Seminar“ sei nicht das geringste dabei aufgefallen oder von ihm, dem Oberst, bemerkt worden, daß es eine von dieser Partei durchgeführte „Veranstaltung“/“Exkursion“, was immer, gewesen sei, versicherte er und sagte resolut: „Wenn’s Dir nicht passt, gib mir den Zettel wieder!“
„Moment, ich schau mal erst. Ich überleg´s mir!“
Der betreffende Bundestagsabgeordnete setzt sich laut Wikipedia insbesondere für „Obdachlose“, für aus Not Flaschensammelnde und solche ein, die keine Chance haben, in den Ehestand zu treten – wobei letzteres dubios und unklar klingt, was wohl damit gemeint sein soll – der MdB ist Diplom-Kaufmann, keinen Ständetitel hat er also, keinen gesicherten „Berufstitel“ – sehr viele halbseidene Akteure tummeln sich scheint’s in der rechten Szene und Politik, das ist mir schon öfter aufgefallen. Einige haben auch Professorentitel, wobei zu fragen ist, in welchem Fächern und Anlässen heraus, sie diese wohl erworben haben. Die Konterfeis der Abgeordneten machen einen eher düsteren Eindruck, sei es, daß sie so gesehen werden wollen, sich so abgelichtet haben oder wirklich in dunklen Domizilen und Refugien hausen, wo es an Licht mangelt.
Jedenfalls überlege ich seitdem, ob ich mich anmelden soll.
Besonders erstaunt bin ich nicht, solch eine Anwerbung erhalten zu haben, ich habe mich eh schon gefragt, wo nur die Rechten sitzen, immerhin hat man mit Hilfe deren hier in Nürnberg in den 90ziger Jahren fast ein Dutzend türkische Mitbürger umgelegt. Allerdings habe ich von Anfang an, solche wahrgenommen und mittlerweile bilde ich mir ein, immer mehr von ihnen wahrzunehmen, die, seitdem ich dort am Nürnberger Bahnhof auftauchte, wie mir jetzt klar wird, wie die Katze um den heißen Brei herumscharwenzeln.
Eigentlich fehlt mir doch entschieden der Stallgeruch dieser Brüder – hm!
Ich habe unterdessen versucht mit ein paar MdB’s vom anderen politischen Spektrum Kontakt aufzunehmen, vergebens. Sie meinten, sie hätten schon ihr Klientel.
Ich vermute, diese neue Partei hat weniger Anhänger als Mandatsträger und sucht nun sich in der Bevölkerung zu verankern bzw. Sympathien zu gewinnen. Oder sie versucht – Politik als Geschäftsmodell, sie wären übrigens nicht die einzigen, die ich kenne – auf diese Weise Geld zu machen – dazu später ein Indiz.

Oberst wieder begegnet: „Hast Deinen Anmeldeschein schon abgeschickt?“
„Nein, ich such noch jemanden, der mitfährt und da brauche ich dessen Passnummer.“
„Richtig!“
„Außerdem muss derjenige zu einem möglichen Zeitraum auch Zeit und frei haben.“
„Ja!“ Er nickt zustimmend und sagt bestätigend: „Weil, Du musst wissen, jeden nehme ich auch nicht mit.“ Er hebt die Exklusivität der Mitreise hervor, als wäre er der Gastgeber selbst und nicht dieser AfD-Gastgeber. Er wirkt heute akkurater, aber auch jünger, da er sich die Augenbrauen gestutzt hat, was zweifelsohne manierlicher aussieht.
Er hatte mir das letzte Mal auch gesagt, er beabsichtige Telefonseelsorge zu machen. Das rückt ihn natürlich von dem rechten Spektrum weg. Es macht ihn harmlos, scheint ein Anzeichen dafür zu sein, daß er eigentlich keine Rechter ist, ein Herz für Schwache besitzt, was so ganz und gar nicht kennzeichnend ist meiner Vorstellungswelt entsprechend.
„Oh, ich habe ´ne Freundin, die diese oft in Anspruch nimmt, auch und sogar, wenn ich ihr keinen Trost spenden kann, was gar nicht so selten vorkommt, wie das letzte Mal, als sie bitterlich weinte ob eines Bekannten Suizid. – Also, das kann Dich ganz schön schnell herunterreißen, diese Telefonseelsorge, das ist wahrhaftig kein Pappenstil.“
„Meine ich auch!“
„Hast Du davor keine Angst?“
„Ja, ich weiß!“, deutete seine Geste an, wobei er schwieg. Herr Oberst äußert doch nicht so gerne Gefühle, zumal solche, die auf Schwäche hindeuten.
Er wirkte von daher ziemlich unbeeindruckt. Nahm er sich mehr vor, als er leisten konnte; unterschätzte er diese Aufgabe, Menschen in seelischen Konflikten helfen zu können?
„Ich könnte es mir nicht vorstellen, dies zu tun!, ganz ehrlich, weil ich heruntergezogen würde und nicht die Kraft hätte, wieder schnell aufzustehen. Und letzten Donnerstag habe ich ein Interview mit einer Leiterin von Lebensmut e.V. gehört, die sicherlich stark, fidel und Lebensenergie versprühend wirkte, aber es kam mir doch recht aufgesetzt vor. Ich jedenfalls wollte nicht die letzten Stunden meines Lebens verblödeln, indem ich einen Walser um den Tropf tanzte, wie sie es mit jemanden gemacht hat.“

