Mein Bekenntnis zu Europa

Aufruf zum Thema Europa

von  eiskimo

Europa an den Pranger zu stellen als Mutter aller weltpolitischen Probleme, das ist zur Zeit – auch in manchen KV-Beiträgen – offenbar  angesagt.
Europa sei verquickt in die Kriege des Nahen und Mittleren Ostens;  es  verharre tatenlos gegenüber den daraus resultierenden Flüchtlingswellen; es trage die  Schuld für das Elend in Afrika, das sich von den kolonialen Spätschäden nie erholen konnte;  es sei Drahtzieher und Profiteur  im ungerechten Weltwirtschaftssystem, welches wiederum unfähig ist, den Klimawandel zu stoppen – bei all dem und etlichen anderen Fehlentwicklungen habe Europa immer nur seine Vorteile im Blick und stehle sich ansonsten feige aus der Verantwortung. So weit, so schlecht.
Ich will hier gar nicht fragen, wie viel und was davon historisch haltbar und was lediglich plumpe Polemik ist. Mich drängt es vielmehr, den Spieß einmal umzudrehen und für Europa  zu …. werben!
Denn dieser kompliziert aufgebaute Kontinent hat in seiner wechselvollen Geschichte – trotz fataler Umwege! - erheblich dazu beigetragen, der Welt so etwas wie  Verstand, Rationalität und Wissenschaft zu geben. Es war in Europa, wo bahnbrechende Entdeckungen und Fortschritte gemacht werden konnten, die es erlaubten, die Natur immer besser zu beherrschen und für den Menschen nutzbar zu machen.  Landwirtschaft, Technik, Medizin, Bildungseinrichtungen, ja, auch die Geldwirtschaft wurden voran getrieben. Zum Nutzen vergleichsweise gut funktionierender Gemeinwesen!
Folge: Wir genießen heute in fast allen Lebensbereichen ausgeklügelte Infrastrukturen und materiellen Wohlstand. Mehr noch: In fast allen europäischen Ländern werden Grundwerte und Rechtssicherheit gewährt, es gibt  eine soziale Grundversorgung, dazu Freiheit der Religion, der Meinungsäußerung, der Berufswahl und des Wohnortes.
Die modernen Kommunikationsmittel sind frei zugänglich, werden nicht zensiert und öffnen einem jeden die Welt. Die europäische Kunst, europäische Musiker, Schriftsteller, Cineasten haben der Welt - in einem befruchtenden Klima - wunderbare Werke vermacht.
Kein Wunder, dass  Europa für seine kulturellen, rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Standards  nicht nur weltweit geschätzt, sondern auch vielerorts als Vorbild genommen wird.
Europa hat damit nicht nur Maßstäbe gesetzt, an denen es von vielen Zeitgenossen nun kritisch gemessen wird.  Es stellt sich aber auch dieser Überprüfung. Und es gibt denen, die Europa für seine Defizite und Fehltritte anklagen oder gar beschimpfen, tatsächlich den Raum, dies in freier Rede zu tun…
Es hat Verfahren und Institutionen geschaffen, die den politischen Streit um den weiteren Weg in geregelte und friedliche Bahnen lenken. Dabei wird nicht kaschiert, dass Europas Ansprüche und die Realität oftmals noch (oder wieder) auseinanderdriften. Das Ringen um Korrekturen und Reparationen ist öffentlich – wer guten Willens ist, kann sich beteiligen.
Last but not least hat dieses  Europa  immer wieder Persönlichkeiten hervorgebracht, die in der ganzen Welt angesehen sind und die mit ihrem Vorbild beachtliche Wirkung haben.
Mit seiner Offenheit und politischen Kultur ist Europa nicht von ungefähr- vielleicht heute mehr denn je -  Ziel und Hoffnungsträger Tausender Migranten .
Fakt aber ist auch, dass sich dieser Kontinent  aktuell extrem bewähren muss gegen  Rassismus, Nationalismus und rückwärtsgewandter Abschottung.
Es sind dies Verirrungen, die man in der Geschichte Europa  längst schon einmal als verhängnisvoll entlarvt hat.
Was jetzt gilt, ist die politisch Verantwortlichen dabei zu unterstützen, die demokratische Kultur hochzuhalten und die kulturellen Standards, die Europa stark gemacht haben, engagiert zu verteidigen. Europa mies machen, seine Politiker mies machen oder gar Hass zu legitimieren, das dient nur den Populisten.

