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Erzählung zum Thema Ende

von  RainerMScholz

„Ich kann mir auch nicht erklären, weshalb das solange dauert, Frau Riemenschnitter, aber die Emaille, die sie ausgesucht haben, ist leider noch nicht eingetroffen. Und sie verstehen ja sicher, dass wir erst anfangen können, wenn das Material da ist. - Ja, weiß ich, aber sie sagten selbst, dass das alte Zeug `raus muss. Jetzt kann ich da eben auch nichts machen...“, `du dumme alte Schachtel’, ergänzte Seveso in Gedanken.
„Wir haben ihnen schließlich...- Nein, das ist so nicht wahr. Bei ihnen steht doch schon ein Chemo-Klo. Wir tun was wir können, der Scheiß, äh, ich meine, die Kacheln aus der Toskana dauern eben etwas länger. Sie wollten doch etwas Exklusives, Frau Riemen, äh, Schnitter, nicht wahr?! Na schön, also. Sie wissen, wir sind immer für sie da. Wiederhören. Ja doch, Wiederhören, Frau – ach leck mich doch.“
Die Verbindung war seitens der erbosten Kundin bereits unterbrochen worden.
Er legte den Hörer auf, warf ärgerlich den Bleistift auf den mit Rechnungen und Aufträgen und Bestellungen überladenen Schreib­tisch, griff mit der verkrüppelten rechten Hand ungelenk nach der Tasse lauwarmen Kaffees und schüttelte entnervt den geröteten, stoppeligen blonden Schädel, in dem unablässig tausend Hämmer auf tausend Ambossen zerschellten. Dumme Menschen! Es waren dumme stupide arrogante blasierte degenerierte Arschlöcher, und er hatte sie am Hals, musste sich tagtäglich mit ihren zum Kotzen aufge­blasenen Angelegenheiten abplagen. Eigentlich hatte er längst die Schnauze voll. Und draußen brach bereits die Dämmerung herein. Das Licht der Schreibtischlampe projizierte einen unförmigen verzerrten Schatten seines gedrungenen Körpers an die eintönige weiße Raufaserwand. Ankündigung bevorstehender Depressionen pochten an die Innenseite seiner Hirnrinde, die er wie stets mit hochgezogener Oberlippe lächelnd  würde ignorieren müssen. Er ist Rechts-wie-Linkshänder, und somit gewissermaßen unantastbar, was motorische Synchronizität anbelangte: Was der rechten Hirnhälfte Schmerzen bereitete, tat auf der anderen Seite noch lange nicht weh.

Seveso schloss die Tür seines Büros bei `Häcker und Koch’ ab und ließ den Gas-Wasser-Installationsservice, den er in diesem Teilbereich als Sachbearbeiter selbständig bearbeitete, für diesen Tag hinter sich, versuchte den Mitarbeiter, Kollegen, Installateur, den Servicemann, den Dienstleister zu ignorieren, auszulöschen für den Moment, abzuhaken.
Seveso trat auf die neonblaue Asphaltdecke des Parkplatzes vor der abseitig im Industriegebiet liegenden Firma und atmete den verwirrend intensiven Teergeruch tief in die Lungen. Er beobachtete selbstver­gessen beiläufig die Krähen, die in der majestätischen Linde am anderen Ende des leeren Platzes saßen und schwiegen; dann spreizte einer der großen schwarzen Vögel die blauschimmernden Schwingen, nahezu geräuschlos, nur ein leises Flüstern vielleicht, ein gekrächztes Geheimnis, Rascheln von Federkleidern, ein Kichern aus hornigen gekrümmten Schnäbeln. Mysteriöse Geschichten, die sie sich da erzählten.
Er schüttelt den Kopf, steckt die Hände in die Hosentaschen und geht zu seinem Wagen, kramt den Schlüssel hervor, öffnet die knarrende Tür und steigt ein. Er schaltet die Scheinwerfer ein, bevor er den Motor startet, sieht in den Rückspiegel, und es ist bereits zu dunkel, um erkennen zu können, ob die Vögel noch da sind oder ob die Krähen wegflogen. Er fährt los, wird die anderen treffen. Es war eine hoffnungslose Welt, und er riss beschmutzte Kloschüsseln aus fremden Badezimmern und baute sie dann wieder ein.

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