Familienalbum

Erzählung zum Thema Liebe und Vertrauen

von  RainerMScholz

Ich bekomme Milch von meiner Mama und ich bekomme Milch von meinem Papa. Die Milch von meiner Mama schmeckt süß, nach Himbeere und Honig und ich liege unter ihrem Kinn ganz weich, sie summt leise und wiegt mich hin und her ganz sanft; die meines Vaters schmeckt salzig und manchmal bitter und ich schmiege mich in seinen Schoß. Er summt auch leise und streichelt mein Haar und ich streichele sein Haar, und dann zuckt er auf und die bittere Milch kommt. Das sei gesund, sagt er, wie Medizin, damit ich nicht krank werde und Husten bekomme oder Schnupfen. Nur die Mama dürfe nichts davon wissen, weil das eine geheime Medizin sei, nur für Jungen, und wenn Mädchen davon erführen, dann sei sie nicht mehr wirksam und ich würde sehr krank werden.
Mamas Milch schmeckt süß. Ich mag es, an ihrer Brust zu sein. Ihre Dochte sind weich und schmecken gut und strahlen wie rotes Kerzenlicht.  Aber Papa macht mich gesund. Manchmal filmt er mich mit seiner großen Kamera für unser Album. Das können wir uns später einmal ansehen und dann freuen wir uns gemeinsam.
Aber jetzt gehe ich `raus spielen, mit Jens auf dem Spielplatz, auf der Wippe und im Sandkasten. Sein Vater hat auch Medizin, sagt Jens. Und Maria hat eine kleine Mumu, sagt Jens, dass sein Papa sagt. Ich weiß nicht was das ist. Aber mein Bagger ist größer als seiner. Und ich bin auch auf der Rutsche schneller.



© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (30.11.19)
Hallo Rainer Maria,
das Thema wird von dir auf unaufdringliche Weise behandelt und kommt deshalb um son eindringlicher an die Leserin.
Du stellst das größste Verbrechen am Kinde (größer noch als die körperliche Schädigung) in den Vordergrund: den Verlust des (Ur-) vertrauens.
Denn das ist es, wovon es sich niemals erholen wird. Trotz aller Therapien. Insofern wird es schon in frühen Jahren der Fähigkeit beraubt, Liebe zu empfangen - oft auch zu geben.
Ich bin an sich keine Freundin solcher Texte; du stellst den "Seelenmord" jedoch auf eine absolut zutreffende Art dar.
Und zwar aus der Sicht des Kindes zum Zeitpunkt seines Erlebens. ---
Ich hatte beruflich viel mit Mißbrauch aller Arten zu tun. Am schwersten war für mich die Auskunft eines Mädchen zu ertragen: "Mein Vater hat mich wohl einfach zu sehr geliebt."
Als sie in "meine" Wohngruppe kam, war sie 15. Der väterliche Missbrauch fand im Kindesalter von 6 bis 12 Jahren statt. -

 RainerMScholz meinte dazu am 02.12.19:
Ich kann mir kaum eine schwerere Arbeit vorstellen.
Gruß + Dank,
R.

 Dieter_Rotmund (30.11.19)
Rainer, wieder einmal sehr, sehr gruselig-eklig, hat aber durchaus Potential, verstörend zu wirken und das ist das höchste Lob, das ich vergeben kann. Ich möchte Dich ermutigen, weiter in diese Richtung zu arbeiten.

 Oreste antwortete darauf am 30.11.19:
Hier möchte ich mich Dieter - wie war das mit den Zeichen und Wundern? - anschließen.

Stark. Richtig stark, Rainer.

O.
una (56) schrieb daraufhin am 30.11.19:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 01.12.19:
Wieso sollte Hochliteratur Kindern helfen sollen?

 RainerMScholz ergänzte dazu am 02.12.19:
Wir waren alle Kinder.

@Una: Der Text viel mir schwer, du hast vollkommen recht.

Gruß + Dank,
R.
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