Zur Bemerkung, daß die Rechten um mich herumscharwänzelten.
Emotional Hundertprozentig ist es einer, mit dem ich zum Beispiel einmal zu zweit mit zwei Gästen nach Bamberg gefahren bin. Irgendwie, leider kann ich mich nicht mehr an den Wortlaut erinnern, es ist am Anfang meiner Fahrttätigkeit gewesen, und seitdem ist er kaum einen Meter näher an mich herangekommen, waren seine Aussagen rechtslastig, zweifelhaft und standen im Gegensatz zu meinen und die zwei jungen Fahrgäste spürten dies und ohne jedoch etwas zu sagen, stellten sie sich auf meine Seite, fühlten sich mir eher verbunden. Er schien es zu spüren, so daß er abrupt schwieg. Seitdem meidet er mich.
Heute stand er nicht weit weg von mir und aß genüsslich einen Bürger, während er mich beobachtete.
Der zweite im Bunde, groß, stark, mit Intellektuellenbrille und stark oberbayerischen Dialekt war mir aufgefallen, daß er auf seiner Jacke eine Deutschland-Emblem trug. Ich schaute ihn diesbezüglich scheel an, wobei ich wohl meine Missbilligung nicht zurückhalten konnte und schwuppdi-wupp war er weg und trug seitdem kein solches Zeichen mehr. {[Ich bin gegen die „Militarisierung“ und „Nationalisierung“ der Zivilgesellschaft!]
Auch wenn er gerade in die Nähe von Kartenautomaten kommt, wo ich stehe, macht er einen weiten Bogen, ein sehr weiten und verlässt oft genug die Halle. Ich weiß, daß er in Schwabach, also fast in meiner Heimatstadt wohnt. Einmal ist er mir fast ins Auto gelaufen, als er knapp an mir vorbeigegangen ist. Er ging stracks über die Straße, wo weit und breit kein Zebrastreifen war, und ich musste abrupt auf die Bremse treten. Sein Verhalten war aber insofern verständlich, daß ich mich wie eine Schnecke in einem Stau mit Stop-und-Go-Verkehr vorwärtsbewegte und er problemlos zwischen den Gefährten hindurchschlüpfen konnte, wobei es jedoch schon zu einem Unfall hätte kommen können.
Jedenfalls, wir können uns wohl überhaupt nicht riechen. Dabei habe ich im Grunde keine Berührungsängste, nachdem ich etliche Male schon leidvoll erleben musste, daß sogenannte bekennende Linke auch nicht das Gelbe vom Ei sind.
In letzter Zeit taucht er immer öfter auf, befindet sich mit anderen deutschen Fahrschein-Anbietern sehr intensiv im Gespräch, wobei er oft seinen Finger bemüht und auf seinen Gegenüber deutet, als wolle er ihn herauslocken, auffordern, zum Bekenntnis bewegen. Komme ich jedoch näher an ihn heran, verschwindet er sofort.
Ich weiß, daß diejenigen mit denen er spricht oft Psychisch Kranke sind, Berufs- und Erwerbsinvalide, Alkoholiker, wo ich es nicht weiß, weiß ich, daß es nicht anders sein kann, da diese zumindest sagen, sie seien es und diese schauen mich dann oft an, als würde ich gerade ihr Gespräch gestört, unterbrochen und sie bei etwas ertappt haben. Nichtsdestotrotz habe ich den Eindruck, daß das ihnen gerade recht kommt, da sie sich von dem „Agitator“ lösen und beginnen, Fahrgäste zu acquirieren.
05.02.2020

