Stories #2: Menschlich ist ...

Essay zum Thema Literatur

von  Graeculus

Human is ...
(Menschlich ist ...)
(1955)

Es handelt sich um eine SF-Kurzgeschichte des bekannten und vielfach verfilmten US-Autors Philip K. Dick (1928-1982), die in einer unbestimmten Zukunft spielt. Wie immer bei PKD ist im Gewand der Zukunft die Gegenwart unseres Lebens gemeint, und zwar – fast immer bei ihm – im Hinblick auf zwei Fragen, die uns eine Orientierung im Leben geben können: Was ist wirklich? Was ist menschlich?

Eine Frau ist mit einem überaus kalten, gleichgültigen Mann verheiratet. Die Ehe hat sich zu einer kaum erträglichen Eishölle entwickelt. Da ist die Frau geradezu erleichtert, daß ihr Mann im Regierungsauftrag mit einem Team von Fachleuten einen fremden, besiedelten Planeten außerhalb unseres Sonnensystems besucht: Rexor IV. Als er nach längerer Zeit zurückkehrt, ist der Mann wie verwandelt: höflich, aufmerksam, sensibel. Der Traum von einem Mann. Die Frau begreift es nicht, genießt es aber.

Leider kommt der Geheimdienst der Ursache auf die Spur. Die Bewohner von Rexor IV leben in einem sterbenden Sonnensystem, müßten ihre Heimat eigentlich dringend evakuieren, besitzen jedoch – anders als die Menschen – nicht die technischen Fertigkeiten zur interstellaren Raumfahrt. Aber eine andere Fähigkeit haben sie: Sie können ihre Psyche, ihre Persönlichkeit auf andere Lebewesen übertragen, also deren Körper übernehmen. Daß sie das tatsächlich getan und zumindest Teile des Teams unter ihre Kontrolle gebracht haben, vermutet der Geheimdienst: außerirdische Invasoren auf der Erde! Deshalb steht er eines Tages bei der Frau von der Tür und erkundigt sich, ob sie irgendwelche Verhaltensauffälligkeiten beobachtet habe.

Der Frau wird plötzlich alles klar. Doch nach kurzem, sehr kurzem Überlegen verteidigt sie mit allen Mitteln ihren Mann. Daß er, gerade er in Wahrheit ein Alien-Invasor sei, leugnet sie vehement. Sie weiß es besser, aber es ist für sie unwesentlich.

Es ist auch für PKD und sein Verständnis von dem, was einen Menschen ausmacht, nicht wesentlich. 1976 hat er zu dieser Geschichte geschrieben:
Für mich ist diese Geschichte meine frühe Antwort auf die Frage, was ist menschlich. Seit ich diese Geschichte schrieb, damals in den Fünfzigern, habe ich meine Ansicht darüber eigentlich nicht geändert. Es kommt nicht darauf an, wie man aussieht oder auf welchem Planeten man geboren wurde. Es kommt darauf an, wie freundlich man ist. Die Eigenschaft der Freundlichkeit unterscheidet uns meiner Meinung nach von Felsen, Holz und Metall, und das wird immer so bleiben, welche Gestalt wir auch annehmen, wohin wir auch gehen, zu was wir auch werden. Für mich ist Menschlich ist ... mein Credo. Möge es auch Ihres sein.
Außerirdisches Leben, an dem wir diese Idee erproben könnten, ist bekanntlich nicht in Sicht; aber voraussichtlich bekommen wir in absehbarer Zeit die Gelegenheit, uns angesichts der rasanten Entwicklung der Künstlichen Intelligenz mit der Frage auseinanderzusetzen, was menschlich ist.

In der aktuellen Auswahl-Edition von PKDs Kurzgeschichten („Ein kleines Trostpflaster für uns Temponauten“, Frankfurt/Main 2016) ist diese Geschichte nicht enthalten. Eine ältere, erheblich umfangreichere Auswahl („Der unmögliche Planet“, München 4. Aufl. 2004) bringt sie und fast alle guten Kurzgeschichten von PKD. Eine Edition seiner sämtlichen 118 Kurzgeschichten ist zuletzt 2008 in fünf Bänden bei Zweitausendeins (Frankfurt/Main) erschienen.

Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Verlo.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text

Stelzie (55)
(06.12.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Graeculus meinte dazu am 06.12.19:
Da fragt sich, ob wir eher auf die Weihnachtszeit vertrauen sollen oder auf die Aliens.
Aber die Frau in der Geschichte, die macht es richtig, gelt? Obwohl sie lügt.

 LottaManguetti (06.12.19)
Lieber Graec, mir scheint, heute ist Nikolaus! So viele schöne Texte!
Da ich noch ein Buch suche, das meiner Freundin gefallen könnte, finde ich deine Idee klasse, uns an dieser Stelle Kurzgeschichten vorzustellen.
Die erste klingt ja schon vielversprechend!
Danke, Nikolaus, ähm Graeculus!

:)

Lotta

 Graeculus antwortete darauf am 06.12.19:
Danke, Nikolaus, ähm Graeculus!
Eine gewisse Ähnlichkeit ist gegeben, unbestreitbar.
Deshalb fällt es mir auch emotional so schwer, z.B. Bankräuber zu werden. Wenn die Polizei anschließend die Zeugen befragt und sich dabei an ein Kind wendet: "Hast du den Räuber erkannt?", dann wird es mit strahlenden Augen antworten: "Jaaaaa, der Nikolaus."

Wenn ich Dich recht verstehe, dann ist die Angabe von Buchausgaben hilfreich?
Cora (29)
(06.12.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Graeculus schrieb daraufhin am 06.12.19:
Wie man's nimmt. Gesagt wird nur, was ich auch geschrieben habe: Diese Außerirdischen leben unter dem Einfluß einer sterbenden Sonne, müßten ihren Planeten dringend verlassen, können das jedoch mangels Raumfahrtrechnik nur durch Übernahme des Körpers anderer Raumfahrer (wobei nicht gesagt wird, was aus deren Psyche wird).
Und jetzt kann man sich für die paranoide, geheimdiensttypische Variante des Mißtrauens entscheiden (daß sie hier auf der Erde die Kontrolle übernehmen wollen) oder, wie die Frau, für die Option der Liebe.
Ich glaube nicht, daß PKD uns die Botschaft vermitteln will, eine solche Liebe sei ohne Risiko.

In der trivialeren SF sind die Aliens ja immer Invasoren; aber sollte es tatsächlich außerirdische Intelligenz geben, dann dürfte ihr Verhaltensspektrum auch andere Möglichkeiten beinhalten. Hoffe ich.
Cora (29) äußerte darauf am 06.12.19:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Graeculus ergänzte dazu am 06.12.19:
Ja, ich bin von PKD sehr angetan. Du kennst weitere Geschichten?

Ich verstehe Dein Mißtrauen. Aber hier will PKD nicht darauf hinaus, er verwehrt sich gegen die Geheimdienst-Paranoia, die ihm an anderer Stelle nicht fremd ist.
So hat er mal erzählt, daß er mit einem seiner Kinder an einem Kaugummi-Automaten stand. Du weißt schon, wo diese bunten Kugel herauskommen, nachdem man das Geld eingeworfen hat. Da kam ihm sofort die Idee: Wenn es Außerirdische gibt, die wollen, daß wir freiwillig & ahnungslos ihre Eier in uns aufnehmen, auf daß sie uns übernehmen können, dann wäre ein Kaugummi-Automat kein schlechter Einfall.

Seit ich das gelesen habe, habe ich nie wieder unbefangen vor einem Kaugummi-Automaten gestanden.
Cora (29) meinte dazu am 06.12.19:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Graeculus meinte dazu am 06.12.19:
Ich bitte um nähere Angaben zu "Schmetterling mit Hakenkreuzen". Nie gehört ... und ich dachte, ich kenne alles von ihm.
Cora (29) meinte dazu am 06.12.19:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Graeculus meinte dazu am 07.12.19:
"The Man in the High Castle" = "Das Orakel vom Berge", alles klar.
Das ist als Serie von Amazon verfilmt worden, nicht wahr? Und dann wohl unter dem von Dir genannten Titel.
Danke, jetzt bin ich beruhigt.

