Omnia mea mecum porto

Gedanke zum Thema Erinnerung

von  Bergmann

Omnia mea mecum porto - alles was ich besitze, trage ich bei mir, sagten die Römer ... der Satz öffnet sich allerdings zum scheinbaren Selbstwiderspruch, will sagen, die Sentenz liefert keine Lösung, sondern deutet meine Möglichkeiten und möglichen Probleme an: Denn ich trage auch meinen Ehrgeiz mit mir, meinen Neid, meine Eifersucht, mein Wollen und meine Pläne, also meine Zukunft und mein Ungenügen, das mehr will als alles, mehr als ich gegenwärtig besitze. 


Anmerkung von Bergmann:

Mit dieser Sentenz wünsche ich allen auf kv alles Gute zum neuen (neuen?) Jahr!

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Kommentare zu diesem Text


 loslosch (28.12.19)
die alten griechen kannten den satz, so später Cicero. wenn man die pole fähigkeiten und materieller besitz gegenüberstellt, stimmt der satz.

besonders gut anwendbar auf die ersten jahre nach 1945.

saludo und auf ein neues ...

 Bergmann meinte dazu am 28.12.19:
Mich ehrt deine Anmerkung, schließlich bist du der magister sententiarum hier. Und ich habe noch nie eine Sentenz vorgelegt, obwohl ich das Lateinische sehr lieben lernte (schon in der Schule!).
Guten! Uli

 FrankReich antwortete darauf am 28.12.19:
Interessante Sentenz, denn all das, was ich besitze, besonders das, was ich bei mir trage, ist ja nicht zwangsläufig mein Eigentum. Könnte der Satz nicht auch so übersetzt werden: "Alles, was mein ist, trage ich in mir."?

Ciao, Frank

 Bergmann schrieb daraufhin am 28.12.19:
Ja.

 Graeculus äußerte darauf am 29.12.19:
In den meisten Versionen, in denen dieser Spruch aus der Antike überliefert ist, sagt das ein Mensch, der all seinen materiellen Besitz verloren hat und sich damit tröstet: "ego vero bona mea mecum porto" (so in der Version von Valerius Maximus).

 Graeculus ergänzte dazu am 29.12.19:
Hier ist eine Version mit Kontext, die Euch gefallen wird:
Da nun der alte und weise Diogenes drunten im Hades
ankam, lachte der Hund, als er den Kroisos erblickt.
Flugs dort legte der Greis vor ihn, der die Fülle des Goldes
einst aus dem Strome geschöpft, nun seinen Mantel und sprach:
„Jetzt hab ich den größeren Raum; denn was ich besessen,
bringe ich auch alles mit; du aber, Kroisos, - hast nichts.“
[Ἐμοὶ καὶ νῦν πλείων τόπος. ὅσσα γὰρ εἶχον,
πάντα φέρω σὺν ἐμοί, Κροῖσε, σὺ δ‘ οὐδὲν ἔχεις.]
[Anthologia Graeca (IX 145)]

Antwort geändert am 29.12.2019 um 01:54 Uhr

 Bergmann meinte dazu am 29.12.19:
Zwei interessante Aspekte, lieber Graeculus. Wenn man viel verliert, hat man also immer noch alles, weil man mit dem was man hat neu beginnen kann. (Sehen wir mal vom hohen Alter ab.)
Im Hades drunten werden alle diese Aspekte irrelevant. (Abgesehen von der Vorstellung der Wiederauferstehung in einem Lebenskreislauf.)

 Irma (28.12.19)
Besitz im Sinne von: Summe all unserer Erfahrungen?

Flüchtlinge, die ihr letztes Hab und Gut auf ihren Schultern tragen, stöhnen vielleicht aufgrund der Last. Viel schwerer aber wiegen wohl die Erinnerungen an das Erlebte: Krieg, Tod, Leiden, Folter usw.

Was oder wieviel wiegt geistiges Eigentum? Man trägt es stets bei sich und häuft es sein Leben lang an, bis man es vielleicht auf dem Wege der Demenz wieder schmerzlich verliert.

Manches besitzen wir länger, als uns lieb ist, anderes verlieren wir schneller, als wir wollen. LG Irma

Kommentar geändert am 29.12.2019 um 00:21 Uhr

 Epiklord meinte dazu am 29.12.19:
Neid besitzt man nicht. Er ist eine Eigenschaft, ebenso wie Stolz. Man kann stolz auf seinen Besitz sein. Stolz selber zählt aber nicht zu dem Besitz, auch nicht zu einem immateriellen inneren. Wissen hingegen kann man als Haben ansehen und es wie seinen Besitz verteidigen. Ebenso eine Meinung. Ich verweise auf Erich Fromms Schrift „Haben oder Sein“.

LG E.