Ein sogenannter jüngerer Linker

Mit einem jungen Studenten der „Kommunikationswissenschaften“ gefahren. Klar, wir sind gleich Du. Er ist gerade auf dem Weg zu einer Demo gegen die Rechten war. Natürlich will er mich dafür rekrutieren, wirbt mich gleich an, ich schlage ab. „Ich bin so erkältet und ausgefroren, daß ich unmöglich noch abends in Kälte herumstehen will“, sage ich müde.
Zuerst lehnt er meine Preisangebot von 7 Euro ab. „Ich fahre lieber selber.“ „Also gut. Die Gerechtigkeit soll siegen: die Hälfte. Dann kann ich ihm nicht herausgeben und schenke ihm einen Euro.
Wir gehen zum Bahnsteig. Dort erbittet er sich ein Papier zum Drehen, das ich ihm gebe. Als ich den übrigens gleichen Tabak drehe, möchte er noch einen Filter, was er womöglich von mir gesehen hat.
„Ich meine, ob links oder rechts, ist mir ziemlich piepegal, wichtig ist, wie jeder seinen unmittelbaren Nächsten behandelt. Ich kenne außerdem eine ganze Reihe linker der verschiedensten Gruppierungen, bin überhaupt nur in sogenannten linken Kreisen verkehrt, außer vielleicht einen FDPler als Freund und noch, der weiß der Himmel, wofür steht. Diejenigen, die ich jetzt kennen lerne, sind mittlerweile immer mehr nach rechtstendierende Pappheimer. Am schlimmsten war es einmal mit einer DKP-Chefin, die deswegen mit mir ins Bett wollte, weil das die rechten Herren in der Stadtverwaltung auch täten. Die war für Atomkraft im Osten, aber vehement gegen die im Westen. – Mich nervt ziemlich dieser Dualismus, diese aufgeheizten Polarisierungen. Ich schaue mir die Menschen genauer an, höre nicht so sehr auf das, was sie reden.“
Als er erzählte er würde als Bürgermeisterkandidat in seiner kleinen, fränkischen Heimatstadt von 10 Tausend Einwohner als Linker aufgestellt sein, denke ich mir: Mann, Politik ist doch was für alte Männer und Frauen, also da kandidieren zu wollen und die ganze Ochsentour, könnte man so sagen, lacht er spitzbübisch.
„Kommunikationswissenschaften!“, sage ich. „Habe ich auch ein bisschen studiert... Aber man sollte erst etwas Gescheites, ältere Sachgebiete – außer vielleicht Geschichte muss man mittlerweile leider sagen – studieren. Dann kann man sich später als Journalist auf eine Sachgebiet spezialisieren, was man sowieso mal muß. Später kann man sich dann breiter aufstellen, aber zum Studieren soll einem eine fundierte Basis liefern, nicht schon so Leipziger-Allerlei-Gesoße.“
Er war etwas konsterniert darüber.
Als wir aufstanden, hat er gemeint, die Kommunisten seien doch die Guten. „Das habe ich mir gedacht, daß Du so denkst. Weißt Du auch, daß die Kommunisten ihre Genossen dahingehend gegenüber anderen ausgegrenzt und selektiert haben, damit sie nicht in die Gaskammern müssen. Fundamentalistische Christen zum Beispiel haben sich da geweigert.“ „Ja, ich weiß!“
„Ja, in das mit dem Holocaust ist echt ein Problem. Weil diejenigen, die ihn erleiden mussten, sterben immer mehr aus, so daß keiner mehr betroffen sein kann.“ „Wohl, wohl!“ Dann tauschten wir erneut die Vornamen aus, die wir vergessen haben, ganz kumpelartig. „Jetzt muß ich aber los zu Demo!“ „Reisende soll man nicht aufhalten!“
Ich habe ihn noch gesagt gehabt, daß eigentlich doch das dringenste Problem die Umweltverschmutzung ist, der Klimawandel und die Resourcen-Verschwendung. „Ja, der Konsumterror, letzthin habe ich einen in einer Vorlesung angestupst, weil der gerade so mal auf einer Werbeseite geklickt hat vor mir auf seinem Tablett und für 200 Euro etwas bestellt hat. Der hat noch gemeint, daß er das öfter mache. Also, nee!“

02.02.2020

Dem sogenannten Oberst habe ich mittlerweile den Anmeldezettel zurückgegeben, da von einem Betrag von 20-30 Euro geschrieben steht entgegen seiner Aussage, er habe nichts bezahlen müssen. „Bislang wollte auch keiner meiner Freunde mitfahren. Ich bräuchte noch Zeit zum Anwerben.“ „Aber die habe ich nicht mehr. Und wenn Du einen Freund requirieren kannst, kannst Du etwas mehr Geld herausschlagen.“ „Freunde abzocken!“ „Na, wenn Du es so drastisch ausdrücken willst!“ Freundlich haben wir uns bedankt, als ich ihm das Anmeldeformular zurückgab. Meine Anfragen bei anderen Parteien haben bislang nichts ergeben. Alle scheinen „ihre Leute“ zu haben, aber eine Weiterleitung einer Anfrage ist an einen linken MdB meines Wohnkreises gegangen. Jedoch nach dem Formular zu urteilen, das einheitlich sein dürfte, könnte ich mir gar keinen solch teueren Aufenthalt in Berlin leisten.

Inzwischen hat das Gemauschle teilweise aufgehört, nur der Oberst stand heute mit einem sogenannten „Werner“, ein älteren, weiß-dickbärtigen Franke zusammen, der mich einmal als „pädophil“ tituliert, verdächtigt und angeschnauzt hat, schien mir, wohl weil ich mit Jüngeren ganz gut kann. Der Schrei verhallte in der Bahnhofshalle, ich entgegnete nichts, er musste gemerkt haben, daß er zu weit gegangen und der Verdacht aus den Wolken gegriffen war. In letzter Zeit wirkt er stark abgestürzt, hustet schwer, bekommt kaum noch Mitfahrer und ist öfter mit seinem Rad an der Hand auf der Suche nach Mitfahrern. Einmal ist er aufgestanden und aus dem Internetraum gegangen, als ich hineintrat. Er macht den Eindruck, daß er sich ausgegrenzt fühlt. . Oberst redete heute verstärkt auf ihn ein, zumindest redete er, während mich der ältere Mann beobachtete.


Der Pakistani, Afghanistani, Inder
12.10.2019

Roosevelt: Menschen sollen
a, keine Angst haben müssen,
b, nicht Hunger leiden,
c, ihre eigene Religion ausüben dürfen
d, das Recht nach Glück haben

Abgrenzung gegenüber dem Pakistani, der nicht die deutsche Sprache richtig versteht, Passanten von hinten angrapscht und mich stets in Leere laufen lässt, wenn er diesen oder jenen „Auftrag“ suggeriert, wo keiner ist. Adi hat er gesagt, hieße er, trägt einen Schnauzer wie ein angelsächsischer Typ, wie Hemingway; kurz geschnitten und strichartig abrasiert über den Oberlippenbart oder sagt man unter der Nase.

