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Erzählung zum Thema Ende

von  RainerMScholz

Braunverwelktes Laub fiel von den verknöcherten Bäumen. Obschon dafür nicht die Jahreszeit zu sein schien. Ein in Beton, Stahlumzäunungen und Hundekot versenkter Kinderspielplatz strahlte in der diffus glimmenden Nacht eine morbid pädophile postmoderne Sach­lichkeit aus. Obdachlose, Penner und vom Alkohol
gezeichnete Minderprivilegierte saßen im Dunkel hinter den von diversen
Volksbanken gestifteten Sitzbänken und ließen die Flasche kreisen. Die
Mamis und Papis vom Tage waren verschwunden, oder haben sich in das hier verwandelt. Jetzt lassen Halbwüchsige die schimmernden Messerklingen tanzen.
Schrill lachend schwang sich eine gedrungene Gestalt auf der Kinderkettenschaukel in den unerreichbaren Himmel, prustend und sabbernd von Jäger­meisterglück, verzweifelt angesichts des unerbittlichen Dämmerns des heranbrechenden Morgens. Oder die Eisenglieder des Schwinggeräts werden brechen unter dem Gewicht.
Doch es war erst gegen Mitternacht. Thermonuklear-Kid, Seveso und B-Bop-Bone waren auf dem Weg zu Otto, wo sie sich bedröhnen, schmutzige Videos sehen, Ärger kriegen und wieder verschwinden würden, ein Ablauf, der unabänderlich war.
Der Bus der 67er Linie hält in der Nordweststadt, sie gingen zur Tank­stelle. T.Kid schwankte leicht, so dass die Schöße seines Mantels hin und her wippten, während er ausschritt, als liefen seine martialischen Springerstiefel von alleine. Bone stütze ihn sanft federnd ab, Seveso verhinderte einen Fehltritt auf die befahrene Straße, unterdessen Thermonuklear ohne Pause vor sich hinplapperte, abstruse Theorien entwickelte über zölibatäre Politikerkasten, über außerirdische Invasoren, die Moses die falschen Gesetzestafeln zusteckten, makro­ökonomische Experimente der Briten in Kolonialindien, krebserzeugende Starkstrommaste, intelligente Gesänge von Walen („intelligenter als das Zeug von Mozart – haha!“).

Eintönige graue Häuserblockfronten ziehen an ihnen vorüber, blind halbverdunkelte Fenster starren anonym aus der zerbombten Monotonie einer gleichgeschalteten Architektur der Arbeitslosen und unteren Lohn­empfänger, der ausrangierten Rentner, alleinerziehenden Mütter und ihrer perspektivlosen Söhne und Töchter. Hier wird der Wohlgesell­schaftsmüll abgeladen, die Überflüssigen, Unbequemen, Unanschaulichen - die neuen ewigen Unberührbaren. Die tatsächlich wirklichen Asozialen machen gerade den deutschen Standortaufschwung. Nur eben nicht gerade an diesem Ort, für diese Menschen. Hier gibt es nur die kleinen Häppchen, romantische Ghettotristesse und den ganzen Tag Feierabend. Für zur täglichen Randale eintreffende Fernsehteams, die schnell wieder die Knöpfe an ihren Autotüren herunterdrücken. Bevor die unweigerlich wieder in ihre Glaspaläste verschwinden, werfen sich hier alle nochmal in Positur, stehen hemdsärm­lig in schmutzigen Häusereingängen zu riesigen Wohnsilos mit Plastikgeranien an den Stehbalkonen oder lehnen sich mit dem Kissen unterm Arm zu weit aus dem Fenster. Um dann der Fernsehnation portionsgerecht live (lebend!) serviert zu werden. Und für einen Hunderter wird von ein paar Kapuzenpullijungs schon einmal ein Kanake verbal zusammengetreten. Oder auch in echt. Mach´ die Kamera an, der wirft jetzt `n Molli durch die Asylantenklitsche! Oder so hier, ey: willstu auf die Fresse, ey: gib `mal dein Handy, ey: !.

Thermonuklear blieb stehen, ließ die anderen einige Schritte vorgehen, beugte sich vornüber und erbrach sich in die gelbe Begrünung am Wegesrand.
„O.K., weiter.“
„Wir sind gleich da, T.. Willst du eine Zigarette?“, fragte Seveso mit besorgter Miene indigniert lächelnd und hielt ihm die Schachtel hin.
„Danke. Geht mir schon besser. Lass uns weitergehen. Gott liebt die Standhaften.“
„Ja, und die Arschlöcher, die die Grütze wieder wegmachen müssen, liebt er anscheinend nicht.“, brüllte jemand aus der zweiten Etage.
Ein kahler bulliger Nachbarskopf war in einem Fenster der abge­schmirgelten Häuserzeile erschienen, ein gedrungener, grauhaariger Oberkörper im weißen Trägerfeinripp schiebt sich nach und fleischige Oberarme gestikulieren pythonzuckend erbost über den schmalen Sims in ihre Richtung nach unten. Seveso packt T.Kid am Ärmel und zieht ihn weiter. B-Bop-Bone wartet noch, dreht sich dann um und deutet mit einer obszönen Geste auf seinen stonewashed Hintern, marschiert dann los. Das Fenster schließt sich. Die Szene zerfließt in absurdem Schweigen wie ein nichtiges Achselzucken in einer leeren Bahnhofshalle.

Sie erreichten die grellgelb erleuchtete Tankstelle mit der Muschel, deren helles freundliches warmes Ambiente von eindringlicher Ausbruchsgefahr in Hochsicherheitstrakten, philantropischer Realitäts­ferne, kundenfreundlicher Gleich-legen-sie-mich-um-Mentalität zeugt. Ein farbhelles Raumschiff vom Mars in dieser grotesk steril zermarter­ten Termitenbautenlandschaft, ein rosa Plüschtier von Alpha Zentauri auf Babylon Fünf in einem OP-Saal der Nordweststadtklinik zur Stoßzeit am Wochenende. Dieses tuntige scheiß kundenfreundliche Gelb! Die ver­logene Vorspiegelung echten Verständnisses für die Bedürfnisse der armen Irren , die hier vorfahren, um sich eine Tankfüllung Motorpest abzuholen. Heißlackversiegelung für`s Auge und Sprit für die Seele. Thermonuklear-Kid, B-Bop-Bone und Seveso rannten mittenhinein.
Hier waren die Eingänge nach 22 Uhr natürlich verriegelt und Getränke gibt es nur gegen Vorauskasse durch den Schiebeschacht unter dem kugelsicheren Glas hindurch. Innen war niemand zu sehen. T.Kid ballert mit der Faust gegen die bruchsichere Fensterfront.
„Hey, Bedienung!“
Bone kichert karzinombronchial in sich hinein und wirft den Zigaretten­stummel hinter sich.
„Genau, Arschloch, mach’ die Tür auf!“
Seveso dreht verhalten stöhnend die Augen gegen den Neonhimmel. Ther­monuklear ist  gekommen, der Mantel wirbelt um seine Beine, er legt eine ungelenke Steppnummer auf den Asphalt.
„Hör schon auf, T., da kommt die studentische Hilfskraft ja schon.“
Mit konsterniertem Blick und unbeweglicher Miene tritt ein Angestellter in unvorschriftsmäßigen rotschwarzkarierten Baumfällerkaros an den Nachtschalter.
„’n Abend die Herrschaften, was darf`s denn sein?“
T.Kid wendet sich von den Zapfsäulen um.
„Was darf`s denn sein, Herrschaften? Zwei pro Person? Also dann: sechs Sixpacks Proletenbier, bitte.“
„Also - eine Packung jetzt pro Person oder eine pro Arm? Habt ihr überhaupt Geld dabei?“
Jetzt tickt Seveso aus. Er drückt T. zur Seite und baut seine massive kurzgeschorene Gestalt vor dem Schalter auf, die verkrüppelte rechte Hand mit der linken umklammernd.
„Ist das chinesisch? Willst du mich verarschen, oder wie?!“, und trümmert die Ambossfaust an die Scheibe. Sein Gesicht ist nicht mehr das seine, ist völlig entglitten, verliert die Kontrolle, ist die angelaufene Maschine, das brüllende Tier, das Ding, ist ein epilep­tischer Anfall enervierender blindgängerischer Manie.
„Was soll das heißen: Habt ihr Geld dabei? Hol´ das Bier oder hier ist gleich Tanz. Mach’ schnell, wir warten. Wir sind verdammte Kundenschweine und Du bist der Neger, der uns zu bedienen hat, kapiert?! Los! Los!“.
Seveso trommelt gegen die Scheibe, dass die Tankstelle dröhnt und Bone sich nach der Polizei umsieht. T.Kid schaut wie aus weiter Ferne fasziniert zu. Der Nachtschichtmann rennt in den hinteren Verkaufsraum.
„Los, verdammt, ich bin durstig. Sehr. Jetzt will ich den Service hier sehn’. Verflucht, wenn nicht bald ...“
Bone fasst ihn am Arm.
“Lass mich, ich will die Scheiße endlich haben und nicht so behandelt werden. Hey, komm `raus aus deinem Kabuff. Ich bin es leid. Ich arbeite den ganzen verfickten Tag für mein Geld.“
Die Stimme schlägt um in ein Kreischen. T.Kid hört auf zu tanzen.
„Hier ist die Kohle, hier in meiner Hand. Und jetzt `raus damit. Ich fackle das ganze Viertel ab!“
„Seveso, ist gut jetzt. Er bringt`s ja schon.“
Er starrt Thermonuklear verwirrt an, aus einer anderen Zeit, einer anderen Hemisphäre, atmet tief dann, lässt die Schultern sinken, schaut beinah betreten zu Boden.
„Alles klar, hier ist das Geld, ich lass `was springen.“
„Danke.“
Der eingeschüchtert wirkende Mann im Glaskasten schob die Sechserpackungen durch die Verkaufsluke, nachdem er das Geld erhalten hatte. Sie steckten die Finger durch die Griffschlitze und gingen, seltsam schizoisiert und grotesk in sich selbst und sie wussten es. Der Tankwart in der absurd hell erleuchteten, panzerverglasten Insel dieser Nacht sah ihnen besorgt hinter her, schüttelte den Kopf, begab sich wieder in das Hinterzimmer mit dem kleinen Schwarzweißfernseher, um sich weiter Schopenhauer zu widmen und auf das Ende seiner Schicht zu warten.

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