 EkkehartMittelberg (06.12.19)
Hallo Graeculus, die Definition von Menschlichkeit als Freundlichkeit finde ich angemessen und nicht zu hoch gegriffen. Wir könnten bei kV lernen, freundlicher miteinander umzugehen, wo manche Freundlichkeit auf Süßholzraspelei verdächtigen.
Freundliche Grüße
Ekki

 Graeculus meinte dazu am 06.12.19:
Gewiß. Allerdings ist diese Botschaft ja schon sehr alt - etwa bei Laodse: "Ich bin freundlich zu Menschen, die freundlich zu mir sind; ich bin auch freundlich zu Menschen, die nicht freundlich zu mir sind." Darauf kann man sich immer berufen.

Bei PKD kommt jedoch noch etwas Neues hinzu: daß Menschlichkeit keine Sache der Biologie ist und daher auch Wesen, die biologisch keine Menschen sind (Außerirdische, KI, Androiden), menschlich sein können. 1955 lag das in seinen praktischen Konsequenzen noch weit in der Zukunft.

 GastIltis (06.12.19)
Hallo Graecu,
menschlich ist, wer die Würde des Menschen auch über den Tod hinaus nicht verletzt. Warum ich das sage? Nachdem ich im Sommer einen Freund (mit) zu Grabe getragen habe, geht es jetzt um das Erbe. Acht Wochen vor seinem Sterbetag hat er seiner Lebensgefährtin bescheinigt, leider ohne Beglaubigung, dass sie ihm zehn Jahre zuvor eine Geldsumme geliehen hatte. Der Vorgang war mir bekannt. Jetzt sind die Erbberechtigten der Meinung, er wäre nicht mehr im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen, was einer nachträglichen Entmündigung nahekommt.
Nun habe ich ihn vier Wochen vor seinem Tod noch besucht, im Wissen, dass es ihm körperlich schlecht geht und sein Ende abzusehen ist. Wir haben über die Vergangenheit und die Gegenwart gesprochen und er hat Zuversicht ausgestrahlt. Immerhin waren wir Freunde ein Leben lang. Da ich seinen Willen kannte, habe ich mich erklärt zu bestätigen, dass ich ihn geistig voll aufnahme- und aussagefähig vorgefunden habe. Und das stimmt so. Die Würde des Menschen gilt, wenn er sich nichts zu Schulden kommen lassen hat, über den Tod hinaus.
Dein Text hat mich veranlasst, dies mal aufzuschreiben.
Herzlich grüßt dich Gil.
Cora (29) meinte dazu am 06.12.19:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Graeculus meinte dazu am 06.12.19:
Oh, Erbstreit!
Dann verlieren "die Erbberechtigten" (bzw. die, die sich dafür halten) rasche ihre Menschlichkeit.

Coras Frage kann ich mich anschließen.

***

Der nächste Kurzgeschichten-Autor, den ich vorstellen möchte, hat zufällig eine faszinierende Geschichte über einen Erbschaftsstreit geschrieben. Es ist allerdings nicht die Geschichte, die ich vorstellen wollte.
Darf ich auch zwei Geschichten vom selben Autor vorstellen?
Cora (29) meinte dazu am 06.12.19:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Graeculus meinte dazu am 06.12.19:
Dann tue ich das. Muß ich aber noch schreiben. Ein genialer Einfall, wie man sein Testament so gestalten kann, daß es zum Albtraum für den Universalerben wird, und eine geniale Geschichte.

 GastIltis meinte dazu am 06.12.19:
Hallo Graecu, genau das ist der Fall! Ein schönes Haus, das der Verstorbene mit sehr viel Liebe und Sachverstand, auch großem handwerklichem Geschick, er war in seiner Jugend u.a. gelernter Maurer und hat im Berufswettbewerb eine Goldmedaille gewonnen, rekonstruiert hatte. Ich kannte keinen von vielleicht 500 Lehrlingen in einem großen Chemiebetrieb, der das geschafft hätte.
Das nebenbei. Ja, nun steht es zum Verkauf, obwohl er seiner Lebensgefährtin ein lebenslanges Wohnrecht, auch unbeglaubigt, schriftlich eingeräumt hat. Traurig, traurig. LG von Gil.

 Graeculus meinte dazu am 06.12.19:
Da hilft der Erbin auch die Schriftform nicht und nicht einmal Deine Bestätigung seiner geistigen Zurechnungsfähigkeit? Weil die notarielle Beglaubigung fehlt?
Dann wird einem Notar also zugetraut, eine medizinische resp. psychologische Einschätzung abzugeben, die Stand hält?