03.11.2019

Grassiert der Hunger unter den Kartenanbietern?
Der großer, über zwei Meter lange, dicknasige, rot-braun gesichtige türkische Ingenieur mit guten Russischkenntnissen beäugt mein Eingekauftes gierig, wenn er mich sieht und bedeutet, ich solle ihm dies oder das abgeben.
Es wird schon um Lebensmittel gebettelt?
Er ist zwar nett, schustert mir die ein oder andere Fahrt zu, insbesondere, wenn ich am Ende eines langen, beschwerlichen Tages mir nicht sehnsüchtiger wünsche, als nach Hause zu kommen, dann gibt er mir Bescheid, wenn jemand nach Schwabach oder Roth fährt, mein Bestimmungsziel und –orte, aber er rempelt auch gerne, wobei er im Vorteil ist ob seiner Physiognomie und Statur und Körperdimensionen. Erwohnt mit drei anderen Schattengestalten in einem Appartement mit Kochnische uns muss sich dranhalten, die Lebenshaltungskosten beizubringen.

Die Polizei ist momentan aggressiv präsent am Bhf in Bamberg gewesen, vier bis fünf standen im Pulk, Cordon dort herum, 9um wohl insbesondere die Äthiopier zu observieren, die sich paarweise in Ecken und Nischen postierten, sich nicht wegbewegten, rührten, einer aber auf den anderen Leidesgenossen ein beschützendes Auge haltend und werfend, wohl wissend, daß sie nur eine Chance haben, wenn sie sich gegenseitig stützten, aufeinander aufpassten vor dem Zugriff der Bundespolizei. diese hat aber nicht ihre explizite Aufgabe darin zu sehen, andere Bürger, Ausländer, welch Status auch immer auf ihre Fahrticket-Validität abzuklopfen, was sie vielleicht nicht tut, aber Argusaugen auf sie wirft, bevor sie welche diesbezüglich ansprechen würden.
Die Fahrkarten-Validitäts-Gültigkeiten sind mit diesen Tausenden von Regelungen, Ausnahmen und Modalitäten derartig komplex, daß selbst viele Bahnbedienstete und Schaffner ich in Mißverständnisse, Unklarheiten und Ungereimtheiten und den Überlick-Verloren-Haben verstricken. Dies nur kommt akzelerierend hinzu, das Polizeichaos – aber diese haben jetzt recht und werden es behalten – qua kollegial-freundlichster Unterstützung der Justiz, die sich um Aufgaben bemüht, auf denen potentiellen Anzuklagenden freut und sich die Hände reibt.

Zum Ticket-Chaos.
Warum machen es die hiesige Bahn nicht so einfach wie beispielsweise in Ungarn, insbesondere Budapest?
Dort gibt es im Grunde nur drei Fahrmobilitäten.: U-Bahn, Bus und Straßenbahn.
Die Ticket-Entwertung ist simpel wie Holz. Ein Ticket kostet einen Euro. Jedesmal, wenn man umsteigt, also von einer Fahrvariation in die andere, U-Bahn, Bus oder Straßenbahn steigt, muss ein Streifen entwertet werden.
Geht das nicht bei uns, weil es gegen das überzüchtete Gerechtigkeits-, sprich Neidempfinden verstößt: Fährt einer zwölf Stationen, muss er nur so viel bezahlen wie jemand, der nur eine fährt.
Aber gleicht sich dies mit der Zeit nicht aus?
09.12.2019

Jugendliche

Lange ich jetzt auch schon Menschen an, wenn ich mich nicht verstanden fühle, obzwar ich selbst ungern begrapscht werden will. Gerade einen angelangt, der unter 16 Jahre sein dürfte und auch anfängt, auf diese Art Geld zu machen, nachdem ich ihm versehentlich angestupst habe und mich entschuldigen wollte  – gehört der nicht in die Schule? Mittlerweile taucht er zudem mit einer Freundin auf, beide können mit der Monatskarte noch zwei andere mitnehmen, aber offenbar haben sie genug Zeit und sie sind oftmals schon nach einer Stunde noch immer dabei, jemanden zum mitfahren zu bekommen.

11.01.2020

Gestern in Erlangen mit dem Pakistani zusammen getroffen, der sich in ein Verhandlungsgespräch mit einem Inder eingemischt hat und in das Stocken des Gespräches dazugestoßen ist und nach Scheitern in seinem unbeholfenen Deutsch über die Inder im Allgemeinen hergezogen ist: „Sie wollen immer das Schriftliche lesen, geben nichts aufs Sprechen“, sagt er in einem Deutsch, das sehr rudimentär ist, weil das Verb im Infinitiv steht, aber mit seiner korpulenten Konstitution, gedrungen und klein, große Schaufelhände, dennoch eine große Wirkung erzelt. Er macht einen starken, einschüchternden, durchdringenden und durchsetzungsfähigen Eindruck, dem kam jemand etwas entgegen zu setzen imstande ist. Der Eindruck der Panzerhaftigkeit wird dadurch verstärkt, daß er mit einem dicken Kopfhörer und einem klobigen Smart Phone bewehrt ist, der kleinere Rucksack dazu komplettiert und rundet diese Kompaktheit und Geschlossenheit nur zu sehr ab.

Inder

Bei meinem Zusammenkommen mit dem „Rotkäppchen“ hat dieser sich über die Zugangsdaten von Kunden, die abzulesen man könne, echauffiert. Ein Inder hat mirakelöserweise stets das Angebot gemacht, er könne mir die Monatskarte um zehn Euro billiger kaufen. Er gibt irgendwelche Zahlen ein, um damit die Karte zu lösen, also braucht gar nicht mehr herumzufahren, sondern wartet auf Kunden, um x-beliebige Ziffern in den Computer einzugeben, wofür er von Kunden Geld bekommt.
Überhaupt kennen sich Inder sehr gut mit diesen Terminals und Maschinen aus, manchmal besser als ich.

