Auf einem Bahnsteig

Kurzprosa

von  BeBa

Aus dem Lautsprecher kommt die Ansage, dass der Zug nach München 45 Minuten Verspätung hat.

Mir macht das nichts aus. Ich liebe das Drumherum, dieses Warten auf dem Bahnsteig. Dem Schimpfen der Anderen stehe ich neutral gegenüber. Das ist kein leichtes Spiel, denn erboste Fahrgäste werden nicht selten unangemessen laut, geradezu penetrant und zudringlich. Das erleben insbesondere diese armen Bahnbediensteten, die sich mit ihren Koffertransportwagen einen Weg durch den von der Lautsprecheransage aufgebrachten Mob bahnen. Jetzt laufen die Choleriker unter den Wartenden zur Hochform auf. Der arme Kerl, meist ein Ausländer, zuckt mit den Schultern, lächelt, murmelt Unverständliches und sieht zu, dass er ohne Blessuren davonkommt. Und ich drücke ihm die Daumen.

Ja, ich habe Zeit und versuche das zum Ausdruck zu bringen, indem ich extrem relaxt auf der nächsten Bahnsteigbank sitze. Unglaublich, wie knapp die Leute ihre Termine planen. Wenn mich jemand auf meine Entspanntheit anspräche, ich würde ihm genau das um die Ohren hauen.

Und unglaublich ist es, wie Menschen aus der Haut fahren können. Ich beobachte das genüsslich von meiner Bank aus. Nicht wenige Gesichter färben sich erst rot, dann totenbleich. So stelle ich mir einen bevorstehenden Herzinfarkt vor. Andere brüllen in ihre Handys, tauschen untereinander Flüche aus oder treten auf Bahneigentum ein (hier und heute war es ein übervoller Papierkorb, der nach der Attacke beinahe leer war).

Eine neue Durchsage: Der Zug wird weitere 30 Minuten Verspätung haben!

Kann ich es ändern? Sie sollten sehen, was jetzt hier los ist! Der Mob tobt! Kein Bediensteter der Bahn tritt hier mehr auf, da gehe ich jede Wette ein.

Ich lehne mich zurück auf meiner Bank, um die Szene zu genießen. Bis jemand mit hochrotem Kopf vor mir steht und fragt:

„Haben Sie auch einen Termin in München?“

„Sehe ich so aus?“, antworte ich und wechsle den Bahnsteig.

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Kommentare zu diesem Text


 eiskimo (28.02.20)
That´s life! Klasse eingefangen, die aufgeladene Atmo´ am Bahnhof, wenn es dieses Szenario gibt.
Ich erkenne mich wieder -rate mal, in welcher der gezeigten Personen...
Ich setzte trotzdem weiter unverdrossen auf die Bahn!
lG
Eiskimo

 BeBa meinte dazu am 28.02.20:
Hi Eiskimo,

danke für dein Interesse. Auch ich fahre gern Bahn und ich genieße es, wenn sie eintrudelt.

LG
BeBa
Aha (53)
(28.02.20)
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 BeBa antwortete darauf am 28.02.20:
Hallo Aha,

du hast völlig Recht mit deinem Kommentar. Hier war es ja auch nur ein ganz kleiner "Angestellter" der Bahn, der gar nicht in Verlegenheit kommt, sich aufzuplustern.

Aber klar, der Text ist einseitig und das soll er ja auch sein.

LG
BeBa
Sin (55)
(28.02.20)
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 BeBa schrieb daraufhin am 28.02.20:
Ja, das mit der Zeit ist so eine Sache. Da hast du völlig Recht. Und wer welche hat oder sich nimmt, der ist sofort verdächtig.

LG
BeBa
Fisch (55)
(28.02.20)
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 BeBa äußerte darauf am 28.02.20:
Hi Fisch,

danke dir für deine Worte. Den Hinweis zu Beginn werde ich bei einer Überarbeitung im Kopf haben.

LG
BeBa

 AchterZwerg (28.02.20)
Ja, es gibt zwei Seiten der Medaille.
Ich kenne beide - und denke ungern daran zurück. Besonders an die Fahrscheinkontrollen.

Deine Kurzprosa finde ich gelungen und treffsicher beendet.

Terminfreie Grüße
der8.

[Nur gut, dass die KaVaufarben Userköppe nicht zeitnah wiedergeben können ... ]

 BeBa ergänzte dazu am 28.02.20:
Danke auch dir, lieber 8.

