In deiner Wohnung sind sehr viele bunte Post-its verteilt, alle mit kleinen liebevollen Kommentaren oder Namen. Irgendwie spricht und lebt so jedes Möbel, jede Ecke. Fast habe ich das Gefühl in einem flüsternden Markt aus Stimmen zu leben, wenn ich bei dir bin. Alles ist voller Erinnerungen. Ausgeschnittener Zeitungsfetzen, Postkarten, Bilder. Wie soll ich zu einem Gespräch kommen, wenn das alles immerzu zu mir spricht. Deine Vergangenheit wühlt und wandert unter dem Teppich.
Als ich rausgehe, um einzukaufen und durch dein Viertel zu schlendern, rätsele ich, welches Puzzle das alles ergeben könnte. Ich gehe länger als vorgehabt durch die Straßen. Meine Füße haben vielleicht einen Plan, sie sind auf jeden Fall kaum aufzuhalten. Das Viertel ist angefüllt mit lautem Leben und Menschen, die durcheinander quatschen und grüßen. Ich bin noch mit rätseln beschäftigt. Dann ausgeknockt. Ich merke nicht, dass ich über die warmen Backen weine. Nur weil die Kraft aus den Beinen weicht, nehme ich Platz auf einer Bank. Ein Passant klopft mir auf die Schulter und sagt, dass das auch wieder vorbei geht. Na, komm schon. Mich flutet das als große Geste der Menschlichkeit. Ich sammle mich. Kehre um.
Auf dem kleinen Küchentisch stapeln sich die Dinge, die nur einen kleinen Platz für einen oder zwei Teller übrig lassen. Wir essen allerdings meist aus dem einen Topf, mit dem wir kochen. Das Kochen mit dir ist schön. Auf deine Art. Ich frage mich, woher die kommt. Du bist souverän und geschmeidig, wenn du kochst. Wir hören afrikanische Musik, tanzen ein bisschen umeinander her, schneiden dann Gemüse, Kartoffeln, Zwiebeln. Im kochenden Wasser wird mit bunten Nudeln alles in einem gegart. Es braucht am Ende noch ein wenig Harissa und Tomatenmark. Wir sitzen im Schneidersitz auf unseren Stühlen und beugen uns zum Topf, der in kurzer Distanz zu uns steht. Ich spüre deine Knie, das wärmt mich. Wir können es so machen wie in Marokko, wenn wir zusammenziehen. Einen kleinen Platz auf dem Teppich zum Essen. Mit dir wäre das Leben so: ein Topf, zwei Gabeln, Kaffee und Tee, keinen Wein.
Das Waschbecken trocken wischen nach dem Händewaschen. Die Wasserflecken von der Duschkabine entfernen. Keine Spuren hinterlassen. Die Schuhe von den Erdklumpen frei klopfen. Vor der Haustüre stehenlassen. Keine außergewöhnlichen Schokoladensorten. Das gleiche Aftershave auch nach 15 Jahren. Das eindringlich an allem mit deinem Gesicht verbundenen Utensilien haftet. Die Handtücher, Waschlappen. Manchmal meine ich sogar, der Badspiegel verströmt diesen Duft.
Es stört mich nicht, dass immer die gleiche Musik läuft, auch nicht, dass ich nicht bei dir schlafen kann. Du schläfst sowieso nicht, wenn ich schlafe. Nur vier Stunden Schlaf, die du zu seltsamen Zeiten abhältst. Ich glaube, du musst mich ansehen, wenn ich schlafe. Vielleicht notierst du dann etwas oder machst heimlich ein Photo. Oder es beruhigt dich noch mehr, mich schlafend zu wissen, als dein eigener Schlaf dir Ruhe geben könnte. Denn du gehst den ganzen Tag wie ein Tiger. Oder vergräbst nach einem heiteren Moment dein Gesicht in meinem Schoß.
Ob ich Teil deiner Erinnerungen werde, weiß nicht. Vielleicht bin ich auch nur der Wächter dieses Museums. Oder ein Besucher.