02.02.2020

Heute einen jüngeren aus der Region Pakistan/Afghanistan gesehen, der eine Zeitlang herumgefahren ist, sehr nett und hilfsbereit und korrekt gewesen ist, da er mir zum Beispiel das ihm geliehene Geld anstandslos wieder zurückbezahlt hat. In diesem Zusammenhang hat er erzählt, er würde aufhören, da ihn die Sicherheitsleute sehr zusetzten, insbesondere die von Nürnberg.
Wir trafen uns meist in Bamberg, da er in der Nähe von Forchheim allein wohnt.
Meist schwärmte er davon, sehr viel Geld zu haben, um sich das Leben schön zu machen und in der letzten Zeit mit dem anwachsenden Druck gegen ihn hat er zu trinken angefangen.
Ich weiß nicht, ob er Arbeit bekommen hat.
Obwohl er aufgehört hat, herumzufahren, war er heute total betrunken am Bahnhof in Erlangen gesessen, hat laut telefoniert und ist anscheinend total abgestürzt.
16.02.2020

Der provozierende, aufstierende und bambergerisch-Akzent-sprechende Polizist war wieder in der Bahnhofshalle gewesen, laut schreiend: "Der schon wieder!"; so es tönte durch den Schallraum, so daß es die vielen daherumstehenden Fahrgäste hören mußten.  Neben ihm stand diesmal keine Polizistin. In Duldung all der anderen Kollegen erlaubt sich dieser die Bürger aufzustacheln, anzupöbeln und zu hetzen  - steht dies so im neuen zu verabschiedenden Polizeiaufgabengesetz, dann haben wir, nichts anderes heißt dieses Wort Faschismus, Dort-wo-gehetzt-wird, wieder einen solchen Staat.

Ein Polizei-SS-Obersturmbandführer befiehlt einen Mann in der Mannheimer Nekarstadt, einen anderen zu erschießen und  dieser richtet das Gewehr stattdessen auf den Befehlsgeber oder mag der Schuß bei einem  Handgemenge losgegangen sein, jedenfalls ist heute noch der Sohn gesellschaftlich entwurzelt, sprich obdachlos und wird in einem bayerischen Rundfunkgespräch interviewt, indem er mitteilt, er habe jetzt eine Arbeitsstelle in Aussicht - hat er sie denn schon?

17.02.2020

Heute sind im Bamberger „Fränkischen Tag" Bilder von gestern in der Innenstadt demonstrierenden Bürgern: Faschismus – nie wieder! Wären doch einige dieser Teilnehmer stattdessen in ihrem Bahnhof gewesen, um diesen neu auferleben zu erfahren. Stattdessen ergehen sie sich selbstgefällig in Aufmärschen, womöglich geleitet von einem Ober-Oberstudienunrat für Deutsch des Bamberger E.T.A. Hoffmannsgymnasiums, der mir mein einst erstes mühevoll selbst gedrucktes Buch freudig aus den Händen gerissen, äh, entwendet, äh, an sich genommen hat, um die Begleichung der Kosten für diesen Erwerb bis heute nicht entrichtet zu haben. Mit den Künstlern kann man es machen, nicht aber mit anderen, die Entschädigungen bekommen für Leistungen, die sie nicht geliefert haben, siehe Maut-Skandal. Auch die ehrenwerte bayerische Staatsbibliothek hat keinen müden Cent übrig für die zwangseingezogenen Bücher und Publikationen eines Künstlers auf ihrem Territorium. Aber andere...
Soll ich weiter fortfahren?
Aber klar, die braunen Alternativler für Deutschland würden es noch ausgeschamter treiben.
Wo gibt es noch Gerechte, Anständige und wirklich Aufrechte im Land?


Bahnerer

Und plötzlich stehe ich einem Bahnerer gegenüber, den ich doch, verflixt noch einmal, kenne. Misstrauische, kalt-blitzende Augen durchbohren mich, die besagen: mit mir ist nicht gut Kirschen essen. Dummerweise kenne ich ihn aber anders und gleichzeitig wird mir klar, daß der mich nicht erkennt, und noch schlimmer, je erkennen wird, bzw. erkennen will. Das ist ein Hundertprozentiger. Auch wenn uns etwas verbindet.
Wir fangen bei Adam und Eva an.
Er ging wie ich auf die Realschule. Nur, daß er in den Zweig Wirtschaft ging. Dort waren die Schwierigen, die Ungebärdigten, die Randalierenden, im Gegensatz zu den Mathematikern, zu denen ich mich nur gesellte, weil es Bekannte waren, die ich als Freunde wahrnahm und verstand, mißverstand und dies waren die scheinbar seriösen, braven und strebsamen.
Wer nicht wusste, was er wollte, oder auch nicht so intelligent war, ging in den Wirtschaftszweig.
Wiedergesehen habe ich diesen Bekannten von der Bahn vor Jahren, das waren Jahrzehnte nach der Schulzeit, bei einem Informations- und Auskunftsschalter.
Einer, der mit mir in die Realschule gegangen ist und später dann zur Bahn.
Diejenigen, die auf Nummer Sicher im Leben, in ihrer Berufskarriere gehen wollten, wurden schon frühzeitig, nämlich während der Schulzeit angeworben, von der Bundeswehr, vom Vermessungsamt, von Bahn- und Post.
Da saß nun der Bekannte, der mich nicht erkannte.
Er hatte gerade einen Kunden bedient, der sein Ticket sorgfältig faltete und akkurat in seinen Koffer verstaute, während er selbst genüsslich in der Nase bohrte. Dazu nahm er immerhin immer wieder ein Taschentuch zur Hand. Aber sonst bohrte er mit dem blanken Finger in seinen großen Nüstern herum.
Ich war von zwei Seiten, Profilen und Aspekten eines Menschen in Bann geschlagen: einerseits von dem Anblick ALTER BEKANNTER, der mich aber nicht zu erkennen schien und andererseits überwältigt von der SCHAMLOSIGKEIT DES ANDEREN, der da hemmungslos schniefte und in der Nase polte und bohrte, als befände er sich allein zwischen seinen vier Wänden. Aber er befgand sich in einem öffentlichen Raum als ein quasi-staatlicher Angestellter eines semistaatlichen Dienstleistungsunternehmens, in dem noch viele andere Personen und Menschen herumstanden, auf ihn warteten, bis der vorhergehende Kunde seine Papiere weggesteckt hatte und dann Platz frei machen würde.

