seltsam

Gedankengedicht zum Thema Abrechnung

von  AchterZwerg

seltsam

der wunsch nach
besonderer mischung
von freiheit & waldrandidylle
zur wiege gelegt das
verzagen am staat
gegenüber
erklommener höhe
dem triumph & versagen der kunst

wieder und wieder
die chymische hochzeit
hoffnung & scheitern
zermahlen der ewige aufbruch

rinnt durch die sanduhr
wider die zeit


Anmerkung von AchterZwerg:

2007

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Kommentare zu diesem Text


 DanceWith1Life (17.02.20)
Wenn alles was wir sagen und denken zum Streitpunkt wird, an solche Momente erinnert mich eine Seite dieser Zeilen, ist es vielleicht an der Zeit und gleichsam wider eine solche Zeit, seinen Frieden zu finden. Die einzelnen Schritte für diesen Schritt sind so irrsinnig individuell (hat dieses Wort eigentlich was mit Dualität zu tun), dass ich genügend Abstand von jeder Form von Verallgemeinerung nehme, dass dies möglich ist. Natürlich ist das hier nur eine Lesweise und auch nicht meine einzige, die wollte aber gerade die Gelegenheit ergreifen und es schien mir passend..

 AchterZwerg meinte dazu am 18.02.20:
Hallo Dance,
sie scheint nicht nur, sie ist passend.
Der Wunsch nach einer "gesunden" Mischung ist weit verbreitet;
die Hitze des Schmelzprozesses möchte aber kaum einer ertragen.

Vielen Dank für diesen klugen Kommentar,
der8.

 eiskimo (17.02.20)
Fuer mich ein mehrfach gebrochener Spiegel, in dem ich mich nicht besonders leiden mag. Aber wahrscheinlich luegt er nicht.
Was ist die chymische Hochzeit?
lG
Eiskimo

 AchterZwerg antwortete darauf am 18.02.20:
Lieber Eiskimo,
die "chymische Hochzeit" stammt aus der Alchemie und meint im übertragenen Sinne die Vereinigung von Gegensätzen. Im Ursprung die Verschmelzung von Metallen / Stoffen.

Herzliche Grüße und vielen Dank für dein Interesse
der8.

 TrekanBelluvitsh (17.02.20)
Wer von "Freiheit" träumt und redet, kaschiert so nur, dass er anderen was auf die Fresse hauen will.

Wer von "Waldrandidylle" träumt und redet, kaschiert so nur, dass er die anderen aussperren will.

Aber wie soll man anderen was auf die Fresse hauen, wenn man sie aussperrt?

 AchterZwerg schrieb daraufhin am 18.02.20:
Das nenne ich mal eine aparte Interpretation!
Du setzt den Wunsch nach Revolte mit dem der Maßregelung anderer gleich. Was ja (auch) stimmt.
Der Widerspruch läge dann darin, dass sich der Revoltierende nach einiger Zeit ebenfalls in einen wamperten Kleinbürger in guter Wohnlage verwandelt. Was ebenfalls immer wieder zu beobachten ist.

Tja,
der8.

 TrekanBelluvitsh äußerte darauf am 18.02.20:
Vor vielen Jahren habe ich mal eine Doku über die Punkszene gesehen. Da wurde ein Punker gefragt, was Anarchie ist. Seine Antwort: "Bei Aldi Bier klauen."

Seit dem frage ich mich: Wenn ich dem Punker das Bier klaue, das er bei Aldi geklaut hat, bin ich dann ein Superanarchist oder ein Konterrevolutionär?"

 AchterZwerg ergänzte dazu am 18.02.20:
"Was klappt nie? Die Anarchie!" Die Konterrevolution dafür umso besser, nä?
Aropos Punk und Idylle: Ich hatte seinerzeit mit Punkies zu tun, die darauf bestanden, mit mir regelmäßig gemeinsam "Lindenstraße" zu gucken. Echt jetzt.

Nun du ...

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 18.02.20:
"Wem ist zu helfen? fragte Fabian. "Du willst macht haben. Du willst, träumst du, das Kleinbürgertum sammeln und führen. Du willst das Kapital kontrolliern und das Proletariat einbürgern. Und dann willst du helfen, einen Kulturstaat aufzubauen, der dem Paradies verteufelt ähnlich sieht. Und ich sage dir: Noch in deinem Paradies werden sie sich die Fresse vollhauen! Davon abgesehen, dass es nie zustandekommen wird ... Ich weiß ein Ziel, aber es ist leider keines. Ich möchte helfen, die Menschen anständig und vernünftig zu machen. Vorläufig bin ich damit beschäftigt, sie auf ihre diesbezügliche Eignung hin anzuschauen.
aus: Kästner, Erich; Fabian, Die Geschichte eines Moralisten; Stuttgart, Berlin 1931, ND München 2005; 54

 AchterZwerg meinte dazu am 18.02.20:
Sie werden nicht nur sich, sondern auch dir die Fresse vollhauen, wie Herr Kästner, eine meiner ganz großen Lieben, schon beizeiten ahnte.

Tja
Hannah (72)
(17.02.20)
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 AchterZwerg meinte dazu am 18.02.20:
Liebe Babette,
legt man den Focus auf den spirituellen Aspekt des Gedichts, der zweifellos herauszulesen ist, geht es in der Tat um Ganzwerdung aller Seelenanteile, der Einswerdung über einen Bewusstseinswandel.
Dies gelingt sicherlich nicht vielen.
Wie sollte es auch - in einer Zeit so großer Veränderungen.

