Vorstadthölle

Expressionistisches Gedicht zum Thema Leere

von  AchterZwerg

Die Bar Comtess schließt früh um vier
und rote Säuferaugen glasen;
Laternen stehen stumm Spalier,
die Huren dreschen Abschiedsphrasen.

Trottoirs, im Zwielicht fahlgeschattet  –
ein Rentner heult in seinen Hund;
du denkst an Heimkehr, schwer ermattet,
den dir gemäßen Daseinsschlund.

Auf Scheiten glüht dein Lebenstraum,
Dämonen schielen nach der Beute
und Sehnsucht ragt als Galgenbaum:

Du musst hier weg! Und zwar noch heute.


Anmerkung von AchterZwerg:

Nein, liebe Leser,
der8. hat kein Alkoholproblem, ist aber ausgewiesener Aficonado der Expressionisten.

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Kommentare zu diesem Text


 Isaban (15.12.19)
Hallo AchterZwerg,

sehr kraftvoll, bildhaft und eindrücklich! Die Bebilderung gefällt mir, bis auf eine winzige Ausnahme, ausgesprochen gut.

An S2, V4 könnte man noch einmal feilen. Nur um ein paar Beispiele (in der Hoffnung, dass nicht jeder Vorschlag gründlich an deinen Intentionen vorbeigeht) zu nennen, gefiele mir z.B.
"die Innenstirn ist blau und wund" oder
"die Aussicht schließt dir schnell den Mund" oder
"schon sind Kopf, Schritt und Füße wund" oder (obwohl Elisionen nicht wirklich mein Ding sind)
"der Kopfkirchturm schlägt Stund um Stund" oder
"die Galle kitzelt deinen Schlund" o.ä.,
denn der "Daseinsschlund" klingt nach meinem Empfinden ein kleines bisschen zu gewollt. Vielleicht liegt es ja an mir, aber der bebildert sich für mich - im Gegensatz zu den restlichen Versen - nicht wirklich.

Mit freundlichen Guten-Morgen-Grüßen

Isaban

 DanceWith1Life meinte dazu am 15.12.19:
stimme eigentlich fast zu, wenn da nicht dieses fast "karmische" "den dir gemäßen" wäre, das alle diese wirklich guten Vorschläge zwar beinhaltet, aber wie du, meiner Meinung nach richtig empfindest, nichts davon ausspricht.
Slivovic (49) antwortete darauf am 15.12.19:
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 FrankReich schrieb daraufhin am 15.12.19:
Genau, außerdem ist der Zwerg Aficionado der Expressionisten, und das bestimmt nicht ohne Grund. :D

 AchterZwerg äußerte darauf am 15.12.19:
Hallo Isaban,
du hast dich aber verändert!
Schön, dass du bei mir vorbeischaust und ein paar Vorschläge unterbreitest.
Ich habe den Begriff "Dasein" gewählt, weil der einerseits das Leben selbst und andererseits das Da-Sein meinen kann.
Und tatsächlich kann solch ein kleinstädtisches Leben als ein saugender Schlund empfunden werden - man ist in so vieles eingebunden ...
Insofern sagt der Vers, was er(mir) sagen soll.
Natürlich danke ich dir trotzdem für deine Tipps. Jener Galle-Vers käme noch am ehesten in Frage, würde aber den "Galgenbaum" lautlich ausbremsen.

Freundliche Grüße
der8.
Hannah (72)
(15.12.19)
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 AchterZwerg ergänzte dazu am 15.12.19:
Danke schön, Hanna.
Ich finde deine Sicht der Dinge stets interessant.
Und tatsächlich hat das "Aufgegebene" eine große Macht. So groß, dass manche Menschen bestimmte Krankheitsbilder entwickeln.

Liebe Grüße
der8.
Agneta (62)
(15.12.19)
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 AchterZwerg meinte dazu am 15.12.19:
Danke, Agneta.
Nicht umsonst habe ich eine unheilbare Vorliebe für Expressionisten.
Sie wirken auf mich so wild - und wahrhaftig. In der Dichtung vielleicht noch mehr als in der Bildenden Kunst ...

Herzliche Grüße
der8.

 EkkehartMittelberg (15.12.19)
Hallo Pico,
es gibt abertausende von Sehnsuchtsmetaphern, aber noch nie habe ich gelesen, dass ein Rentner in seinen Hund heulte. oder die Sehnsucht wie ein Galgenbaum ragte. Sehr originell.
Hin und weg
Ekki

 AchterZwerg meinte dazu am 15.12.19:
Lieber Ekki,
in einem Kleinstädtchen passiert in der Regel wenig Spektakuläres. Umso leichter bildet sich die Beobachtungsgabe aus.
Ich habe tatsächlich einmal gesehen, wie ein alter Mann seinen Bobtail umarmt hielt und in ihn hineinweinte, den Kopf fast ganz in dessen Langhaar verschwunden.
Und der Hund? Der nahm die Trauer auf und schenkte seinem Herrchen den denkbar liebevollsten Blick. Zeitweise fiepte und heulte er mit.
Ja, und auf den Galgenbaum bin ich selbst ein wenig stolz.