Wie wir uns aber jetzt und heute so gegenüberstanden, tauchten weitere Erinnerungsbilder auf, auch wenn der Protagonist so tat, als sei er nicht Gegenstand dieser Bilder.
Als Jugendlicher hat man natürlich seine Feindbilder. Ein weitverbreitetes unter Jugendlichen damals war die Kirche. Mein Bekannter wohnte in einer kleinen mittelalterlichen Stadt, die eine altertümliche Burg hatte, stockkonservativ und katholisch war, woraufhin er stolz war, zu erzählen, daß, wenn die Fronleichnamsprozession durch den Ort zog, er überlaut seine Stereoanlage auftrete, die er an die Fenster gestellt hatte, um die Feierlichkeit so weit wie möglich zu stören.
Er war ein richtig bauernschlauer Kerl, großgewachsen, mit allen Wassern gewaschen.
Die Entjungferung einer Bekannten zählte auch zu seinen Großtaten.
Das verkündete er sofort stolz und großmäulig nach Vollzug in den einschlägigen Kreisen an der Schule. Wir standen gerade am Eingangstor dieser und er kam mit den anderen Externen von der Bushaltestelle und keifte noch in der Menge los, er habe gestern die „Schlotterhausen“ entjungfert.
„Mann, oh Mann!“, stöhnte er. „Das war vielleicht ein Kampf!“ Er schnaubte dazu entsprechend und unterstützend, daß es sich wahrhaft um eine Heldentat gehandelt haben musste.
Das Prestige meines Bekannten stieg mit der Erlegung dieses Wildes insofern sehr hoch, als es sich bei dieser Familie um eine sehr, sehr reiche handelte, die als einzige - nicht einmal die kleineren Gemeinden konnten sich so etwas leisten – soweit mir bekannt, ein eigenes Schwimmingpool in ihrer Villa leisten und aufrechterhalten konnten.
Mein Bekannter erhob die Entjungerferung quasi zu seinem Spezialgebiet, denn späterhin tat er sich erneut darin hervor, indem er ein junges Mädchen aus weiter Ferne, beinahe hätte ich Ausland gesagt, nämlich aus dem Allgäu zum Glück des Frauwerdens verhalf.
Wir waren dort bei einem Freund zu Besuch, er war einen Tag vorher zu diesem gefahren und als ich dort ankam, hatte er bereits den Tag zuvor die Nachbarstochter verführt.
Fast könnte man sagen, er war dazu imstande, Dinge zu tun, auf die Gleichaltrige neidisch waren. Eine Steinreiche zu entjungern, galt schon etwas, zumindest in den Kreisen, in die ich da geraten war, schulmäßig, ich hatte aber bestimmt andere Werte – und stand immer passerstaunt da, wenn Dinge in den Himmel gehoben wurden, für die mir bislang jeglicher Sinn gefehlt hatte. Mit anderen Worten, ich beneidete ihn weniger ob seines Triumphes, sondern war mehr über seine Unverschämtheit, Kaltschneuzigkeit und Unverfrorenheit überrascht.
Und jetzt stand dieser Mensch vor mir, um mich von dem aufzuhalten, was ich beabsichtigte zu tun, was ich tun musste, um über die Runden zu kommen und er, er hatte bestimmt sein sattes Gehalt, war mir gesellschaftlich und finanziell überlegen, obgleich wir die gleiche Ausgangslage, die gleiche Schule besucht hatten.
Wie muss er sich da vorkommen?
Er hatte keine andere Wahl, er mußte meine Bekanntschaft einfach ignorieren. Er konnte nicht sagen, horch Werner, bei aller Freund-, Kameradschaft und Uns-Kennens, aber hier hört der Spaß auf.
„Und warum?“, würde ich fragen.
„Weil es verboten ist!“
„Ist es aber nicht. Eine Grauzone...“
Nein, er würde sich auf keine Diskussion einlassen, er würde mit mir Tacheles reden: „Im Namen der Deutschen Bahn, deren Vertreter ich hier bin, ermahne ich Dich und fordere ich Dich auf, sofort den Bahnhofsbereich zu verlassen und dies gilt zunächst für den heutigen Tag.“
„Und morgen!“
„Wir werden sehen!“
Aha, er hatte doch noch einen Funken Scham in sich. Er las mir nicht die Leviten, daß ich von nun ab bis in alle Zeiten hier nicht mehr solche Verhaltensweisen zeigen durfte, sonst müßte er im Namen einer höheren Macht und Autorität natürlich zu anderen Mitteln greifen.
Ich verschwand zunächst widerspruchslos. Es hatte eh keinen Sinn. Er kannte mich ja nicht.

Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle

Ein Bekannter aus Bamberg, lang aufgeschossen, verhaut wie Nosferatu, der statt Krallen jedoch Geldstücke in der Hand hält, schlägt vor, wir könnten doch dem Nervigen mal einem Besuch zu Hause abstatten: „Schließlich weiß ich, wo er wohnt, was ich ihm schon gesagt habe, da er mir auch blöd gekommen ist, als ich mit Wechselgeld in der Hand von ihm hier in der Bahnhofshalle angemacht worden bin, von wegen, warum ich mein Kleingeld so ostentativ zur Schau herumtrage, genauso wie Dir, als Du den Kunden angesprochen hattest und er dazwischengefunkt hat: „Mit dem würde ich nicht fahren!“
Ich erwidere, man solle nicht alles so ernst nehmen, womit es sich wohl hat.
Ein paar Tage später flüstert mir ein junges Mädchen, noch nicht aufgefallen, gesehen und wahrgenommen plötzlich ins Ohr von einem jüdischen Sonstwem, „der immer dann hier Geld einzutreiben versucht, wenn er in die Synagoge will (ist es der Nervige, der schlaksige Pogromhetzer oder Wichtelmann?)
Nosferatu spricht mich ein anderes Mal an, dass er jetzt zur Arbeit müsse.
„Ar(e)beit? Wer arbeitet heutzutage noch?“
„Na ich, ich verkaufe ansonsten Fernsehgeräte in großen Kaufhäusern.“
Wie muss man sich das vorstellen? Er (verscherbelt, geht wohl nicht, weil er vom Wortinhalt her als kaputt gelten müsste) verkauft also Fernsehgeräte bei Elektrohäusern und in Kaufhäusern, also nicht an die Firmen und Großhändler selbst, sondern er darf sich einen Stand aufbauen, wo er dann als Gastverkäufer der laufenden Kundschaft seine Fernsehgerät anpreisen (andrehen) kann.

Das Betatschen anderer vorm Terminal wie dieser Inder aus Neumarkt – mangels Sprachkenntnisse tun sie das? – stößt mich ab. Allerdings habe ich das in meiner Gier gestern auch getan, als ich jemanden um Feuer bat, indem ich seinen Arm festhielt und zu mir etwas herzog in dem Moment, als er mir sein Feuerzeug zum Entzünden einer Zigarette hinhielt. Darüber war ich danach gleich über mich schockiert.
Aber auch in der hiesigen Sprache Sprechende berühren  einem sinnlos, was ich unausstehlich empfinde, wenn sie nur mit einem sprechen wollen – als trauten sie nicht der Fähigkeit, sich ausdrücken zu können. Jener Hochaufgeschossene aus Bamberg, dieser über zwei Meter hohe Fernsehverkäufer, tut es auch.
„So, ich fahre wieder nach Bamberg zur Arbeit!“, sagt er weiterhin „Wer arbeitet heutzutage noch?“, erwiderte ich in meiner Wut, begrabscht worden zu sein
Seit einiger Zeit übersieht er mich.

13.09.20

Der Progromhetzer ist nicht der Wichtelmann, der dicke, runde, sondern Nosferatu, der Kaufmann, Bamberger, dem ich etwas davon gesagt habe, ich würde nicht mehr „arbeiten“ und wer täte dies schon noch heutzutage.
Aufstachler nenne ich ihn deshalb, weil er miterlebt hat, wie ein anderer perfide bei einem Gespräch dazwischen getreten ist und er, was ihm hochanzurechnen ist, sich darüber aufgeregt hat. Dann hat er später einmal vorgeschlagen, wir sollten jenem bei seinem Zuhause einen „Besuch“ abstatten, er wisse, wo sich dieses befinde. Er selbst wurde von dem Perfiden als „Geldzähler“, vielleicht „Geldwechsler“ oder Pfennigfuchser tituliert, da er in der Tat permanent Münzgeld zwischen den Fingern hält.
Nosferatu nenne ich ihn deshalb weil er die gleiche schlaksige, verhaut-schräge Gestalt hat wie der diesen Typen vertretender Schauspieler aus der frühesten Filmgeschichte, der stets erst als Schatten über den Särgen der Toten im Schiffsrumpf erscheint, um als Vampir die jüngst elendiglich Krepierten auszusaugen und weil dieser Kaufmann neuerdings sich zuerst auf dem Terminalbildschirm widerspiegelt, wenn er hinterrücks hinterhältig auftaucht, um vor mir den zu Acquirierenden anzusprechen und wegzuschnappen. Bemerkenswerte Selbstbeherrschung hat er, da ich das Gefühl habe, er hat mich gar nicht wahrgenommen dabei – Respekt!

13.09.2020

Im Vergleich zu meiner gewerkschaftlichen, gleichaltrigen „Freundin“ sowie dem berserkerischen Bahnerer sehe ich eine grob-pervers-soziale Schieflage angesichts meiner sozial-finanziellen desaströsen prekären Situation, sprich auch der zu erwartenden, und um es mit Shakespeares Hamlet auszusprechen: „Es ist etwas faul im Staate Deutschland!“
Aber gehörig!
Die Gewerkschafterin: Vermeintliche Freundin ärgert sich über ihre besteuerte Altersvergütung, genauso wohl der Oberhetzer von der Bahn „Rührer“,  vom der Gestalt her wie der russische Präsident Wladimir Putin und von der Stimme und dem Temperament her wie weiland Adolf Hitler, wogegen unsereiner kaum an die Grundsicherung heranreicht, obwohl alle gesellschaftlcihen Anforderungen erfüllt, Schule, Studium, berufsbildender Abschluss und und und.