Jetzt auch terminfrei,
BeBa

 EkkehartMittelberg (28.02.20)
Hallo Beba,
als Pensionär genieße ich es, Flaneur sein zu können und mache mir deine Gelassenheit gerne zu eigen, besonders deshalb, weil sie gut beschrieben ist.
Liebe Grüße
Ekki

 BeBa meinte dazu am 28.02.20:
Danke Ekki. Ja, du sollst es auch genießen. Ich habe noch ein paar Jahre, dann bin ich auch Flaneur, äh Rentner.

LG
BeBa

 AlmaMarieSchneider (28.02.20)
Hallo BeBa,

gottlob habe ich immer geduldige Bahnfahrer erlebt. Was bleibt Ihnen auch sonst übrig.. Bahnbedienstete mit Koffertransportwagen? Gibt es die überhaupt noch? Da hätte sich der Service ja glatt von "0" auf "100" verbessert.
Ansonsten recht amüsant geschrieben.
Liebe Grüße
Alma Marie

 BeBa meinte dazu am 28.02.20:
Danke, Alma Marie. Ja, die Bahn tut, was sie kann ...

LG
BeBa
una (56)
(28.02.20)
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 BeBa meinte dazu am 28.02.20:
Ja, die Apps. Funktionieren in der Regel gut ihren Dienst, so wie die Bahn auch. Was mich heute wahnsinnig macht, sind die Momente, wenn die ICE-Wagen wieder mal nicht in den Bahnhof reinkommen wie geplant. Hielft da die App? Die Franzosen zeigen die Positionen der Wagen des TGV übrigens online am Bahnsteig. Sehr hilfreich!

LG
BeBa
una (56) meinte dazu am 28.02.20:
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 Dieter_Rotmund (28.02.20)
Ein zunehemend unsympathisch werdener Ich-Erzähler(in?), der sich zum Schluss auch noch als Klugscheisser-Schnösel erweist.
Nö, nicht gerne gelesen.

 BeBa meinte dazu am 28.02.20:
Aber Dieter,

muss der Protagonist immer sympathisch sein?

LG
BeBa

 GastIltis meinte dazu am 29.02.20:
@Dieter, dass du witzig bist, wusste ich ja schon immer. Aber dass du nun sogar mit echtem Humor aufwartest, indem du das Gegenteil von dem aufschreibst, was du meinst, das ist neu. Aber dein Lieblingsautor wird es dir verzeihen!

@Hallo Junker BB, für dich als Bahnphobist war doch der Aufenthalt sicher eine echte Freude. Erlösung kam bestimmt spätestens mit der Ansage: „Achtung! Wir bitten alle Bahnphobisten, -nostalgiker und -anarchisten sowie auch potentielle Suizidfreunde die Bahnanlagen umgehend zu räumen, da sie mit dem außerplanmäßigen Ausfall des letzten Zuges zu Silvester 2019, mit dem der Zugverkehr hier eingestellt worden ist, nicht mehr benötigt werden und umgehend, d.h. sofort nach Fertigstellung des Berliner Flughafens zurückgebaut werden.“ Ich wünsche dir einen störungsfreien Heimweg.
Herzlich Gil.

 BeBa meinte dazu am 29.02.20:
Hallo Gil,

der erste Knaller ist ja der Junker.
Der zweite ist, dass du "Berliner Flughafen" und "Fertigstellung" in einer Zeile zusammenbringst.

Störungsfreier Heimweg? Klar, mit meiner Draisine ...

Schönen Sonntag,
Junker BB

 Judas (28.02.20)
Es war ein langer und schwieriger Weg aber ich habe auch aufgehört, mich über die Dinge zu ärgern, die ich absolut nicht mehr ändern kann, auf die ich keinerlei Einfluss habe. Kurz genervt sein lasse ich mir dabei noch durchgehen. Ich renne deshalb auch nicht mehr für grüne Ampeln.

 BeBa meinte dazu am 28.02.20:
Ich glaube, das ist eine gute Art, durchs Leben zu gehen. Übermäßige Aufregung hilft niemandem und schadet einem selbst. Mein Blutdruck mahnt mich jeden Tag.

LG
BeBa

p.s. Ich hoffe nicht, dass der Text zu ernst genommen wird. Der Prot mit dem Autor verwandt und für die einseitige Sichtweise ist ausschließlich der Protagonist verantwortlich.
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