Herzliche Grüße
Pico

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 15.12.19:
Ja, liebe Freundin, gute Beobachtung ist und bleibt die vornehmste Lehrerin einer Poetin.
Herzliche Grüße zurück

 TassoTuwas (15.12.19)
Hallo Zwergi,
weg wollen wir doch alle, da ist nur eine Frage.
WOHIN???
Für nähere Auskunft dankbar grüßt
TT

 AchterZwerg meinte dazu am 15.12.19:
Lieber Tasso,
an anderer Stelle erwähnte ich es bereits: Nach Berlin, in eine reetgedeckte Eigentumswohnung mit direktem Meerzugang.
Gern darfst du den Umzug organisieren! :)

Bis dahin: Halt dich fit
der8.

 niemand (15.12.19)
Hmm, mir gefällt grade der "Daseinsschlund" sehr gut.
Ist das Leben/das Dasein [besonders im Alltag] nicht ein alles verschluckender/verschlingender Rachen/Schlund, alles in sich hineinziehend, bis hin zur endgültigen Verdauung [Ende] ...
Ich sehe das so, auch wenn es nicht jedermanns Sicht sein wird.
Ein starkes Gedicht! Mit lieben Grüßen, Irene

 AchterZwerg meinte dazu am 15.12.19:
Danke schön, Irene.
Ich denke, ich werde das Gedicht so lassen.
Die Sache mit der Verdauung hatte ich mir gar nicht bis zu Ende überlegt ... aber du hast natürlich Recht. Und sowas von.

Herzlichst
Heidrun

 Loewenpflug (15.12.19)
Gefällt mir, kreative Bilder. Gruß Loewe

 AchterZwerg meinte dazu am 16.12.19:
Hui,
gleich zwei neue wilde Wesen an Bord: einen Löwen und eine Tigerin! Habt ihr euch schon bekannt gemacht?
Der8. ist - trotz seiner Kleinheit - ein guter Dompteur und fürchtet nichts und niemanden, bedankt sich herzlich

und grüßt zurück :)
Al-Badri_Sigrun (61)
(15.12.19)
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 AchterZwerg meinte dazu am 16.12.19:
Danke schön, liebe Sigrun,

das Expressive liegt quasi in meiner Natur.
Aber ich mag auch die leisen, schlichten Töne ... so wird mein Lyrikerleben wohl aus stetem Wandel bestehen.
Und das macht Spaß!

Herzliche Grüße
der8.

 Didi.Costaire (15.12.19)
Krass beschrieben, die Hölle. Aber wieso eigentlich Vorstadt? Für mich klingt es nach mittendrin.
Beste Grüße, Dirk

 AchterZwerg meinte dazu am 16.12.19:
So gesehen hast du Recht, Dirk.
Mit zunehmendem Alter lernt man es (leider), solch ein überschaubares kleines Höllenfeuer zu schätzen,

weiß
der8.

 GastIltis (15.12.19)
Hallo Achtel,
das Heulen ist ein wenig ansteckend. Und die Schlusszeile ist mindestens so stark wie Rilkes „Du musst dein Leben ändern.“ aus dem Archaïschen Torso Apollos. Überhaupt ist es für mich, das ist leider subjektiv, eines von deinen Gedichten, denen ich eine besondere Klasse zumesse. Gekonnt!
Sei herzlich gegrüßt von Gil.

 AchterZwerg meinte dazu am 16.12.19:
Vielen Dank für deinen Zuspruch, Gil,
ich weiß es ja selbst: Solche Gediche fetzen rein. :)
Ob sie qualitativ mit meinen ungereimten Arbeiten mithalten können?
Das entscheidet vielleicht eher die persönliche Vorliebe für das eine oder andere ...

Liebe Grüße in die Vorweihnachtszeit
dasAchtel

 Oggy (16.12.19)
Eigentlich neige ich ja mehr zu Dada, aber hier sehe und höre ich vor meinem geistigen Auge und Ohr angetrunkene Zwerge bei Vollmond durch Drehtüren torkeln und Schmuddellieder singen....

LG,
Oggy

 AchterZwerg meinte dazu am 16.12.19:
Dann funktionierts, Oggy.
Zwar nicht beim8., aber immerhin im Gedicht.

 harzgebirgler (15.10.20)
eine sinnentleerte welt
kaum noch wen im zaume hält
was regiert sind schein und geld
und natürlich zeitvertreib
für den mitregenten leib.

lg
harzgebirgler

 AchterZwerg meinte dazu am 15.10.20:
Da sagst du was.
Gegen ein wenig Zeitvertreib ist ja nichts zu sagen ... *hüstel)
Mit viel Glück fallen wir ja schon unter "Kunst", nä?
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