19.09.2020

Ich konnte nunmehr seit dem Beginn der Corona-Pandemie, zufällig oder nicht, nicht mehr schreiben, zumindest nicht mehr an dieser Art des Beschreibens und Reflektierens, der analytischen Erzählung. In konnte dies nur noch sehr literarisch tun, da mir das direkte schreibende Ansprechen der geschehenen Ding zu nah ging.

Die letzten Tage davor, es war auch der vermeintliche Anschlag in Hanau, wovon ich bislang kaum mehr etwas gehört und gelesen habe merkwürdigerweise, waren zuviel der desaströsen und dissonanten Einflüsse.
Bahnzugbegleiter, der öffentlich davon spricht, man solle doch „über die Tschechen" statt Tschechien fahren. Er bezog sich auf ein Strecke, die von der BRD-Bahn ein stückweit durch Tschechien führt. Alle Anwesenden im Zug, zumindest die gleichaltrigen und geschichtsbewußten, berührte es hochnotpeinlich, was den Bahnangestellten nicht daran hinderte, weiterhin munter diese völkerfeindliche Hetzrede fortzuführen.
Ein Bundeswehrsoldat, der einmal zu mir von seinen Untergebenen als „Kanonenfutter“ gesprochen hat, verkündet am kleinstädtischen  Bahnhof freimütig an alle, daß er jederzeit bereit sei, sollte etwas hier nicht stimmen oder irgendjemand seine Hilfe brauchen oder es einen Regelverstoßer, wen immer, geben, es zu verfolgen, wobei dies mitnichten seine Aufgabe ist, nämlich diese der Polizei, er nur für die „Außenverteidigung“ zuständig ist und dies auch nur auf Befehl, bzw. demokratischen Beschluß einer parlamentarischen Mehrheit.
Die jungen türkischen Mitfahrer, die mir meinen Geldbeutel ins Gesicht schmeißen, wie geschildert.
Und und und...
Auf den vermeintlichen „Ausländerfeindschafts"-Anschlag in Hanau bei Frankfurt/a.Main empfand ich schier Befriedigung, ein Gefühl, worüber ich gleichzeitig unglücklich war, wußte, das ist falsch, aber Vernunft und Gefühl waren derart in Widerspruch, daß es unaushaltbar war. Ich bin seelisch-moralisch-körperlich zusammengebrochen!

Blackbird, singing in the dead (für mich Blue) of the night. Take these broken wings and learn to fly. All your life._
Black Bird fly into a night of a dark, black night. (The Beatles)
Morning has broken like the first morning, blackbird has singing.. (Cat Steavens)

Schwarze Vögel, vielleicht Raben, („Die Raben“ von Edgar Ellen Poe) Aasvögel, Symbol für den Tod, das bevorstehende Sterben, singen, aber da ich sie singen höre, lebe ich noch einmal.

…fly into a night of black bird night.
Take these sunken eyes and learn to see  – ist nun mein Credo. Wie, das wird eine andere Erzählung, Geschichte, aber auch Analyse, gleich welcher Art, sein müssen..

22.09.2020

Was hier dargestellt wird, spiegelt im Kleinen die große derzeitige deutsche Politik-Landschaft wieder: rechtsradikale, hetzerische Berufs-Bundeswehrsoldaten (im unterwürfigen Automatismus gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika von den Politikern von einer National- zu einer Berufsarmee eingeführt, obwohl dieses Land geschichtlich sehr, sehr schlechte Erfahrungen mit Korps-, Berufs- und ähnlichen “Soldaten" gemacht hat), die Urchristentum Taten  von rechtsradikalen Terroristen aufgestachelten türkischen Mitbürger, nichts anderes bezwecken die rechtsterroristischen Anschläge seit dem "Fall der Mauer" und insbesondere in den letzten Monaten);  nationalistische, völkerhetzerische, revanchistische „Staats“-Bedienstete die nunmehr freimütig ihre exponierte Sonderstellung ausnutzen, um ihre Haßparolen in aller Öffentlichkeit zu verbreiten; zudem die schleichende Machtergreifung vom sogenannten „Sicherheits“-Personal, die damit ihre sadistische Lust befriedigen können, Menschen zu unterdrücken, zu quälen und zu hetzen  – auf italienisch „Faschisten“.
Und wer sind die Killer, die Töter, die Vernichter, die Gaskammer-Installateure, die Zyklon-B-Lieferanten?
Ist es wieder das Rote-Kreuz? (eine in der Schweiz gegründete „humanitäre“ Einrichtung)
Ist es diesmal die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, die mittlerweile nach dem Holocaust gegründet worden ist?

Copyright Werner pentz

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (21.11.19)
Habe nur ca. ein Drittel gelesen, ist mir etwas verplappert, aber vor allem gibt es einige unsinnige, fast albern zu nennende Wortschöpfungen, die einfach ärgerlich sind und stören. z.B. "human sapiens" und "Bekanntin" und "Alkohol Wein".
Grundsätzlich aber eine gute Erzählidee, dieses Gewerkschaftsmilieu, nur solltest Du noch verdichten und hier und da etwas mehr Sorgfalt walten lassen. Dich mit achso lustigen Neologismen zu brüsten, da stehst Du drüber!
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