 FrankReich meinte dazu am 29.12.19:
Ich denke, dass es pupsegal ist, ob die Eigenschaft mich besitzt, oder ich sie, auf jeden Fall ist sie ein Teil von mir, also dementsprechend auch in meinem Besitz, oder, um es zu präzisieren, mir zu eigen. :D

Ciao, Frank

 Epiklord meinte dazu am 29.12.19:
Oh, da gibt es einen folgenschweren Unterschied. Früher, zum Beispiel, wurde gesagt, man HABE eine Schizophrenie. Heute würde man sagen, Geisteskrankheit ist nicht was ich habe, sondern was ich bin. (und Krankheit als Metapher). Das bedeutet, es ist nicht ein schicksalhafter Brocken, der mir zu eigen ist, sondern ebenso wie Neid, ein dynamischer und damit beeinflussbarer Vorgang.
Man trifft ja oft auf Menschen, von denen gesagt wird, sie wären besonders neidisch. Soll man deren Neid nun als Besitz einstufen, von dem sie besonders viel angehäuft haben. Wie soll ich mir das vorstellen?

LG E.

 Bergmann meinte dazu am 29.12.19:
Schöner, differenzierender stream der Differenzierungen. Ich erkenne wieder einmal, dass Aphorismen und Sentenzen nur Denk-Öffner sind. Denken muss man dann eben mit dem, was man weiß, hat und kann.

 FrankReich meinte dazu am 29.12.19:
@Epiklord

Die Eigenschaft Neid befindet sich im Besitz des Besessenen. Spielt das denn wirklich noch eine Rolle, wie und in welchem Zeitraum dieser sie erlangt hat, bzw. wieder abgibt, oder ob sie angeboren ist?

Ciao, Frank

P.S.: @Bergmann

Es ist selten, dass ein Autor den Kommentatoren seines Textes in dieser Art ein Kompliment macht. Danke dafür.

 W-M (29.12.19)
ich sehe da keinen widerspruch oder das fehlen einer lösung. wieso überhaupt lösung? für was, wovon? passt doch alles, was du sagst, wieso solltest du auch sog. unarten nicht bei dir tragen bzw. nicht besitzen? frei nach dem motto (ist ja letztlich dasselbe): "Selbst ist der Mann (oder die Frau)!" mehr als man besitzt und bei sich tragen kann, braucht es nicht.

 Bergmann meinte dazu am 29.12.19:
Hast recht, lieber Werner, und ich hadere mit mir wenig bezüglich meiner Schwächen. (Weil die Stärken überwiegen ... . Und: selbst die Schwächen, die ich habe, sind challenge im Toynbee'schen Sinn, auf die ich im Leben response finden musste und muss. Schwächen können auch sehr reizvoll sein. Können, müssen nicht. Perfektion um ihrer selbst willen, ist kein gutes Ziel. Ja, ich stimme dem zu, was du sagst.

 EkkehartMittelberg (29.12.19)
Lieber Uli, ich habe diese Sentenz schon immer geschätzt, sie aber mit verengtem Blick nur auf meine positiven Anlagen bezogen. Dein Kommentar hat mich gelehrt, sie umfassend zu verstehen.
LG und auch dir ein gutes neues Jahr
Ekki

 Epiklord meinte dazu am 29.12.19:
Man kann kein Ungenügen oder Neid mit sich herumtragen. Es existieren auch keine Dispositionen dazu. Diese Annahme hat sich aber inzwischen fest eingebürgert. Wenn ich mich nun aber als Schriftsteller betätige, sollte ich die inzwischen gewonnen Erkenntnisse der Philosophie berücksichtigen, welche diese eingebürgerte Denkweise zumindest in Zweifel zieht. Die Sprache muss den veränderten Sichtweisen Rechnung tragen und angepasst werden. Das fällt schwer, jenes Eingefleischte aufzubrechen, ist aber unabdingbar, um den wissenschaftlichen Fortschritt in den Alltag einzubringen. Als Schriftsteller sollte man sich dazu verpflichtet fühlen, eine Verantwortung dafür zu tragen.

LG E.

 Bergmann meinte dazu am 29.12.19:
Lieber Ekki, auch dir ein gutes neues Jahr! Ich werde nachdenken, angeregt von W-M, über die Vorteile unserer Schwächen - ganz ohne Scherz! Herzlichst: Uli

Lieber Epiklord, grundsätzlich kann ich dem nicht widersprechen. Einschränkend sage ich nur: dass der erzählende Schriftsteller nicht unbedingt mit der gerade geltenden Begrifflichkeit schreiben muss. Besser ist es, durch Erzählen in Handlungen und Bildern neue Gedanken (neuen Besitz) zu transportieren.
LG, Uli

 AZU20 (29.12.19)
Vielen Dank. Gleichermaßen zurück. Im Neuen Jahr kämpfen wir weiter. Mal sehen, was dabei herauskommt. LG
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