Herzliche Grüße
der8.
Sätzer (77)
(17.02.20)
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 niemand meinte dazu am 17.02.20:
Ich komme da auch nicht so ganz klar. Liest sich für mich
wie eine Abrechnung mit dem Osten des Landes,
allerdings würde ich nicht auf meine Lesart schwören
Mit lieben Grüßen, Irene

 AchterZwerg meinte dazu am 18.02.20:
Lieber Sätzer,
für dein (vermeintlichen) Bildungsstand kannst du den armen kleinen Achten nicht verantwortlich machen.
Der einzige Begriff, der der sog. gehobenen Sprache entlehnt ist, scheint mir die "chymische Hochzeit" zu sein.
Hattest du denn als Junge keinen Chemiebaukasten?

Liebe Irene,
nein, hier handelt es sich nicht um eine Abrechnung mit dem Osten.
Für mich gibt es da auch wenig abzurechnen - eher mit den Abwicklern, die alles in den Boden stampften, was an "Errungenschaften" tatsächlich vorhanden war.
Natürlich ist das einseitig und aus Sicht einer Westlerin, die unter dem damaligen System nicht zu leiden hatte.
Geht es jedoch um trial and error, um den Versuch etwas Neues zu probieren, eine Weltordnung nachzubessern, um ein grandioses Scheitern, dann lässt sich dieser Zusammenhang herstellen.
Euch2en herzliche Grüße
der8.

 EkkehartMittelberg (17.02.20)
Hallo Picola, hier meine Deutung: In biedermeierlichen Zeiten (Waldrandidylle) ist die Sehnsucht nach Freiheit groß.. In solchen Zeiten hat die Kunst keinen Kairos. Aber im spirituellen Denken finden chymische Hochzeiten statt.. Sie erzeugen die Illusion, als stünde die Zeit still.
Experimentelle Grüße
Ekki

 AchterZwerg meinte dazu am 18.02.20:
Noch eine interessante Deutung!
Der Wunsch nach Idylle zieht sich aus meiner Sicht durch alle Zeiten, wird nur notgedrungen aufgegeben. Ggfs. ließe sich ein revolutionärer Schlachtruf sogar als "Idylle für alle" formulieren.
Eine antibürgerliche vielleicht, die aber auf dasselbe hinausläuft.

Für die Kunst gibt es selten bis nie einen Kairos. Sie kann zwar im günstigen Fall Vorläufer sein, zementiert jedoch in großen Anteilen das Bestehende. Vor allem immer dann, wenn sie Geld bringen soll. Oder muss. Leider.

Herzlichen Dank für deinen spannenden Kommentar
Picola
Sin (55)
(17.02.20)
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 AchterZwerg meinte dazu am 18.02.20:
Du hast die Intention voll und ganz erfasst, lieber und geschätzter Sin.
Tatsächlich handelt es sich hier um eine sehr persönliche Bestandsaufnahme, die vielleicht trotzdem für eine ganze Generation gelten kann. Die der revoltierenden 68er nämlich.

Das alles ist lange her ("hier standen wir, da standen die" ) und wird die Welt nicht wirklich erhellen. Gleichwohl sind viele angenehme Erinnerungen damit verknüpft. Denn im sog. Spontiflügel spielte Kunst eine herausragende Rolle; nie mehr wieder werde ich so viele begabte Menschen in einem Ziel vereint sehen. In einer Stadt und in zwei, drei Kneipen.
Dafür danke ich den Göttern.

Herznahe Grüße
der8.

(Die Rosenkreuzer spielen im Gedicht nur eine sehr untergeordnete Rolle, die chymische Hochzeit eine im übertragenen Sinne.)
Agneta (62)
(17.02.20)
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 AchterZwerg meinte dazu am 18.02.20:
Danke schön, Agneta! :)
"Wider die Zeit" steht auch für "wieder und wieder widrig" und erfüllt deshalb ihren Sinn (und Klang) für mich.

Liebe Grüße
der8.
Al-Badri_Sigrun (61)
(18.02.20)
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 AchterZwerg meinte dazu am 18.02.20:
Na siehste,
hast doch den Kern verstanden, meine Liebe.

Ich denke oft, dass sich die KaVauler die Deutuung eines Gedichts unnötig schwer machen:
Schaue ich erst nach dem Titel, den Hervorhebungen (hier ... & ... ) und dem Schlussvers, sollte die Aussage erkennbar sein. Jedenfalls in einem halbwegs gelungenen Gedicht.
Ein paar Ausnahmen gibt es natürlich.

An alle: Versucht es doch beim nächsten Mal auf diese Weise. Die erleichtert vieles und nimmt dem zunächst Unverständlichen den Schrecken.

Herzlichst
euer8.
Fisch (55)
(18.02.20)
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 AchterZwerg meinte dazu am 18.02.20:
Das sagt sich leicht,
doch ist schwer zu bewerkstelligen. Vor allem, wenn sich das Glück stets im Besonderen gefunden hatte, also für das "normale" Leben in ländlicher Gegend verbrannt war.
Für Frankfurt oder Berlin reichen die Einkünfte nicht wirklich, mal abgesehen davon, dass viele meiner alten Freunde inzwischen verstorben sind.
Und nun schon wieder umziehen?
Dann lieber einen späten Anpassungsversuch unternehmen, der eh nicht klappen wird,

herzliche Grüße
der8.

 harzgebirgler (07.10.20)
vor zeit ist kein entrinnen
was immer wir beginnen.

lg
harzgebirgler

 AchterZwerg meinte dazu am 08.10.20:
Stimmpt!
Aber auch, dass es sich bei dir um eine besonders treue Seele zu handeln scheint - oder einen Fan der Zahl 8 ... :)
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