Gilt das etwa auch für Patientenverfügungen und Sorgerechtsvollmachten?
Cora (29) meinte dazu am 06.12.19:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Graeculus meinte dazu am 06.12.19:
Das ist beunruhigend!

Wenigstens unser Testament ist notariell beglaubigt. Daß der Notar bei dem Akt ersichtlich angetrunken war, zeigt, wie rechtssichernd diese Regel ist.

 TassoTuwas (06.12.19)
Ein interessanter Plot.
Die Menschlichkeit ist immer aktuell und Außerirdische ins Spiel zu bringen gibt allen Möglichkeiten Raum.
Mir war der Autor nicht bekannt.

 Graeculus meinte dazu am 06.12.19:
Das mit den Außerirdischen wirft in der Tat ein neues Licht auf eine alte Frage: Was ist menschlich?
Ich weiß nicht, ob wir das noch erleben werden, aber bei der KI wird sie in nicht allzuferner Zeit aktuell werden.
Oder ist sie das heute schon, wenn wir erfahren, daß manche Kinder sich mehr mit Alexa unterhalten als mit 'menschlichen' Freunden?

 TrekanBelluvitsh (06.12.19)
Es kommt darauf an, wie freundlich man ist. Die Eigenschaft der Freundlichkeit unterscheidet uns meiner Meinung nach von Felsen, Holz und Metall, und das wird immer so bleiben, welche Gestalt wir auch annehmen, wohin wir auch gehen, zu was wir auch werden.

Wenn man bedenkt, das Dick in einer Phase groß geworden ist, die immer noch eine Hochphase des plumpen* Sozialdarwinismus' war, eine erstaunliche Einsicht.


* Sozialdarwinismus ist immer plump. Aber bei dieser Pseudophilosophie scheint mir "plump" als Verstärkung durchaus angebracht.

 Graeculus meinte dazu am 07.12.19:
Sozialdarwinist war PKD gewiß nicht. Daß das 1955 ungewöhnlich war, habe ich mir noch nicht bewußt gemacht.
(Sozialdarwinisten gehören auch nicht zu meinen Lieblingsautoren.)

Antwort geändert am 07.12.2019 um 14:57 Uhr

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 07.12.19:
Der Faschismus ist ja eine typische Spielform des Sozialdarwinismus. Und zumindest als junger Mensch muss PKD ihn, wenigstens aus der Ferne, erlebt haben. Und auch wenn der Faschismus sein Gepräge im WK1 erhielt, erstanden seine "gedanklichen" Grundlagen doch gegen Ende des 19 Jhd.

Meiner Ansicht nach ist auch der von Lenin/den Bolschewiki geprägte Sozialismus/Kommunismus eine sozialdarwinistische Denkrichtung (hätte er sonst die Millionen Opfer als notwendig ansehen können?) und der war zu PKD sehr aktuell.

Zu guter Letzt ist der Kapitalismus der US-amerikanischen Ausrichtung nichts anderes als die Übertragung sozialdarwinistischer Prinzipien auf wirtschaftliches Handeln. Die augenblickliche Krise des politischen Systems der USA - Trump ist ein Symptom - kann ja auch als Krise dieses Denkens beschreiben werden. Es hat den Menschen, wenn man nicht zu der verschwindend geringen Menge der Superreichen gehört, nichts mehr zu bieten, weshalb er, wie viele Systeme in der Krise, mit Aggressivität reagiert ("Die anderen sind schuld") und seine Prinzipien verstärkt auf die Gesellschaft überträgt. Dabei mögen Mittel- und Südamerikaner und Muslime, neben den innenpolitischen Gegnern, im Augenblick das Feindbild sein, doch die sind im Prinzip austauschbar.

Das sieht man auch an der AfD die ja ähnlich agiert. Hier sind innenpolitischen z.B. die öffentlich-rechtlichen Sender das Feindbild und Süd- und Mittelamerikaner werden durch Osteuropäer ersetzt. Die Muslime sind die Feinde all jener sozialdarwinistischen Bewegungen, weshalb diese, oft gerne "rechtspopulistisch" genannt, eine internationale Einheit vorgaukeln können, obwohl nach ihren eigenen Vorgaben, das ein Ding der Unmöglichkeit ist. PiS und AfD verachten einander, weil die eine polnisch und die andere deutsch ist.

Antwort geändert am 07.12.2019 um 15:08 Uhr
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram