göttlichkeit | das göttliche

Gedicht zum Thema Persönlichkeit

von  W-M

für C. M.

tragen wir einen vers ins haus
legen wir ihn
neben die post die briefe
aus einem anderen leben

schuppt der himmel sein blau ab
die kindheit ihre letzten unbeschwerten tränen
sind des himmels treiben gratwanderungen
der kindheit verse

aufschauend ins wolkenleere
gießt sich ein tag über den anderen
eine nacht über die andere
ein leben über eine kurze verschnaufpause

wolltest du dieses einerlei an rhythmischen störungen
feilst du zeile für zeile worte
treibst du sie wie man silber treibt
oder gras oder noch viel unerklärbarere dinge

wir zögern
warten auf ein klingeln an der tür
aber es kommt keiner
wieder nicht

trommeln die nachbarn ärzte herbei
magier schamanen sogar einen zwerg
der singen kann
schaurigschöne töne für die einsamkeit

rabenrufen am abendhimmel
gottgewimmer

.

[geschrieben im Sommer 2019, Waldkirch]


Anmerkung von W-M:

.

aus aktuellem traurigem Anlass

im Gedenken an Christoph Meckel (* 12. Juni 1935, Berlin, † 29. Januar 2020, Freiburg i.B.)

https://www.badische-zeitung.de/einer-ist-uebrig-damit-er-berichte-christoph-meckel-ist-tot--182299081.html

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (01.02.20)
Um es mit Meckels eigenen Worten zu sagen:

In diesem Dunstkreis hatte er gelebt.
In ihm schien Gabriella verschwunden zu sein. Und
er dachte an eine Zeit, bevor er sie kannte,
zehn zahllose Illusionen von ihr entfernt.

Aus: Die Messingstadt. Fischer 1993

 W-M meinte dazu am 07.02.20:
danke für die ergänzungen

 Bergmann (07.02.20)
Optime! Interessant der Einfluss Holger Benkels auf deine 'lyrische Grammatik'.

 W-M antwortete darauf am 07.02.20:
ein "optime!" aus deiner tastatur lesse ich gerne gelten ... und ja, holgers einfluss ist unverkennbar und gab mir weiter aufschwung, danke

 Dieter Wal (07.02.20)
Sehr schönes Gedicht. Sonderpunkt für den schaurigschön singenden Zwerg.

Ich trauere auch gelegentlich mittels Gedicht. Ich würde an deiner Stelle einfach den vollen Namen in die Widmung schreiben.

Die bisherige Anmerkung ist unnötig.

 W-M schrieb daraufhin am 07.02.20:
danke dieter für die zustimmung und aufnahme. die widmung ist noch original und stammt aus der zeit, in der ich das gedicht geschrieben habe, ich wollte sie hier nicht ändern (vielleicht bei einer späteren veröffentlichung?), mit dem "Gottgewimmer" am ende ist klar, wer C.M. ist (ist ja der titel seines vorletzten gedichtbandes vor ca. 10 jahren, der neue sammelband mit dem alten titel "tarnkappe" nicht mitgerechnet). ich habe damals das neue gottgewimmer auf lesung erlebt und seitdem gelegentlichen persönlichen kontakt zu meckel und brieflichen austausch mit ihm, der mir seitdem ein Mentor war, obwohl er nichts Mentorisches habe, wie er mir antwortete. sein tod ist für mich somit auch auf eine art ein schmerzhafter persönlicher verlust, durfte ich ihm doch im frühjahr 2019 mein quasi fertiges typoskript für meinen nächsten lyrikband zu lesen geben, auf den er mir in seiner gewohnten art brieflich (sogar handgeschrieben) einen guten treffenden kommentar abgab, der band wird 2021 bei einem renommierten verlag in Berlin erscheinen, ich konnte es Meckel letzten sommer noch freudig in einem gespräch am rande einer lesung in FR mitteilen. jetzt habe ich das gedicht hier das erste mal an die öffentlichkeit gegeben, ergänzt durch die aktuellen anmerkungen ...
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