Chefetage

Text

von  kalira

Ich bin in höheren Getrieben zwischen die Räder geraten. Sie haben mich gewarnt, sie haben gesagt, ich solle auf der Höhe bleiben, die für mich vorgesehen sei, ich solle abwarten und im Warten Stille, besser sogar Reglosigkeit wahren. Nicht etwa vortäuschen, haben sie gesagt, sondern mich daran halten. Es tun - ohne Gedanken und Gerede.
Dagegen anreden, habe ich gesagt, ich wolle dagegen anreden und dann auch hervortreten, heraus aus der Höhe, auf der sie mich halten wollen. Ich habe das gesagt und nachts wach gelegen, meine Schritte visualisiert, geatmet und Mut aus der Luft gesogen, die um mich herum dicker zu werden schien.
Sie luden mich auf ihre Höhe ein, die immer mit einem schweren Aufstieg beschrieben wird. Ich nahm die Einladung der Geschäftsführung an. Die Stufen in die höhere Etage waren nicht schwerer zu steigen, als andere Stufen zu steigen sind. Die langen Flure, im eleganten Grauweiß-Anstrich, zogen sich, schienen mich und mein Anliegen zu dehnen, zu verzerren, zu anonymisieren. In dieser Höhe gelten offensichtlich keine Muster, dachte ich und auch, dass sich hier die Zeit anders zu verhalten scheint. Ich ging durch die Flure, las Namen auf durchsichtigen Schildern, die vor Türen angebracht waren, hinter denen offensichtlich Menschen saßen. Ich hörte nichts. Und plötzlich fand ich mich sitzend auf einem blauen Sessel. Ein Beistelltisch, der nicht beigestellt sondern zentriert die Sessel voneinander abtrennte, bot dem Wasserglas, das mir gereicht worden war, Abstellfläche. Die anderen Sessel grün und rot waren noch unbesetzt.
Ich durchdachte alle Farbtheorien, die mir bekannt waren, staunte über die Zeit, die mir für meine Gedanken blieb, bis dann auch der rote und grüne Sessel besetzt waren. Das Gespräch fand statt. Die höheren Getriebe arbeiten geräuschlos wurde mir gesagt, es sei nicht verwunderlich, dass wir auf den tieferen Höhen nur selten etwas davon mitbekämen. Die höheren Getriebe arbeiten schwerer, arbeiten länger, harrten in der Arbeit aus und es würden hier Entscheidungen getroffen, die getroffen werden müssten. Auf dem blauen Sessel war gut sitzen. Ich besah die gedehnte Zeit, ich hörte den gedehnten Aussagen zu, ich hörte mich in langen Sätzen antworten, ich trank, wechselte die überschlagenen Beine, lächelte, nickte, verneinte. Ich trank und stellte das Glas auf den zentrierten Beistelltisch ab. Ich bedankte mich bei den Menschen dieser Höhe, in deren Lüfte manchem Menschen schwindlig wird, ich bedankte mich für die Zeit, die die Höhenmenschen für mich aufbrachten. Ich schüttelte warme Hände, meine kalten Hände wurden geschüttelt. Ich ließ die Farbsessel hinter mir, ging die langen Flure entlang, las die Namen auf den Schildern vor den verschlossenen Türen, hörte der Stille nach, die nur von den Geräuschen meiner Gummisohlen auf dem Boden unterbrochen wurde. Ich ging und glaubte mich in  dieser Höhe der Getriebe nicht am richtigen Ort.
Die Menschen auf der tieferen Höhe sahen mir bei meiner Rückkehr ängstlich in die Augen. Niemand wagte es mich zu fragen. Sie schlichen um mich herum, bis ich von den Sesseln, dem Flur und den Worten der höheren Getriebe berichtete. Die Menschen meiner Ebene rieben ihre Hände aneinander, schluckten und räusperten sich. Sie sahen geduckt aus und meinten, ich habe Mut bewiesen und fragten, ob ich glaubte, es würde sich etwas ändern. Nein, sagte ich, das glaube ich nicht.
Eine Woche später reichte ich meine Kündigung ein.

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Kommentare zu diesem Text


 princess (08.12.19)
Du kannst detaillierte Beobachtungen so leichtfüßig in Worte kleiden, dass die Bilder sich wie von selbst zu entwickeln scheinen. Schwerelos. Und bemerkenswert.

Liebe Grüße
Ira

 EkkehartMittelberg (08.12.19)
Mit steigender Verantwortung in der Chefetage wird entfremdete Arbeit bewusster.
LG
Ekki

 Dieter_Rotmund (09.12.19)
Weiss nicht so recht, was ich davon halten soll, handwerklich ist's aber top! Nur ein Verbesserungsvorschlag: Es ist immer schlechter Stil, einen Text mit "ich" zu beginnen.

Kommentar geändert am 09.12.2019 um 09:54 Uhr
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