Westfalenpsycho ...

Text zum Thema Schein und Sein

von  Laluna

Irgendwo auf den Sturmhöhen der Baumberge in Hanglage. Ein windschiefes Fachwerkhaus mit kleinen Fenstern und vergilbten Gardinen. Ein winziges Gehöft mit verfallenen Nebengebäuden, einem verwilderten Gartenteil und einer angrenzenden Obstwiese mit sehr altem Baumbestand. Rundherum unregelmäßige Staketenzäune aus teilweise verwittertem Holz, was lange keinen Schutzanstrich mehr gesehen hat. Hinter auswuchernden Forsythien- und Fliederbüschen ein bemooster Gastank. Ein paar Bienenkisten stehen in wahlloser Reihenfolge herum, dazwischen liegen abgeholzte Baumstämme aus dem nahen Busch. Das gesamte Objekt mutet sehr unbewohnt an. Ein gottverlassener Ort für Spökenkiekerei. Links des Zufahrtsweges ist das Gelände mit Obstbäumen und Birken bewachsen, den Berg hinauf säumen Tannen den Weg und münden in einen dichten Tannenwald auf der Höhe. An der rechten Seite des Gehöfts liegen Äcker, hier und da kleine Baumgruppen, die Esch oder Knapp genannt werden. Man sieht Viehhütten und Weidezäune. Viel Gegend, wenig Leute … der nächste Nachbar wohnt 2,5 km weit entfernt in Richtung Stevertal.

Doch abends ist ein kleines Fenster des Hauses schwach beleuchtet. Das sieht man aber nur von oben, dort wo die Tannen stehen. Der Rest des Hauses liegt im Dunkeln, es gibt nicht einmal eine Hoflaterne und Straßenbeleuchtung ist hier am Hang auch nicht vorhanden. Das Zimmerchen mit Licht ist eine sogenannte „Upkammer“. Diese Kammern wurden früher dazu benutzt, die Knechte und Mägde unterzubringen und sind zumeist über ein bis drei Stufen zu erreichen.

Hier liegen zwei Upkammern nebeneinander und münden in eine Art Spitzerker. Dazwischen befindet sich eine große Esse. Eine offene Feuerstelle mit Abzug im Vorraum zu den Upkammern. Die linke Upkammer ist ein Schlafraum mit dicken Haken unter der Decke, wo früher Schinken und Mettwürste zum Trocknen aufgehängt wurden. Ein Duft nach Geräuchertem ist noch zu erahnen, der mag aber eher von der Esse herrühren als von den nicht vorhandenen Mettwürsten und Schinken. In dem Schlafraum steht ein uraltes Bett aus massivem Eichenholz und dicken Rosshaarmatratzen. Darauf ein unförmiges Federbett und Bettzeug aus eierschalenfarbigem Leinen. Das Kopfkissen hat einen Spitzenbesatz, der jedoch einige Löcher aufweist. Ein Bettlaken gibt es nicht, hier liegt ein großes Lammfell auf den Matratzen. Das Bett ist ungemacht und die unbehandelten Holzbohlen des Fußbodens verunziert ein Kokosteppich, der früher mal rot gewesen sein musste, wie man an den Seiten noch sehen kann. Jetzt ist er etwas verzogen und sieht ziemlich versifft und fäkalienbraun aus.

In der rechten Upkammer steht ein klotziger Schreibtisch vor dem Fensterchen, der sicherlich mal bessere Zeiten gesehen hat. Eine Seitentür ist herausgebrochen, die andere hängt rechts herunter und die Schublade lässt sich nur mit Gewalt aufziehen. Auf dem grünen Lederbezug der Schreibtischplatte, der speckige Flecken aufweist, steht eine uralte Schreibtischlampe im Jugendstil. Die tulpenförmige Glaskuppel ist halb zerbrochen, sieht aus wie abgefressen. In der Lampenfassung eine wulstige Sparbirne, ein Fauxpas.

Mitten auf dem Schreibtisch liegt ein I-phone und daneben ein noch originalverpacktes Tablet, Fortschritte unserer Zeit, die so gar nicht zum Interieur des Hauses passen wollen.
Das Zimmer ist spartanisch eingerichtet. Neben einem Uralt-Kleiderschrank auf der linken Seite gibt es rechtsseitig noch einen Waschtisch mit Marmorplatte und einer Waschschüssel aus Keramik mit passendem Krug und Schleife, beides mit Blumenmuster. Darüber hängt ein blinder Spiegel der einen gedrechselten Holzrand hat. Blickt man in diesen Spiegel so leuchten aus dem Hintergrund grüne Katzenaugen im Halbdunkel. Der schwarze Kater sitzt reglos auf dem Kleiderschrank.

Aus dem Vorraum sind jetzt Geräusche hörbar. Jemand versucht mit einem Blasebalg das Feuer zu entfachen. Dieser Jemand ist Franz-Josef, der unrechtmäßige Eigentümer des kleinen Gehöfts. Er flucht vor sich hin, weil es ihn friert. Früher hätte man ihn einen „Hausbesetzer“ genannt. Doch keiner machte sich Gedanken darüber, weil der rechtmäßige Hausbesitzer Viktor schon vor einigen Jahren verstorben war und die Nachbarn wussten, dass er einen illegitimen Sohn und Erben hatte … aber der hieß nicht Franz-Josef, sondern Wilhelm. Doch niemand aus dem Ort, aus der Nachbarschaft kannte ihn. Man wusste, dass Wilhelms Mutter aus Darfeld stammte und die Ehefrau eines wesentlich älteren Großbauern war, die diesem Hörner aufgesetzt hatte. Wilhelm wurde 1946 in einem Heim für ledige Mütter in den Baumbergen geboren und direkt zu Pflegeeltern gegeben. Die Mutter verschwand auf Nimmerwiedersehen und sein Vater kümmerte sich später um die Ausbildung des Jungen. Die Pflegeeltern wollten Kleinen nicht hergeben und so wurde ein Arrangement getroffen.

Wilhelm wuchs in Telgte auf und sein unverheirateter Vater, der Landwirt war, besuchte ihn regelmäßig. Später zog er mit seinen Pflegeeltern nach Horstmar, wo er sich mit ihnen zerstritt und im Alter von 21 Jahren den Kontakt rigoros abbrach. Sein Vater jubilierte und besorgte ihm eine Unterkunft in Münster, wo er ökologische Agrar- und Forstwissenschaften studierte und einen exzellenten Abschluss hinlegte. Während des Studiums lernte er Franz-Josef kennen. Dieser kam gebürtig aus Bad Laer und war eine Z-Sau, die sich gerne in Studentenkreisen herumtrieb. Er war bekannt für seine latente Brutalität und für seine Revolverschnauze, womit er jeden rhetorisch in Grund und Boden redete bzw. befahl. Hauptsächlich umgab er sich mit Männern, denn mit Frauen hatte er große Probleme.

Auch Wilhelm war kein Frauenheld und fühlte sich in männlicher Gesellschaft wohler.
Wäre da nicht Roswitha gewesen … Roswitha, deren Verschwinden bis heute noch nicht aufgeklärt werden konnte.

(Fortsetzung folgt)

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Kommentare zu diesem Text

PowR.TocH. (58)
(11.03.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.03.20:
Chapeau! Ich glaube, die Droste würde dir auf die Schulter klopfen.
LG
Ekki
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