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Erzählung zum Thema Ende

von  RainerMScholz

Den Mantelkragen hochgeschlagen, denn es ist ein stürmischer, regennasser Herbsttag, sitzt Thermonuklear-Kid auf einer Bank im Ostpark. Wolkenungetüme jagen über den stählernen Himmel, das braun abgestor­bene Blattwerk wirbelt trunken von den Bäumen. Hinter dem verwaisten Fußballplatz, an dessen gegenseitigen Enden angefressene Eisenstangen­tore den rostigen Hartplatz quadrieren, hängt ein Drachen an unsicht­barer Schnur. Er fror. Ein meteorologisches Tief aus fernen Tundren überquerte Mitteleuropa. Er griff in die Tasche, nahm eine Zigarette aus dem Päckchen, entzündete sie mit einem halben Streichholzheft aus der `Intimbar´, die früher ein Bordell, jetzt ein rotlichtiges Szenelo­kal war.
Die Sterblichen arbeiteten heute wieder, liefen umher mit Aktentaschen und Schirmen gegen etwaigen Regen und finsteren Mienen, gehetzt, geprügelt, atemlos, dem Tode nah, eingeschweißt in entbeinte Systeme, blutige Paragraphen, saßen in Millionen Jahre alten Verliesen, verurteilt zu frisch aufpoliertem modernen Sklaventum, traurig, müde, gebrochen, ausgelöscht und selbstzerfressen.
Nur er war hier im Freien. Im Park.
Eigendynamik der Arterhaltung, Lüge einer Mystik des Leidens, trans­zendentaler Kreuzweg des Untermenschen. Seveso hätte es wissen müssen als derjenige, der aus seinem Freundeskreis einer geregelten Arbeit nachging, doch er hielt still an seinem ihm zugewiesenen Platz. Und T.Kid wusste, dass diese Gedanken Selbstläufer sind. Sie waren alle bloß Lohnempfänger, ein Rattenschiss im Getriebe, Lakaien der Ausbeutung, Diener fremder Herren, Messdiener des Baal der Groß­städte, ein Kalkül in einer nicht von ihnen selbst aufgestellten Rechnung. Sie sind stolz darauf und wissen nicht, was das bedeutet. Nichts ist keine Entschuldigung, und die Wolken zogen über den Himmel.
Er warf den Zigarettenstummel fort, stand auf und ging ein Stück, der Aschenschotter knirschte unter seinen Sohlen.

Da sitzt einer und füttert die Tauben. Taubenfüttern ist verboten, weil diese Tiere Krankheiten übertragen, großartige Kunstwerke und Plätze öffentlichen Raumes verunreinigen, somit der Fortpflanzung nicht würdig scheinen. Da sitzt ein alter Mann und füttert Tauben. Vorsichtig bewegt sich Thermonuklear in seinen toten Winkel, dass er ihn nicht bemerke. Der Alte ist seltsam, abstrus, anachronistisch. Seine knochige blaugeäderte, schlank aristokratische Hand greift in den Aldiplastik­beutel mit dem zerkrümelten Brot und streut die Brosamen zwischen das gierige Taubengetümmel zu seinen Füßen. Erstaunt nimmt sein stiller Beobachter aus dem Schatten heraus wahr, dass der Mann nun eine kleinkalibrige Schusswaffe gezogen hat und auf eine Taube zielt, abdrückt. Das Tier flattert hilflos auf, torkelt und bleibt zappelnd liegen. Die anderen weichen aufgeschreckt zurück, es scheint, als blickten sie sich ratlos an, tauschten sich gurrend untereinander aus, berieten sich, um sich sodann abermals auf die ihnen zugeworfenen Brocken zu stürzen. Es machte kein Geräusch, keinen Knall. Eine winzige Bleikugel aus einer Luftpistole hat die Taube getötet, die zwischen den Krallenfüßen ihrer grauen gefiederten hungrigen Artgenossen verendet.
Der Alte steckt die Pistole ein und füttert die Tauben. Geräuschlos entfernt sich Thermonuklear rückwärtsgehend ein paar Schritte, sehr leise, geht, verschwindet von hier, dreht sich nicht mehr um. Der Greise in dem unscheinbaren grauen grobgewerkten Stoffmantel wendet den Kopf und sieht ihm hinterher. Leise gurren die Tauben.

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