Der Kuss

Text zum Thema Erotik

von  RainerMScholz

Zur Essensweiterreichung. Wie bei Vögeln. Extrem intim. Direkt nach der Abnabelung und der Entwöhnung von der Brust. Ganz banal und existentiell.
Diese Lippen, und ich kann nicht beschreiben wie warm und weich sie waren, wie viel Liebe und Herausforderung in ihnen lagen. Der erste Kuss in meinem Leben auf diese Art, ein Mutwillen, auch eine Herausforderung zur völligen Vernichtung, eine Röte und ein Versprechen für alle Zeit, die Zukunft. Das angedeutete Anschmiegen der Körper, die unbeholfene Umarmung, das Erspüren dieser Nähe und Wärme – ich liebte Ulrike, die Freundin meiner Mutter, und wusste nicht, was Liebe ist, so körperlich und nah. Eine Weiche in eine neue Welt. Und dann lächelte sie ganz offen, ungespielt, unprätentiös. Ganz natürlich. Und ich war wie benommen. Sie wusste das. Ihr Körper strahlte. Ihre Lippen glänzten ob ihres und dem Rest meines Speichels.
Engel gehen leise und sanft, so stellte ich sie mir vor. Als hätte es sie nie gegeben. Eindrückliche Geisterwesen.
Sie verabschiedete sich und ich saß auf dem Bett und die Sonne schien durch das niedrige Fenster, die Autos fuhren auf der Straße und ich war gefangen in dieser Klarheit und Reine und träumte. Ein kleiner Junge ohne Harm und Reue und frei von Verlangen.


© Rainer M. Scholz

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