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Kommentare zu diesem Text


 BeBa (23.02.20)
Hallo eiskimo,

>>>Mich drängt es vielmehr, den Spieß einmal umzudrehen und für Europa zu …. werben!

bei mir kommt deine Werbung an. Auch ich finde, dass es an der Zeit ist, dass Europa sich mal zusammenrauft. Gewiss, es gibt viel Gegenwind von verschiedenen Seiten, die ein starkes Europa fürchten. Davon dürfen wir uns nicht beeinflussen lassen.

Ich habe die Hoffnung auf eine Zukunft Europa noch nicht aufgegeben.

LG
BeBa

p.s. Macron mag nicht Jedermann's Sache sein. Im Moment ist aber genau er mit seinen Visionen ein Hoffnungsträger. Und solche braucht es. Was hat Jedermann als Alternative anzubieten?

 eiskimo meinte dazu am 23.02.20:
Hallo, Beba!
Ich stimme Dir voll und ganz zu. Was wäre denn auch die Alternative?
Es geht m.E. nur in einer Rückbesinnung auf unsere Stärken und durch eine aktive (!) Stärkung jener Menschen, die sich noch für dieses Gemeinwesen einsetzen.
Vorrangig scheint mir, den Brandstiftern im Netz, den anonymen Hass-Predigern die Bühne zu sperren.
lG
Eiskimo

 princess (23.02.20)
Ein so wunderbar positiver Text aus deiner Feder, lieber eiskimo, das freut mich ganz besonders! Dein Bekenntnis flutscht über meine Augen direkt in pure Zustimmung. Ich bin dankbar, Europäerin sein zu dürfen.

LG p.

 eiskimo antwortete darauf am 23.02.20:
Hallo, princess!
Deine Reaktion berührt mich sehr - Danke!
Ich bin gerade quer durch Europa gereist, brauchte kein Geld wechseln, kein Visa beantragen, nirgendwo meinen Pass zeigen, hatte unkontrolliert Zugang zu den Medien, von der Fülle an Nahrungs- und Genussmitteln und Begegnungen mit relaxten Menschen mal ganz zu schweigen.
Auch ich bin dankbar, und ich will es auch laut sagen - gerade, weil von vielen Seiten unser priviligiertes Leben ´runtergemacht wird.
Wenn ich an anderer Stelle in Deinen Augen negativ erschien, so ist das ist nicht meine Grundeinstellung.
Schönen Sonntag.
Ich genieße schon einmal diesen schönen Auftakt.
Eiskimo

 AZU20 (23.02.20)
Es lebe Europa. Voll einverstanden. LG

 millefiori (23.02.20)
Meiner Meinung nach, besteht das Interesse, das geeinte Europa in Teile zu zersprengen, damit gewisse Interessen besser durchgesetzt werden können, oder auch einfach um Unfrieden zwischen den Völkern zu stiften, denn dann wäre Europa angreifbarer.
Unsere Demokratie und Toleranz ist so manchem Landesführer ein Dorn im Auge.

Bin deiner Meinung, bloß steht die Politik sich teilweise selbst im Weg und findet keine stabile Art zu regieren.

Liebe Grüße
millefiori

 eiskimo schrieb daraufhin am 23.02.20:
Ja, bei deiner letzten Aussage bin ich ganz bei dir. Mehr Blick und Verständnis fürs Ganze sind vonnöten.
Danke für deinen Kommentar!
Eiskimo

 Graeculus (23.02.20)
Eine Apologie Europas - wie schön!

 eiskimo äußerte darauf am 23.02.20:
Wie schön auch für mich, dass der Text vor deinem kritischen Auge Bestand hat.
lG

 TrekanBelluvitsh (23.02.20)
Ja, ich kann mir auch jede Menge schlechtere Orte vorstellen, an denen man leben kann (muss).

 eiskimo ergänzte dazu am 23.02.20:
Gut und einfach auf den Punkt gebracht. Mir scheint es zur Zeit wichtig, das Erreichte aktiv zu verteidigen. Vielen scheint gar nicht bewusst, dass wir sehr viel zu verlieren haben.
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